Praxistest Mercedes eActros: Erwartungen wurden übererfüllt

Praxistest Mercedes eActros
Erwartungen wurden übererfüllt

Im Gespräch mit lastauto omnibus zeigen sich die Projektverantwortlichen sehr zufrieden mit dem Abschneiden des Mercedes eActros im Praxistest. Er habe sich als zuverlässig und praxisgerecht erwiesen.

Interview Mercedes eActros Buchner et al
Foto: Daimler
Wie viele Kilometer haben die eActros-Testfahrzeuge insgesamt zurückgelegt?

Dudic: Mit den von Kunden gefahrenen Kilometern bewegen wir uns längst im sechsstelligen Bereich, und jeden Tag kommen weitere Kilometer dazu. Unser Mercedes eActros beweist sich seit deutlich mehr als einem Jahr im Rahmen der Innovationsflotte im harten Alltagseinsatz bei Kunden. Diese Flotte umfasst insgesamt zehn Fahrzeuge. Seit Sommer 2019 ist ein zusätzlicher eActros bei Logistik Schmitt rund um Rastatt unterwegs. Mit eigenen Tests auf öffentlichen Straßen haben wir bereits Mitte 2018 begonnen. Durch die Auswertung der gefahrenen Kilometer, aber vor allem auch durch den engen Austausch mit unseren Kunden, das heißt den Fahrern, Disponenten und Flottenmanagern, haben wir umfangreiche Erkenntnisse gewonnen.

Mercedes-Benz eActros, Exterieur, 2 x elektrischer Radnabenmotor, 240 kW, 2 x 485 Nm, Radformel 6x2, M-Fahrerhaus,  bis zu 200 Kilometer Reichweite mit gewohnter Fahrleistung und Nutzlast 

Mercedes-Benz eActros, Exterior, 2 x electric hub motor, 240 kW, 2x 485 Nm, wheel formula 6x2, M-cab, Range of up to 200 km with customary level of performance and payload.
Daimler
Die Kunden setzen die elf eActros im Praxistest im Ein-, Zwei- oder sogar Dreischichtbetrieb ein. Egal, ob 18- oder 25-Tonner: Alle Modelle erreichen die in Aussicht gestellten 200 Kilometer Reichweite.
Entspricht diese Fahrleistung Ihren Zielen?

Dudic: Unterm Strich haben unsere Kunden unsere Erwartungen an die Testeinsätze des ­eActros sogar übererfüllt. Wir hatten im Vorfeld die ­Sorge, dass die Kunden ihren eActros möglicherweise etwas zu pfleglich behandeln könnten. Fakt ist: Die Kunden setzen ihre Elektro-Lkw voll im Transportalltag ein – entweder im Ein-, Zwei- oder sogar Dreischichtbetrieb.Von Wallfeld: Das Interesse von Kunden an der Teilnahme an solchen Projekten ist enorm. Ich erhalte nahezu täglich Anfragen. Diese betreffen übrigens auch Connectivity-Themen. Der Grund für dieses große Interesse: Die Kunden gehen davon aus, dass diese Themen für sie wirklich relevant werden, und sie wollen sich so früh wie möglich darauf einstellen.

Die Kunden sind also gegenüber der E-Mobilität sehr aufgeschlossen?

Dudic: Absolut. Zu den Hürden für den Betrieb von Elektro-Lkw bei den Kunden zählt noch vor allem die Verfügbarkeit von hierfür geschulten Fahrern. Zum einen macht der Fahrermangel den Speditionen zu schaffen, zum anderen sind sie auf die Bereitschaft der Fahrer angewiesen, an einer entsprechenden Schulung teilzunehmen. Diese dauert etwa eine Woche. Die Fahrer machen sich dabei mit dem Fahrzeug vertraut und erhalten eine Hochvolt-Sensibilisierung.

Daimler Mercedes eActros Elektro-Lkw
Daimler
Jedes eActros-Testfahrzeug verfügt über ­einen Lader. Je nach Hausanschluss unterscheidet sich die Ladeleistung. Standard ist der Anschluss per CCS-Stecker.
Die Ladeinfrastruktur gehört also nicht zu den Problemen?

