Der amerikanische Autobauer Tesla hat es vorgemacht. Die Fahrzeuge des Elektro-Pioniers aus Kalifornien werden – ähnlich wie beim Smartphone oder Tablet-PC – über das Mobilfunknetz regelmäßig mit Software-Updates versorgt. Das heißt, die Elektroautos müssen zur Aktualisierung der Software nicht mehr in die Werkstatt. Neue Fahrzeugfunktionen und System-Updates gibt es bei Tesla praktisch "aus der Luft". Ist ein neues Update verfügbar, wird dies im Display der Mittelkonsole angezeigt. Der Fahrer entscheidet dann selbst, ob er das Update sofort oder später in seiner Garage mittels WLAN startet.
OTA-Updates senken Kosten
Die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung moderner Fahrzeuge sowie die verbauten Assistenz- und Komfortsysteme erfordern häufige Aktualisierungen der Fahrzeug-Software. War das Aufspielen von Updates bislang zwangsläufig mit einem Werkstattaufenthalt verbunden, kann dieser durch die OTA-Technologie künftig entfallen. Die Firmware der einzelnen Steuergeräte wird direkt vom Hersteller mittels Software-Update Over-the-Air (SOTA) aktualisiert. Fahrzeug-Rückrufe, die zunehmend wegen Updates durchgeführt werden, lassen sich dadurch deutlich reduzieren. Sicherheitslücken können schnell geschlossen werden, die Betriebssicherheit des Fahrzeugs wird verbessert. Laut einer Prognose des Marktforschungsunternehmens IHS Markit verfügten 2017 nur rund 0,2 Prozent aller Fahrzeuge weltweit über OTA-fähige ECUs (Electronic Control Units). Diese Zahl soll jedoch bis 2023 auf 19 Prozent ansteigen.IHS Markit schätzt, dass die globale Automobilindustrie im Jahr 2023 durch OTA rund 40 Milliarden US-Dollar einsparen kann.
OTA-Updates senken nicht nur die Kosten, die durch behördlich angeordnete oder freiwillige Rückrufe entstehen. Durch sie können nebenbei auch noch neue Einnahmequellen erschlossen werden. Während die Fahrzeughersteller im Aftersales-Bereich bislang hauptsächlich mit der Lieferung von Ersatz- und Zubehörteilen Geld verdienten, können sie dem Kunden nun neue Funktionalitäten anbieten, die per SOTA auf dessen Fahrzeug aufgespielt werden.Vertragswerkstätten und -händler werden dabei umgangen, neue Funktionen und Komfort-Updates liefert der Hersteller künftig direkt. Auch hier gilt Tesla als Vorreiter: So sind zum Beispiel beim Model S bestimmte Fahrzeugfunktionen (unter anderem auch für das autonome Fahren) technisch vorbereitet, aber noch nicht freigeschaltet. Erst wenn der Kunde die Funktion kostenpflichtig bucht, kann er sie nutzen. Denkbar sind viele weitere Angebote – von einer Leistungssteigerung des Motors über neue Assistenz- und Infotainment-Funktionen bis hin zur Individualisierung des Fahrzeugs. Alles per "Knopfdruck" und Over-the-Air. So bleibt das Fahrzeug immer auf dem aktuellen Stand und hält mit der schnellen digitalen Entwicklung Schritt.
Datensicherheit durch neue Verschlüsselungstechnologien
Ein moderner Pkw verfügt heute über bis zu einhundert verschiedene Steuergeräte. Diese sind in der Regel über ein Netzwerk, zum Beispiel per CAN-Bus, miteinander verbunden. Bislang haben jedoch nur Module des Infotainment-Systems (bei schweren Nutzfahrzeugen der Telematik) einen Zugang zum Mobilfunknetz beziehungsweise zu WLAN und werden auf diese Weise aktuell gehalten. Alle anderen Steuergeräte sind in der Regel noch nicht onlinefähig. Die Möglichkeit zur Aktualisierung auch anderer Fahrzeugfunktionen sowie von Assistenzsystemen per Over-the-Air-Update wird künftig allerdings zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor für die Fahrzeughersteller. Denn nur so können sie mit der raschen digitalen Entwicklung Schritt halten und schnell auf veränderte Kundenwünsche reagieren. Dies haben inzwischen viele Fahrzeughersteller und auch die großen Zulieferer erkannt und beschäftigen sich intensiv mit der Entwicklung und Vermarktung entsprechender Lösungen.
