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Kongress der Kooperation Transcoop09 Angst vor Start-ups ist nicht begründet

Foto: Matthias Rathmann

Mittelständische Speditionen müssen sich vor Start-ups, die auf den Logistikmarkt drängen, nicht fürchten. Auch wer sich als digitale Spedition bezeichnet, ist nicht zwangsläufig besser oder pfiffiger. Das war eine der Kernaussagen des 5. Kongresses der Ladungskooperation Transcoop09 am Mittwoch in Darmstadt.

Einige der Referenten des Transcoop09-Kongresses forderten die rund 90 Teilnehmer zu mehr Vertrauen in die eigene Kompetenz und einem höheren Selbstbewusstsein gegenüber den neuen Akteuren auf dem Markt und gegenüber den Kunden auf.

"Ich weiß wirklich nicht, was Ihnen Angst bereiten soll" ,sagte Dr. Andy Apfelstädt vom Institut für Verkehr und Raum an der Fachhochschule Erfurt. Damit spielte er auf die Ergebnisse einer Umfrage des Verbands Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen (VVWL NRW) in Zusammenarbeit mit der Agentur Herzig an, wonach mehr als die Hälfte der Befragten die digitale Konkurrenz als Bedrohung empfindet. Selbst der VVWL davor warnt, dass die klassischen Unternehmen den Anschluss verlieren.

Apfelstädt: Wir lassen uns nicht einschüchtern

"Wir lassen uns einschüchtern, obwohl es nicht vonnöten ist", sagte Apfelstädt, der zugleich Chef des Start-ups Logistik Werkstatt Erfurt ist. Er kann sich das nur damit erklären, dass den mittelständischen Spediteuren das Gefühl dafür fehlt, mit wem und womit sie eigentlich genau konfrontiert sind. Vor keiner der Entwicklungen, die in Zusammenhang mit Logistik 4.0 zu sehen sind, müssten sich die Unternehmen aber fürchten. "Angst hätte ich nur vor dem Beamen von Waren, alles andere ist beherrschbar."

Der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Fachhochschule Erfurt führte aus, dass keine Spedition mehr analog arbeite. "Wer lässt sich denn noch von seinem Fahrer per Münztelefon aus Spanien zurückrufen?", fragte er. Speditionen arbeiteten schon längst mit modernen Telematiksystemen, mit Frachtenbörsen und seien auch bei den Entwicklungen zum automatisierten Fahren im Bilde.

Empfehlung: Auslastung steigern, Effizienz erhöhen

Daher ist die Handlungsempfehlung im Umgang mit digitalen Speditionen keine andere als im Umgang mit den konventionellen Mitbewerbern: Hausaufgaben machen, Auslastung steigern und vor allem den Fahrzeugeinsatz verbessern. Dass viele Lkw im Ladungsverkehr noch immer nur über eine Schicht besetzt seien, bezeichnet Apfelstädt als Katastrophe. "Es muss uns gelingen, den Fahrzeugeinsatz zumindest in Richtung 14 bis 15 Stunden Produktivzeit zu überführen", betonte er. Das sei der entscheidende Schlüssel, um profitabel und wettbewerbsfähig zu bleiben. Hier sei auch in den Ladungskooperationen noch deutlich Luft nach oben, um solche Systeme zum Beispiel mithilfe von Begegnungsverkehren zu entwickeln.

Prof. Iskan: Die Herausforderungen sind analog

Dass hier die wahren Potenziale liegen, steht auch für Prof. Dr. Stefan Iskan, Chef des Beratungshauses Iskan Advice aus Ehningen, fest. "Immer mehr digitale Plattformen und Start-ups stürmen den Landverkehr, doch unsere aktuellen Herausforderungen in der Spedition sind analog", erklärte er. Denn die neuen Player in der Logistik hätten eines nicht – Fahrer und Fahrzeuge. "King ist, wer die Hardware besitzt", betonte Iskan. Denn der Laderaum-Engpass habe sich dramatisch zugespitzt, seit EU und Bundesregierung das Verbot zum Verbringen der regelmäßigen Wochenruhezeit im Lkw umgesetzt hätten. "Die Osteuropäer haben ihren Frachtraum abgezogen", sagte der Berater, der jahrelang selbst bei großen Logistikdienstleistern gearbeitet hatte. Konzerne bekämen diesen Engpass schmerzhaft zu spüren, weil die Subunternehmerkosten drastisch gestiegen seien.

Prof. Iskan: Industrialisierung ist für Speditionen alternativlos

Gleichwohl ist die eigene Flotte auch für Kraftwagenspeditionen kein Selbstläufer – den Zwang, den Fahrzeugeinsatz und die dahinter stehenden Prozesse zu verbessern, sieht auch Iskan. "Die Industrialisierung ist für Speditionen – egal welcher Größenordnung – komplett alternativlos", betonte er. "Sie brauchen eine Kultur der Veränderungsbereitschaft", sagte er an die Adresse der Kongress-Teilnehmer.

