Der Schlussbericht der Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) zum entgleisten Zug im Gotthard-Basistunnel bringt es ans Licht. Die sogenannten LL-Bremssohlen (Low noise, Low friction – wenig Lärm, wenig Abrieb) waren für das Unglück verantwortlich. Die Schweizerischen Bundesbahn (SBB) schlägt Alarm. Warum der bei den Bremssohlen verwendete Verbundstoff laut SBB eine Gefahr darstellen kann – und was das Unternehmen fordert.
Überhitzung der LL-Bremssohlen führt zu Radbrüchen
Der am 10. August 2023 entgleiste Güterzug hatte nicht nur für eine Sperrung des Gotthard-Basistunnels gesorgt, sondern auch Fragen aufgeworfen. Nun ist die Unfallursache geklärt: Ein Radscheibenbruch mit einem von LL-Bremssohlen gebremsten Rad war die Unfallursache. Diese LL-Bremssohlen führen zu höheren thermischen Belastungen von Rädern als die früheren Grauguss-Bremssohlen. Trotzdem werden gemäß SUST-Bericht nach wie vor die gleichen Wartungsmethoden angewandt. Thermische Belastungen können in der weiteren Folge zu Spannungen und Rissen führen, die gegebenenfalls in Radbrüchen münden. Mittlerweile sei es zu einer Häufung derartiger Vorfälle in Europa gekommen, heißt es seitens der SBB.
SRF-Bericht schlägt schon vor Monaten Alarm
Den Stein ins Rollen gebracht hatte allerdings ein Fernsehbericht des Schweizer Senders SRF vom 26. Februar 2025. Darin hatten vier Experten, darunter drei Pensionäre, bereits von einem „systematischen Problem“ gesprochen. Dabei meldeten sich Ruedi Beutler, Ex-Flottenchef der SBB, der ehemalige Sicherheitsexperte beim Bundesamt für Verkehr Hanspeter Hänni, der frühere Materialexperte der Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) Markus Diener sowie Roland Müller, Experte für Rad und Schiene – als einziger noch nicht pensioniert – zu Wort. Sie wollen die Öffentlichkeit aufrütteln. Denn bei Güterwagen werde, anders als bei den Personenzügen, bei der Bremse gespart. Kommen bei Personenzügen Scheibenbremsen zum Einsatz, sind das bei Güterzügen Klotzbremsen, bei denen der Bremsklotz, die dort direkt auf das Rad einwirkt. Insbesondere bei den aus Verbundstoff bestehenden LL-Bremssohlen werde das zum Problem, hieß es dort bereits vor Monaten.
SBB ist besorgt: Unfallrisiko ist derzeit zu hoch
Nun tritt also auch die SBB auf den Plan: Es brauche deswegen so rasch wie möglich griffige Maßnahmen, heißt es jetzt seitens des Unternehmens. Die SBB unterstütze die Sicherheitsempfehlungen der SUST und fordere die zuständigen Behörden in der Schweiz (BAV, Bundesamt für Verkehr) und vor allem in Europa (ERA, Eisenbahnagentur der Europäischen Union) zum raschen Handeln auf, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens. Ansonsten müsse aus Sicht der SBB der Einsatz von Güterwagen mit LL-Bremssohlen in der Schweiz und in Europa eingeschränkt oder gar verboten werden.
SBB steigt aus Transport von Wagen mit LL-Bremssohlen aus
Die SBB werde im Güterverkehr schrittweise und so schnell wie möglich aus dem Transport von Wagen mit LL-Bremssohlen aussteigen, bis griffigere behördliche Maßnahmen zur Modernisierung und Verbesserung des Unterhalts erlassen wurden. Der Großteil des Ausstiegs werde bis Ende des Jahres und in enger Absprache mit den Kunden erfolgen, um deren Logistikabläufe so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Im Eigentum des SBB Güterverkehrs befinden sich keine Wagen mit LL-Bremssohlen. Im Übrigen werde die SBB Güterwagen intensiver kontrollieren, um sichtbare Mängel zu erkennen. Haarrisse in Rädern durch thermische Überbelastung seien visuell allerdings nicht auszumachen, sondern nur in Instandhaltungswerken.
SBB hat Maßnahmen ergriffen
Wie bereits vor Erscheinen des SUST-Abschlussberichts kommuniziert, unternehme die SBB alles, um die Sicherheit auf der Bahninfrastruktur zu gewährleisten, heißt es. Sie betreibe dafür ein dichtes Sicherheits-Überwachungsnetz und habe bereits Maßnahmen im Zusammenhang mit der SUST-Empfehlung zu den Weichen umgesetzt: So ist mittlerweile die Geschwindigkeit bei den Portalbereichen des Gotthard-Basistunnels auf 160 km/h reduziert. Die SBB plant zudem, bei den Spurwechseln vor und im Gotthard-Basistunnel Entgleisungsdetektoren zu installieren. Aktuell werde ein entsprechender Prototyp erstellt.