Lkw-Kontrollen: Schutzvorschriften im politischen Vakuum

Lkw-Kontrollen des BALM
Schutzvorschriften im politischen Vakuum

Die Ampelkoalition ist gescheitert, Neuwahlen gibt es erst am 23. Februar. Damit verzögert sich voraussichtlich weiterhin die bereits verspätete Umsetzung des EU-Mobilitätspakets ins deutsche Fahrpersonalrecht.

Schutzvorschriften im politischen Vakuum
Foto: Jan Bergrath

„Das Risiko, bei Kontrollen während einer im Lkw verbrachten Wochenruhezeit durch das Bundesamt für Logistik und Mobilität (BALM) kontrolliert zu werden, geht gegen null.“ Dieser Satz könnte glatt von mir sein, denn seit meinem Blogbeitrag „BALM-Sonntag“ und den allmonatlichen Meldungen der Oberbehörde des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) über die meist drei Sonderkontrollen zur Kabotage und zur Kontrolle der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit geht hervor, dass diese Kontrollen fast ausschließlich in der Woche stattfinden. Was für die Kabotage völlig in Ordnung ist.

Die höchste Trefferquote bei den Ruhezeiten gibt es in der Tat immer noch an den Montagen, wenn das BALM frühmorgens ein paar Langschläfer nach der 45. Stunde noch auf frischer Tat erwischt. Als Folge der von mir regelmäßig beschriebenen teils irrwitzigen Vorgaben aus dem europäischen Mobilitätspaket behaupten die längst gut gebrieften Lkw-Fahrern der meist in Osteuropa zugelassenen Lkw, die unter der Woche dort angetroffen werden, in einem Hotel oder privat übernachtet zu haben, ohne dieses tatsächlich belegen zu müssen. Der BALM-Kniff: die Kontrolleure verhängen für den oftmals nicht gemachten Nachtrag der Anreise von diesem fiktiven Hotel oder der privaten Unterkunft zum Lkw ein günstigeres zu erwartendes Bußgeld als Sicherheitsleistung. 250 Euro statt der im noch geltenden Bußgeldkatalog eigentlich vorgesehenen 500 Euro für den Fahrer.

Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU

Der erste Satz stammt aus einer kleinen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zum EU-Mobilitätspaket, verfasst am 2. Oktober 2024 unter dem Namen Friedrich Merz, aktuell Kanzlerkandidat, und Alexander Dobrindt, ehemals Bundesverkehrsminister. Als Drucksache Nummer 20/13535 des Deutschen Bundestages wurde sie am 6. November veröffentlicht. Einige der 31 Fragen, wie etwa zur Zunahme von neutralen, meist weißen Lkw bei osteuropäischen Flotten, lassen durchaus auf ein branchengesteuertes Hintergrundwissen der Politiker deuten, um zu diesem Zeitpunkt noch einmal Druck auf die Bundesregierung aufzubauen. Was sie damals nicht ahnen konnten: Es war ein Tag, bevor die rot-grün-gelbe Ampel endgültig zerbrach und der amtierende Bundesverkehrsminister, Volker Wissing, der als einer der Mitbegründer der Ampelidee aus den Reihen der FDP gilt, aus der FDP austrat und sich dafür entschied, das Ministerium als Parteiloser vorerst bis zu den nun feststehenden Neuwahlen am 23. Februar weiter zu leiten. Neben dem Justizministerium. Was, so hoffen es zumindest die zahlreichen Befürworter aus der Logistik, bei manchen Vorhaben immerhin für einen Rest an Kontinuität sorgen soll. Ich persönlich befürchte, auch wenn es derzeit nur ein Nebenaspekt ist, dass die Schutzvorschriften für die Lkw-Fahrer vor allem aus Osteuropa und den Drittstaaten auf in Osteuropa zugelassen Lkw vorerst im politischen Vakuum hängen bleiben.

Die Grundregeln des EU-Mobilitätspaketes

Das EU-Mobilitätspaket, daran erinnert die Einleitung der Anfrage, die ich hier noch einmal hervorhebe, wurde bereits im Juli 2020 durch den europäischen Gesetzgeber verabschiedet. Die Theorie: Das Mobilitätspaket zielt darauf ab, faire Arbeitsbedingungen für Fahrer sowie faire Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen zu schaffen, die Regelungen für den Straßengüterverkehr im Binnenmarkt zu harmonisieren und die Verkehrssicherheit zu erhöhen.

Es beinhaltet Regelungen zu Lenk- und Ruhezeiten, Kabotage und Entsendung von Fahrern. Seither ist es verboten, die vorgeschriebene regelmäßige wöchentliche Ruhezeit von mehr als 45 Stunden im Lkw zu verbringen. Die Arbeitgeber müssen für die Übernachtungen zahlen. Nur Tages-Ruhezeiten und reduzierte wöchentliche Ruhezeiten, darunter fallen alle Pausen zwischen 24 und 44 Stunden und 59 Minuten, dürfen im Lkw verbracht werden. Außerdem wurde für die Fahrer ein Rückkehrrecht und für die Fahrzeuge eine Rückkehrpflicht eingeführt. Spätestens nach vier Wochen haben die Fahrer das Recht, nach Hause oder an die Betriebsstätte ihres Arbeitgebers zurückzukehren. Die Fahrzeuge müssen spätestens nach acht Wochen zum Ort der Niederlassung zurückkehren.

