Unikat mit Unterflur

MAN 19.422 UXT 4x4
Unikat mit Unterflur

Nur wenige Prototypen des MAN UXT 4x4 wurden Anfang der 90er-Jahre gebaut. Einer davon gelangte durch Zufall zu Stegmaier Nutzfahrzeuge und wird dort in Ehren gehalten. Zum 30-jährigen Bestehen von BFS hat ihn Marc Stegmaier mit einem zeitgenössischen Auflieger komplettiert.

Mit der Unterflur-Sattelzugmaschine UXT (Unterflur Experimental Tractor) überraschte MAN das Fachpublikum auf der IAA 1989 in Frankfurt. Eine Sattelzugmaschine mit liegend zwischen den Achsen eingebautem Motor – das gab’s noch nie! Und als wäre das nicht schon spektakulär genug, sollte sie auch mit permanentem Allradantrieb erhältlich sein.

Ob bei MAN oder seinerzeit Büssing, der Unterflurmotor war wegen seines Platz- bedarfs immer nur den Motorwagen vorbehalten gewesen. Der Einsatz auch in der Sattelzugmaschine sollte ihn nun zukunfts-sicher machen und zunehmend relevante Aspekte wie Verkehrssicherheit, Lärm- und Abgasemissionen sowie Arbeitsplatzkomfort vereinen. In der Automobiltechnischen Zeitschrift 12/1990 schrieben die Ingenieure Klaus Schubert und Gerhard Rieck: "Die zunehmend gesellschaftlich orientierten Entwicklungsforderungen für ein menschengerechtes Nutzfahrzeug führten bei MAN zur Entwicklung eines neuen, technisch einzigartigen Fahrzeugkonzeptes, das erstmals in der Geschichte des Nutzfahrzeugbaus verwirklicht werden konnte: Die voll-luftgefederte Unterflur-Sattelzugmaschine mit Allradantrieb UXT 4x4, die aufgrund der niedrigen Aufsattelhöhe geradezu prädestiniert ist für den Einsatz im internationalen Fernverkehr." Größte Herausforderung für die MAN-Konstrukteure war die Unterbringung des Antriebsstrangs auf engem Raum. Als Lösung erwies sich die umgekehrte Anordnung von Motor, Kupplung und Getriebe, also mit dem Schwungrad in Fahrtrichtung. Wie das letztlich funktionierte, erklärt eine zur Vorstellung des 19.422 UXT 4x4 herausgegebene MAN-Sonderinformation: "In Fahrtrichtung vor dem Motor ist das Sechzehn-Gang-Getriebe angeflanscht. Das abtriebsseitige Gehäuseteil wurde so verändert, daß entgegen der Fahrtrichtung seitlich ein zusätzliches Zahnradpaar laufen kann. Eine motorseitig gelagerte Zwischenwelle und eine Gelenkwelle treiben die hinter dem Motor liegende Achse an. Nebenabtriebe und der für dieses Getriebe vorhandene Sekundärretarder sind weiterhin anbaubar. Der permanente Allradantrieb der Vorderachse ist mit vergleichsweise geringem Zusatzaufwand realisiert worden: Das Getriebe erhielt auf der Antriebswelle nach vorne ein Differentialgetriebe. Ein konventionelles Verteilergetriebe konnte dadurch entfallen."Beim Getriebe handelte es sich um das ZF 16 S 160 UA; beim Motor um den wassergekühlten Reihensechszylinder-Dieselmotor MAN D 2866 LU (Euro I) mit Turboaufladung, Ladeluftkühlung und 309 kW (420 PS). Er wurde über eine Klappe in der Seitenverkleidung auf der Fahrerseite gewartet. Wegen der günstigen Anströmverhältnisse und aus Rücksicht aufs Baukastensystem blieben die Konstrukteure der vorn liegenden Kühlanlage treu – daher auch der Mini-Tunnel mittig vorne im Innenraum.

Unterschiedliche Motorlagen

Je nach Antriebsformel gab es unterschiedliche Motorlagen: eine so weit vorn wie möglich für 4x2 und 6x2 sowie eine nach hinten verschobene für den UXT 4x4. Zwecks Flexibilität für verschiedene Motorlagen wählten die Konstrukteure ein Rahmenkonzept mit parallelen Längsträgern. Frühere Berichte und Broschüren zeigen den UXT auch als 18.362 und 18.422. Die über die Jahre gebauten Prototypen variieren also in Ausführung und Ausstattung – was die Rekonstruktion der UXT-Geschichte nicht einfacher macht. Der neben den Zweiachsern (4x2 und 4x4) projektierte Dreiachser (6x2) wurde offenbar nie verwirklicht. "Nicht vor 1990 soll der UXT in Serie gebaut werden", heiß es 1989. Mehrere Exemplare des Zweiachsers wurden in den Folgejahren gebaut und gingen in den Feldversuch bei ausgewählten Transportunternehmen – doch der Serienstart ließ auf sich warten. In der lastauto omnibus 7/1992 verglich Michael Kern den UXT mit einem guten Wein, den MAN noch reifen lasse. Frühestens 1994 solle die Serienproduktion beginnen, ließ MAN nun verlauten.