"So einfach wie beim Smartphone" will Bosch Fahrzeuge auf dem aktuellen Stand halten. Die Software-Updates kommen dabei Over-the-Air direkt aus der Cloud und werden über das Smartphone oder das Infotainment-System des Fahrzeuges gestartet. Die Daten werden dann während der Fahrt im Hintergrund oder über Nacht zu Hause geladen.Wenn sich das Fahrzeug in einem sicheren Zustand befindet und nicht bewegt wird, erfolgt die Installation auf den jeweiligen Steuergeräten. Für Datensicherheit sorgen dabei neue Verschlüsselungstechnologien, welche die Escrypt GmbH, eine Tochtergesellschaft von Bosch, entwickelt hat. Eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung schützt die Datenübertragung zudem vor unautorisierten Zugriffen. Sichere Protokolle und Filter an den Schnittstellen zwischen Fahrzeug und Cloud, ähnlich einer Firewall, sollen Angriffsversuche verhindern.

Drahtlose Aktualisierungen sparen Zeit
Damit Over-the-Air-Updates schnell und zuverlässig funktionieren, setzt Bosch auf Fast-Update-Technologien wie zum Beispiel Delta- und Kompressionsmechanismen. Die technologische Basis für die OTA-Updates liefert die Bosch Automotive Cloud Suite. Deren Software-Bausteine ermöglichen Updates durch die Luft sowohl für Fahrer als auch Hersteller und Fahrzeug selbst. Gemeinsam mit Daimler Trucks und Fleetboard hat Bosch die "Common Telematics Platform" entwickelt. Diese kommt als "Truck Data Center" in schweren Daimler-Lkw weltweit zum Einsatz. Die neue Plattform, die im März 2017 eingeführt wurde, stellt die Grundlage für neue digitale Dienste dar und soll künftig auch Software-Updates Over-the-Air ermöglichen. Dabei bringen drahtlose Aktualisierungen die Fahrzeugsysteme auf den neuesten Stand und sorgen so für eine Zeitersparnis durch weniger Werkstattbesuche. Mit dem "Truck Data Center" ausgestattete Fahrzeuge sollen künftig zudem mit neuen Funktionalitäten versorgt werden können.
Eine neue Technologie zur Aktualisierung der gesamten Fahrzeugelektronik per OTA – vom Antriebsstrang bis zum Infotainment-System – stellte Continental im Rahmen der Consumer Electronics Show (CES) im Januar 2017 in Las Vegas vor. Die Technik entwickelte Continental zusammen mit dem britischen Unternehmen Inmarsat, das einen Mobilfunkdienst über Satelliten betreibt. Vorteil dieser Lösung: Die Zwei-Wege-Datenkommunikation über Satellit ermöglicht eine Broadcast-Fähigkeit. Zudem wird die Komplexität vermieden, die durch die Einbindung vieler verschiedener Mobilfunknetzbetreiber entstehen würde. "Satelliten-Broadcast-Services werden ein wichtiger Wegbereiter für das vernetzte Fahrzeug sein, denn sie sind das effizienteste und sicherste Mittel, gemeinsame Inhalte an Millionen von Fahrzeugen zu liefern – von Software- und Cybersicherheits-Updates bis hin zu präzisen Positionsdaten", erläutert Greg Ewert, Vorsitzender des Connected-Car-Programms bei Inmarsat.
Volvo Trucks North America bietet Fernprogrammierung an
Während Lkw in Europa – von Telematiksystemen abgesehen – bislang noch nicht mit Over-the-Air-Updates versorgt werden, ist die Entwicklung in Amerika schon weiter fortgeschritten. So bietet beispielsweise Volvo Trucks North America seit dem dritten Quartal 2017 für alle Fahrzeuge des Modelljahrs 2018 eine Fernprogrammierung an, welche die werksseitig installierte Telematik-Hardware nutzt. Damit sind in den USA und Kanada Over-the-Air-Updates möglich – sofern eine Mobilfunkverbindung besteht. "Volvo Trucks investiert weiterhin stark in Connectivity-Lösungen und wir sind stolz darauf, eine echte Over-the-Air-Lösung auf den Markt zu bringen", sagt Conal Deedy, Leiter des Bereichs Connected Vehicle Services bei Volvo Trucks."
