Und plötzlich ging alles ganz schnell – so kann man die Übernahme von Iveco durch Tata Motors Ende Juli kurz zusammenfassen. Bis zu diesem Zeitpunkt war bereits über Jahre über einen Verkauf von Iveco spekuliert worden. Tata war dabei immer wieder als möglicher Käufer im Gespräch, manch einer munkelte aber auch, dass die Chinesen Iveco nutzen könnten, um durch die Hintertür Fuß zu fassen auf dem europäischen Nutzfahrzeugmarkt. Jetzt ist die Sache fix, der Deal ist gemacht. 3,8 Milliarden Dollar zahlt Tata für Iveco, nachdem zuvor noch die Verteidigungssparte mit den Marken IDV und Astra an den italienischen Rüstungskonzern Leonardo ging.
Was aber wird die Übernahme konkret bedeuten für Iveco und die Belegschaft in Ulm? Erstmal keinen Weltuntergang. Tata betonte gleich in der ersten Presseinfo, dass der Zukauf die bestehende Strategie von Iveco stärken und langfristig im Interesse aller Stakeholder – darunter Mitarbeiter, Zulieferer und Kunden – vorantreiben soll. Die Marke Iveco bleibt bestehen. Ein Stellenabbau, Standortschließungen oder wesentliche Restrukturierungen stehen nicht auf der Agenda. Die Integration ist laut Tata auf eine nachhaltige und langfristige Zusammenarbeit ausgelegt, mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit beider Unternehmen zu sichern.
Vorsichtiger Optimismus
Klar, mag da manch einer sagen: Das hätte ich auch gesagt. Aber Tata hat tatsächlich nicht den Ruf, sich interessante Unternehmen wie eine Heuschrecke einzuverleiben und auszuweiden. 2008 beispielsweise haben die Inder bereits die traditionsreichen englischen Autohersteller Jaguar und Land Rover übernommen – und sie aus einem tiefen Tal zurück zu alter Stärke gebracht, auch wenn Jaguar aktuell auf der Suche ist nach einer funktionierenden Neuausrichtung. Eine feindliche Übernahme sieht anders aus, und so kann man auch in Ulm vorsichtig optimistisch sein.
Die Iveco-Mitarbeiter haben ohnehin weiß Gott turbulente Jahre hinter sich, sind Kummer gewohnt und hoffen nun auf etwas mehr Stabilität. Die erste Einschätzung aus ihren Reihen: Es hätte schlimmer kommen können. Mit einem Investor, der mit harten Einschnitten gnadenlos die Zahlen beschönigen will, um Iveco alsbald gewinnbringend weiterzuverkaufen zum Beispiel. Oder mit einem chinesischen Lkw-Konzern, der das Unternehmen nur für die Marke und das Netzwerk gekauft hätte, Entwicklungsarbeiten und Produktion aber zugunsten seiner eigenen Produkte hätte auslaufen lassen.
Lkw aus einer anderen Welt
Im Falle von Tata ist das wohl kaum zu befürchten, wie schon ein flüchtiger Blick auf die Lkw der Marke im Heimatmarkt Indien aufzeigt. Diese Trucks funktionieren nicht in Europa – und andersrum sehr wahrscheinlich genauso. Tata beispielsweise trommelte erst im Juni für die Einführung werkseitig eingebauter Klimaanlagen für die gesamte Lkw-Reihe. In einem Land, in dem es im Sommer gemeinhin gerne weit über 40 Grad hat. Im gleichen Zuge kündete der Konzern Leistungssteigerungen für seine schweren Zugmaschinen und Kipper an – auf bis zu 320 PS, geschöpft aus einem 6,7-Liter-Dieselmotor aus dem Hause Cummins. Erst 2024 feierte wiederum der in Eigenregie entwickelte Turbotronn-2.0-Vierzylinder seine Premiere für das Segment von 19 bis 42 Tonnen, mit sage und schreibe 180 bis 204 PS und 700 bis 850 Newtonmeter Drehmoment aus fünf Litern Hubraum.
"Der Turbotronn 2.0 ist einer unserer fortschrittlichsten Verbrennungsmotoren", erklärte damals Rajendra Petkar, Präsident und CTO von Tata Motors. Er ermögliche es den Lkw, größere Entfernungen in kürzerer Zeit zurücklegen. Ein Hammer, legt man europäische Maßstäbe an. Der 2025er Tata LPK 2821.K FE+ mit drei Achsen und Sieben-Kubikmeter-Mischtrommel ist beispielsweise mit diesem Motor ausgestattet – ein neuer Lkw, der für uns ausschaut wie ein typisches Fahrzeug aus den 1980er-Jahren. Der 2023 präsentierte Tata LPT 1916 mit der gleichen Kabine, einem Zwei-Achs-Chassis und 18,5 Tonnen Gesamtgewicht muss gar mit einem 3,3-Liter-Dieselmotor auskommen, um noch ein Fahrzeug herausgepickt zu haben. Der immerhin hat dafür laut Tata aber die "neuesten Features" an Bord wie einen Tempomaten, eine Schaltempfehlungsanzeige im Kombiinstrument und eine Motorbremse.
