Martin Seidenberg: Laut dem Branchenverband BIEK macht der Lieferverkehr durch KEP-Fahrzeuge gerade mal ein Prozent des Gesamtverkehrs aus. Dennoch werden wir stark wahrgenommen, weil wir tagtäglich auf denselben Straßen unterwegs sind. Jeder profitiert davon und will seine Ware, die er am Wochenende bestellt hat, am Dienstag haben. Wenn man das eine haben will, sollte man das andere auch in Kauf nehmen. Wir müssen trotzdem überlegen, wie wir in der Zukunft die Zustellung insbesondere in den Städten optimieren können und handhaben werden.
Wir entwickeln regionale Lösungen, denn jede Stadt hat unterschiedliche Anforderungen. Zurzeit arbeiten wir in 17 Depots mit Piloten zum Thema alternative Zustellkonzepte. Wir setzen eine Mischung aus Elektroautos, Lastenrädern und neuerdings auch einen Elektroscooter ein. Wir kommen damit auf rund 60 Fahrzeuge in Deutschland. Wir machen dabei große Fortschritte und haben weitreichende Ambitionen.
Ja, das ist eigentlich sehr schade, weil sich wirklich viel getan hat und wir ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber sind. Wenn wir mal einen Tag nicht zustellen würden, würden alle merken, wie wichtig wir sind. Wir haben viel Digitalisierung in die Depots und Zustellung gebracht, um die Prozesse zu vereinfachen und die Mitarbeiter und Transportpartner zu unterstützen. Die Touren werden oftmals entsprechend vorgestellt, sodass die Fahrer die Pakete nur noch abscannen und einladen müssen und dann losfahren können. Es gibt gesetzliche Regelungen wie Mindestlohn, die wir selbstverständlich einhalten. Es hat aber auch mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt zu tun und damit, dass die Arbeit in der KEP-Branche eine sehr herausfordernde Tätigkeit ist.
Das suggeriert, dass die Dienstleistung nichts wert ist, und das ist ein Problem. Ein Paket legt in der Regel eine Strecke von mehreren Hundert Kilometern zurück. Jedes Paket von A nach B durchläuft dabei fünf bis zehn Prozessschritte. Dass das nicht umsonst sein kann, muss eigentlich jedem klar sein. Der Versandhändler preist das in seine Kosten mit ein. Er könnte besser schreiben: Wir übernehmen die Versandkosten für Sie. Das wäre dann eine ganz andere Botschaft.
Derzeit finden sich nahezu täglich Nachrichten über Unternehmen aus der Transportbranche, die über die wirklich außerordentlichen Kostensteigerungen berichten und auch ankündigen, dass sie diese an die Kunden weitergeben müssen. Wir als GLS werden die Preise zum 1. Januar im Schnitt um sieben bis acht Prozent erhöhen.
Aufgrund des Fahrermangels sind die Kosten für Fahrer gestiegen. Heute müssen wir zum Teil aufgrund vieler Staus zwei Fahrer einsetzen, früher losfahren und für die Restmengen noch einen Lkw hinterherschicken. Wir halten Züge bereit, die wir früher nicht hatten. Aber auch externe Faktoren wie die Maut, die ja im Juli dieses Jahres auf alle Bundesstraßen ausgeweitet wurde, wirken sich eins zu eins auf uns aus. Im Januar 2019 werden die Mautsätze wieder erhöht, um teilweise bis zu 40 Prozent. Der Bund plant mit Mehreinnahmen von über vier Milliarden Euro. Die müssen ja irgendwo herkommen.
Die Haustürzustellung ist eine Premiumdienstleistung und aufwendiger als eine gewerbliche Zustellung, weil sie einfach länger dauert. Wir haben ein entsprechend dichtes Netzwerk an Paketshops und sind jetzt dabei, die Zustellung an die Privatadresse mit 50 Cent extra zu bepreisen, sodass das zum Weihnachtsgeschäft greift.
Für bestimmte saisonale Produkte wie etwa Reifen erheben wir bereits seit Längerem einen Peak-Zuschlag.
Ich glaube, wir werden in Deutschland wieder Rekordmengen bewegen. Wir allein erwarten in unserem System im Weihnachtsgeschäft Mengensteigerungen von bis zu 50 Prozent. Das ist massiv. Wir müssen dafür bis zu 3.000 neue Mitarbeiter einstellen und werden außerdem bis zu 700 zusätzliche Fahrzeuge durch Transportunternehmer bereitstellen lassen.
Wir haben in Deutschland eine Arbeitslosenquote von rund fünf Prozent. In den einzelnen Regionen steht da mitunter eine Zwei vor dem Komma. Das ist also richtig schwer. Wir müssen den Arbeitsplatz attraktiv gestalten. Wir suchen häufig regional, damit sind wir auch erfolgreich. Aber es gibt Regionen, da sind keine Arbeitskräfte verfügbar. Da müssen wir auf Zeitarbeitskräfte zurückgreifen oder Mitarbeiter aus dem EU-Ausland rekrutieren – wie viele andere Industrieunternehmen auch. Flüchtlinge können ebenfalls bei uns arbeiten, sofern die erforderlichen Arbeitsgenehmigungen vorliegen.
Wir werben zunehmend über soziale Medien, stellen etwa bei Facebook kleine Filme ein, die den Arbeitsalltag von Zustellern beschreiben. Die Tätigkeiten sind anspruchsvoll, machen aber auch Spaß und erlauben einen gewissen Freiheitsgrad. Dadurch, dass wir Lastenräder einsetzen, erschließt sich zunehmend auch eine andere Fahrerklientel. Es gibt Fahrer, die gern Fahrrad, E-Scooter oder E-Auto fahren wollen, die aber sonst nicht unbedingt auf die Idee gekommen wären, bei einem unserer Transportunternehmer zu arbeiten. Das können auch Studenten sein, die sich etwas dazu verdienen wollen und für die eine Zustellung mit dem Fahrrad oder Umgang mit neuester Technik zum Lebensgefühl gehört. Sie werden, falls gewünscht, in flexiblen Schichten eingesetzt, und das Vehikel kann dann an einen anderen Zustellfahrer übergeben werden.
Wir werden das autonome Fahren erleben, und wir werden in unserer Prozesskette autonom fahrende Lkw haben. Mit der Idee, dass irgendwann autonom zugestellt wird, tue ich mich allerdings schwer.

Zur Person
- Martin Seidenberg hat Betriebswirtschaftslehre in Deutschland, den USA und England studiert
- Danach arbeitete er in verschiedenen Managementpositionen bei der Deutschen Post DHL
- Er verantwortete unter anderem das grenzüberschreitende Brief- und Paketgeschäft und leitete in Singapur die Geschäfte der internen Strategieberatung für die Region Asien-Pazifik
- Vor seinem Einstieg bei GLS war der gebürtige Rheinländer CEO der DACH-Region bei DHL Supply Chain
- Seit März 2015 ist er Vorsitzender der Geschäftsführung von GLS Germany