Mit Remote-Programmierung können Kunden schnell und einfach Updates durchführen, um die Leistung und Effizienz ihrer Fahrzeuge zu verbessern." Auch die zur Volvo-Gruppe gehörende Marke Mack bietet Over-the-Air-Updates für sämtliche Modelle an, die mit der Telematik "GuardDog-Connect" ausgestattet sind. Als weltweit erster Lkw-Hersteller führte nach eigenen Angaben Navistar-International die OTA-Technologie 2016 für Fahrzeuge ein, die von unternehmenseigenen Motoren angetrieben werden und zum Modelljahr 2017 auch bei Cummins-Motoren. Daimler Trucks North America bietet mit dem Freightliner New Cascadia ebenso ein Modell an, das über die Detroit-Connect-Plattform OTA-fähig ist. Dadurch sind Software-Updates Over-the-Air möglich, beispielsweise zur Fernprogrammierung von Motorparametern.
Gefahr durch Hacker-Angriffe über die Luftschnittstelle
Auch beim Tesla-Truck Semi, der laut Tesla-Gründer Elon Musk ab dem Jahr 2019 den Güterverkehr auf der Straße revolutionieren soll, darf man davon ausgehen, dass er Over-the-Air mit Software-Updates versorgt wird. Alles andere würde der Tesla-Philosophie widersprechen. Neben den vielfältigen Möglichkeiten, die Over-the-Air-Updates bieten, bleiben jedoch noch viele Fragen offen. Zum einen wäre da die Gefahr durch Hacker-Angriffe über die Luftschnittstelle. Dass Kriminelle beispielsweise in die Motorsteuerung oder das Lenksystems eines 40-Tonners eingreifen könnten, möchte man sich gar nicht vorstellen. Hier sind die Fahrzeughersteller und Zulieferer gefordert, Systeme zu entwickeln, die durch Unbefugte nicht manipuliert werden können. So hat zum Beispiel Continental während der IAA 2017 in Frankfurt eine Ende-zu-Ende-Sicherheitslösung vorgestellt, die vernetzte Fahrzeuge komplett abriegelt und so für ein höchstmögliches Sicherheitsniveau sorgen soll.
Werden Leistungsmerkmale eines Fahrzeugs per OTA-Update verändert, stellt sich zugleich auch die Frage, ob das Fahrzeug dann seine Zulassung verliert? So forderte beispielsweise der Tüv Rheinland einem Bericht der Wirtschaftswoche zufolge bereits im April 2016, dass einem Fahrzeug nach einem Update, das gravierende Parameter verändert, eigentlich die Zulassung entzogen werden müsse. Schließlich sei dieses danach nicht mehr das Gleiche, für das eine Betriebserlaubnis erteilt wurde. Auch wenn die europäischen Hersteller leistungsbeeinflussende und sicherheitsrelevante Updates (zunächst) weiterhin kontrolliert in der Werkstatt durchführen wollen, gibt es andere wie Tesla, die schon jetzt einen großen Schritt weitergehen.
So wird zum Beispiel das Model S von Tesla über Nacht Over-the-Air mit neuen Funktionen versorgt und verfügt am nächsten Morgen wie von Geisterhand etwa über einen Einpark- oder einen Spurwechselassistenten. Eine Überprüfung in der Werkstatt, ob das Fahrzeug nach dem Update noch ordnungsgemäß funktioniert, findet dabei nicht statt. Mögliche Fehlfunktionen zeigen sich so erst im realen Fahrbetrieb auf der Straße. Eine Entwicklung, die aus Sicherheitsgründen kritisch hinterfragt werden muss. Pkw – und erst recht schwere Nutzfahrzeuge – sind eben keine Smartphones.

Mercedes-Benz Uptime
Seit März 2017 bietet Mercedes-Benz Lkw das Serviceprodukt Mercedes-Benz Uptime an: Durch die intelligente Vernetzung von Lkw, dem Mercedes-Benz Service und dem Kunden kann ein Liegenbleiben vermieden werden. Zudem wird die Planbarkeit von Werkstattaufenthalten und die Fahrzeugverfügbarkeit für den Kunden verbessert. Dabei überprüft das im Lkw verbaute Vernetzungsmodul "Truck Data Center" vollautomatisch und kontinuierlich den Status der Fahrzeugsysteme, die mit Sensoren ausgestattet sind. Wenn sich ein Reparatur- oder Wartungsbedarf ergibt, meldet dies der Lkw automatisch an den Server des Mercedes-Benz Service. Die Diagnoseausführung des "Truck Data Center" für Uptime wird dabei remote (over the air) aktualisiert.