Maersk als Spediteur: Reederei macht Konkurrenz

Maersk als Container-Spediteur
Reederei macht Konkurrenz

Reederei Maersk wird bei Containerdiensten zum Konkurrenten für Spediteure. Europa-Geschäftsführer Karsten Kildahl im Interview.

Maersk-Container bei der Verladung am Terminal
Foto: Maersk
trans aktuell: Herr Kildahl, auf welchen Weg hat sich Maersk gemacht?

Kildahl: Maersk hat sich 2016 dafür entschieden, das Unternehmen auf Transport und Logistik auszurichten. Für unsere vier Öl- und ölverwandten Unternehmen Maersk Oil, Maersk Drilling, Maersk Tankers und Maersk ­Supply Service wurden deshalb neue Eigentümerstrukturen gefunden. Wir wollen der weltweit führende globale Integrator für Containerlogistik werden.

Was bedeutet das?

Früher waren wir auf den Ozeanen von einem Hafen zum anderen unterwegs. Wenn die Fracht ankam, haben wir den Empfänger benachrichtigt, der hat sich an den Zollagenten gewandt, dann wurde ein Lkw-Unternehmen oder die Bahn eingeschaltet, und immer war der Kunde eingebunden. Heute bieten wir an, das alles gebündelt in einer Hand abzuwickeln. Wir übernehmen beispielsweise Fracht in China und liefern sie direkt ins Lager oder zur Verkaufsstelle eines Kunden in Eu­ropa – als integrierte Lösung.

Was hat zur neuen Ausrichtung von Maersk geführt?

Es werden End-to-End-Lösungen gebraucht. Unsere Kunden wollen, dass ihre im Zuge der Globalisierung immer komplexer gewordene Lieferkette weiterhin belastbar ist. Dafür muss sie beweglich sein. Man sollte – wie sich gerade auch in der Pandemie gezeigt hat – schnell auf unvorhersehbare Nachfragen der Verbraucher reagieren können. Covid und die damit verbundenen Herausforderungen haben diesen Trend noch verstärkt.

Was prädestiniert Maersk für diese Aufgabe?

Wir haben die Kontrolle über Schiffe und Häfen, Lkw, Züge, Flugzeuge oder Lagerhäuser. Wir können dringend benötigte ­Ladung schneller zum Kunden bringen, indem wir sie anders routen, und wir können Güter lagern, die nicht wirklich gebraucht werden. Das alles unterstützt von neuen Technologien für eine transparente, effiziente Lieferkette. Wir wollen den gesamten Weg mit unseren Kunden gehen, von der Fabrik bis zum Kleiderschrank.

Die Digitalisierung spielt eine große Rolle …

Das ist richtig. Wir bauen eine neue Technologieplattform auf mit durchgehend standardisierten und automatisierten Prozessen. Damit die neuen Technolo­gien aber ihr Potenzial voll entfalten können, brauchen wir grundlegende Veränderungen beim Sammeln und Integrieren der Daten innerhalb der Branche. Sie sollten zwischen den verschiedenen Akteuren in der Lieferkette harmonisiert sein, damit Entscheidungen schneller und fundierter getroffen werden können. Mit sauberen Echtzeitdaten können neue KI-Modelle Störungen vorhersagen, bevor sie auftreten.

Hat Maersk eine eigene Flotte?

Nein. Weder bei Binnenschiffen noch bei Lkw haben wir eigene Flotten, sondern vergeben die Aufträge an Subunternehmer. Wir arbeiten europaweit im Straßentransport mit 308 Dienstleistern aus 34 Ländern zusammen. Sie kommen aus nahezu allen EU-Staaten, aus Norwegen oder der Schweiz ebenso wie aus Russland, der Ukraine und Belarus, aus Ägypten, der Türkei oder Israel und Marokko.

Handelt es sich dabei eher um größere oder kleinere Unternehmen?

Das ist ein Mix, wobei wir eine gewisse Größe bevorzugen, weil wir dann weniger Verträge abschließen müssen. Aber grundsätzlich zählt für uns am meisten, dass die Subunternehmen in Übereinstimmung mit unseren Werten arbeiten, dass sie sich beispielsweise an die EU-Standards für Emissionen oder Sozialvorschriften halten.

Welche Rolle spielen Klimaziele?

Bei europäischen Inlandsverkehren versuchen wir, CO2 aus den Lieferketten herauszunehmen, indem wir so viele Verkehre wie möglich vom Lkw auf Schiene und Binnenschiff verlagern. In Deutschland fahren die Züge ja sogar mit erneuerbarer Energie. Momentan sind unsere Kunden sehr bereit für eine Verlagerung.

Wie wirkt sich das aus?

Der Schienenanteil bei den Transporten ist groß. Wir wickeln in Bremerhaven – unserem Haupthafen in Deutschland – mehr als 100 Züge pro Woche ab. Von dort aus haben wir Verbindungen nach Osteuropa oder nach Österreich und in die Schweiz. Spanien ist ein weiteres großes Bahngebiet für uns mit 125 Ganzzügen pro Woche. Aber wir fahren auch wöchentlich 40 Züge von Rotterdam ins deutsche Hinterland, nach Duisburg, Germersheim oder Wolfsburg zum Beispiel.

Zugfahren gehört also zum Kerngeschäft?