Dudic: Vor jedem Praxiseinsatz des eActros bei einem Kunden führen wir jeweils eine intensive Beratung durch. Dabei definieren wir vor allem die speziellen Kundenanforderungen, bestimmen die entsprechende Variante des eActros und klären Fragen rund um die nötige Infrastruktur. Die meisten Kunden der Innovationsflotte laden auf dem Betriebshof an der durch uns mitgelieferten mobilen Ladestation. Bis auf wenige Ausnahmen setzen die Kunden einen Lader mit einer Leistung von 80 Kilowatt ein. Dafür war die Installation einer Steckdose mit 125 Ampere Nennstrom erforderlich. Bei den anderen Kunden kommt aufgrund der geringeren Haus­installation ein 40-Kilowatt-Ladegerät zum Einsatz. Die Ladestation wird per Stecker an den Hausanschluss angeschlossen. Der Aufwand ist also insgesamt vergleichsweise gering.

Auf Fotos ist zumindest beim Kunden Dachser ­eine stationäre Ladestation zu erkennen …

Dudic: Genau, wir können beides anbieten. Die Kunden können selbstverständlich auch eine stationäre Ladestation einsetzen oder das Fahrzeug an öffentlichen Ladestationen mit einem CCS2-Stecker laden.

Ist das Consulting im Vorfeld obligatorisch in Verbindung mit dem Kauf eines eActros?

Wohlmuther: Die Kunden der eActros-Innova­tionsflotte erwerben die Fahrzeuge nicht, da es sich ja noch um Prototypen handelt. Bei diesem Testprojekt ist Beratung ein fester Bestandteil, da wir am Ende ja vergleichbare Erkenntnisse gewinnen wollen. Wir empfehlen aber auch im Hinblick auf das Serienprodukt grundsätzlich eine Beratung. Für praktisch alle Kunden ist die E-Mobilität noch ein recht neues Thema. Wir von der E-Mobility Group Daimler Trucks & Buses bieten dementsprechend ein ganzheitliches Ökosystem für den bestmöglichen Einstieg in die elektrische Transportlogistik. Wir untersuchen dabei intensiv, welchen Einsatz der Kunde für das Fahrzeug plant, und wir befassen uns sehr genau mit den Betriebsabläufen. Anschließend können wir die am besten geeignete Ladeinfrastrukturlösung empfehlen und somit eine reibungslose Integration der Fahrzeuge in die ­Flotte und die Prozesse des Kunden sicherstellen – und genau das erwarten die Kunden auch berechtigterweise von uns.

Als wie zuverlässig haben sich die eActros er­wiesen?

Dudic: Zuverlässigkeit hat für uns zwei zentrale Aspekte. Priorität genießt in der Einführungsphase der sichere Einsatz der Technologie – also konkret der Hochvoltkomponenten. Die Fahrzeuge haben sich in diesem Sinne als absolut zuverlässig und damit sicher erwiesen. Zweiter Aspekt ist die Robustheit der spezifischen E-Bauteile. Hier sind wir in Summe sehr zufrieden. Angesichts der Tatsache, dass der eActros, der von den Kunden eingesetzt wird, noch ein Prototyp ist, nehmen wir allerdings im laufenden Betrieb kontinuierlich Anpassungen an der Hard- und der Software vor. Zum Beispiel spielt die sogenannte Range-Prediction eine große Rolle bei uns, also die Planbarkeit der verfügbaren Reichweite. Diese ist für die Kunden von sehr großer Bedeutung. Die dazugehörige Software entwickeln wir fortwährend weiter.

Entsprechen die Wartungsintervalle des eActros denen eines konventionell angetriebenen Lkw?

Dudic: Die jährliche HU gilt auch für Elektro-Lkw, da gibt es keinen Unterschied zu konventionellen Fahrzeugen. Wir optimieren ansonsten die Software in regelmäßigen Abständen. Wir führen kleinere Updates etwa alle drei bis fünf Monate durch. Dies geschieht in enger Abstimmung mit den Kunden. Wir sind ohnehin ständig über unsere Kundenbetreuer, genannt „SPoC“ (­Single Point of Contact, also ein zentraler Ansprechpartner bei Mercedes-Benz Lkw für jeden Teilnehmer der eActros-Innovationsflotte für alle Angelegenheiten; Anm. d. Red.), mit den Kunden in Kontakt.

