Heiken: Der ganz große Bringer war die See- und Luftfracht. Wir hatten hohe Frachtraten, die 2022 aber schon wieder etwas gesunken sind. Unterm Strich war es ein erfolgreiches Jahr, obgleich schon relativ früh – bereits ab dem Frühjahr – die dunklen Wolken sichtbar wurden und das Volumen zurück ging. Da war klar, dass der Online-Boom durch die Corona-Zeit, als zum Beispiel Konsumenten in großem Stil Gartenmöbel bestellten und zu Hause renovierten, zu Ende gehen würde. Und natürlich hat der 24. Februar – der Beginn des Krieges – die Abwärtsentwicklung beschleunigt.
Ab Mai waren wir sehr vorsichtig unterwegs. Das relativ hohe Frachtniveau hielt sich zum Glück länger als erwartet, zusätzlich haben wir einige Neukunden gewonnen. Aber wir geben uns für 2023 keinen Illusionen hin: Der Umsatz geht zurück, er steht ja immer in Relation zum Niveau der Frachtraten, das hat Auswirkungen auf das Ergebnis.

Wir erwarten ein Ebit auf dem Niveau deutlich unter 2022, als wir ein Rekordergebnis von rund 211 Millionen Euro erzielt haben. Damit wir auch weiterhin Wachstum generieren, laufen viele Projekte, denn wir sind zugleich mit höheren Kosten konfrontiert, die wir ausgleichen müssen. Zum Beispiel haben wir höhere Personalkosten, aber auch höhere Projektkosten, weil wir zurzeit viele IT-Systeme austauschen.
Es geht um mehrere Systeme. Vor drei Jahren haben wir in der Luft- und Seefracht mit dem Rollout unseres TMS Cargowise begonnen, hier sind die letzten Schritte zu machen, um mehr als 50 Landesorganisationen anzubinden. Wir tauschen auch unser TMS im Landverkehr aus, hierbei handelt es sich um eine Hellmann-Eigenentwicklung. Und zu guter Letzt haben wir eine neue IT-Lösung fürs Finanz- und Rechnungswesen sowie ein neues CRM-System am Start. Der Austausch war unvermeidlich – nicht zuletzt deshalb, weil die Programmiersprache AS400 bei jungen Programmierern nicht mehr verbreitet ist. Mit den neuen Programmen investieren wir in die Zukunftsfähigkeit von Hellmann.
Das meiste Potenzial sehen wir 2023 in der See- und Luftfracht, weil es Märkte gibt, die wir noch nicht so intensiv bearbeitet haben. Wachstumschancen sehen wir bei Verkehren zwischen Europa und Nordamerika sowie zwischen Europa und Asien. Aber auch die Region Lateinamerika entwickelt sich positiv.
Akquisitionen machen wir sehr selektiv, zum Beispiel in Nischen oder wenn wir weiße Flecken auf der Karte sehen. Es sind aktuell keine geplant, da wir auf organisches Wachstum setzen. Bei PKZ handelt es sich nicht um eine strategische Akquisition, das Unternehmen war ja fast 30 Jahre schon unser Partner. Wie in der Slowakei und in Tschechien stärken wir auch in anderen europäischen Ländern unsere Präsenz, indem wir – meist unter Einbindung des langjährigen Partners – Landesgesellschaften gründen. Vor drei Jahren sind wir nach diesem Muster in Frankreich vorgegangen, weitere Länder sollen folgen.
Auch in der Schweiz sind wir dabei, unsere Aktivitäten zu stärken, nachdem wir zu Jahresbeginn unseren langjährigen Partner ATS-Hellmann Worldwide Logistics übernommen haben. Hellmann wird die Produktbereiche über die Luft- und Seefracht hinaus ausbauen – allen voran im Landverkehr: In Kloten bei Zürich haben wir die erste Direct-Load-Niederlassung in der Schweiz eröffnet und können von dort aus nun Teil- und Komplettladungen von der Schweiz aus in alle europäischen Länder disponieren. So genannte Direct-Load-Standorte im Landverkehr betreiben wir aktuell in neun weiteren europäischen Ländern an insgesamt 40 Standorten. Ein solcher kam vor wenigen Wochen erst im österreichischen Kufstein hinzu. Hellmann wird das FTL-/LTL-Netzwerk auch noch weiter ausbauen.
Auch hier stehen die Zeichen auf Ausbau – sei es in Deutschland, Polen oder anderen europäischen Ländern. Zurzeit überarbeiten wir unser Gateway-Konzept für europäische Sammelgutverkehre. In Deutschland gab es erst zu Jahresbeginn einen Neustart, als unsere Kooperation System Alliance in NG.Network umfirmierte – verbunden mit neuen Ideen und Ansätzen.
