Pläne von Amazon Totes Kapital an der Küste

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath
Meinung

In Bremerhaven stehen rund 700 neue Auflieger und warten auf ihren Einsatz. Denn Amazon will die Nummer eins im deutschen Speditions-, Transport- und Logistikmarkt werden.

Die Luftbilder, die mir Christian Lindner bereits vor drei Wochen aus dem südlichen Hafenbereich von Bremerhaven gezeigt hat, sind verstörend. Lindner ist der Chefreporter der Nordsee-Zeitung. Er war im Netz auf mich gestoßen, da ich mich seit einiger Zeit ebenfalls mit den europäischen Praktiken des US-Konzerns Amazon beschäftige. Über Karneval haben wir uns schließlich in Bremerhaven getroffen, er hat mir die zum Teil hinter hohen Zäunen wie bewusst versteckt wirkenden Auflieger an zwei Standorten gezeigt. Sie haben nahezu alle ein Kennzeichen aus Krefeld oder die vorgesehene Nummer in weißer Farbe aufgemalt, viele sind erst zugelassen worden. Sie stehen dort so dicht gedrängt, dass ein baldiger Einsatz im Tagesgeschäft ausgeschlossen ist.

Nun hat Lindner seine Erkenntnisse vergangene Woche veröffentlicht. Der Artikel mit einem der beiden Luftbilder ist zwar abgeschlossen, aber es lohnt sich, ihn zu lesen. Lindner beschreibt darin, dass auch er bei Fragen an die beiden größten Lieferanten dieser, Stand Anfang März, 690 überwiegend neuen zweiachsigen Koffertrailer von Schmitz-Cargobull und Krone auf Grund von Verschwiegenheitsklauseln gegenüber Amazon keine befriedigenden Antworten bekommen hat, die das Rätsel lösen. Denn er geht der Frage nach, warum derzeit umgerechnet rund 28 Millionen Euro totes Kapital an der Küste steht. Andere aktuelle Medienberichte stützen seine These, dass Amazon mit eigener Flotte mittlerweile auch ins klassische Speditionsgeschäft vorpreschen will.

Dreh- und Angelpunkt ist Krefeld

Als ich im Dezember 2020 meinen Bericht „Sozialdumping, Wegsehen, Schweigen“ über den Verhaltenskodex für die vor allem litauischen und polnischen Frachtführer von Amazon veröffentlicht habe, stand Amazon bereits im Fokus des Bundesamtes für Güterverkehr. Und wie das BAG bereits in der 39. Sendung von FERNFAHRER live angekündigt hatte, wurden Betriebskontrollen beim Auftraggeber dieser Frachtführer durchgeführt. Diese erfolgreichen und für Amazon finanziell spürbaren Ergebnisse, wie ich aus meinem Netzwerk erfahren habe, hat das BAG allerdings nie veröffentlicht. Behördliche Verschwiegenheit zeichnet das BAG ebenfalls aus. Mittlerweile gilt aber als gesichert, dass der Dreh- und Angelpunkt der Logistik für das eigene europäische Netzwerk, also laut BAG „der Auftraggeber“, die Amazon Verteilzentrum GmbH in Krefeld ist, was ich in meinem Blog bereits vermutet hatte.

Da Amazon nun eindeutig im Besitz der markanten blauen Auflieger ist, relativiert sich auch der damalige Versuch von Amazon Deutschland mir gegenüber, die Verantwortung auf mutmaßliche Kabotageverstöße und auf eine ebenfalls vermutete Umgehung des deutschen Mindestlohns auf die beauftragten Frachtführer aus Osteuropa abzuwälzen. Im Gegenteil: Da auch die Beförderung eines leeren Trailers von den eigenen Distributionszentren zu den reinen Trailerparkplätzen wie etwa in Korschenbroich vereinfacht gesagt eine Beförderung als Kabotage ist, wenn sie durch eine gebietsfremde Zugmaschine durchgeführt wird, hat das sonst so oft gescholtene BAG meines Erachtens mit dafür gesorgt, dass Amazon umdenken musste.

