Es gehört Mut und Ehrlichkeit dazu, beinahe als letzter Hersteller über die Ziellinie zu gehen und sich dann noch vor der Serienproduktion die Zeit für einen Feldversuch zu nehmen. Die MAN-interne Entscheidung zugunsten konzerneigener Bauteile wie Batterien und E-Motoren sorgte gegenüber ersten Ankündigungen des Konzerns noch für eine Ehrenrunde des Elektrobusses. Aber Ende 2020 soll die Serienlieferung endlich beginnen – in etwa gleichzeitig mit der Konzernschwester Scania. Die Münchner haben die Gunst der Stunde genutzt und den längst überfälligen Stadtbus – der Vorgänger läuft seit mehr als 20 Jahren – komplett den Erfordernissen der Elektromobilität angepasst.
MAN packt alle Batterien auf das Dach
Man sieht dem Stromer den emissionsfreien Antrieb schon von außen an: Das ausdrucksstarke Design ist gewagter ausgefallen als bei den E-Fahrzeugen der Wettbewerber. Die zum Markenzeichen der Elektromobilität avancierte Farbe Hellblau ziert den MAN von vorn bis hinten mehr oder weniger dezent. Ein verchromter Blitz zuckt vom Dach herab nach vorn, als wolle er den Weg für den umweltfreundlichen Antrieb freibrennen. Wichtiger als solche Äußerlichkeiten ist jedoch das eigenständige Karosseriekonzept. Der E-MAN verzichtet auf die Reminiszenz an die Dieselwelt in Form eines Heckturms und packt alle Batterien, rund drei Tonnen schwer, aufs Dach. Allerdings ist das Heck des MAN nicht so makellos freigeräumt wie das eines Sileo oder eines Ebusco. Im MAN sind zudem ein paar kleinere Stufen zu überwinden. Trotzdem erweist sich der Bus innen als sehr geräumig. Der von MAN angegebene Vorteil von vier Sitzplätzen mit maximal 41 vollwertigen Schalen (bei bis zu 88 Personen an Bord) relativiert sich bei Standardbestuhlung von 25 Sitzen aber wieder auf den Branchenstandard. Und wie benimmt sich der Neue auf dem Asphalt? Der brachiale Vortrieb des permanenterregten Synchron-Zentralmotors, dessen 240 kW und 2.100 Nm an Drehmoment (mehr als das Doppelte, das ein Mercedes eCitaro erzeugt) über eine Kardanwelle an die konventionelle Portalachse übertragen werden und schon ab der ersten Spulenumdrehung anliegen, wird auf verträgliche 0,8 bis 1,2 g Beschleunigung elektronisch begrenzt. Dabei wird der Kraftüberschuss sehr geschickt ausgenutzt: Je nach Beladung gibt die Elektronik immer nur so viel Kraft frei, dass bei jeder Last die exakt gleiche Beschleunigung auftritt. Beim Testwagen dauerte es 13 bis 15 Sekunden von 0 auf 50 km/h.
Über die Geräuschentwicklung des Antriebs lässt sich vielerlei Subjektives sagen. So viel ist aber sicher: Geräuschlos fährt ein E-Bus höchstens bis 20 km/h, also genau bis zu dem Bereich, der ab Mitte des Jahres mit einem synthetischen Fahrgeräusch kenntlich gemacht werden muss. Subjektiv klingt der Zentralmotor des MAN aber typischerweise etwas zurückgenommener und weniger "singend" als die exponierteren Radmotoren der elektrischen Asynchronachse von ZF. Allerdings spielt heute die sogenannte Psychoakustik eine enorme Rolle: Durch das allgemein sehr niedrige Geräuschniveau fallen jetzt Geräusche auf, die das dumpfe Dieselbrummen immer überdeckt hat. Ein wichtiges Merkmal der Fahrstrategie ist die Rekuperationseinstellung, also die Art und Weise, mit der der Antrieb das elektrische Abbremsen zur Energiegewinnung nutzt. Der MAN hat hier vorläufig eine konservative "One fits all"-Lösung an Bord in Form einer leichten, dem Motorschleppmoment nachempfundenen Dauerrekuperation auf dem Bremspedal. Später soll sich ein Rekuperationshebel hinzugesellen. Das lässt den Fahrer dann noch besser mit dem Powermeter im schicken neuen Cockpit zu Werke gehen, in dem aber mehr digitale Anzeigen sinnvoll wären.Lenkung und Fahrwerk sind indes über jeden Zweifel erhaben, auch wenn sich der MAN trotz der hohen Dachlast mit manuell adaptiven PCV-Dämpfern begnügt. Schon bei geringen Geschwindigkeiten macht sich eine deutliche Kopflastigkeit des Fahrzeugs bemerkbar. Die ist zwar nicht kritisch, aber macht den Wagen etwas behäbiger und untersteuernder als Modelle mit weniger Gewicht auf dem Dach. Aber die Reliable-Range-Philosophie der Münchner für 200 bis 270 Kilometer Reichweite, die dem Kunden keine andere Wahl der Lademöglichkeit lässt, erfordert die großen Batteriepakete. An dieser Stelle darf es keine Missklänge bei der Elektro-Symphonie geben!
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