Neu ist eine Planungssicherheit für alle Partner, konkret beim Thema Netzwerkstabilität. Für die Kooperationsmitglieder ist das ein ganz wesentlicher Punkt. Es wird gemeinsame Investitionen in IT-Tools geben, die zum Beispiel präzise Sendungsprognosen ermöglichen. Wir benötigen diese Tools, um Ladungsspitzen zu planen und um Schwankungen zu vermeiden. Wir fühlen uns NG.Network absolut verbunden und haben kein Interesse an einem eigenen Netzwerk. Vom Wesen und der Funktion einer Mittelstandkooperation sind wir weiterhin absolut überzeugt.
Das Unternehmen ist mehr als 150 Jahre alt, bis vor Kurzem wurde es von Familienmitgliedern geführt, heute von einem nicht familieneigenen Management. Es gibt einen Aufsichtsrat, den Hellmann früher nicht hatte. Wir haben auch eine neue Struktur eingeführt – nämlich eine Matrixorganisation mit klaren Verantwortlichkeiten und Zuordnungen. Und es wurden nach meinem Eintritt bei Hellmann auch Leute ausgetauscht. Das alles hat zu Veränderungen geführt. Viele fragen sich in diesem Umfeld, wo die Reise hingeht. Darauf geben wir Antworten – mit unserer Vision. Sie lautet: „For the better. Together“. Soll heißen: Wir wollen es besser machen, wir wollen es gemeinsam machen.
Wir haben typische Hellmann-Werte konkret benannt. Da ist einmal der Punkt „Caring“. Wir kümmern uns um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kunden sowie die Umwelt, das ist auch eine Herzensangelegenheit der Gesellschafter. Wir wollen „reliable und entrepreneurial“ sein – also verlässlich und unternehmerisch. Und zu guter Letzt heißt die Devise „forward thinking“. Es gilt also, nach vorne zu blicken und innovativ zu sein. Das sind die vier Kernwerte, die uns auszeichnen, eine Art Nordstern und klare Richtungsvorgabe. Und damit kombiniert sind neue Führungsgrundsätze – beziehungsweise eine gesamte Führungs- und Unternehmenskultur.
Wir haben uns ein ganzes Jahr Zeit genommen und die Vision sowie Unternehmenskultur in unserem Top-Management-Team mit 15 Kolleginnen und Kollegen weltweit erarbeitet und entwickelt sowie intensiv mit den Gesellschafterfamilien abgestimmt. Im Februar haben wir die Linie verabschiedet und sind nun mit weltweiten Aktionen in unseren Landesorganisationen in der Umsetzung. Wir haben trotz unterschiedlicher Kulturkreise – ob in Südamerika, Saudi-Arabien oder China – überall die gleichen Werte. Wir hatten vor dieser Aufgabe großen Respekt. Doch die Leute sind begeistert. Unsere Personalleiterin in China sagte: Die Leute werden es lieben.
Ganz wichtig ist es, dass man positiv in den Tag startet und das den Leuten vorlebt. Wir müssen signalisieren, dass die Veränderungen, die auf uns zukommen, eine große Chance sind. Denn neue Themen führen vielfach zu Verunsicherung – seien es die Künstliche Intelligenz oder die Aufnahme von speditionellen Tätigkeiten durch die großen Reedereien, die beginnen, Flugzeuge und Speditionen zu kaufen. Wir dürfen uns davon nicht verunsichern oder beirren lassen. Wir werden unseren Weg weiter gehen – mit der Grundeinstellung „For the better. Together“.
Das Unternehmen
- Hellmann Worldwide Logistics mit Zentrale in Osnabrück beschäftigt in 54 Ländern rund 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Schwerpunkte sind Luft- und Seefracht, Logistiklösungen und Landverkehre (Bahn, Straße, letzte Meile). Hellmann wurde 1871 gegründet und versteht sich auch heute noch als Familienunternehmen.
- Im vergangenen Jahr erzielte das Logistikunternehmen mit fünf Milliarden Euro einen Redordumsatz (plus 24 Prozent gegenüber Vorjahr) und mit 211 Millionen Euro ein Rekordergebnis (plus 31 Prozent gegenüber Vorjahr). Das Transportvolumen stieg ebenfalls zweistellig von 18 auf 20 Millionen Sendungen. Hellmann schlüsselt den Umsatz nicht auf die vier Bereiche Luftfracht, Seefracht, Landverkehr und Logistik auf. Mit Blick auf den Rohertrag seien sie (mit einem Anteil von jeweils einem Viertel) aber alle ähnlich stark, heißt es.
Zur Person
- Reiner Heiken (61) ist seit Dezember 2018 Vorstandsvorsitzender von Hellmann Worldwide Logistics.
- Davor war er zwei Jahre lang als CEO für die Region Europa bei DB Schenker verantwortlich.
- Fast 20 Jahre lang war der Manager zuvor in unterschiedlichen Führungsfunktionen in der Kühne+Nagel-Deutschland-Zentrale in Hamburg und in Dubai tätig, zuletzt als Geschäftsführer der deutschen Landesgesellschaft.
- Heiken absolvierte eine Ausbildung zum Schiffs-Offizier bei Hapag-Lloyd und setzte ein Studium an der Hochschule Bremen auf, das er als Diplom-Nautiker abschloss. Im Anschluss war er für namhafte Reedereien tätig.