Mercedes-Benz eCitaro: Auf Stuttgarts Straßen wurde hart getestet

Mercedes-Benz eCitaro
Elektrobus im ersten Test

Mercedes-Benz ist zwar nicht der erste Hersteller, der Elektrobusse liefert – aber immerhin der erste, der seinen vollelektrischen eCitaro zum harten Test schickt.

Mercedes-Benz eCitaro
Foto: BILSKI

Einen Top-Seller aus der alten Verbrennerwelt in die neue Ära der Elektromobilität zu überführen, das ist eine echte Herausforderung. VW will zum Beispiel, dass der neue ID 3 den Golf, des Deutschen liebsten Kompaktwagen, beerbt. Mercedes-Benz versucht Ähnliches mit seinem Stadtbus Citaro. Immerhin kann Daimler seit rund einem Jahr – also noch vor VW – liefern und ist zudem als erster Bushersteller in Europa so mutig und stellt einen der begehrten Elektrowagen der Fachpresse zu intensiven Tests zur Verfügung.

Reichweite der Batteriebusse passt nicht zu Stuttgart

Und wie schlägt sich nun der erste 100-prozentig deutsche Elektrobus im Test auf der harten Linie 42 in Stuttgart, die auch Mercedes als Referenzstrecke nutzt? Wie sieht es mit Verbrauch, Fahreigenschaften und Geräuschen aus? Und wie ist mit dem Laden der Batterien zu verfahren? Eine Frage, die lange im Voraus geklärt sein musste, denn die Stuttgarter SSB hat bisher noch keine reinen Batteriebusse auf dem Hof. Deren Reichweiten nämlich passen noch nicht zu den bis zu 250 Kilometer langen Umläufen in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Ende 2019 sollen jedoch zwei 150-kW-Lader fest installiert werden, mit denen unser Testwagen zum Beispiel in rund zwei Stunden voll geladen werden kann. Bis dahin müssen wir uns auf dem Betriebshof Gaisburg mit einem 40-kW-Lader an einer mit 63 Ampere abgesicherten Steckdose begnügen. Das komfortable Fahrverhalten des ersten vollelektrischen Stadtbusses von Mercedes sowie seine vollständige Sicherheitsausstattung haben wir bereits mehrfach kennengelernt und ausreichend beschrieben. Die solide Basis des rund 55.000-mal verkauften Stadtbusses hat daran sicher ihren Anteil. Die verstärkte Vorderachse von ZF, die mit der entsprechend tragfähigeren Bereifung acht Tonnen verträgt (zwingend bei der Bestückung mit zehn und zwölf Batteriemodulen), und die hier serienmäßig verbaute elektronische Wank-Nick-Regelung tun ihr Übriges, um mit dem zweiachsigen Dreitürer, der mit über 14 Tonnen kein Leichtgewicht ist, stabil und souverän durch die Stadt zu stromern.

Ob es dem Werkstattmeister gefallen wird, zwei Reifengrößen vorzuhalten, sei dahingestellt – der Supersingle-Versuch von MAN und von Ziehl-Abegg lässt Ungutes erahnen. Vier der jeweils 250 Kilogramm schweren Batteriemodule mit jeweils 24 kWh Kapazität sind direkt hinten links im verbliebenen Motorturm verbaut, was etwas Gewicht vom mit bis zu zwei Tonnen belasteten Dach nimmt. Sie liegen so zwar direkt im crashgefährdeten Bereich, aber neben dem Busgerippe schützt zusätzlich ein massiver Tragrahmen die leicht nach vorn versetzten Module. Das Gewicht ist auch der Grund dafür, dass mit einem elektrischen Citaro nur rund 70 Personen (nach einer realistischen Berechnung mit 4,5 statt der gesetzlichen 8 Personen pro Quadratmeter) statt der üblichen 80 bis 90 befördert werden können. Diese Fahrgäste können sich dann über die dezente Geräuschkulisse freuen. Zwar ist es sehr schwer, valide Werte zu gewinnen, da sie wie der Verbrauch sehr stark von den topografischen Parametern abhängen, aber generell liegen sie einige Dezibel unter denen eines Verbrenners. Subjektiv sind gerade bei höheren Geschwindigkeiten jedoch durchdringende Pfeifgeräusche von den beiden Elektromotoren zu vernehmen, allerlei andere elektrische Gerätschaften gesellen sich zuweilen surrend und klickend dazu – wie die Lenkhilfpumpe beim Fahrer.

