Fahrer aus Osteuropa Unter harten Arbeitsbedingungen

Zusammenhalt in der Fahrerkabine Foto: Scholz, Bilski 7 Bilder

Lkw-Fahrer aus dem Osten kämpfen mit vielen Vorurteilen. Dabei arbeiten sie unter harten Bedingungen. Eine Stichprobe auf Autohöfen.

Behutsam streicht Wojtek über ein Foto, auf welchem ein kleines Mädchen zu sehen ist. "Das ist meine Tochter Kasia, sie ist sieben Jahre alt", sagt er stolz und lächelt. Vieles in der Kabine erinnert an seine fast 1.000 Kilometer entfernte Heimat Torun in Polen, die er nur selten sieht. Doch die Sehnsucht nach Hause ist nicht das einzige Problem, mit welchem der 43-jährige Fahrer und seine Kollegen zu kämpfen haben. Aus diesem Grund habe ich mich mit einigen von ihnen unterhalten. Im Vergleich zu Deutschland sind die Arbeitsbedingungen für osteuropäische Fahrer oftmals katastrophal. "Die meisten von uns werden nach der Strecke bezahlt, rund 50 Cent für einen Kilometer. Wenn wir stehen, verdienen wir kein Geld", schimpft Sebastian.

Daraus resultieren oftmals schwere Unfälle, denn die Fahrer sind häufig übermüdet oder fahren zu schnell. "Wenn ich mich streng an die Lenkzeiten und Geschwindigkeitsbegrenzungen halten würde, wäre meine Familie schon verhungert", sagt der 36-Jährige und schaut mich ratlos an. Wird ein Lohn bezahlt, fällt er gering aus. In Polen liegt er im Durchschnitt bei 1.000 Euro monatlich, in östlicheren Ländern teilweise noch darunter. Dabei sind die Lebenskosten dort inzwischen fast identisch mit denen hierzulande. Viele Fahrer suchen deswegen einen Job in Deutschland. Nicht immer mit Erfolg.

Fahren für einen Hungerlohn

"Ich fahre für fünf bis sechs Euro die Stunde, erzählt mir Andrej aus Lubuskie, der in Deutschland auf etwas mehr Lohn hoffte. "Zudem werde ich schlechter behandelt. An Feiertagen und Wochenenden dürfen meine Kollegen zu Hause bleiben. Ich muss immer fahren, sonst schmeißt mein Chef mich raus." Aber aus Angst vor Arbeitslosigkeit hält der Großteil der Fahrer die Füße still. "Das Sozialsystem in Osteuropa funktioniert nicht so gut wie das deutsche, der Arbeitsmarkt gibt nichts her", klagt der 36-jährige Christoph kopfschüttelnd. Wer eine falsche Bemerkung macht, kann sofort gehen, denn Kündigungsschutz und -fristen sind in Osteuropa entweder unbekannt oder werden einseitig ausgelegt.

Will ein Fahrer den Vertrag beenden, muss er eine dreimonatige Wartezeit einkalkulieren. Doch die Chefs können ihre Angestellten von einem Tag auf den anderen vor die Tür setzen. "Dabei muss schon viel passieren, bis man freiwillig geht", betont auch Zbegef, 56, der selber schon seit über 30 Jahren am Steuer sitzt. "Ein Kollege von mir war seit sechs Jahren an Weihnachten nicht mehr zu Hause und hat zwei Töchter, zwei und fünf Jahre alt. Sein Chef hat sich über die Feiertage überhaupt nicht gemeldet. Dann ruft er zum ersten Mal an und fragt, ob er denn schon losgefahren sei. Der Kollege hat jetzt gekündigt, weil er es einfach nicht mehr ausgehalten hat."

Die Angst vor der Arbeitslosigkeit ist riesig

Ein mutiger Schritt, den sich viele Fahrer nicht zutrauen. Der Stress hat manchmal traurige Folgen. Ich erfahre von einem 49-jährigen Kollegen, der letztes Jahr auf einem Rasthof tot im Lkw aufgefunden wurde – Todesursache Herzinfarkt. In Osteuropa sind außerdem befristete Arbeitsverträge die Regel, das Thema Arbeitslosigkeit ist also ein stetiger Begleiter. Im benachbarten Lkw treffe ich Mariusz aus Wazbrzych. Er ist froh, dass sich endlich mal jemand mit den ausländischen Fahrern befasst, statt immer nur über sie zu schimpfen. "Wir werden oft als Rowdys, Raser und Räuber bezeichnet, die den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen. Dadurch erfahren wir oft Ablehnung und sogar Beschimpfungen. Dabei machen wir nur unseren Job". Der 40-Jährige wünscht sich ein wenig mehr Verständnis und Loyalität von den deutschen Fahrern.