Heinz Süpple Foto: Heinz Süpple

Aufbau von strategischen Parkplätzen

Zu Lindner These passt, das Amazon, ähnlich wie in Korschenbroich, gerade ein Netzwerk an reinen Trailerparkplätzen aufbaut. Der Partner hier ist die „Park Your Truck“ GmbH aus Dessau. Auf der eigenen Homepage bietet das Unternehmen den Gemeinden an, Parkplätze für Lkw abseits der Autobahnen aufzubauen, um vor Ort das „Wildparken“ zu verhindern. Doch wie das Beispiel des Standorts Wegberg am Niederrhein anhand eines Fotos, das mir der Lkw-Fahrer Heinz Süpple dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat, belegt, versagt das Konzept ausgerechnet im Auftrag von Amazon. Dort stehen an den Wochenenden weiterhin Zugmaschinen aus Osteuropa vor dem Zaun. „Leider kann ich Ihnen aus Gründen der Vertraulichkeits- und Verschwiegenheitserklärung mit Amazon keine Angaben zu unserem Geschäftsverhältnis und den Parkplätzen machen, deshalb finden Sie dazu auch nichts auf unserer Homepage“, hatte mir Geschäftsführerin Denise Schuster prompt geantwortet. „Wenn Sie mit mir ein Interview zum Thema Lösen des Wildparkproblems in den Gemeinden machen wollen, dann stehe ich Ihnen sehr gern telefonisch zur Verfügung.“

Fahrzeuginvestition für 58 Millionen Euro

Ein genauer Blick in den Geschäftsbericht der Amazon Verteilzentrum Krefeld GmbH aus dem Jahr 2020 über Northdata zeigt das hohe Volumen an Investitionen „im Wesentlichen aus dem Kauf von weiteren Anhängern“ im Wert von 58.818.000 Euro. Die 1046 LNG-Fahrzeuge, die im Dezember 2021 von Iveco für den Einsatz bei Amazon verkündet wurden, zählen mutmaßlich noch nicht dazu. Sie hängen, davon ist Linder überzeugt, „mit dem derzeitigen Versuch des Onlinehandels-Giganten zusammen, mit Hilfe eines speziellen Entwicklungsprogrammes neue Speditionsunternehmer zu gewinnen, die mit bis zu zehn Lkw für Amazon fahren.“

Das bestätigt auch David Merck, Landesbezirksfachbereichsleiter Fachbereich Postdienste, Speditionen & Logistik vom ver.di Landesbezirk in Bayern. „Aus der Sicht der Gewerkschaft Ver.di entwickelt sich Amazon immer mehr weg vom reinen Versandhändler zu einem Multibranchenkonzern. Im Bereich der Logistik erleben wir derzeit ein rasantes Wachstum in den Bereichen Paket, Luft- und Seefracht sowie im klassischen Bodenfrachtverkehr mit Lkw.“

Auf dem Weg zur Nummer eins in Deutschland

Beim Paketbereich sei es derzeit so, dass Amazon in 2022 den Schätzungen von Verdi zu Folge mindestens rund 800 Millionen Pakete über ihre Subunternehmer selber zustellen wird und damit nach der Deutschen Post DHL (noch 1,8 Mrd. Pakete) den 2. Platz einnimmt. „Rechnet man die Wachstumsraten hoch, so ist es wahrscheinlich, dass Amazon 2024/ 2025 die Deutsche Post DHL als Nr. 1 im heimischen Paketmarkt ablösen wird“, so Merck. „Neben den eigenen Paketen wirbt Amazon derzeit massiv um die Sendungen der Marketplacekunden und hat nach unseren Informationen auch schon versucht, externes Geschäft zu akquirieren.“

