Papier ist geduldig", heißt es etwas abschätzig im Volksmund. In digitalen Zeiten müsste man wohl ergänzen: Monitore sind es noch viel mehr. Gemeint ist der eklatante Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Dies gilt beim Erfahren von Bussen und anderen Fahrzeugen ebenso oder noch mehr als in anderen Lebensbereichen. Wir mussten genau das nun wieder an einem sehr gewichtigen und präsenten Beispiel buchstäblich erfahren: dem Doppeldecker Volvo 9700 DD. Für unsere Vorstellung der kontinentaleuropäischen Vier-Meter-Variante in lastauto omnibus 3/21 standen uns nur relativ dünne Informationen und eine kurze Onlinepräsentation zur Verfügung, um das Fahrzeug kennenzulernen. Da bleibt nicht aus, dass sich das ein oder andere technische Detail auf dem Monitor tief ins Hirn des Redakteurs einbrennt und dort sein Unwesen treibt – ohne dass dessen Auswirkung in der Realität überprüft werden könnte.
Das Ergebnis war denn auch eher von einer Zurückhaltung geprägt, die nicht jeder Freund der Marke so ganz nachvollziehen konnte. Womit wir beim Kern des Motorjournalismus angelangt wären: der Gratwanderung zwischen theoretischer Kritik und praktischem Erfahren der Materie. Das eine ist wertlos ohne das jeweils andere. Und nicht zuletzt deshalb schauen wir uns jedes neue Fahrzeug im besten Fall mindestens dreimal an: Auf eine mehr theoretische Vorstellung folgt ein praxisnaher Fahrbericht und dann meist noch ein ausführlicher Test mit Beladung und anderen wichtigen Parametern wie Bremsweg und Beschleunigung. Nur so denken wir dem Leser einen umfassenden Eindruck vermitteln zu können.
Volvo 9700 DD: Doppeldecker mit Premiumverarbeitung
Zurück aber zum Schweden aus Finnland. Wir hatten die Gelegenheit, den zweiten Prototyp in Heilbronn und über die Löwensteiner Berge zu bewegen – mit einem kleinen Umweg über das alte Drögmöller-Werksgelände, wo noch heute der klangvolle Name am Verwaltungsgebäude prangt. Das Thema Doppeldecker hatte auch für diese Heilbronner Edelschmiede eine größere Bedeutung, gibt es doch einige Zeitgenossen, die die Kosten für den Solitär eines 1992 präsentierten Mercedes-Benz O 404 DD mit kernigem V8-Motor mit für den Niedergang der Firma verantwortlich machen, die 1995 von Volvo übernommen wurde und 2005 die Werkstore endgültig schloss.

Der erste Eindruck des Fahrzeugs ist sehr gut, man würde nicht an einen Prototyp denken, wenn man es nicht wüsste. Die Verarbeitung außen und innen ist tipptopp, da gibt es nichts zu meckern. Auch unmäßige Klapper- und Knarzgeräusche sind für den kühlen Schweden weitgehend ein Fremdwort. Der Wagen wirkt zwar imposant wie alle Doppeldecker, aber das Volvo-Designteam um Dan Frykholm hat sich alle Mühe gegeben, dem Koloss die optische Höhe zu nehmen. Leider verdecken die geschwungenen Applikationen hinter der A-Säule in der so begehrten oberen ersten Reihe etwas die Sicht nach draußen – hier hätte Frykholm noch ein wenig mehr Ikea-Gemütlichkeit zaubern können. Der Neoplan Skyliner bietet da fast schon einen Lounge-Charakter. Die Seitengrafik erinnert dazu ein wenig an den Setra S 531 DT, ist aber eigenständig genug, um markenprägend zu sein.
- Zugang zu allen Webseiteninhalten
- Kostenloser PDF-Download der Ausgaben
- Preisvorteil für Schulungen und im Shop
Sie haben bereits ein Digitalabo? Hier einloggen.
* Sie sind DEKRA-Mitglied? Dann loggen Sie sich ein und ergänzen ggf. in Ihrem Profil Ihre DEKRA-Mitglieds-Nummer.
Mitgliedsnummer ergänzen* Jahrespreis 22,65 Euro, Preis für FERNFAHRER Flexabo Digital in Deutschland,flexible Laufzeit, jederzeit kündbar.
Weiter zum Kauf