Viele Vorteile, auch beim Komfort

Gleichzeitig wurden die Münchner nicht müde, die Vorzüge ihres "Vorreiters" zu betonen – insbesondere die des UXT 4x4, die ein paar Hundert Kilogramm konstruktionsbedingtes Mehrgewicht aus Herstellersicht locker wettmachten. Als da wären: niedriger Schwerpunkt, Kippsicherheit und höhere Kurvengrenzgeschwindigkeit, herausragende Traktion durch permanenten Allradantrieb, trotzdem niedrige Aufsattelhöhe und Eignung für alle gängigen Auflieger-Typen, elektronisch geregelte Luftfederung an allen Achsen, weniger Horizontal- und kaum Nickschwingungen, Scheibenbremsen vorn, Trommelbremsen hinten sowie Unterfahrschutz rundum durch die Seitenverkleidung des Fahrgestells. "Ergonomie und Funktionalität sind die bestimmenden Merkmale für den Fahrerplatz, der grundsätzlich vom F90 übernommen ist", erfährt man aus der bereits zitierten MAN-Sonderinformation. "Bei dem überaus großzügigen Raumangebot in der Kabine ist die Unterbringung von zukünftigen Kommunikations- und Verkehrsleitsystemen wie Travelpilot, Telefax, Bordtelefon und Fuhrparkrechner möglich, ohne auf freien Durchgang zwischen den Sitzen zu verzichten." Was die, übrigens nicht kippbare, Kabine wirklich zu einem Fahrertraum machte, war die Kombination aus ebenem Boden und Hochdach, woraus 2.170 mm Stehhöhe resultierten – mehr als beim futuristischen "Raumschiff" Renault AE Magnum. Damit einher ging ein größerer Liegenabstand (aufrechtes Sitzen möglich). Weitere Annehmlichkeiten waren die luftgefederten ISRI-Sitze für Fahrer und Beifahrer, die überarbeitete Instrumentenanzeige mit LC-Display und 20 "Fahrtrechnerfunktionen", elektrische Fensterheber, elektrisch verstellbare und beheizbare Spiegel, Sonnenrollos und Vorhänge. Damit kein Schaltknüppel den ebenen Boden versperren konnte und der Fahrer sich überdies besser auf den Verkehr konzentrieren konnte, war eine halb-automatische Schaltung verbaut mit Tipp-hebel rechts am Lenkrad zum Vorwählen oder Überspringen der Gänge. Laut Sonder-information sollte die Kupplungsarbeit vollständig entfallen. Beim Exemplar, das wir – wie nachfolgend beschrieben – kürzlich probefahren konnten, war dem nicht so. Man musste einen Drehschalter im Armaturenbrett auf "D" stellen, den Gang per Tipphebel vorwählen – entweder vor oder während des Auskuppelns –, und dann wieder einkuppeln. Der eingelegte Gang wurde in einem kleinen Digitaldisplay, montiert auf der Oberkante des Armaturenbretts, angezeigt. Ein Prinzip, an das man sich schnell gewöhnt – wie auch grundsätzlich an das Fahren mit dem UXT 4x4.

Jähes Ende für den Unterflurmotor

Doch es kam bekanntlich anders, nämlich 1994 der F 2000. Mit dem F90 war auch der Unterflurmotor bei MAN Geschichte – ob im Motorwagen oder in der Sattelzugmaschine. Die Spur des UXT verliert sich leider schnell und die verfügbare Quellenlage ist dünn. Auf Nachfrage kann MAN weder die Anzahl der gebauten UXT-Prototypen in den jeweiligen Varianten noch den exakten Produktionszeitraum nennen. Auch der Verbleib der Lkw ist unbekannt, abgesehen vom 19.422 UXT in der MAN-Sammlung und denjenigen, die im Laufe der Jahre in Online-Foren, auf Oldtimer-Treffen oder in Fachzeitschriften aufgetaucht sind. Wer mehr über den UXT weiß oder selbst einen besitzt, kann uns also gerne kontaktieren! Glücklicherweise kennen wir den stolzen Besitzer eines MAN 19.422 UXT 4x4 in Kirchberg an der Jagst, nämlich Marc Stegmaier. Er hat uns die Begegnung mit diesem seltenen Stück Technikgeschichte ermöglicht. Was für ein Gefühl, damit eine Runde um Kirchberg zu drehen! Laut Fahrzeugschein wurde dieser UXT erst am 25. November 1994 zugelassen – da hatte MAN schon den F2000 vorgestellt. Viel ist über seine Jahre als Versuchsfahrzeug nicht bekannt, nur, dass er währenddessen oder anschließend als Milchsammler mit Tankauflieger im bayerischen Alpenvorland im Einsatz war. Dort konnte er seine Allradvorteile ausspielen, war aber auch in hohem Maße Streusalz ausgesetzt, was seine Spuren am Fahrgestell hinterlassen hat.