Hier hat Amazon, so Merck, analog zur Paketzustellung, ein Servicepartnerprogramm aufgesetzt. Kernpunkt ist dabei, dass Amazon den Servicepartnern umfassende Hilfestellungen zur Verfügung stellt und man mit wenig Eigenkapital sein eigenes Fuhrunternehmen aufbauen kann. „Die aktuellen Lkw-Bestellungen zeigen aus unserer Sicht, dass Amazon sein Frachtgeschäft massiv ausbauen will“, so Merck, „und gegebenenfalls weit über den Eigenbedarf an Linehaulfahrten hinaus und damit ebenfalls in den externen Logistikmarkt vordringen will.“

Amazon verbindet dabei laut Verdi in allen Bereichen ein strukturell gleiches Vorgehen: Basis ist das eigene Versandgeschäft inklusive Marketplace. Rund um dieses Versandgeschäft wird systematisch die gesamte Wertschöpfungskette erschlossen. Unter Nutzung seiner Größe und Marktmacht erzielt Amazon einen Kostenvorteil gegenüber Wettbewerbern. Dieser Kostenvorteil wird an die Kunden in Form günstiger Preise weitergegeben, auch um die Marketplacekunden weiter an sich zu binden. Grundsätzlich ist es kein Problem ein externes Logistikgeschäft über diese Netzwerke abzuwickeln und damit weiter in den Logistikmarkt vorzudringen. „Amazon lagert einen Großteil der Tätigkeiten an Subunternehmer aus, das heißt nur ein kleiner Teil der Beschäftigten ist damit selber bei Amazon angestellt. Auch das schafft Kosten- und Flexibilitätsvorteile.“

Bedrohung der Arbeitsbedingungen in Deutschland

In seinem Artikel hat es Lindner, wie ich es hier zitieren darf, genau beschrieben. „Interessierte sollen mit diesem Inkubator-Programm in gerade mal zwölf Wochen zu Speditionsunternehmern gemacht werden, die eine eigene Frachtfirma mit 12 bis 18 lokalen Fahrern erweitern oder gründen. Wieder scheinen die Hürden niedrig: „Erfahrung im Transportwesen ist nicht erforderlich“, 25.000 Euro Anlaufkosten sollen reichen. Wieder verspricht Amazon viel – etwa Coaching, den „Zugang zu hochmodernen, gebrandeten Lkws, ohne Anzahlung“ und „eine stabile Auslastung“: Bei zehn Lkw garantiert Amazon „Aufträge mit einem jährlichen Umsatzpotenzial von 1 Million bis 1,6 Millionen Euro“. Das „jährliche Gewinn-Potenzial“ soll zwischen „75.000 bis 165.000 Euro“ liegen. Und Amazon verspricht den neuen Spediteuren, dass sie schnell ins Rollen kommen: „Sie werden Ihren ersten Lkw innerhalb 4-11 Wochen nach Beginn dieses Programms betreiben“. Solche „Freight Partner“ sucht Amazon auch für Bremen, Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Einziger Kunde auch hier: Amazon.“

Angesichts der aktuell explodierenden Preise für Diesel und für LNG wäre es natürlich derzeit wirtschaftlicher Selbstmord, mit den LNG-Lkw eine hoffungsvolle Karriere als Amazon-Partner zu starten. Es sei denn, Amazon legt freiwillig noch etwas drauf. Möglichweise ist das der Grund, warum die Auflieger von der Küste noch auf ihren Einsatz warten. Die Gefahr steckt allerdings in der Zukunft. „Ver.di beobachtet das Wachstum von Amazon und die Folgen hieraus sehr genau“, mahnt Merck. „Stellt es doch eine Bedrohung für die Qualität der Arbeitsbedingungen der gesamten Branche dar.“ Dann allerdings muss man sich als Hersteller auch keine großen Gedanken um das Image der Branche und ihrer Berufskraftfahrer machen.

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