Wir machen das nicht ab und zu, sondern in großem Umfang. In Spanien haben wir kürzlich mit Ikea Güter mit dem Zug von Barcelona ins Zentrallager nach Tarragona gebracht. Das hat im Vergleich zum Lkw 70 Prozent der CO2-Emissionen gespart. Die ­Verlagerung ist nicht nur sinnvoll, um Emissionen zu verringern, sondern auch, weil es so viele Staus auf der Straße gibt.

Welche weiteren Trends sehen Sie?

Neben der Agilität der Lieferkette wird deutlich, dass sich unsere Kunden verstärkt auf das Thema Resilienz konzentrieren. In den vergangenen Jahrzehnten wurde die Lieferkettenlogistik nur als ein Kostenfaktor gesehen, der so gering wie möglich sein ­sollte. Jetzt aber werden robustere Lieferketten gewünscht, die mit unerwarteten betrieblichen Ereignissen, Sperrungen oder Wettereinflüssen fertigwerden. Die Erarbeitung von Lösungen wird komplexer, aber Kosten­dimension und Resilienz beginnen, Hand in Hand zu gehen.

Wie sieht es beim Thema Klimaschutz aus?

Unsere Umweltprobleme werden sich nicht von selbst lösen, wir alle müssen dazu beitragen und werden von den Verbrauchern ständig daran erinnert. Ich glaube, dass bald jedes Produkt einen CO2-Fußabdruck auf dem Etikett hat, der zeigt, welche Auswirkungen Produktion oder Transport hatten. Wir versuchen, hier eine Führungsposition einzunehmen.

Wie das?

Wir wollen über die Gesetzgebung hinausgehen und die Umweltbelastung durch den Transport letztlich ganz eliminieren. Unser Ziel bis 2050 ist eine kohlenstoffneutrale Lieferkette von Anfang bis Ende. Wir haben gerade unser erstes Feederschiff bestellt, das komplett grün fährt. Es wird 2023, sieben Jahre früher als geplant, ausgeliefert und mit Methan als Kraftstoff in Nord­europa unterwegs sein.

Sie sind gegen LNG?

Ja. Wir glauben nicht, dass LNG die richtige Lösung ist. Die CO2-Emissionen sind damit zwar geringer, aber LNG setzt andere Treibhausgase frei, die weitaus gefährlicher sind als CO2. Wir brauchen grüne Kraftstoffe.

Zur Person

Maersk-Europa-Chef Karsten Kildahl
Maersk/Bo Nymann
Maersk-Europa-Chef Karsten Kildahl
  • Karsten Kildahl (54) kam 1987 zu A. P. Møller-Maersk und arbeitete zunächst auf verschiedenen Positionen 13 Jahre in Asien.
  • 2003 wurde er zum Vice President ernannt und kehrte nach Kopenhagen zurück, zunächst als Head of Trade und später als Global Head of Sales and Marketing. 2012 übernahm er die Verantwortung für die Region Nordeuropa von Maersk Line, seit 2017 leitet er die Region Europa von Maersk, die 50 Länder in Europa und Nordafrika abdeckt.
  • Kildahl ist Vorstandschef bei Sealand, der innereuropäischen Reederei von Maersk, und beim Zolldienstleister KGH Customs Services.
  • Der Däne hat vier ­erwachsene Kinder.

Die Transformation von Maersk

  • A. P. Møller-Maersk ist seit 1993 die größte Containerreederei der Welt und das größte Unternehmen Dänemarks. Der in Kopenhagen ansässige Konzern mit etwa 83.000 Mitarbeitern hat bei einem Umsatz von rund 39 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 einen Gewinn von 2,85 Milliarden ­US-Dollar erwirtschaftet.
  • Die Neuausrichtung des Unternehmens wurde 2016 beschlossen. Dazu gehört „die Transformation unseres Ozeangeschäfts […] von einem Anlagenbetreiber und Kapazitätsanbieter in einem hochgradig standardisierten Markt zu einem kundenorientierten Marktführer für differenzierte Lösungen“, so eine Präsentation.
  • Die Speditionstochter Damco mit den Geschäftsbereichen Luftfracht und Containerteilladungen war 2019 in das Unternehmen integriert worden, kurz darauf wurden neue Lager-, Distributions- und Zolldienstleister übernommen, etwa 2020 der schwedische Zolldienstleister KGH und das US-amerikanische Unternehmen Performance Team mit mehr als 800.000 Quadratmeter Lagerkapazität. Maersk sieht sich nicht mehr als Reeder, sondern als „führendes Unternehmen in der Logistik“. Die Abgrenzung zur Spedition löst sich auf.
  • Maersk als Carrier umgehen zu wollen, ist kaum eine realistische Option. Das Unternehmen hat laut Alphaliner bei Kapazitäten von 4,1 Millionen TEU einen Marktanteil von 17 Prozent in der Containerschifffahrt. Allianzpartner MSC liegt auf Platz zwei der Rangliste mit 3,9 Millionen TEU und einem Marktanteil von fast 16 Prozent. Die zehn größten Linienreeder decken 84 Prozent des Markts ab.
  • Der drittgrößte Reedereikonzern CMA CGM hatte 2019 den internationalen Logistikkonzern Ceva geschluckt, der ebenfalls zu einem kompletten Supply-Chain-Anbieter entwickelt wird.