Diesen Lkw verkauft man nicht

Dass der UXT bei BFS landete, war reiner Zufall. Im Jahr 2005 hat ihn Hermann Stegmaier in einem Paket gebrauchter Lastwagen erworben. "Als er dann auf dem Hof stand, fiel uns auf, dass es kein gewöhnlicher 19.422 ist", erzählt Marc. Schnell war der MAN-begeisterten Familie klar: Diesen Lkw verkauft man nicht! Stattdessen hat ihn das Stegmaier-Team von Weiß in Enzianblau (RAL 5010) – die BFS-Farbe – umlackiert, technisch überholt und für Kundenevents als Hingucker und technisches Highlight genutzt. Auch in die lastauto omnibus 9/2008 schaffte es der UXT, im Rahmen eines generationen- und technologieübergreifenden Vergleichs mit einem deutlich jüngeren TGS 18.440 Hydrodrive. 2024 beschloss Marc Stegmaier, ihn fürs Jubiläum "30 Jahre BFS" im Jahr 2025 herzurichten. "Wir wollten ihn originalgetreu herrichten. Zwar nicht in Weiß, aber mit den originalen MAN-Streifen und einem Semi-Sattelauflieger von Schwarzmüller aus demselben Baujahr." Die H-Zulassung wurde beantragt, Einspritzdüsen und Kraftstoffpumpe gerichtet, Achs- und Längslenker erneuert, der durchgerostete Schalldämpfer ersetzt, alle Öle und Filter gewechselt sowie die Schläuche der luftgefederten ISRI-Sitze für Fahrer und Beifahrer (seinerzeit Luxus) ausgetauscht. Dafür, dass er damals von Hand gebaut – erkennbar etwa an den Schweißnähten – und anschließend intensiv erprobt wurde, sei der UXT richtig gut in Schuss, findet Marc. Er betont: "Ich lege Wert darauf, dass ein Oldtimer stimmig ist." Daher trägt die Sattelzugmaschine nun das Kennzeichen CR-UX-90 H und der Auflieger CR-UX-422. Und da im Jahr 2027 bereits das nächste Jubiläum ansteht – "100 Jahre Stegmaier" – ist in der Halle nebenan ein weiteres Restaurationsprojekt in der Mache: ein MAN 19.603 mit dem brachialen V10-Motor, entdeckt in Italien und nun im Wiederaufbau begriffen. Auch das Firmenmuseum mit automobilen Meilensteinen der Ford- und MAN-Geschichte befindet sich in der Neugestaltung. Von jeder MAN-Baureihe das stärkste Exemplar in der Sammlung stehen zu haben, lautet Marcs Ziel. FERNFAHRER wird nicht zum letzten Mal für einen Oldtimer-Report in Kirchberg gewesen sein, soviel ist sicher!

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Im Juli 1992 erschien in der FERNFAHRER-Schwesterzeitschrift lastauto omnibus der erste Fahrbericht über den UXT 4x4. Der Serienstart ließ jedoch weiter auf sich warten.

1 Kein Platz verschenkt im UXT: der Antriebsstrang von unter der Hinterachse aus betrachtet. 2 Eine große Klappe in der linken Seitenverkleidung gibt den liegenden Reihensechszylindermotor frei. "Er ist wartungsfreundlicher, als man denkt", sagt Marc Stegmaier. 3 Den F 90-Kühlergrill ziert der Commander-Schriftzug – ein dezenter Hinweis auf besonderen Kabinenkomfort.

1 Niedriger Einstieg, ebener Boden, Hochdach und zwei luftgefederte Sitze – der UXT wäre ein echtes Fahrerauto gewesen. 2 Manufaktur vs. Manuskript: Auf der 50-Tonnen-Hebebühne von Stegmaier zeigt sich, dass dieser UXT 4x4 auch vorne Trommelbremsen besitzt – nicht die einzige Abweichung der Prototypen-Realität von den Prospekten und Berichten damals.

1 Vorgriff aufs F2000-Cockpit: die überarbeitete Instrumentenanzeige mit dem mittigen LC-Display. Rechts sind der Tipphebel, der D-N-R-Drehschalter und die oben platzierte Ganganzeige ("N") der Halbautomatik zu sehen. 2 ebener Boden plus Hochdach ergeben 2.170 mm Stehhöhe, üppigen Liegenabstand und willkommenen Stauraum. 3 Die Sonnenrollos funktionieren bis heute. In der herabgeklappten Kunststoffbox befinden sich die Vorhänge für die Frontscheibe. 4 1994 noch üblich: der Aschenbecher an Bord. Rechts davon sind die Bedienelemente einer Standheizung zu erkennen, darunter der kleine, mittig hineinragende "Kühlertunnel".

Bei Stegmaier wurde der UXT 4x4 enzianblau lackiert und erhielt kürzlich noch die zeitgenössischen Streifen sowie einen passenden Auflieger von Schwarzmüller, ebenfalls Baujahr 1994.