MAN MK, Baujahr 1946: Scheunenfund mit Seltenheitswert

MAN MK, Baujahr 1946
Scheunenfund mit Seltenheitswert

Mit der Bergung eines fast vollständig erhaltenen MAN MK Pritschenlastwagens aus der frühen Nachkriegszeit gelingt Lutz Bernau eine kleine Sensation.

Scheunenfund mit Seltenheitswert
Foto: Richard Kienberger

Im Truck-Rennsport ist Lutz Bernau eine feste Größe. Doch der langjährige Rennfahrer und Teamchef aus dem bayerischen Hofstetten begeistert sich auch für automobile Schätze. Auf dem Gelände des ehemaligen Holzmaschinenherstellers Karl Haist in Pöcking am Starnberger See hat er kürzlich einen Scheunenfund geborgen, der als besondere Rarität gelten kann.

Doch der Reihe nach: Im Jahr 1946 nimmt MAN mit Erlaubnis der Alliierten im stark zerstörten Werk Nürnberg wieder die Produktion auf, zunächst mit vorhandenen Teilen und beschränkt auf eine mittlere Nutzlastklasse. So wird am 12. August 1946 einer der ersten neuen Viereinhalbtonner vom Typ MK gebaut. Von seinem Vorgänger, dem ML 4500, unterscheidet sich dieser Lastwagen hauptsächlich durch zehn zusätzliche Pferdestärken, also insgesamt 120 PS. Auf dem Typenschild dieses MK ist noch „ML 4500 S“ eingeprägt, die Bezeichnung des baugleichen Kriegsmodells – wahrscheinlich mangels neuer MK-Typenschilder. Auch das „S“ passt in diesem Fall nicht, da es sich um einen Allradler handelt, also einen „4500 A“.

Das Lastwagenverkaufsbüro Nürnberg verkauft den Pritschen-Lkw mit der Fahrgestellnummer 100806/27 an die Firma Vowinckel in Kitzingen. Das bestätigt das Kommissionsbuch von MAN, wenngleich der Firmenname falsch geschrieben ist. Die Holzgroßhandlung Johann Jacob Vowinckel aus Mainz hatte 1913 in Kitzingen ein Sägewerk errichtet. Die als Aktiengesellschaft betriebene Holzhandlung ist auf die Lieferung von Bauholz, Brettern und Latten, Fußbodenriemen, Eisenbahnschwellen, Leitungsmasten sowie trockener Schreinerware in allen Größen spezialisiert.

Die ersten Nachkriegsjahre sind Notjahre. Was an Gütern überhaupt in den Handel kommt, ist wie schon im Krieg nur über Bezugsscheine und zu amtlich festgesetzten Preisen erhältlich. Die Menschen im besetzten Nachkriegsdeutschland versorgen sich außerhalb des offiziellen Bezugs- und Versorgungssystems durch Tauschgeschäfte oder „Zigarettenwährung“. Abhilfe schafft erst die Währungsreform in den Besatzungszonen der drei Westalliierten, mit der die neue Deutsche Mark die alte, inflationäre Reichsmark-Währung ablöst. Sie tritt am 20. Juni 1948 in Kraft.

Vermutlich bezahlt Vowinkel seinen neuen MK also zumindest teilweise durch Holzlieferungen an MAN. Schließlich braucht man im gut 90 Kilometer entfernten Nürnberg Bretter für Fahrzeugaufbauten, Balken zum Wiederaufbau des Werks und anderes Baumaterial.

Vowinckel wiederum benötigt in dieser Zeit dringend neue Holzbearbeitungsmaschinen. Die Firma Karl Haist aus dem Raum München vertreibt solche Maschinen und stellte auch eigene her. Also tauscht Vowinkel den MAN ein.

