MAN Vorstand Dr. Frederik Zohm im Interview: "Es wird eine Dualität von Konzepten geben"

MAN Vorstand Dr. Frederik Zohm im Interview
"Es wird eine Dualität von Konzepten geben"

Dr. Frederik Zohm, MAN-Vorstand für Forschung und Entwicklung, spricht über das aktuelle Elektro-Truck-Projekt, Serienchancen für die E-Mobilität und mögliche Alternativen zum klassischen Diesel.

MAN Interview Dr. Zohm München 2018
Foto: Astrid Schmidhuber
Elektromobilität scheint sich in den letzten Jahren zu einem großen Thema bei MAN entwickelt zu haben. "Wir fahren dann schon mal vor", so werben Sie für Ihre künftigen E-Trucks. Wo stehen Sie heute auf dem Weg zum abgasfreien Lastwagen?

Dr. Zohm: Noch nie waren die Investitionen von MAN im Bereich Forschung und Entwicklung so hoch wie in den vergangenen Jahren. Das spricht mal für sich. In Österreich steht uns bei der Entwicklung unserer neuen eTrucks eine Gruppe namhafter Kunden zur Seite, die wir nicht zuletzt durch unseren Auftritt auf der IAA Nutzfahrzeuge 2016 begeistert haben. Die eTrucks werden in Österreich gemeinsam mit diesem Kundenkonsortium in der Praxis erprobt. Unser Werk in Steyr bietet gemeinsam mit unserem Truck Modification Center die passende Struktur und Flexibilität, solche Fahrzeuge aufzubauen. Die österreichischen Kunden, die auch gleichzeitig unsere Projektpartner sind, benötigen von uns vier unterschiedliche Fahrzeuganforderungen. Damit werden sie in verschiedenen Städten und in unterschiedlichen Einsatzbereichen unterwegs sein. Wir entwickeln die Fahrzeuge quasi gemeinsam mit unseren Kunden, das ist sicher ein ungewöhnlicher Schritt.

Lothar Reichel
In den Startlöchern: Die eTruck-Testflotte geht noch 2018 in Österreich in die Kundenerprobung.
Wann rollt die Testflotte an den Start?

Dr. Zohm: Noch in diesem Jahr! Die Ergebnisse aus der Praxiserprobung fließen dann direkt in die Entwicklung einer Kleinserie ein.

... die dann in der Folge für den Kunden kaufbar sein wird?

Dr. Zohm: Richtig! Der genaue Zeitpunkt für die Kleinserie wird von den Erfahrungen unserer Projektpartner in der Praxis abhängen. Ich gehe von einer Serie in der Größe von 50 bis 100 Fahrzeugen aus. Die bieten wir dann interessierten Kunden an. Die genaue Vermarktungsart steht jetzt aber noch nicht fest. Das ist für unsere Kunden ja auch Neuland, denn sie kennen den Anwendungsfall ­eTruck noch gar nicht. Den klassischen Diesel-Lkw kann jeder Kunde einschätzen und in die TCO-Bewertung seines Fuhrparks einfließen lassen.

Für wann rechnen Sie mit einem Großserienstart von Elektrofahrzeugen?

Dr. Zohm: Kommt ganz drauf an, ob wir über Trucks oder Busse sprechen. In unserem Bus-Forum werden Sie schon Ende 2019 vollelek­trisch betriebene Busse sehen können. Hinsichtlich unserer eTruck-Modelle haben wir natürlich ebenfalls anspruchsvolle Ziele, die wir nun dank der Erfahrungen unserer Projektpartner vo­rantreiben können. Einen konkreten Termin kann ich Ihnen heute allerdings noch nicht nennen. Wie schon gesagt, möchten wir bald mit der Kleinserie auf den Markt kommen.

Was halten Sie von den Anstrengungen der zahlreichen Kleinhersteller, vorhandene Lkw-Modelle zu elektrifizieren? Wäre das nicht ein Ansatz für eine Kooperation?

Dr. Zohm: Ein Ansatz ja, aber wir haben natürlich unser eigenes Know-how über Elektrofahrzeuge. Wichtige Erfahrungen haben wir nicht zuletzt mit dem Hybrid-Bus gewonnen, den man heute schon kaufen kann. Außerdem nutzen wir die Zugehörigkeit zur VW-Gruppe. VW befindet sich ja auf einem sehr ambitionierten Weg Richtung in Elektromobilität. Das ist für uns deswegen spannend, weil wir viele Erkenntnisse in der Forschung und Technik mit den VW-Kollegen austauschen können.