Das sind die Rahmenbedingungen für den Test­betrieb. Was sind die Zielvorstellungen für den Real­betrieb?

Dudic: Derzeit ist noch die erste Welle der Innovationsflotte auf den Straßen unterwegs, die zweite läuft als Nächstes sukzessive an. Sie wird ebenfalls etwa ein Jahr lang andauern. Im Anschluss folgt die Serienfertigung des eActros. Unser Ziel ist, dass alle Prüf- und Wartungsthemen denen eines konventionellen Lkw entsprechen. Buchner: Ich sehe bei den Wartungsintervallen Potenzial, und zwar im positiven Sinne aus Kundensicht. Wir können hier deutlich kundenfreundlicher als bei bisherigen Dieselfahrzeugen werden. Vergleichen Sie nur die Anzahl der wesentlichen verbauten Komponenten.

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Alterungsprozess der Batterie gemacht?

Dudic: Bislang konnten wir keine Alterungsprozesse an den Batterien feststellen. Die Lkw sind seit knapp einem Jahr auf der Straße, und wir hatten keinen außergewöhnlich harten Winter. Gerade ein richtig strenger Winter könnte im zweiten Betriebsjahr noch weitere Erkenntnisse liefern. Wir werden die Batteriesätze daher auch nicht austauschen. Bei der Alterung kommt es zudem auch auf die Handhabung des Lkw an. Kühlt das Gesamtsystem Fahrzeug über ­Tage vollständig ab? Das wäre nicht ideal für die Batterie. Arbeitet man hingegen sogar mit einem sogenannten Pre-Conditioning, einer Art Vorbehandlung, um die Batterie in ihrem „Wohlfühlbereich“ zu halten, kann man ein Maximum an Lebensdauer und Leistung herausholen.

Die Batterieexperten von Akasol sprechen von neuen Generationen ab 2020. Soll auch eine neue ­Generation von Batterien im Verlauf des Praxistests erprobt werden?

Dudic: Wir planen dies für die aktuelle Prototypgeneration des eActros nicht. Wir tauschen keine Module und Zellen.

Haben sich die Reichweitenversprechen erfüllt?

Dudic: Wir erreichen die vorgesehenen rund 200 Kilometer – sowohl mit unserem 18- als auch mit unserem 25-Tonner –, und dies bei jeder ­Topografie. Unter bestimmten Bedingungen erreichen wir auch deutlich mehr – etwa dann, wenn die Fahrzeuge nicht voll beladen sind oder die Topografie sehr eben ist. Aber wir wollen mit dem Testlauf ja den harten Einsatz abbilden, und hier erreichen wir problemlos die 200 Kilometer.

Reicht das für die Kunden im Alltag aus?

Dudic: Wir haben die Anwendungsfälle für den eActros mit den Kunden genau definiert. Daher sind die 200 Kilometer für alle Kunden der Innovationsflotte ausreichend. Der eActros steht im städtischen Verkehr, bei Autobahn- oder Überlandfahrten einem konventionellen Diesel-Lkw in Sachen Verfügbarkeit und Leistungserbringung in nichts nach.Wohlmuther: Die Reichweite hängt natürlich auch davon ab, ob die Kunden die Möglichkeit haben, das Fahrzeug zwischenzuladen. Dann sind natürlich ganz andere Fahrstrecken möglich.

Der eActros hat sich also nahtlos in die Logistik­abläufe der Testkunden eingefügt?

Dudic: Ja, er hat sich wirklich sehr gut eingefügt.

Die ersten elf Testkunden betreiben jeweils einen eActros. Bei einer Serienfertigung sieht das dann ­sicherlich anders aus. Wie soll eine ganze Flotte mit möglichst günstiger Energie versorgt werden?

