Iveo Stralis LNG: Nachfrage nach LNG-Technik ist groß

Iveo Stralis LNG
LNG-Lkw als BDF-Fahrgestell

Bei der Premiere des neuen Stralis rückte Iveco auch gleich wieder die Gas-Varianten in den Fokus. Bis zum Serienstart der S-Way NP muss sich noch einmal ein Stralis LNG als BDF-Fahrgestell beweisen.

Iveco Stralis 460 NP LNG Wechselbrückenzug
Foto: Karl-Heinz Augustin

Auf das Angebot, Anfang Juni einen Stralis LNG erstmals als Wechselbrückenzug zu fahren, reagierte die Redaktion offen gestanden skeptisch. Grundsätzlich interessant, klar, aber so kurz vor dem Modellwechsel noch mal mit dem "alten" Stralis ausrücken? Auf dem kleinen Dienstweg war die Sache dann schnell geklärt: Die anstehenden Neuerungen betreffen in erster Linie das Fahrerhaus, bei den Gasmotoren bleibt aber alles wie gehabt.

In Madrid läuft die Produktion auf Hochtouren

Der Triebstrang des Stralis 260S46 6x2 markiert also weiter den aktuellen Stand der Iveco-LNG-Technik. Die setzt bekanntlich auf einen monovalenten Gasantrieb nach dem Ottomotorprinzip, also mit Zündkerzen und einem Dreiwegekat als einziger Abgasreinigungskomponente. Die Nachfrage ist offenbar groß. Im Werk Madrid, wo die LNG-Varianten mittlerweile in die Serienfertigung integriert sind (bis 2013 fanden die Gas-Umbauten bei Astra in Italien statt), läuft die Produktion laut Iveco auf Hochtouren. Nachlesen lässt sich der Boom auch andernorts: Die LNG-Tankstelle vor den Toren von Magirus in Ulm, basierend auf einem Containerchassis mit 25-Kubikmeter-Tank, wird inzwischen fast täglich neu befüllt. Sind die LNG-Tanks des Stralis voll, spricht Iveco von 1.600 Kilometer Reichweite bei einem maximalen Volumen von zweimal 540 Litern. Beim Testwagen reduziert sich das Maß auf rund 1.300 Kilometer, da hier nur zwei 450-Liter-Tanks Platz finden (was in der Summe 380 Kilo LNG entspricht). Bei der eigenen Modellrechnung setzt Iveco einen Durchschnittsverbrauch von circa 28,5 Kilo LNG an – sozusagen im Fernverkehrsmittel, über alle Gewichte und Streckenprofile hinweg. Beim Wechselbrückenzug, auf 32 Tonnen ausgeladen und mit nur 2.300 Kilometer Laufleistung so gut wie neu, ist die Verbrauchsfrage aber leider nicht verlässlich zu beantworten, zumal mangels LNG-Tankstelle kein Abgleich der Bordcomputerdaten möglich war.

Festhalten lässt sich aber, dass 32 Tonnen für den mit 460 PS, aber nur 2.000 Nm Drehmoment ausgestatteten Gasmotor ein passendes Zuggewicht darstellen. Im Vergleich zu einem Stralis 460 LNG als 40-Tonnen-Sattelzug erzielt der leichtere Gliederzug auf einer schweren Autobahnetappe ein deutlich höheres Durchschnittstempo von 83,1 statt 80,4 km/h. Im Detail bewältigt der BDF-Zug einen sechs Kilometer langen Fünf- bis Sechsprozenter fast 40 Sekunden schneller als besagter Sattel, muss nur in den zehnten statt neunten Gang und schwimmt besser im Verkehr mit. Kurz: 40 oder gar 44 Tonnen im Kombiverkehr sind für den Stralis 460 LNG zwar machbar, sollten aber nicht die Regel darstellen. Die relativ kleinen 450-Liter-Tanks sind dem Wechselrahmen geschuldet, dessen höhenverstellbare Aufnahmen bei den längeren 540-Liter-Tanks vorn aufsetzen würden. Mag die Reichweite auch etwas geringer sein, bleibt immerhin der Trost von 120 Kilogramm weniger Gewicht. Laut Hersteller Chart bringen die 540-Liter-Tanks leer je 318 Kilogramm auf die Waage, die 450-Liter-Varianten "nur" 258. Unabhängig vom Volumen sind die Tanks verbunden und werden über die Armatur auf der Beifahrerseite befüllt, wofür sich der Seitenanfahrschutz einfach vorklappen lässt. Die Tankarmatur wiederum ist mit einem Klappdeckel geschützt, dessen Verschluss kontrolliert wird: Mit offener Abdeckung startet der Motor nicht. Des Weiteren ist auch eine "Mischkonfiguration" mit CNG- und LNG-Tanks am selben Fahrzeug möglich, was aber nur vereinzelt nachgefragt wird.

