Früher war alles so einfach. Für ein neues Busmodell bedurfte es zumeist ein paar Retuschen an der Karosserie – und wenn es hoch kam, dann einer neuen, effizienteren Dieselmotorenbaureihe. Gerade bei Motorenbauern wie MAN ist Letzteres mehr Pflicht als Kür. Und genau so hielten es die Münchner auch bis vor Kurzem und ließen ihrem Stadtbus seit rund 20 Jahren nicht viel mehr als Facelifts und den D20-Motor angedeihen. 2018 begann dann nach langen Entwicklungsjahren die Zeitenwende in München. Der grundlegend erneuerte MAN Lion’s City trat auf den Plan – und das nicht nur als Diesel- und Erdgasmodell mit neuem, kleinerem Motor, sondern auch als Mildhybrid sowie als reiner Elektrobus. Der Elektrobus indes braucht noch eine kleine Weile, um zu reifen. Ende 2019 sollen erste Fahrzeuge als Testflotte an Entwicklungspartner Hamburg ausgeliefert werden. Die Serienproduktion will MAN dann rund ein Jahr später beginnen.
Mildhybridsystem besitzt vollwertige Start-Stopp-Automatik
Schon verfügbar, wenn auch mit kleinem Stotterer beim Serienanlauf, ist die Verbrennervariante als reiner Diesel mit dem neuen, kompakten D15-Motor oder mit neuem Erdgasmotor E18. Beide Verbrenner werden zudem mit einem neu entwickelten Mildhybridsystem angeboten, das zwar nicht mit einem Vollhybrid wie dem seit 2010 rund 1.000-mal verkauften Lion’s City Hybrid vergleichbar ist, aber immerhin eine vollwertige Start-Stopp-Automatik besitzt, wie sie sonst nur wenige Hersteller realisiert haben. Der hybride Mercedes Citaro kann das so nicht, auch wenn das kleine "h" auf den Mildhybrid verweisen soll. Eine Variante, die nach Aussage von MAN-Bus-Vertriebschef Rudi Kuchta während der Busworld in Brüssel beinahe schon 100 Prozent der derzeitigen Dieselbestellungen ausmachte. Schließlich kann es sich kaum eine Kommune noch leisten, einen Bus mit reinem Dieselantrieb zu bestellen, der nicht mindestens mit einem kleinen "h" gekrönt ist, auch wenn erste Bundesländer die Förderungen hierfür schon wieder einstellen. Im Straßenbild einiger Städte wird der neue Lion’s City langsam ein bekanntes Gesicht. Immerhin ist er mit dem ausdrucksstarken Smart-Edge-Design des Teams um Stephan Schönherr einer der auffälligsten Vertreter seiner doch eher bodenständigen Zunft.
Die moderne Front mit den neuen LED-Scheinwerfern, die direkt vor dem Wagen leider ein etwas fleckiges Licht produzieren, die tiefe Fensterlinie mit den stark betonten Radläufen und das schwarze "iPhone-Heck" sind für einen MAN-Stadtbus geradezu revolutionär und eine erfreuliche Maßnahme zur Attraktivierung des ÖPNV, von deren Notwendigkeit immer wieder gern gesprochen wird. Gerade der Innenraum hat deutlich gewonnen. Er ist heller und angenehm transparent gelungen, hier wurde ganze Arbeit geleistet.

Cockpit ist ein Quantensprung
Ein Quantensprung gegenüber dem Vorgänger ist das Cockpit, das bisher ein Schwachpunkt war. Nicht nur ist der Fahrerplatz um elf Zentimeter nach oben gewandert und die Kabinentür jetzt zeitgemäß hinten angeschlagen, auch der neue Armaturenträger macht was her und ist großteils verstellbar, wie es der VDV vorgibt. Warum die Münchner aber immer noch an den analogen Instrumenten aus dem Lkw festhalten, will sich nicht recht erschließen, schließlich gibt es von Continental sehr gute digitale Cluster, die besser in die Zeit passen. Der Verzicht auf Multifunktionstasten im Lenkrad dagegen lässt sich gut verschmerzen. Im Stadtbus muten sie eher wie ein technischer Overkill an. Insgesamt lässt es sich in diesem Cockpit aber hervorragend arbeiten. Übersicht und Ergonomie passen, der Komfort ist dank Einzelradaufhängung an der Vorderachse und optionaler adaptiver PCV-Dämpfer (Serie im Reisebus) nun auch deutlich besser. Zwar rollt die MAN-Achse mit ZF-Anleihen und -Bauteilen nicht ganz so sämig ab wie anderswo – auch Querrillen lassen es hier und da etwas scheppern –, aber hier wird sicher noch etwas Raum für Feinarbeit sein in den nächsten Jahren.
