Zwei Unternehmen lassen es krachen: GP Joule will 5.000 – in Worten: fünftausend – mit Wasserstoff (H2) angetriebene Lkw bei Clean Logistics beziehen. Die Meldung kam einem Paukenschlag gleich und warf bei den Leserinnen und Lesern viele Fragen auf. Wer, bitteschön, sind diese beiden Unternehmen? Nehmen die Newcomer in der Logistik mit dieser Ankündigung den Mund nicht zu voll? Ist ihnen die Komplexität des Ganzen überhaupt bewusst? Sind sie sich darüber im Klaren, dass es in Deutschland bislang weder eine nennenswerte H2-Lkw-Flotte noch ein adäquates H2-Tankstellennetz für Trucks gibt, geschweige denn auch nur ansatzweise ausreichenden regenerativ erzeugten Wasserstoff?
Die Redaktion nimmt die Ankündigung zum Anlass, um der Sache auf den Grund zu gehen. Wir konfrontieren Vertreter beider Häuser mit den drängenden und kritischen Fragen, die sich zurzeit viele Flottenbetreiber stellen. Beide Seiten nehmen sich viel Zeit, um ihre Pläne zu erläutern.
Wirkliche Newcomer sind beide Unternehmen nicht. Die GP Joule-Gruppe mit Hauptsitz in Reußenköge in Schleswig-Holstein gibt es seit 2009, sie beschäftigt mehr als 500 Mitarbeiter. Clean Logistics aus Hamburg mit Produktion im niedersächsischen Winsen (Luhe) ist das jüngere Unternehmen: Das 2018 aus der Taufe gehobene Start-up machte Ende Juni von sich reden, als es auf dem Flugplatz Stade mit dem Fyuriant eine langstreckentaugliche Zugmaschine mit Wasserstoff-Brennstoffzellenantrieb präsentierte. Vorstandschef des börsennotierten Unternehmens ist Dirk Graszt.

Der 58-Jährige ist mit seinen Stationen als Chef des Logistikunternehmens Hary oder in führenden Funktionen bei Krone beziehungsweise beim Containerchassis-Vermieter Paul Günther vielen in der Branche bekannt. Ihn habe es als Praktiker geärgert, dass die etablierten Hersteller auf ihrem hohen Ross gesessen hätten und sich nicht aufs Thema Wasserstoff einlassen wollten – also ist er selbst in die Bresche gesprungen. Voriges Jahr bestand Clean Logistics aus fünf Leuten, mittlerweile sind es seinen Angaben zufolge 180.
„Jedes emissionsfreie Fahrzeug im Güterverkehr ist ein gutes Fahrzeug“, betont Clean Logistics-CEO Dirk Graszt. Im Verteilerverkehr habe der batterieelektrische Lkw schon seine Berechtigung, sagt der Unternehmer. „Voraussetzung: Die Stromnetze geben es her.“ Genau hier hat er seine Zweifel, wenn Flotten in großem Stil umgestellt werden müssen. Graszt fragt, was der Markt will – und liefert die Antwort gleich selbst: „Er will große Distanzen überbrücken, keine Nutzlastverluste durch schwere Batteriepacks und nicht wesentlich mehr Geld für die neue Technologie bezahlen“. Das spreche deutlich für den Einsatz von Wasserstoff, sagt er. Benjamin Jödecke, Leiter der Abteilung Hydrogen Mobility bei GP Joule, pflichtet ihm bei und liefert zusätzliche Argumente: „Die Branche will vergleichbar lange Tankvorgänge und Planungssicherheit bei den Kosten.“
Es gebe deutlich weniger Preissprünge als beim Diesel, betont Jödecke. Das Kilo H2 koste am Abend genauso viel wie tagsüber. Und bei GP Joule liege der Kilopreis konstant bei 9,99 Euro für grünen Wasserstoff. Bei GP Joule? Richtig. Das Unternehmen plant und betreibt Wasserstoff-Tankstellen, die auch für Nutzfahrzeuge geeignet sind – so zum Beispiel schon in Husum und Niebüll in Nordfriesland, nahe des eigenen Firmensitzes.
Weitere Stationen – etwa in Bremerhaven, Emden, Kiel, Lübeck oder der Lausitz – sind in der Vorbereitung. „Wir planen mit einer dreistelligen Zahl an Tankstellen“, sagt Jödecke. Einer der großen Vorteile gegenüber Marktbegleitern: GP Joule hat die komplette Wertschöpfung selbst in der Hand – und damit auch Einfluss auf den Verkaufspreis. Das Unternehmen projektiert und betreibt Anlagen, die grünen Strom aus Solar- und Windenergie sowie aus Biomasse gewinnen. Und es veredelt den Ökostrom zu grünem Wasserstoff, der nicht nur Industrieanlagen, sondern auch Fahrzeuge antreibt. Weil GP Joule alle Fäden selbst in der Hand hält, sieht sich der Anbieter in der Lage, den Preis stabil beziehungsweise planbar zu halten.
Das schließt GP Joule-Mann Jödecke aus. „Wir haben uns 100 Prozent erneuerbar auf die Fahnen geschrieben“, sagt er. Im Idealfall kommt der nachhaltig erzeugte Wasserstoff sogar aus der Region. Finden sich genügend Nutzer für eine neue Tankstelle, prüft GP Joule einen Bezug von grünem Wasserstoff aus regionaler Erzeugung. Doch Tankstellen stehen bei dem Unternehmen immer in Verbindung mit Fahrzeugen. Also gehe es darum, das Thema Wasserstoff-Infrastruktur intelligent mit den entsprechenden Fahrzeugen zu verknüpfen. Und hier kommt Clean Logistics ins Spiel.
