Humanitäre Logistik bei DHL: Logistik für die Krise

Humanitäre Logistik bei DHL
Logistik für die Krise

Wie humanitäre Logistik funktioniert und warum dabei die Supply Chain so wichtig ist – ConnectChains-Veranstaltung am 5. Dezember in Berlin.

DHL, humanitäre Logistik, Katastrophenhilfe, Luftfracht
Foto: DHL

Der 26. Dezember 2003 war ein Schlüsselmoment für die DHL Group. Ein Erdbeben der Stärke 6,6 auf der Richterskala zerstörte die iranische Stadt Bam, zehntausende Menschen wurden getötet oder verletzt. „Unmittelbar nach der Katastrophe schickten viele Länder und Organisationen weltweit große Mengen an Hilfsgütern per Luftfracht in das Land“, berichtet Christoph Selig, Vice President Sustainability Communications and Programs beim Logistikdienstleister DHL, gegenüber trans aktuell.

Der kleine Provinzflughafen in Bam sei dem plötzlichen Anstieg des Flugverkehrs und den Frachtmengen allerdings nicht gewachsen gewesen – der Betrieb kam zum Erliegen. „Das war der Moment, an dem uns klar wurde, dass wir mit unserer Expertise im Bereich der Flughafenlogistik Hilfsorganisationen an ganz entscheidender Stelle unterstützen können“, sagt Selig.

Aus dieser Erkenntnis entstand das GoHelp-Programm, eines von vier Corporate Citizenship-Programmen der DHL Group. Corporate Citizenship integriert gesellschaftlich verantwortungsvolles Handeln in die Unternehmenskultur. Unternehmen kooperieren dabei mit externen Partnern und übernehmen gemeinnützige Aktivitäten. DHL arbeitet zum Beispiel eng mit den Vereinten Nationen und mit Nichtregierungsorganisationen (NROs/NGOs) zusammen.

Corporate Citizenship-Programme der DHL

Neben GoHelp mit dem Fokus auf Katastrophenmanagement, -hilfe und -prävention, gibt es bei DHL noch die Programme GoGreen (Nachhaltigkeit und Umweltschutz), GoTeach (Übergang von der Schule in den Beruf) und GoTrade (Handelsförderung und -erleichterung in Entwicklungsländern).

Das GoHelp-Programm unterteilt sich laut Selig in die beiden Bereiche Katastrophenhilfe (Disaster Response Teams, kurz: DRT) und Katastrophenvorsorge (Get Airports Ready for Disaster, kurz: GARD). Auf Anforderung des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) entsendet dei DHL Group die DRT zu den Flughäfen, die logistische Hilfe benötigen. Dabei decken die DRT etwa 80 Prozent der Länder ab, die einem erhöhten Risiko großer Naturkatastrophen ausgesetzt sind.

Christoph Selig, Vice President Sustainability Communications and Programs, DHL Group
DHL/Joel Sheakoski

"In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben wir etwa 55 Einsätze absolviert." Christoph Selig, Vice President Sustainability Communications and Programs bei DHL

In Deutschland war GoHelp nach der Flut im Ahrtal im Jahr 2021 im Einsatz. Deutschland sei zwar „kein klassisches GoHelp-Land“, aber viele DHL-Mitarbeitende waren persönlich betroffen und die Zentrale der DHL Group in Bonn nicht weit vom Ort des Geschehens entfernt. „Der Wille, den Menschen im Ahrtal zu helfen, war überwältigend – nicht nur bei uns im Konzern“, sagt Selig.

Die Freiwilligen, die für GoHelp aktiv sind, kommen aus allen Unternehmensbereichen von DHL. Sie sind Luftfrachtexperten oder Spezialisten für Warehouse und Supply Chain. Unentgeltlich übernehmen sie logistische Aufgaben, wie zum Beispiel das Entladen von Flugzeugpaletten und die Organisation der geordneten Einlagerung. Zudem koordinieren sie die geordnete Abgabe lebenswichtiger Güter an die Hilfsorganisationen im Katastrophengebiet. „In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben wir etwa 55 Einsätze absolviert“, berichtet Selig, der seit 2011 bei DHL arbeitet und vor seiner Position als Vice President viele Jahre im GoTeach-Programm aktiv war.

Soziales Engagement kommt gut an

Das Corporate Citizenship-Programm komme bei den Mitarbeitenden gut an. 78 Prozent der DHL-Mitarbeitenden gaben im Jahr 2023 bei einer internen Befragung an, dass sie stolz auf das soziale Engagement ihres Arbeitgebers sind. Daher stellen die Mitarbeitenden ihr Know-how auch gerne unentgeltlich zur Verfügung. Denn: Die logistischen Dienstleistungen wie Transport, Fracht oder Ladung sind nicht kostenlos. Die Expertise in der Flughafen- und Lagerlogistik, das globale Netzwerk und die lokale Präsenz in fast jedem Land aber schon.