Soll MAN innerhalb der VW-Gruppe der Kompetenzträger für Elektromobilität werden?

Dr. Zohm: Unsere Verteilerfahrzeuge MAN TGL und MAN TGM sind sicherlich Anwendungsfälle, die eher elektrifiziert werden als andere. Vor allem in der Citylogistik sind wir bei der Reichweite elektrischer Lkw zwischen 60 und 150 Kilometern auf dem richtigen Weg. Das können wir mit der heutigen Technik gut abbilden. Der eTruck fährt in der Stadt nicht nur abgasfrei, er ist dort auch extrem geräuscharm unterwegs. Diese beiden Aspekte werden künftig ganz wichtige Treiber für die E-Mobilität in der City sein. Die Lärmemission wird ebenfalls, beispielsweise in der innerstädtischen Nachtanlieferung oder bei der Entsorgung, eine ganz wesentliche Rolle spielen.

Lässt sich E-Mobilität heute mit Wirtschaftlichkeit in Verbindung bringen?

Dr. Zohm: Grundsätzlich ja, nur muss die Politik zielführende Impulse setzen, um das zu erreichen. Zum Beispiel wird im Bereich ÖPNV gefördert, um die Elektromobilität anzuschieben. Das wird sich in unserem Busbereich schon bald durch ein Serienprodukt zeigen.

Sehen Sie die Elektrifizierung bestehender Fahrzeugmodelle als richtigen Weg an?

Dr. Zohm: Die Implementierung eines E-Antriebes in vorhandene Fahrzeugkonzepte ist der schnelle Schritt. Aber uns stehen jetzt auch andere Möglichkeiten zur Verfügung, über die Entwicklung neuer Fahrzeuge nachzudenken, weil beim eTruck verschiedene Kernkomponenten wegfallen, die man beim konventionellen Diesel noch gebraucht hat.

Mit dem Wegfall vieler Komponenten wie des Verbrennungsmotors oder des klassischen Antriebsstrangs verlieren die OEM auch Teile ihrer Produktkompetenz an Zulieferer. Wollen Sie künftig in die Elektroantriebstechnik auch selbst einsteigen?

Dr. Zohm: Der Elektromotor kommt als eigene Wertschöpfung von einer gemeinsamen Plattform mit unserer Konzernschwester Scania. In der Batterietechnik können wir auf Volkswagen-Zellen zugreifen. Dabei ergeben sich Skalen­effekte. Das ist für uns ein großer Vorteil. Bei der Batteriesteuerung, wie beispielsweise dem Thermomanagement, wollen wir gezielt Kompetenz im eigenen Hause aufbauen. Die Batterie wird in Zukunft entscheidenden Einfluss auf die Kostenbetrachtung des Gesamtfahrzeuges haben, denn für Kunden stellt sich ja immer die Frage: Wie lange kann man die Batterie in ihrer vollen Performance nutzen? Oder: Wie kann man batterieschonend fahren?

Elektro-Trucks gehören zum Beispiel in China zum normalen Straßenbild. Wieso haben die Asiaten in puncto E-Mobilität einen so deutlichen Vorsprung herausgefahren?


Dr. Zohm: Die Leistungsfähigkeit, die von den Chinesen in diesem Bereich in den letzten Jahren geschaffen wurde, muss man durchaus ernst nehmen. Wir müssen als MAN unsere eigenen Antworten auf die Fragen der E-Mobilität finden. Und ich kann Ihnen versichern: Wir haben gute Antworten! Eine der großen Herausforderungen, die wir als Gesellschaft haben, ist es, den Wandel zur E-Mobilität entsprechend zu unterstützen. Denn die Batterie allein macht ja noch keinen CO2-neutralen Antrieb. Die geeignete Art und Weise der Energieerzeugung und die passende Energie-Infrastruktur muss hinterlegt sein, um umweltfreundlich mobil zu werden. Die Städte und Kommunen werden mit ihren großen Fahrzeugdepots einen strategischen Vorteil haben, um Fahrzeugflotten über Nacht aufzuladen.

MAN VHH Kooperation Batterie
Marco Reufzaat
Zukunftsträchtige Zusammenarbeit: Im März dieses Jahres gab MAN Truck & Bus bekannt, gemeinsam mit der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein GmbH (VHH) die Zweitverwendung von gebrauchten Batteriespeichern aus dem zukünftigen Elektrobuseinsatz zu untersuchen.
Eine sanfte Form von Elektrifizierung wie die Mildhybridisierung für schwere Lkw steht dabei nicht auf der MAN-Zukunftsagenda?