Rückkehrpflicht aufgehoben

Nur diese Rückkehrpflicht wurde mittlerweile vom EuGH am 4. Oktober 2024 für nichtig erklärt. Wie ich zuletzt am Beispiel des Neusser Hafens noch einmal betont habe, galt die aber noch nie für den internationalen Kombinierten Verkehr und das führt daher nach wie vor zu den von mir oft genau beschriebenen Zuständen in den bundesdeutschen Terminals des KV oder den Binnenhäfen. Ohne dass sich dort etwas ändern würde, wie es die SPD vor Ort angemahnt hat.

Kölner Prekariat als Beleg für die Opposition

In der Kleinen Anfragen wird nun ausgerechnet die Reportage über die unwürdigen winterlichen Zustände auf dem damals noch unbeschrankten Parkplatz Tor 29 der Kölner Ford-Werke zitiert, bei der ich den Autor Peter Berger im Hintergrund und vor Ort unterstützt hatte. Ebenso angesprochen werden die Entwicklungen nach dem Streik der Lkw-Fahrer der Mazur-Gruppe in Gräfenhausen.

Das Fazit: „Die Missstände in der europäischen Transportbranche hat das EU-Mobilitätspaket nach Auffassung der Fragesteller nur in der Theorie, in der Praxis jedoch nicht lösen können. Für die Fragesteller ist insbesondere bedeutsam zu erfahren, wie nationale Durchsetzungsbehörden die Vorgaben des Mobilitätspakets kontrollieren und welche Auswirkungen das Paket auf den Straßengüterverkehr in den letzten Jahren entfaltet hat.“

Beindruckende Beobachtungen

Aktuell beindruckende Beobachtungen des Buchautors Sascha Lübbe in „Ganz unten im System“, sowie Erfahrungen des DBG, des Beratungsprojektes Faire Mobilität und der Gewerkschaft Verdi zur Logistik, vorgetragen im zweiten Teil (ab 1:43) dieser auf YouTube gestreamten Diskussionsveranstaltung Licht ins Dunkel vom 4. November aus Darmstadt, bestätigen es: Es hat sich nicht wirklich viel geändert. So steht auch auf Druck vor allem der Verbände der Logistik das Lieferkettengesetz, das seine Möglichkeit im Rahmen von Gräfenhausen gezeigt hat, bei der Forderung nach Bürokratieabbau wieder auf dem Prüfstand. Ganz im Sinne der FDP.

Wann gibt es endlich konsequente Sanktionen?

Die Abgeordneten von CDU/CSU wollten also zum Zeitpunkt der Fragestellung von der Bundesregierung wissen, welche Sanktionen Fahrern und Unternehmern für Verstöße gegen Regelungen des Mobilitätspakets drohen? Das wollte diesen April bereits die Fraktion der SPD auf ihrer Logistikkonferenz in Berlin, aus heutiger Sicht die erste Positionierung für einen bevorstehenden Wahlkampf. In diesem Blogartikel habe ich auch eine weitere Forderung aus einer Kleinen Anfrage einer Fraktion verlinkt. Aus dem Jahr 2021.

Sie lautete: „Innerhalb der Branche kommt immer wieder Kritik auf, dass die durchgeführten Kontrollen nicht ausreichen würden und zudem ineffektiv seien, auch wenn das BAG in den letzten Monaten vermehrt Kontrollen durchgeführt hat. So gibt es vermehrt Berichte darüber, dass Lkw-Fahrerinnen und Lkw-Fahrer, vor allem aus dem Ausland, Vorschriften wie das Kabinenverbot für die wöchentliche Ruhezeit, etwa an Distributionsstandorten eines großen Online-Händlers, nicht einhalten würden. Hinzu kommen weitere Themen, wie die Umsetzung des deutschen Mindestlohns für in Deutschland tätige Fahrerinnen und Fahrer.“ Nun, diese Anfrage stammte wenig überraschend, von der Fraktion der FDP um Christian Lindner, später Bundesfinanzminister, und Oliver Luksic, später parlamentarischer Staatssekretär im BMDV. Anzurechnen ist dem BMDV immerhin, dass unter dem BALM-Präsidenten Christian Hoffmann die Digitalisierung der Kontrollen stark ausgebaut wurde. Wer die Facebookseite „Lkw-Unfälle und Kontrollen“ verfolgt, findet zudem immer wieder Meldungen zu erfolgreichen gemeinsamen Kontrollen etwa von BALM, Polizei und Zoll.