Ein breites Feld an Antrieben
Aber es gibt dann doch auch modernere Erscheinungen: Die leichte Ultra-Baureihe ist schnittiger gezeichnet als ihre stämmigeren Brüder und sogar mit batterieelektrischem Antrieb zu haben. Auch die mittelschweren Signa-Modelle wirken frischer als die superkantigen Basis-Lkw. Die Top-Baureihe Prima mit bis zu 55 Tonnen Gesamtgewicht kann laut Tata sogar mit einer Traktionskontrolle, einem Berganfahrassistenten, einem luftgefederten Fahrersitz, Touchscreen-Multimediasystem und – man höre und staune – Over-the-Air-Updates aufwarten.
Die aus europäischer Sicht schwer veralteten Basis-Lkw von Tata sind damit also weniger einem mangelnden Know-how beim Hersteller geschuldet, als vielmehr dem Markt, der nach einfach konstruierten, zuverlässigen und vor allen Dingen günstigen Lkw verlangt. Die Daimler Truck-Marke BharatBenz hat ihre schwere HX-Serie für den Bau in Indien schließlich auch erst kürzlich ins Rampenlicht gefahren, mit ebenfalls nicht gerade berauschenden 280 bis 320 PS. Außerdem verfolgt Tata nebenbei wirklich spannende Zukunftsprojekte. So erprobt der Lkw-Bauer aktuell Trucks mit Wasserstoff-Verbrennungsmotoren und Wasserstoff-Brennstoffzelle im ganz normalen Straßenverkehr. Tata bezeichnet sich selbst sogar als führend in der Entwicklung alternativer Antriebe und stellt sich hier maximal breit auf – von batterieelektrischen Fahrzeugen über solche mit CNG und LNG bis hin zu den Wasserstoff-Prototypen.
Flaggschiff-Trucks aus Korea
Und dann gibt es da ja auch noch die Lkw der koreanischen Tata-Tochter Daewoo. Sie vertreibt neben dem etwas altbackenen Novus und dem leichten Dexen gleich zwei wirklich spannende schwere Lkw: den kompakteren Kuxen und den großen Maxen. Die Topmodelle der Marke wurden erst 2022 neu aufgelegt und können seither durchaus moderne Technik auffahren. Da wäre zum einen die passende App für das Smartphone, mit der sich einige Funktionen fernsteuern lassen. Da wäre zum anderen aber auch das volle Paket an Assistenzsystemen und Komfortausstattungen zu erwähnen: Daewoo fährt für seine Flaggschiffe nämlich nicht nur einen Notbremsassistenten auf, einen Spurverlassens- und Müdigkeitswarner, einen adaptiven Tempomaten und das kamerabasierte Corner-View-System als Abbiegeassistent. Die Fahrer werden außerdem umgarnt mittels einer Luftfederung fürs Chassis und die Kabine und bequemen Isri-Sitzen. Im Cockpit wiederum sorgen das volldigitale Kombiinstrument, die Touchscreen-Navigation und eine Start-Stopp-Taste für eine zeitgemäße Optik.
Der echte Knaller wartet aber im Maschinenraum des Maxen: Da vertraut Daewoo ganz auf die uns in Europa wohlbekannten Motoren der Iveco-Tochter Fiat Powertrain Technologies (FPT), gekoppelt an manuelle ZF Ecosplit-Getriebe oder automatisierte ZF Traxon-Boxen. Neben dem Cursor 13 mit 570 PS können die Kunden den Cursor 11 wählen in 480-PS-Einstufung – und auch die LNG-Version des Cursor 13 mit 460 PS ist für die Daewoo-Trucks zu haben. Die Iveco-Tochter FPT beliefert Daewoo laut eigener Angaben bereits seit mehr als 20 Jahren mit Motoren, seit 2015 kommen die FPT-Triebwerke mit 4 bis 13 Litern Hubraum gar in der kompletten Nutzfahrzeugpalette der Koreaner zum Einsatz. Seit Beginn der Zusammenarbeit will FPT satte 90.000 Motoren an Daewoo verkauft haben – eine erfolgreiche Geschäftsbeziehung also, die mit Tata als neuer Iveco-Mutter in Zukunft wohl noch ganz andere Ausmaße annehmen wird. Iveco, Tata und Daewoo setzen zusammengerechnet pro Jahr schließlich mal eben über 540.000 Fahrzeuge ab und sind damit ohne Zweifel ein neuer Global Player in der Nutzfahrzeugindustrie. Es bleibt also spannend.