Dr. Zohm: Der Hybrid-Lkw ist eine Technologie, die heute verfügbar und umsetzbar ist. Letztendlich ist es jedoch auch hier eine TCO-Entscheidung, ob ein Hybridantrieb in einem wirtschaftlichen Umfeld zum Einsatz kommt. Es wird eine Dualität von Konzepten geben. Das eine lautet: Ich nehme den Fernverkehrs-Lkw als Hybrid und fahre damit elektrisch und emissionsarm in der Stadt. Oder ich nehme für die Langstrecke den klassischen Diesel und habe dann beim Umladen an der Stadtgrenze kleinere vollelektrische Fahrzeuge, mit denen ich die City-Logistik erledige. Zum Thema Mildhybridisierung von schweren Lastwagen sind wir in der Diskussion, haben aber noch keine finale Entscheidung getroffen. Am Ende muss doch immer ein Kostenvorteil herausfahrbar sein, der sich für den Kunden rechnet.

Das Metropolis-Projekt war vor einigen Jahren eine sehr ansprechende Umsetzung eines schweren Hybrid-Lkw für den Sammeleinsatz. Was ist daraus geworden?

Dr. Zohm: Stimmt. In dem Projekt steckte jede Menge Ingenieursleistung. Als Konzept ist der Hybrid mit Range Extender immer noch in der Diskussion. Doch auch hier – Sie ahnen es schon – ist die Kostenfrage entscheidend. Im Verteilerverkehr gehen wir heute ganz klar auf das vollelektrische Fahrzeug mit einer Reichweite von 60 bis 150 Kilometern aus dem Batteriespeicher. Das reicht für den urbanen Einsatz völlig aus. Unser vollelektrischer TGM fährt sich unglaublich agil. 3.000 Newtonmeter Drehmoment ab der ersten Sekunde, 250 kW Spitzenleistung – das sind Fahrleistungen, die sich sehen lassen können. So ein Fahrzeug hat theoretisch die Performance für die Nürburgring-Nordschleife, muss aber natürlich auf den Einsatz als Stadtbus oder Verteiler eingeregelt werden.

Kann man die alteingeschworenen Diesel-Fans von der Faszination E-Truck auch emotional überzeugen?

Dr. Zohm: Und ob! Fahren Sie mal mit einem ­eTruck – mit innovativen Konzepten kann man auch Begeisterung erzeugen. Die Emotionalität der Marke MAN geht ja nicht verloren, denn wir werden andere Anwendungsgebiete mit klassischem Dieselantrieb noch eine ganze Zeit lang behalten. Der ganze Bereich Traction, die Baustellenfahrzeuge, für den die Marke MAN ja auch steht, wird lange ebenso wie die Performance im Langstreckenbereich bestehen bleiben. Die Dieselmotoren haben bis zum aktuellen Euro 6-Triebwerk eine ganz bemerkenswerte Entwicklung genommen. Das sollte man nicht vergessen.

Betrifft Sie als Lkw-Hersteller die populäre Diskussion um den Diesel?

Dr. Zohm: Das betrifft uns als Hersteller von Nutzfahrzeugen natürlich emotional, weil wir für den Diesel als Hauptantriebstechnologie stehen. Inhaltlich haben wir als gesamte Branche ja einen sehr strikten Weg zur Abgasoptimierung eingehalten. Die Regeln waren für alle Lkw-Hersteller schon immer sehr streng. Das Thema Zufahrtslimitierung könnte trotzdem auch den Lkw betreffen. Wobei man sich dann vorher überlegen sollte, wie unsere Städte versorgt werden sollen.

Das Thema Wasserstoff wird im Umfeld alternativer Antriebe seit Jahrzehnten immer wieder bemüht!

Dr. Zohm: Ja, stimmt. Das Thema hat den konstanten Status der Beobachtung. Die Technologie hat zugegebenermaßen erhebliche Vorteile, aber natürlich auch ihre Schwächen. Unser Weg und der gemeinsame Weg in der Volkswagen-Gruppe geht stärker in die Elektromobilität hinein – was aber nicht bedeuten muss, dass es in Zukunft nicht auch einen Schritt in die Wasserstofftechnologie geben kann.

Das trendige Konzept Erdgas/LNG ist für Sie kein Thema?