Vom BMDV ans BALM und vor dort wieder zurück

Bei diesen Fachanfragen an die Bundesregierung, so kenne ich es aus der Vergangenheit, antwortet das BALM und gibt diese Antworten wieder zurück nach Berlin. Einige dieser Fragen wird das BALM nicht beantworten können, weil es die Daten gar nicht erhebt, wie ich selbst von unzähligen Antworten der Pressestellen weiß. Eine ist in der Kontrollstatistik des BALM für das Jahr 2023 veröffentlicht.

Demnach wurden vom Straßenkontrolldienst im Jahr 2023 insgesamt 233.167 Fahrzeuge im Güterverkehr kontrolliert, davon 170.645 gebietsfremde und 62.522 gebietsansässige Fahrzeuge. Im Fahrpersonalrecht wurden insgesamt 107.190 Fahrzeuge kontrolliert, davon 79.001 gebietsfremde und 28.189 gebietsansässige. Von den Beanstandungen zur Verbringung der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Fahrzeug (insgesamt 3.629) entfielen laut Statistik des BALM 3.381 auf gebietsfremde Fahrzeuge, 248 auf gebietsansässige. Wobei das BALM nicht sagen kann oder will, ob dort deutsche oder gebietsfremde Fahrer erwischt wurden. Allein aus den monatlichen Schwerpunktkontrollen kann sich diese hohe Zahl kaum ergeben, und wenn doch, dann ist es die schiere Masse an gebietsfremden Fahrzeugen, die bei einem Mautanteil von mittlerweile 50 Prozent auch auf Grund des nach wie vor existierenden Sonntagsfahrverbotes jedes Wochenende auf oder am Rande der Autobahnen parken. Trotz weiterer Aufstockung des Personals können die Kontrollen also nur Nadelstiche sein. Für die Unternehmer und ihre Fahrer ist das Risiko, erwischt zu werden, viel zu gering im Vergleich zu einem zu erwartendes Bußgeld. Es stört ihr Geschäftsmodell in der Masse nicht wirklich.

Wie geht es nun weiter?

Ob und wann die CDU/CSU die Antwort auf ihre Fragen von der faktisch nur noch ohne Mehrheit amtierenden Bundesregierung bekommt und ob das angesichts der aktuellen Situation überhaupt noch eine Rolle spielt, kann ich nicht beurteilen. Fest steht, dass das seit Ende 2021 FDP-geführte BMVD bei der Umsetzung des EU-Mobilitätspaktes ins deutsche Fahrpersonalrecht viel zu lange gezögert hat. Meines Wissens liegt der sogenannte Referentenentwurf im Bonner BMDV nun in der Schublade und sollte noch in diesem Monat an die Bundesländer und die Verbände zur Kommentierung gehen. Unter normalen Umständen dann weiter ins Kabinett und danach in den Bundestag. Doch der ist derzeit mit vielen anderen Fragen beschäftigt, die nach der letzten Debatte im Bundestag keinen Aufschub erlauben.

Dass Wissing nach der Neuwahl, etwa bei einer möglichen GroKo oder gar Schwarz-Gelb, noch im Amt ist, scheint eher ausgeschlossen. Damit würde auch das BALM selbst einen Unterstützer verlieren, der dem BALM viele zusätzliche Aufgaben übertragen hatte. Sollte es zur Abwechslung doch mal wieder ein Verkehrspolitiker von der CDU/CSU werden, dann könnte der existierende Entwurf in der kommenden Legislatur mehr oder minder unverändert in den neuen Gesetzgebungsprozess eingebracht werden. Bis dahin sind die Fragen vielleicht beantwortet.

Blick über die Grenze – weitere Großkontrolle in Belgien

Bereits in meinem Blogbeitrag „Die Pfingstmontagsfalle" hatte ich anlässlich einer Großkontrolle im Hafen von Antwerpen angemerkt, dass auch die im Vergleich zu Deutschland hohen Bußgelder allein für den Unternehmer das Problem nicht wirklich aufhalten können. Nun gab es nach Angaben der belgischen Federale Politie am Montag, den 11. November 2024, einem Feiertag in Belgien, wieder eine große Kontrollaktion auf zwei Lkw-Parkplätzen in der Nähe des Hafens von Zeebrugge. Wie mir ein Polizeisprecher erzählte, hatte ein Teil der dort übers Wochenende parkenden Fahrer allerdings von der geplanten Kontrolle vorab mitbekommen oder sie geahnt und waren vorher weggefahren. Ein Fahrverbot gibt es in Belgien nicht. Am Sonntagabend sei alles noch voll belegt gewesen.

Federale Politie

In Zeebrugge, so heißt es, legen jedes Wochenende Hunderte, vor allem osteuropäische Fahrer ihre wöchentliche Ruhepause ein. Unter der Woche führen sie Transporteinsätze durch, die größtenteils in Zeebrugge stationiert sind. So wie in den deutschen KV-Terminals und Binnenhäfen. Daher gab es „nur“ 168 Lastkraftwagen, die sich auf beiden Parkplätzen befanden und bei denen der Fahrer anwesend war. Am Ende wurden 86 Verstöße festgestellt, die die wöchentliche Ruhezeit der Fahrer betrafen.