Doch kommen wir zu den Fahrleistungen und zum Verbrauch, dem sicherlich spannendsten Thema bei einem solchen Vertreter des (teil-)elektrifizierten Stadtverkehrs. Der neue, neun Liter große D15-Motor kommt nun deutlich schlanker und leichter daher (der ganze Bus hat rund eine Tonne Gewicht gespart) und ist nunmehr immer stehend eingebaut. MAN hat es mit dem Sparen aber etwas übertrieben und uns nur die kleinste Variante des Motors mit 280 PS und kargen 1.200 Nm zur Verfügung gestellt (es stehen aber auch 330 und 360 PS zur Auswahl). Der letzte Lion’s City mit D20-Maschine trumpfte 2016 im Test immerhin noch mit 320 PS und stolzen 1.600 Nm auf, heute muss man für so viel Mumm zum 360-PS-Aggregat greifen. Insgesamt zeigte sich die Maschine dem harten Stuttgarter Geläuf nicht immer leistungsmäßig voll gewachsen, und auf der schweren Überlandstrecke aus dem Kessel heraus wurde nicht zuletzt deshalb wohl auch ein Zuschlag in Form von Diesel fällig.
Aufwand für mehr Effizienz hat sich gelohnt
Noch immer gilt: Der stärkere Motor hat es einfach leichter bei schwerer Topografie. Unterstützt wird der moderne D15 jedoch neben diversen bedarfsgesteuerten Nebenaggregaten von einem elektrischen Kurbelwellen-Startergenerator, kurz KSG genannt, der mit seinen 8 kW elektrischer Leistung nicht nur das 24-Volt-Bordsystem beim Zwangsstopp am Leben erhält, sondern darüber hinaus auch eine Boost-Funktion bietet. Und wenn die Rekuperationsenergie speichernden Ultracaps – sie gelten als besonders langlebig – ausreichend bestromt sind, schaltet sich der Motor bei jedem Halt automatisch aus. Bei den 34 Haltestellen auf unserer Stadtstrecke ließ sich das System diese Gelegenheit zur Leistungsschau nicht ein einziges Mal entgehen. Laut MAN ist das robuste System auf bis zu 2,6 Millionen solcher Sparvorgänge ausgelegt. Und das funktioniert im Alltag wirklich gut. Ein kleiner Tritt auf das Gaspedal, und schon wird der Motor flugs lebendig, ohne sich groß zu beschweren. Der Lohn des Aufwands für mehr Effizienz kann sich sehen lassen. Bei allen bekannten Einschränkungen von Vergleichen verschiedener Tests (Temperatur, Wetter, Verkehrslage und so weiter) haben wir uns erlaubt, die Werte mit denen des letzten MAN mit D20 und 320 PS und des MAN Lion’s City Hybrid mit 250 PS und seriellem Hybridsystem zu vergleichen – mit erstaunlichem Ergebnis. Zwar liegt der Gesamtverbrauch des neuen Mildhybrids nur geringfügig unter dem des D20 (42 statt 43,6 Litern auf 100 Kilometern) und deutlich über dem des Vollhybrids mit 37,8 Litern. Bei etwas geringerer Durchschnittsgeschwindigkeit als beim D20-Vorläufer kann er hier jedoch den Vollhybrid deutlich deklassieren (32,5 zu 29,6 km/h).
Ein ähnliches Bild ergibt sich auf der reinen Stadtstrecke der Linie 42 in Stuttgart. Die Einsparungen gegenüber dem reinen Dieselbruder betrugen stolze 17 beziehungsweise 28 Prozent. Sogar der Vollhybrid brachte es hier nur auf 14 beziehungsweise 18 Prozent. Auch wenn nicht zu 100 Prozent vergleichbar, so zeigen diese Werte doch einen eindeutigen Trend, den die offiziellen SORT-1-Werte von MAN untermauern – und das bei einem moderaten Systemaufpreis von rund 12.000 Euro netto. MAN rechnet mit einer Amortisationszeit von drei bis vier Jahren – ein wichtiges Kaufkriterium für viele Unternehmen neben der politischen Bedeutung eines Hybridbusses. Etwas länger könnte sogar die Verschnaufpause sein, die der neue Milde dem guten alten Diesel verschaffen könnte. Wir würden es ihm gönnen.