Viele osteuropäische Kollegen sprechen mit mir per CB-Funk über ihre Situation. Jedes Mal, wenn das Thema angeschnitten wird, schalten sich unzählige Fahrer ein und klagen über die vielen Probleme. Zu einem persönlichen Gespräch sind jedoch nur wenige bereit, aus Angst vor dem Chef, Sorge, erkannt zu werden und Bedenken, den Job zu verlieren. Einige Kollegen würden sehr gerne ein paar Minuten anhalten, doch dank GPS-Überwachung ist das nicht möglich. Denn hält der Lkw nicht nach Plan, ruft binnen weniger Minuten der Chef an. "Wir werden komplett überwacht. Wir dürfen nicht einmal anhalten, wenn wir besonders dringend austreten müssen", berichtet ein Fahrer per Funk.

Die harten Arbeitsbedingungen schweißen zusammen

Ich lerne, dass ein Lkw-Führerschein in Polen rund 4.000 Euro kostet, viel Geld, erst recht für junge Menschen. So machen sich viele Firmen die Geldnot und die Angst vor der Arbeitslosigkeit zunutze und bieten den jungen Männern "Knebelverträge" an: Die Firma bezahlt dem Anwärter den Führerschein, dafür muss dieser sich oftmals für viele Jahre fest an das Unternehmen binden. Wird er aufgrund von Eigenverschulden vorher gekündigt, muss er die Kosten für den Führerschein ersetzen. Die jungen Fahrer bekommen dann meist die ältesten Lkw, technisch oft in fragwürdigem Zustand. Sie werden von den Chefs massiv unter Druck gesetzt. Bei den Storys von gefälschten Fahrerkarten, manipulierten Tachografen, Prämien für schneller gefahrene Strecken und ausgebauten Geschwindigkeitsbegrenzern sträuben sich mir endgültig die Haare. Mit Menschlichkeit hat das alles nichts mehr zu tun.

Doch die harten Bedingungen schweißen auch zusammen. Häufig treffe ich auf Fahrer, die es sich gemeinsam in einer Kabine gemütlich gemacht haben, Karten spielen oder Kaffee trinken. So auch Darek, Michal und Pawel "Der Zusammenhalt untereinander ist sehr groß. Wenn jemand ein Problem hat, dann wird ihm geholfen, meist mit Hilfe von CB-Funk", erzählt Darek. Pannendienst, Truck-Service? Davon können er und seine Mitstreiter nur träumen. Wenn ein Reifen platzt, muss er eben gewechselt werden. Dabei begibt sich der Fahrer häufig in Lebensgefahr, wenn er auf dem schmalen Standstreifen das Ersatzrad montiert. Das passiert nicht selten, denn, so erfahre ich, die Chefs sparen an der Sicherheit der Fahrzeuge – oft mit gefährlichen Folgen: mehrfach nachgeschnittene oder völlig abgefahrene Reifen, unzureichende oder defekte Pannenausrüstung, Überladung.

Und immer fehlt die Familie

Ich erinnere mich an einen schneereichen Tag im Winter 2010 als ich per CB-Funk die Fassungslosigkeit eines wütenden Fahrers mithörte, der von seinem Chef kurz vor Weihnachten nach England geschickt wurde – mit Sommerreifen. Kein Einzelfall, wie mir heute bestätigt wird. Häufig sehe ich, wie eine einfache Mahlzeit auf einem kleinen Campingkocher in der Kabine gekocht wird, denn auch Spesen sind ein Luxus, den es in Osteuropa fast nicht gibt. Das Essen an den Rast- und Autohöfen ist zu teuer. Viele Fahrer haben keinen Kühlschrank an Bord – oder er funktioniert nicht. Abhilfe schaffen "Dosenfutter" und Süßigkeiten aus der geliebten Heimat. Immer wieder werde ich Zeuge der großen Gastfreundschaft der osteuropäischen Fahrer und bekomme viele einheimische Naschereien geschenkt.

Besonders traurig: Sehr viele Fahrer haben kleine Kinder, können den Kontakt zur Familie jedoch nur per SMS halten. Telefonieren oder gar das Internet zu nutzen ist zu kostspielig. Es ist spät geworden und die Kabinen werden nach und nach für die Nachtruhe abgedunkelt. Auf dem Weg zum meinem Auto begegne ich noch einmal Wojtek, der jetzt nach Spanien weiterfährt und gerade mit seiner Familie telefoniert: "Papa kommt bald nach Hause", sagt er leise ins Handy. Bald, das bedeutet in 14 Tagen für ein kurzes Wochenende. Als der Lkw langsam vom Parkplatz rollt, winke ich ihm nach und stelle fest: Europa hat noch viele Defizite. Es wird noch lange dauern, bis sich die Arbeitsbedingungen der osteuropäischen Fahrer verbessern werden. Vielleicht ändert sich aber wenigstens die Einstellung ihnen gegenüber ein klein wenig. Denn die Kollegen aus dem Osten sind im Grunde auch nur Menschen mit Familien und Bedürfnissen, so wie wir alle.

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