Dr. Zohm: Doch! Natürlich ist der Erdgasantrieb bei uns ein Thema. In unseren neuen Stadtbusmodellen kommt ein neuer D15-Erdgasmotor zum Einsatz. Mit dem Dieselmotor und dem Erdgasantrieb decken wir die ganze Bandbreite im Antriebsangebot ab. Auch im Lkw prüfen wir das Thema Erdgas. Im Bereich Verteilerverkehr setzen wir aber ganz klar auf Elektromobilität. Nach dem erfolgreichen IAA-Auftritt unserer eTrucks haben wir sehr viele Kundenanfragen dazu. Im Fernverkehr gibt es keine flächendeckende Abdeckung an Versorgungsstationen mit Gas. Technologisch ist ein Gasmotor nicht die größte Herausforderung, es ist eher ein infrastrukturelles Thema.

Was sagen Sie zu Elon Musk und seinem Tesla Semi-Truck? Er kommt aus dem Nichts und kann gleich alles besser!?

Dr. Zohm (schmunzelt): Was Tesla und Elon Musk gelingt, ist schon bemerkenswert. Im Pkw-Bereich gibt es technologisch gute Produkte, die ihre Fans finden. Im Lkw-Bereich ist das, was Musk präsentiert hat, als Technologieträger interessant. Treibende Faktoren werden dabei die Kosten für Elektrizität sein. Auch hier wird die kostenseitige Gesamtbetrachtung das entscheidende Investitionskriterium für die Kunden sein. Um so einen Truck zu realisieren, brauchen Sie den entsprechenden Energiepreis. Die zweite Fragestellung ist die Nutzlasteinschränkung durch die Batterien, denn der Kunde muss in Kauf nehmen, sechs bis acht Tonnen Batterien mitzuführen, und das in seine Kalkulation miteinbeziehen.

Wünschen Sie sich seitens der Politik eine besondere Incentivierung für Elektromobilität?

Dr. Zohm: Der einfachste Einflussfaktor für die Politik ist die Maut. Damit hat man damals ­Euro 6 incentiviert. Sicherlich ist die Maut eines der Themen, über die man zukünftige Technologieentscheidungen beeinflussen kann, weil sie für den Kunden einen tatsächlich kalkulierbaren Wert darstellen.

Sie sind jetzt 45 Jahre alt. Denken Sie, dass sich MAN im Verlauf Ihrer beruflichen Karriere zum Hersteller emissionsfreier Fahrzeuge wandeln wird?

Dr. Zohm: Das ist durchaus möglich, aber Prognosen in diesem Bereich sind schwierig. Ich glaube, dass wir zum Beispiel im Stadtbusbereich schon sehr bald einen gesellschaftlich getriebenen Wandel erleben werden, bei dem der Weg in die Elektromobilität geht. Es wird aber immer wieder Anwendungen geben, in denen ein Bus aus der Stadt heraus vielleicht 30 Kilometer in den interurbanen Bereich fahren muss. Dabei stellen sich die Fragen nach Reichweite und Auflademöglichkeiten anders als im Cityeinsatz. Wir kommen jetzt in eine Phase, in der die Konkurrenz der Technologien deutlich zunehmen wird. Da wird die Elektromobilität sehr schnell ihren Platz finden – wollen wir wetten?

Zur Person

Dr. Frederik Zohm, MAN-Vorstand für Forschung und Entwicklung, wurde am 6. Januar 1973 in Melle geboren. Er schloss 2003 seine Promotion an der Technischen Hochschule Aachen ab, wo er zuvor Fertigungstechnik und Wirtschaftsingenieurwesen studiert hatte. 2005 erwarb er den MBA für Führungskräfte an der Universität St. Gallen. Seine berufliche Laufbahn startete Dr. Zohm in einer universitätsnahen Beratung in ­Aachen, wo er zuletzt den Geschäftsbereich Unternehmensentwicklung leitete. 2005 wechselte er in den Einkauf der Daimler Trucks-Tochter EvoBus GmbH. Von 2009 bis 2012 übernahm Dr. Zohm bei der Mitsubishi Fuso Truck and Bus Cooperation in Tokio die Leitung des Einkaufs. Von 2012 bis 2016 verantwortete Dr. Zohm den weltweiten Vertrieb und die Produktplanung Powertrain bei Daimler Trucks. Zusätzlich war er von 2012 bis 2014 in leitender Position bei der Rolls-Royce Power Systems Holding tätig, an der die Daimler AG zu diesem Zeitpunkt beteiligt war. 2017 wechselte Frederik Zohm zur Volkswagen Truck & Bus GmbH, leitete das Alliance-Management der strategischen Partnerschaft mit dem US-amerikanischen Truck-Hersteller Navistar und führt heute als Vorstand der MAN Truck & Bus AG den Bereich Forschung und Entwicklung.