Elektrischer Triebstrang sorgt für vehementen Vorschub

Auch Mercedes räumt ein, dass die "Psychoakustik" eine deutlich größere Rolle spiele als bisher. Einen AVAS-Warnton bei unter 20 km/h zur Fußgängerwarnung hat unser Testwagen noch nicht verpasst bekommen, der Gelenkbus sollte ihn dann jedoch 2020 bieten. Das elektrisierende Fahrerlebnis für den Fahrer speist sich aber nicht nur aus dem komfortablen Fahrwerk und der elektronisch gesteuerten Dämpfung, denn daneben sorgt der elektrische Triebstrang mit seinen beiden radnahen E-Motoren und phänomenalen 22.000 Nm am Rad jederzeit und unter allen Beladungszuständen für vehementen Vorschub. Ohne elektronische Begrenzung sind durchaus Beschleunigungen in rund sieben Sekunden von 0 auf 50 km/h möglich, was für den Stadtverkehr schon kaum mehr angemessen ist. Unser Testwagen war auf sanfte 0,8 msec2 gedrosselt – somit ist die Beschleunigung mit rund 13 Sekunden von 0 auf 50 km/h und einer deutlichen Gedenksekunde beim Anfahren sehr defensiv ausgelegt. Vorteil: Durch die im Überfluss vorhandene Kraft kann die Elektronik auf die Beladung reagieren und sorgt immer für die gleiche Beschleunigung, egal, ob in der Ebene oder am Berg. Das könnte auch einer der Gründe sein, warum die Durchschnittsgeschwindigkeit des eCitaro um gut 3 km/h über den zuletzt getesteten Solostadtbussen liegt.

Aber auch die negative Beschleunigung gereicht durchaus zur Freude: Der elektrische Mercedes kann gut und gerne nur mit dem optionalen Rekuperationshebel verzögert werden, nur die letzten Meter vor einer Ampel muss die Betriebsbremse dann noch nachhelfen. Und wenn der hilfreiche Hebel gezogen bleibt, dann kann der Fahrer ein veritables "One Pedal Feeling" wie im BMW i3 erleben. Wem das zu viel Bevormundung ist, der sollte beim Rollen den völlig verbrauchslosen Segelmodus nutzen, da hierbei nicht mal die üblichen Umwandlungsverluste der Rekuperation anfallen. Die Rekuperation fällt bei einem Elektrobus derart hoch aus, dass man eine abschüssige Strecke wie die vom Stuttgarter Speckgürtel in den Talkessel hinab schon mal rollen lassen kann, ohne dass die allgegenwärtige SoC-Anzeige ("State of Charge", Batterieladestatus) merklich nach unten wandert. Sie ist neben dem Power-Meter der einzige Hinweis im Cockpit auf die elektrische Antriebsart. Weiteres Plus: Das Stehen in Staus oder an der Haltestelle verbraucht absolut null Antriebsenergie – nicht unwesentlich für einen Stadtbus. Generell wirken sich kleinste topografische Unterschiede massiv auf den Verbrauch aus, weshalb eine detaillierte Streckenanalyse vor dem Kauf unabdingbar ist.

"Wir wollen nicht den ersten, sondern den besten Elektrobus bringen."

Sollte die Batterie dann ausnahmsweise durch lange Rekuperation voll sein, geht der überschüssige Strom in den 90-kW-Bremswiderstand. Eine Art Tauchsieder, der die Energie aufnimmt und einem der drei Kühlkreisläufe zuführt. Nebenbei hat er die Aufgabe, in einem Notfall das Hochvoltsystem stromlos zu machen. Wie sagten die Mercedes-Verantwortlichen doch gebetsmühlenartig seit Jahren? "Wir wollen nicht den ersten, sondern den besten Elektrobus bringen." Könnte was dran sein. Aber nähern wir uns der Gretchenfrage nach den Zahlen, die für den Unternehmer wichtiger sind als aller Technologievorsprung: Verbrauch und Kosten. Der im Test bei recht gutem Wetter (15 bis 22 Grad) herausgefahrene Durchschnittswert von 116,5 kWh auf 100 Kilometern lässt sich mittels des Heizwerts der Kraftstoffe theoretisch vergleichen. Das Dieseläquivalent wären rund zwölf Liter, also rund ein Viertel des üblichen Werts eines Dieselbusses auf der Strecke. Das liegt vor allem an der viel höheren Effizienz des E-Antriebs. Man kann jedoch auch eine andere praxisgerechte Rechnung aufmachen: Eine Kilowattstunde kostet laut VDV rund 18 Cent für die Unternehmen, macht gerade mal 20 Cent für den Kilometer. Für den Diesel fällt bei 40 Liter Verbrauch und einem Dieselpreis von 1,15 Euro pro Liter mit 46 Cent etwas mehr als das Doppelte an. Auf der CO2-Seite sieht die Sache ebenso erfreulich aus: Beim deutschen Strommix von 2018 fallen bei voller Auslastung rund acht Gramm Kohlendioxid pro Personenkilometer an (Tank-to-Wheel-Betrachtung ohne Berücksichtigung der Herstellung von Bus und Batterien). Das ist etwa die Hälfte vom Ausstoß des guten alten Diesels, aber in etwa auf Augenhöhe mit dem Erdgasbus ohne Biogasverwendung. Überraschend?