Vom Gasmotor ist nichts zu hören

So oder so ist mit dem Gasmotor der volle Fernverkehrskomfort geboten, woran sich auch mit den neuen Fahrerhäusern nichts ändern dürfte. Dabei geht es im luftgefederten Wechselbrückenzug ziemlich sänftenartig dahin, ein bisschen wie im Reisebus, und extrem leise ist er obendrein. Vom Gasmotor ist im Vergleich zum Diesel so gut wie nichts zu hören. Da stört es auch nicht, dass es mit einem etwas höheren Drehzahlniveau über die Lande geht. Vom Drehmoment her hat der 12,9 Liter große Gasmotor schon gegenüber einem 460 PS starken Cursor-11-Diesel um 150 Nm das Nachsehen, von den 12,9-Liter-Dieseln ganz zu schweigen. Zwar verwies Iveco schon zur Vorstellung des Methan-Cursor-13 im Herbst 2017 auf etliche Neuentwicklungen bei Kraftstoffrail, Kolben, Gasinjektoren und Turbolader. Die im Vergleich zum Diesel hohen Verbrennungstemperaturen scheinen aber doch Limits bei Leistung und Drehmoment zu verordnen. Ein Manko des Otto-Gasmotors ist die fehlende Motorbremse. Ein Retarder ist somit unverzichtbar, wobei sich am Steuer aber kaum ein Unterschied zum Diesel feststellen lässt. Statt zuerst die Motorbremse und dann in 20-Prozent-Stufen den ZF-Intarder zu aktivieren, werden beim LNG am sechsstufigen Hebel je 16 bis 17 Prozent der Retarderleistung abgerufen.

Auch in einem weiteren Punkt greift Iveco in die Trickkiste: Serie ist beim Gasmotor die Kombi aus Overdrive-Getriebe und kurz übersetzter Achse (in der Regel 3,36, optional 3,70 oder gar 4,11). Der Schachzug dient dazu, bei niedrigen Geschwindigkeiten auf eine höhere Gelenkwellendrehzahl zu kommen, auf die der Sekundärretarder nun mal angewiesen ist. Gegenüber einer üblichen Übersetzung von 2,64 (mit Direktganggetriebe) liegt mit der 3,36er-Achse die Gelenkwellendrehzahl im Schubbetrieb um rund ein Viertel höher. Auf einem Landstraßenabschnitt mit einigen sechs- bis siebenprozentigen Gefällen gab sich der Stralis LNG so keine Blöße. Liegen häufigere Touren auf Bundesstraßen an, ist der Overdrive ohnehin kein Schaden: Rund 65 km/h sind bei 1.180 Touren im direkt übersetzten elften Gang genau richtig. Generell ist für den LNG das Traxon-Getriebe mit allen gewohnten Funktionen verfügbar, also auch mit Ecoroll (ab 55 km/h mit und ohne Tempomat aktiv) und GPS-basierter Streckenvorausschau (beim Testwagen allerdings ohne, da vom späteren Käufer so gewünscht).

Iveco Stralis 460 NP LNG Wechselbrückenzug
Karl-Heinz Augustin
Einblicke in den toten Winkel ermöglicht ein Kamera-Monitor-System von Brigade.

Alle Assistenzsysteme stehen zur Wahl

Die Schaltvorgänge gehen einen Tick langsamer vor sich als vom Diesel gewohnt, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Auch alle Assistenzsysteme stehen zur Wahl, beim Testfahrzeug ergänzt um eine Nahbereichsüberwachung auf der Beifahrerseite, bestehend aus einem Kamera-Monitor-System und Radarsensoren. Die Sensoren greifen bis etwa 1,40 Meter Entfernung, das Kamerabild wird bis 30 km/h sowie bei gesetztem (Warn-)Blinker eingeblendet. Das Brigade-System hinterlässt unterwegs einen guten Eindruck und steht bei Iveco als Werkseinbau zur Wahl. Je nach Größe der LNG-Tanks dürften 30.000 bis 40.000 Euro Aufpreis gegenüber einem Diesel fällig sein. Mit Fördergeldern und Mautersparnissen sollte die Summe schnell wieder drin sein. Bleibt die Frage nach dem Wiederverkauf. Die hält man bei Iveco aber für überschätzt. Zum einen sei das Tankstellennetz schon fast überall dichter als in Deutschland, ein europaweiter Gebrauchtmarkt also vorhanden. Zum anderen kalkulierten die Kunden aufgrund günstiger LNG-Kilopreise und Mautbefreiung ohnehin mit sehr hohen Laufleistungen, etwa im Linien- und Begegnungsverkehr. Und dafür wiederum ist der BDF-Zug ja prädestiniert.