"Puzzlesteine zusammensetzen"

E-Inftrastruktur schaffen
"Puzzlesteine zusammensetzen"

Michael Voll, Vice President MAN Transport Solutions, über den Planungsprozess für E-Lkw-Kunden - vom Netzanschluss bis zum Batteriespeicher.

MAN etgx
Foto: MAN Truck & Bus
trans aktuell: Herr Voll, was ist aus ihrer Sicht die Motivation Ihrer Kunden, das durchaus komplexe Thema Elektromobilität anzugehen?

Michael Voll: Aus meiner Erfahrung überwiegt der intrinsische Beweggrund, also die eigene Motivation, Elektromobilität auszuprobieren. Wir nehmen aber auch wahr, dass die Kunden unserer Kunden zunehmend an dem Thema CO2-Bilanz interessiert sind. Und deren Nachfrage führt dazu, dass die Spediteure wiederum bei unserem Vertrieb nach Lösungen fragen. Unsere Vertriebskollegen können diese ersten Fragen meist hinreichend beantworten, weil sie zum Thema E-Mobilität umfangreich geschult sind. Für umfassendere Beratung planen die Vertriebsbeauftragten dann einen Termin mit den Kunden und dem Team von MAN Transport Solutions. Wir haben zudem das Online-Tool "MAN eReadyCheck", mit dem jeder Kunde anhand einiger weniger Parameter bereits selbst prüfen kann, ob ein E-Lkw für ihn aktuell in Frage kommt.

Wie geht es weiter?

Unser Team – aktuell sind wir 14 Mitarbeiter, vom Logistik- und ÖPNV-Experten bis zum Energiefachmann – verfolgt in der E-Mobilitäts-Beratung einen 360-Grad-Ansatz. Nach dem ersten Gespräch mit dem Kunden folgt daher die Abfrage der Daten zu Touren, die der Kunde auf einen klimaneutralen Transport umstellen möchte, aber auch Daten zur Depotauslegung, beispielsweise zur vorhandenen Anschlussleistung. Mit dem 360-Grad-Ansatz betrachten wir nicht nur das Fahrzeug, sondern klären auch, wie viele Ladepunkte mit entsprechender Ladeleistung der Kunde künftig für das Depot einplanen muss, um seine Flotte mittel- bis langfristig umzustellen.

Das heißt, die Planung geht schon in Richtung E-Flotte, obwohl mitunter noch gar kein E-Lkw im Fuhrpark ist?

Ja, denn unsere Beratung beinhaltet einen Flottentransformationsplan. Uns ist es wichtig, dass unsere Kunden den Prozess bis zum Ende durchdenken können, das spart im Folgeprozess weitere Kosten. Wenn der Kunde in Zukunft beispielsweise 25 BEV-Fahrzeuge besitzen möchte, und dafür mindestens zwei Megawatt zusätzliche Leistung im Depot benötigt, dann sollte er diesen Bedarf schon heute im Gespräch mit dem Energieversorger anmelden. Damit vermeidet man eine Art von Salami-Taktik, die eine strategische Netzwerkplanung erschwert und unnötige Kosten verursacht.

Viele Unternehmen starten mit einem Fahrzeug und können sich noch gar nicht 25 auf dem Hof vorstellen – gibt es nicht die Befürchtung, überdimensioniert zu planen?

Durch die detaillierte Ausarbeitung des Flottentransformationsplans vermeiden wir dieses Risiko. Die meisten Kunden fangen mit einem Piloten an – ein bis drei Fahrzeuge – und planen den Bedarf, der dafür notwendig ist. Wir zeigen dem Kunden aber perspektivisch auf, was für eine Komplettlösung etwa im Jahr 2030 nötig sein wird.

Kann man denn eine bestehende Flotte einfach hochskalieren? Noch gibt es ja nicht für alle Anwendungsfälle im Straßengüterverkehr ein elektrisches Fahrzeug.