„Wir sind beides norddeutsche Unternehmen“, sagt Jödecke, die Chemie stimmt. Doch abseits von diesem eher weichen Faktor: „Wir sprechen mit vielen Unternehmen“, berichtet der Verantwortliche für die H2-Mobilität bei GP Joule. „Doch Clean Logistics hat sich am ehesten und sehr zeitnah zu diesen Stückzahlen bekannt .“
Zunächst einmal legt Clean Logistics-CEO Dirk Graszt Wert darauf, dass es sich nicht um einen Kaufvertrag handelt, sondern um einen Rahmenvertrag zur Lieferung von 5.000 H2-Lkw im Zeitraum von 2023 bis 2027. Er vertritt ein börsennotiertes Unternehmen und hält sich an die Formulierung in seiner Mitteilung vom 8. August. „Die 5.000 sind ein klares Kommittent für beide Seiten, dass wir Stückzahlen brauchen“, betont der Clean Logistics-Chef. Beide Akteure heben immer wieder auf eine Skalierung ab – sprich: auf das aus ihrer Sicht notwendige schnelle Hochfahren der Produktion sowie der Flotte auf der Straße.

Damit lassen sich Energie-Produktionsanlagen und Tankstellen auslasten und in der Fahrzeugfertigung niedrigere Stück- und Betriebskosten erzielen. Somit könne eine Mobilität mit Wasserstoff endlich ohne viele Fördermittel wirtschaftlich sein. Und natürlich – auch das betonen sowohl GP Joule als auch Clean Logistics – geht mit einer großen Flotte auch die dringend benötigte Dekarbonisierung des Güterverkehrs schneller voran. Um das Werk in Winsen fit für die immensen Herausforderungen zu machen, will Clean Logistics in den nächsten drei Jahren weitere 500 Mitarbeiter einstellen und die Kapazitäten kräftig erweitern. Das Grundstück umfasst 18.000 Quadratmeter, 10.000 weitere seien „in der Mache“ – wobei auch das laut Graszt‘ Prognose noch nicht reichen wird. Doch zunächst will er die Produktion behutsam anpassen: 2023 plant er noch mit 40 H2-Lkw, dann geht es rasant in die Höhe: 2024 sollen es 530 Lkw werden, 2025 schon 1.200 sowie 2026 und 2027 je 1.600 Einheiten.
„Weil der Spediteur nur ein niedriges Einstiegsrisiko hat“, sagt GP Joule-Mann Jödecke. „Die Tankstelle kommt zu ihm und wir bringen auch gleich die Fahrzeuge mit.“ Das Henne-Ei-Problem sei damit gelöst. Ebenso gebe es einen After Sales-Service. Das alles gibt es bei GP Joule zu einem einfach kalkulierbarem Angebot – basierend auf einem Pay-per-use-Modell, das gestaffelt ist nach der Zahl der eingesetzten Lkw beziehungsweise gefahrenen Kilometer.
„Die 5.000 sind noch nicht das Ende der Fahnenstange“, sagt Clean Logistics-CEO Graszt. „Wir akquirieren auch weiterhin.“ Er hat keine Zweifel daran, dass es gelingt, die 5.000 Einheiten an den Mann zu bringen. Auf der IAA Transportation habe er zahlreiche positive Gespräche geführt.
Die Fahrzeuge werden sich im Lauf der Zeit weiterentwickeln. Clean Logistics betont, dass es sich um Neufahrzeuge handelt. Es kommen neben DAF auch weitere Hersteller wie Daimler Truck infrage, die Clean Logistics ihre Fahrzeuge als Glider – also ohne Antriebsstrang – zur Verfügung stellen.
Die Brennstoffzellen bezieht der Hersteller beim chinesischen Anbieter Refire, die Tanks baut er selbst, ebenso die Achsen, die Elektromotoren kommen vom Zulieferer Ziehl-Abegg. Absehbar gegenüber dem Prototypen Fyuriant sei schon, dass die nicht brennbaren Lithium-Eisen-Phosphat-(LFP)-Batterien kleiner und leistungsfähiger werden, ebenso die Brennstoffzelle. Im Prototypen Fyuriant sind zwei Einheiten mit jeweils 120 kW verbaut und ein Wasserstofftanksystem, das 43 Kilogramm fasst.
„Wir kriegen das finanziert“ – da sind sich die Vertreter von GP Joule und Clean Logistics einig. Sie weisen auf eine gute Eigenkapitalstruktur hin und die übliche Vorgehensweise der Kapitalbeschaffung „in einer Asset-getriebenen Branche“. GP Joule will für den Erwerb der Lkw die Förderaufrufe des Bundes im Rahmen des KsNI-Programms nutzen und die Förderung vollständig an die Endkunden weitergeben. Hier winkt ein Ausgleich von 80 Prozent der Mehrkosten gegenüber einem Diesel-Lkw.
„Weil wir überzeugt von unseren Plänen sind und die positiven Effekte bei der Dekarbonisierung sehen“, sagt er. „Eigentlich wollte ich es mit meinen 58 Jahren auslaufen lassen“, scherzt er. Nun ist er froh, sich nicht zur Ruhe gesetzt zu haben: „Ich erlebe mit Clean Logistics meinen zweiten Frühling.“