Bei den Investitionskosten verwandelt sich das schöne Bild jedoch in ein veritables Horrorszenario. Ein Elektrobus ist noch derart teuer, dass sich Daimler nicht einmal traut, den üblichen, durchschnittlichen Nettopreis anzugeben. Zumal der Testwagen über die auf Kundenwunsch eilig nachgeschobene maximale Batteriemodulbestückung mit zwölf statt zehn Paketen verfügt. "Rund das Doppelte eines vergleichbar ausgestatteten Dieselmodells", heißt es dazu lapidar aus der Konzernzentrale. Von Kunden hört man teilweise Werte von über 600.000 Euro. Also haben wir für unsere obligatorische Kostenrechnung konservative 550.000 Euro veranschlagt. Dazu kommt nach rund acht Jahren wohl ein Batterietausch, der bei NMC-Akkus im Gegensatz zu den für 2020 angekündigten Festkörperbatterien zumeist nötig ist. Preisangabe? Fehlanzeige. 150.000 Euro dürften es mindestens sein. Trotzdem kommt der eCitaro mit 2,77 Euro pro Kilometer noch recht glimpflich davon; es sind nicht einmal 50 Prozent mehr als vergleichbare Diesel- oder Erdgasbusse. Die Bilanz aus lokaler Emissionsfreiheit, besten Fahreigenschaften und Kosten, die zumindest langfristig zu stemmen sind, könnte also durchaus dazu beitragen, dass dem eCitaro die Staffelübergabe in die neue E-Welt gelingt.

Mercedes-Benz eCitaro
Jacek Bilski
Aufwendige Testanalyse mit getrennter Erfassung der Antriebs-/Klimaenergie.

Next-Generation-Bustest: von Litern zu Kilowattstunden

Elektrobusse stellen nicht nur Betreiber vor ganz neue Herausforderungen, auch Tester müssen gänzlich neu denken. Es fängt damit an, dass eine geeignete Ladestation gefunden werden muss – derzeit noch eine Seltenheit, zumal die SSB in Stuttgart derzeit noch keine reinen Elektrobusse einsetzt. Also muss ein kleines 40-kW-Ladegerät ausreichen, das die Batterie abends innerhalb von fünf Stunden wieder aufladen kann. Mit einer stationären 150-kW-Station soll das aber in rund zwei Stunden erledigt sein. War das alles? Weit gefehlt! Die Ladeverluste, die im Ladegerät und auf dem Weg von der Steckdose zum Bus anfallen, müssen sauber erfasst und zum Verbrauch des Busses addiert werden, um ein realistisches Bild zu erhalten. In unserem Test waren es immerhin zwischen 10,1 und 12,8 Prozent der Energie aus dem Netz, die nicht in den zwölf Batteriemodulen landeten. Der Bus selbst verbrauchte also auf der gesamten Strecke nicht durchschnittlich 116, sondern nur etwa 103 Kilowattstunden. Diese wiederum müssen viel stärker als beim Diesel, der eigene Abwärme produziert, zum Heizen und Kühlen verwendet werden. Aufgrund des Wetters waren es beim Test bei konstant 50 km/h nur rund 7 Prozent, aber auf der schweren Linie 42 dann bereits fast 30 Prozent. Der Wert kann bei extremer Hitze oder Kälte sogar bis auf 100 Prozent steigen! Und auf einen fossilen Zuheizer hat Mercedes hier wohlweislich verzichtet.

Neue zentrale Stromtankstelle im Omnibuswerk Mannheim für Mercedes-Benz eCitaro mit vollelektrischem Antrieb, Anschlussleistung: 1,2 Megawatt, 4 Stellplätze für Steckerladung, Pantograf und Ladeschiene // New central electric charging station for the Mercedes-Benz eCitaro with all-electric drive at the Mannheim bus works, Connection power of 1.2 megawatts, four parking bays for charging via cable, pantograph and charging rail.
Mercedes
Auch im Werk in Mannheim musste eine multiple Ladestation gebaut werden.

So geht’s elektrisch weiter

Der erste vollelektrische Mercedes-Benz ­eCitaro ist eine Zeitenwende für die deutschen Hersteller, auch wenn sie spät kommt. Der erste Schritt ist gemacht, und die elektrische Zukunft ist bereits minutiös durchgeplant. Schon 2020 erfolgen wichtige Meilensteine. Da ist zum einen die Gelenkbusversion des eCitaro, die es vorerst aber nur mit einer angetriebenen Achse geben soll. Nebenbei kommen auch die Modelle mit Streckenladung und Pantografen; eine flexible Mustertankstelle für die Auslieferungen wurde bereits hinter dem Kundencenter in Mannheim gebaut. Und zu guter Letzt werden Ende 2020 in Wiesbaden die ersten Busse mit robusten und langlebigeren Festkörperbatterien von Bolloré aus Frankreich starten. 2021 dann darf man die neue Generation der Akasol-NMC-Batterien erwarten, die bis zu 30 Prozent mehr Energie speichern können. Und schließlich werden ab 2022 in Hamburg und Stuttgart erste eCitaro mit Brennstoffzelle als Range-Extender fahren.

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