Denn auch kleinere Unternehmen könnten Ansatzpunkte identifizieren, um digitaler und effizienter zu werden, betonte Prof. Dr. Dirk Lohre, Leiter des Steinbeis-Beratungszentrums Forwarding and Logistics (Forlogic) aus Frankfurt. "Auch bei den kleinen Unternehmen finden sich Beispiele, die schon mit komplett papierloser Disposition arbeiten oder andere digitale Projekte umgesetzt haben." Wie Apfelstädt und Iskan empfahl auch Lohre den Unternehmen, die Digitalisierung als Chance zu sehen.

Möglichkeiten von Big Data bei Sendungsanalyse eingesetzt

Welche Potenziale sich mithilfe von Big Data heben lassen, erläuterte Wissenschaftler Lohre anhand eines aktuellen Beispiels der Stückgutkooperation Cargoline. Sie ist dem Phänomen der Sendungsschwankungen auf den Grund gegangen (siehe Link zum Bericht) und hat mithilfe unterschiedlichster Daten aus unterschiedlichen Bereichen – von Sendungsdaten bis hin zu Wetterinformationen – einen Algorithmus entwickelt, um solche Ausschläge nach oben und unten künftig vorhersagen zu können. Das bringt den Unternehmen deutliche Vorteile beim Planen von Kapazitäten – etwa beim Fahrzeugeinsatz.

Kravag-Mann Salzmann sieht Vorteile bei Verkehrssicherheit

Und läuft auch der Fahrzeugeinsatz eines Tages automatisiert oder gar autonom ab, ist das für die Branche ebenfalls kein Grund zur Sorge. Rechtsanwalt Axel Salzmann, Leiter des Kompetenzzentrums Straßenverkehrsgewerbe und Logistik beim Gewerbeversicherer Kravag, machte deutlich, dass diese Entwicklung insgesamt eher Fortschritte bringe – nämlich bei der Verkehrssicherheit.

Salzmann wies auf Schätzungen der Versicherungswirtschaft hin, wonach sich die Schadensquoten durch eine höhere Vernetzung in den nächsten 10 bis 15 Jahren um fünf bis zehn Prozent verringern könnten. Problematisch aus Sicht der Versicherer ist aber die Übergangsphase – der Mischverkehr, wenn sich Fahrzeuge mit niedriger Intelligenz den Straßenraum mit Fahrzeugen mit hoher Intelligenz teilen.

Salzmann: Platooning wird eine größere Rolle spielen

Worauf sich die Branche laut Salzmann in jedem Fall einstellen muss, ist auf Lkw, die in Kolonnen verkehren. "Wir gehen davon aus, dass Platooning in den nächsten drei bis fünf Jahren eine deutlich größere Rolle spielen wird", sagte Salzmann – und wies auch auf die Partner MAN und DB Schenker hin, die auf der A9 einen Feldversuch fahren wollen. Die Beispiele zeigen: Die Speditionen sind nicht untätig. Wenn sie sich weiterhin kreativ der Prozess- und Effizienzverbesserung stellen, brauchen sie keine Angst davor haben, von irgendjemandem abgehängt zu werden.

Transcoop digitalisiert: neuer Online-Marktplatz

  • Die Ladungskooperation Transcoop ist bei der Digitalisierung ihrer Prozesse einen deutlichen Schritt voran gekommen. Im März/April wird die Allianz aus etwa 60 mittelständischen Speditionen ihren digitalen Markplatz scharf schalten, den sie voriges Jahr auf der Messe Transport Logistic in München vorgestellt hatte. Er umfasst eine Ausschreibe-Plattform, eine Laderaumbörse und eine Fuhrparkverwaltung. Erst einmal soll die Plattform Transcoop09-Parntnern und Verladern vorbehalten sein, ehe sie möglicherweise einmal für Dritte geöffnet wird.
  • Die Kooperation feiert nächstes Jahr ihr zehnjähriges Bestehen. Transcoop09-Vorstand Josef Perisa spricht von einer stabilen Entwicklung. Rund 90 Prozent der Mitglieder seien bereits seit fünf oder sechs Jahren dabei. Begonnen hätten die Aktivitäten der Kooperation mit dem Ladungstausch. Findet er zurzeit vor allem durch Abstimmung per Telefon oder Mail statt, soll dieser künftig über den neuen Online-Marktplatz abgewickelt werden.
  • Mit Schnittstellen können an diesen Marktplatz auch andere digitale Angebote integriert werden.Absehbar ist, dass das auf Ladungsträger-Abwicklung spezialisierte Start-up Swoplo aus Eschborn daran angeschlossen wird. Swoplo-Vorstand Andreas Günkel nutzte den Transcoop09-Kongress, um auf die Vorteile der digitalen Palettenabwicklung hinzuweisen.
  • Ging das Portal vor einem Jahr an den Start, sind bereits 400 Nutzer registriert, die bereits 10.000 Transaktionen ausgelöst hätten. Günkel kann ihnen handfeste Vorteile aufzeigen, weil die Abwicklung digital und transparent erfolgt – und Speditionen sich damit Arbeit sparen und die Fehleranfälligkeit reduzieren. Eine Erleichterung dürfte vor allem die Möglichkeit eines Clearings bei Palettenforderungen- und Verbindlichkeiten sein. Sie spart Ausgaben und Ausgleichsfahrten und bringt Unternehmen gleich noch miteinander in Kontakt. 

 
 

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