Mit dem MK, der nun auf den Türen ein weißes Kreissägeblatt als Firmenlogo trägt, liefert Karl Haist fortan seine Maschinen in ganz Süddeutschland aus. Einmal im Jahr geht es sogar als Aussteller zur Hannover-Messe, die 1947 erstmals stattfindet. Derlei Fernverkehrs-Kraftakte sind aber die Ausnahme. Denn dank des firmeneigenen Gleisanschlusses können die Haist-Maschinen auch per Bahn transportiert werden.

Bis in die 60er-Jahre bleibt der MK in Betrieb und fährt auch Baumaterial für den Ausbau des Firmenareals. Dann wird er nur noch auf dem Werksgelände eingesetzt. Eine der beiden Produktionshallen ist so angelegt, dass alle Güter nur über die Eisenbahnverladerampe, die sich in der Halle befindet, bewegt werden können. Bei Bedarf fährt man also schnell mit dem MK auf das Gleis, um anschließend umzuladen. Als die Batterie hinüber ist, genügt ein kurzer Ruck mit dem hauseigenen McCormick-Schlepper, um den altgedienten MAN zu starten.

Als Haist 1991 schließlich die Produktion von Holzbearbeitungsmaschinen einstellt, tritt der MK seine vorerst letzte Fahrt aus eigener Kraft an – zu einem Unterstand auf dem Firmengelände. Dort fällt er in den automobilen Dornröschenschlaf.

Fast 30 Jahre später wird Lutz Bernau von einem Freund auf den Nutzfahrzeugveteran aufmerksam gemacht. Wie er herausfindet, ist dieser MK der 127. Lastwagen, der nach dem Zweiten Weltkrieg von MAN gebaut wurde, und erst das vierte Exemplar der MK-Serie. Bei diesem Fund handelt es sich also vermutlich um den ältesten noch existierenden Nachkriegs-MAN. „Es hieß aber, der Eigentümer wolle auf gar keinen Fall verkaufen“, erzählt Bernau. Schließlich kommt doch noch der Kontakt zustande – und nach zähen Verhandlungen im Frühjahr 2020 sogar der Kauf.

Bei der ersten Begegnung mit seinem neuen Besitzer präsentiert sich der MK hier und da rostig und zerbeult, aber erfreulich komplett bis auf die Peilstange vorne rechts. Der einst taubenblaue Lack blättert ab, besonders in der Kabine. An einigen Stellen kommt grüne Farbe zum Vorschein, möglicherweise stammt das Fahrerhaus oder zumindest die Grundierung also noch aus der Kriegsproduktion.

Im Staukasten unter der Pritsche befinden sich ein mechanischer Bilstein-Wagenheber, zwei Feuerhand-Petroleumlampen mit rotem Glas als Warnlampen, drei Montiereisen und ein kräftiger Hammer. Im Werkzeugkasten im rechten Einstieg liegen eine Menge Werkzeug und eine Ölspritzkanne bereit.

Betriebsanleitung, Fahrtenbuch und Schmierplan finden sich im Fahrerhaus. Sogar Tachoscheiben sind erhalten geblieben – die jüngste vorhandene datiert laut Bernau auf den 24. April 1957. Der Tachograph muss allerdings nachgerüstet worden sein. Denn Fahrtenschreiber und Schaublätter für Güterfahrzeuge über 7,5 Tonnen wurden erst ab 1953 durch das „Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs“ Pflicht.

Mitte Mai 2020 beginnt die Bergung, unterstützt von Christian Kirchner aus Thaining und seiner Mannschaft. Nachdem neue Räder montiert sind, wird der MK auf einen Tieflader geschoben und zu MAN-Spezialist Toni Maurer in Türkheim transportiert. Dort steht der seltene Oldie nun erstmal im Trockenen. „Was jetzt aus ihm wird, muss noch entschieden werden“, antwortet Bernau auf die Frage, ob er seinen Fund fahrtüchtig restaurieren oder möglichst im Originalzustand konservieren will. „Am liebsten würde ich ihn so wie er ist in eine Glasvitrine stellen!“