Wohlmuther: Wir analysieren zunächst die Betriebshöfe der Kunden und verfolgen dabei zwei zentrale Ziele. Zum einen wollen wir teure Lastspitzen vermeiden. Zum anderen soll die Energie zum günstigsten Zeitraum abgerufen werden. Zudem entstehen Limitierungen durch den jeweiligen Netzanschluss. Wir setzen dabei auf intelligente Lösungen wie Planungssysteme und Ladesteuerungssysteme. Diese erfassen unter anderem, zu welcher Uhrzeit ein Lkw in welchem elektrischen Ladezustand auf den Hof fährt und mit welcher Menge Energie er versorgt werden muss, um wieder einsatzfähig zu sein. Dieser Prozess lässt sich sehr stark optimieren. Man muss auch die Ladeinfrastruktur auf die Einsatzsituation auslegen. Wer nur über Nacht lädt, kommt auch mit weniger starken Ladepunkten zurecht. Wenn der Kunde dagegen sehr oft und schnell ein Fahrzeug wieder fit machen muss, empfehlen sich ein paar wenige, aber leistungsstarke Ladepunkte.

Sie entwickeln also den Plan für die Ladeinfrastruktur. Setzen Sie auch die dazugehörigen Baumaßnahmen um?

Wohlmuther: Wir beraten die Kunden, sofern gewünscht, ganzheitlich – von Hard- und Software bis hin zu Lösungen für die eigene Stromerzeugung. Wir können je nach Bedarf mit geeigneten Partnern bei der Umsetzung unterstützen. Hierzu gehört auch die Wartung. Den Bau übernehmen entweder unsere oder von den Kunden ausgewählte Partner. Wir betreiben hierfür umfangreiche Analysen der am Markt vorhandenen Anbieter.

Werden Beratungsdienstleistungen die entgangene Wertschöpfung bei der Fahrzeugproduktion ­kompensieren?

Wohlmuther: In erster Linie geht es uns darum, die Kunden bei der Einführung der neuen Technologie zu unterstützen. Von Wallfeld: Das Thema ­Wertschöpfungstiefe schauen wir uns natürlich ganz genau an. Auf den ersten Blick mag diese bei der Elektro­mobilität deutlich geringer erscheinen. Wenn man aber das gesamte Paket an möglichen Dienstleistungen betrachtet, dann kann sich das ausgleichen. Neben den Beratungsdienstleistungen werden hierzu auch digitale Angebote wie Fleetboard, Habbl und andere gehören.

Wie ist das Feedback der Kunden auf den eActros ausgefallen?

Dudic: Was Funktion und Leistung betrifft, ist klar: Die Lkw sind absolut sicher. Auch sonst zeigen sich die Kunden äußerst angetan vom ­eActros. Insbesondere die Fahrer loben die durchgängige Verfügbarkeit des Drehmoments über den gesamten Geschwindigkeitsbereich hinweg. Zudem berichten sie insbesondere auch von der leisen Fahrweise und einem angenehmen, ruhigen Fahrgefühl.

Gab es denn auch Kritik?

Dudic: Unterm Strich kommt es für Kunden auf die Eignung eines Lkw für einen bestimmten Einsatzzweck an – und am Ende auf die Gesamtbetriebskosten, also die TCO (Total Cost of Ownership). Der erste Punkt ist erfüllt, daran besteht kein Zweifel. Eines der wenigen Themen ist, dass wir gegenüber dem konventionellen Actros netto eine Tonne Zuladung weniger haben. Die Anschaffungs- und Gesamtbetriebskosten von Lkw mit Elektroantrieb werden trotz Anstrengungen auf Herstellerseite auch noch in einigen Jahren höher liegen als bei Dieselfahrzeugen. Wir brauchen deshalb staatliche Lenkungseingriffe, um lokal CO2-neutrale Lkw wettbewerbsfähig zu machen.

Soll es in Zukunft auch eine eActros-Sattelzugmaschine geben?

Dudic: Selbstverständlich befassen wir uns mit den unterschiedlichsten Bereichen und Anwendungsfällen, bei denen batterieelektrische Lkw zum Einsatz kommen können. Im Kontext möglicher künftiger Portfolioerweiterungen wird ­sicher auch dieses Segment betrachtet.