Mit ein paar wenigen Einschränkungen ist das heute schon möglich. Wir starten mit der detaillierten Planung für einen ersten Piloten, die dem Kunden auch die Planungssicherheit für die kurzfristige Flottenumstellung gibt. Die weiteren Schritte planen wir dann immer zusammen mit dem Kunden und im Detail weiter aus – durch diese Vorgehensweise steigern wir das Vertrauen der Kunden in ein umsetzbares Szenario und lernen beiderseits für die weiteren Schritte.

Wie sind dann die weiteren Schritte, etwa zum Netzzugang oder bis zur Ladeinfrastruktur und dem Fahrzeug?

Den gesamte Prozess – von der Beratung über die Infrastruktur – steuert übergeordnet der Vertriebsbeauftragte. Wir von MAN Transport Solutions übernehmen lediglich die Beratung, und im Rahmen derer schaffen wir auch weitere wichtige Kontakte zu Partnern, wie ABB, Heliox oder Schaltbau, wenn es um das Thema Kauf, Miete und Aufbau von Ladeinfrastruktur geht. Wir können den Kunden auch informieren, welchen Netzbetreiber er ansprechen muss, aber den Kontakt muss er als Endkunde letztlich selbst herstellen.

Dreh- und Angelpunkt für E-Mobilität ist der eigene Strom – beraten Sie auch dazu?

Ja, denn das ist ein wesentlicher Punkt, der das Thema TCO bei unseren Kunden beeinflusst. Wir zeigen unseren Kunden auf, welche positive Auswirkung der Einsatz einer Photovoltaik-Anlage bringen kann; wir berechnen, wie sich die eigene Stromerzeugung auf den eigenen Strompreis auswirkt. Mit einem MAN-eigenen Energieplanungstool können wir weiterhin berechnen, welche Fläche für PV-Kollektoren auf einer Halle möglich ist oder wie viel Strom generiert werden kann, und welchen Einfluss das auf den Strompreis- und -verbrauch pro Jahr hat. Wir verfügen über mehrere Kontakte zu Herstellern von Batteriesystemen und -speichern und können diese Bausteine ebenfalls in einer Planung mit einbeziehen. Die technische Umsetzung erfolgt durch Projektpartner. Wir zeigen dem Kunden sozusagen die Bausteine auf, die er nutzen kann. So gesehen ist die E-Mobilität ein eigenes Ökosystem, das aus vielen Puzzleteilen besteht, die es gilt, optimal zusammenzusetzen.

Ist E-Mobilität denn aktuell mehr das Thema von Großkunden?

Natürlich wird bei großen Transportdienstleistern das Thema CO2-Reduzierung eher nachgefragt, aber zu den Kunden von MAN Transport Solutions gehören auch kleine und mittelständische Flottenbetreiber. Darunter auch Unternehmen im Sammelgutbereich.

Wie funktioniert das?

Das sind beispielsweise Dienstleister, die Kleinstmengen bei vielen Lieferanten einsammeln. Die sehen in der E-Mobilität durchaus ein Geschäftsmodell und wollen durch uns prüfen lassen, ob ihr Konzept funktioniert. Natürlich ist im Komplettladungsverkehr mit einer Tageslaufleistung von 800 Kilometern oder jährlich 120.000 Kilometern die TCO-Parität schneller zu erreichen. Aber gerade stadtnahe Verkehre – seien es Getränke, Lebensmittel oder Stückgut – sind für den Einsatz von E-Lkw prädestiniert, weil die Reichweite ausreicht und die Fahrzeuge meistens in einem Depot zwischengeladen werden können. Also genau der richtige Einsatz, um das Thema E-Mobilität anzustoßen.

Gibt es denn auch Kunden, die nicht über das erste Beratungsgespräch hinaus gehen?

Ja, wir zeigen wie gesagt alle Möglichkeiten auf. Nicht immer kommt es aber gleich zu einem Verkauf. Aktuell haben wir einen Kunden, den wir bereits vor zweieinhalb Jahren beraten hatten, und der jetzt erst ein Fahrzeug gekauft hat. Auf der IAA Transportation haben wir aber auch Fahrzeuge direkt aus der Beratung heraus verkauft.