Momentan entwickeln Selig und sein Team eine Toolbox für humanitäre Logistik. Sie soll Organisationen, die oft nicht über das nötige Fachwissen verfügen, um wirksame Katastrophenhilfe zu leisten, grundlegende Logistikschulungen anbieten. DHL-Mitarbeitende lehren in Online- und Präsenzkursen nützliches Wissen in den Bereichen Lieferkettenmanagement, Zollverfahren und Frachtlogistik. „Damit wollen wir die Wissenslücke in der Logistik schließen, die die Hilfe in Notsituationen verzögern kann“, sagt Selig.

KI für Kriegs- oder Krisengebiete

In der Wissenschaft wird ebenfalls an Verbesserungen für die humanitäre Logistik geforscht. Prof. Dr. Stephan Wagner, Inhaber des Lehrstuhls für Logistikmanagement und Direktor des Humanitarian Operations and Supply Chain Management Labs der ETH Zürich, arbeitet unter anderem daran, mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) den Bedarf an Medizinischen und Nicht-Medizinischen Materialien in Kriegs- oder Krisengebieten besser vorherzusagen. „Technologie und Digitalisierung spielen in der humanitären Logistik eine zunehmende Rolle“, sagt Wagner und nennt als Beispiele Drohnen oder 3D-Druck-Verfahren.

Eine zentrale Stellung in der humanitären Logistik nimmt die Supply Chain ein. Logistik- und Supply Chain-Kosten, inklusive der Beschaffungskosten, machen laut Wagner 60 bis 80 Prozent der Kosten humanitärer Organisationen aus. „Einsparungen in diesem Bereich können dafür eingesetzt werden, mehr hilfsbedürftige Menschen zu erreichen“, so Wagner. Zu Beginn eines humanitären Einsatzes sollte laut Wagner immer eine Supply Chain-Strategie stehen, die Zielgruppen und Warengruppen-orientiert ausgerichtet ist.

Studie zur Zusammenarbeit

Von Vorteil sind laut Wagner auch sektorübergreifenden Partnerschaften. Erste Ergebnisse dazu aus einer entsprechenden Studie stellt er gemeinsam mit Prof. Sander de Leeuw vom Lehrstuhl für Operations Research and Logistics an der niederländischen Wageningen University auf der Veranstaltung ConnectChains – Humanitarian Supply Chain Conference in Berlin vor (siehe Kasten). Dabei geht es um die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen in der Privatwirtschaft und Organisationen im humanitären Sektor. Die Studie geht den Fragen nach, wie erfolgreich solche Partnerschaften sind, welche Vorteile den Beteiligten daraus entstehen und wo die Herausforderungen der Zusammenarbeit liegen.

Alle sollten an einem Strang ziehen

Wichtig ist laut Dr. Florian Eck, Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforum (DVF), dass bei einem humanitären Einsatz alle an einem Strang ziehen. Fast Lanes mit beschleunigter Zollabfertigung müssten eingerichtet werden, ebenso wie Ausnahmegenehmigungen, um die Betriebszeiten zu erweitern. „Die humanitäre Logistik ist in Deutschland gut aufgestellt, mit eingespielten Prozessen zwischen staatlichen Organen und ihren Krisenstäben, Hilfsorganisationen, Logistikdienstleistern und unterstützenden militärischen Einheiten“, sagt Eck.

Hilfsorganisationen profitieren laut Eck von einem direkten Draht zu den Logistik- und Transportunternehmen, um ihre mobilen Versorgungs- und Krankenstationen schnellstmöglich in Bewegung zu setzen. „Wichtigstes Element ist die enge Abstimmung zwischen allen Beteiligten.“

ConnectChains – Humanitarian Supply Chain Conference in Berlin

  • Die ConnectChains – Humanitarian Supply Chain Conference findet am 5. Dezember 2024 in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen in Berlin statt.
  • Im Fokus stehen der Wissenstransfer und die Vernetzung aller Akteure im humanitären und kommerziellen Supply Chain Management (SCM). Ziel: Krisensituationen künftig noch besser bewältigen.
  • Zielgruppe: Logistik- und SCM-Experten in humanitären und Entwicklungshilfeorganisationen sowie Logistikunternehmen. Eingeladen sind auch Vertreter von Stiftungen, der Wissenschaft und von Regierungen sowie internationale Geldgeber.
  • Das Gewinnerprojekt der Lynn C. Fritz Medal for Excellence in Humanitarian Logistics 2024 wird vorgestellt.
  • In einer Podiumsdiskussion diskutieren Experten zum Thema „Infrastruktur & Prozesse – wie Häfen und Flughäfen die humanitäre Logistik besser unterstützen können“.