Sisu-Roadtrain in Finnland: 12 Achsen und 92 Tonnen unterwegs

Sisu-Roadtrain in Finnland
12 Achsen und 92 Tonnen unterwegs

Ein Viertel mehr Nutzlast und schnellerer Umschlag: Das sind Argumente, mit denen ein finnisches Transportunternehmen den Einsatz überdimensionaler Kombinationen begründet. Was hierzulande in die Kategorie Sondertransporte fallen würde, ist in dem nordeuropäischen Land halbwegs normal: Unter bestimmten Voraussetzungen sind Roadtrains mit zwölf Achsen und 92 Tonnen Gesamtgewicht im Dauereinsatz.

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Foto: Richard Kienberger

Glaubt man Samu Aleksi Hasunen, stellt man sich das schwieriger vor, als es ist. "Es hat eine Woche gedauert, dann war ich an dieses Fahrzeug gewöhnt. Es ist ganz einfach", sagt der 29-Jährige und lacht. Kurz zuvor war der finnische Lastwagenfahrer mit seinem XXXL-Gespann von der Zufahrtsstraße in ein Industriegebiet in Savonlinna abgebogen, um die nächste Ladung abzuholen. Als Mitteleuropäer, der hauptsächlich Standard-Sattelzüge mit fünf Achsen zu Gesicht bekommt und jüngst ein paar extralange Lkw, verfolgt man das Auftauchen des nordeuropäischen Roadtrains mit ehrfürchtigem Staunen: Ein 32 Meter langer Bandwurm rollt da vorbei, mit zwölf Achsen sowie 16 Rungen auf jeder Seite und tonnenweise Schnee am Chassis. Es dauert einen Augenblick, um das Gewirr zu analysieren und zu begreifen, wo die Gelenke sitzen und wie die Kombination zusammengesetzt ist. Der vierachsige Motorwagen, ein Sisu Polar, schleppt an der Deichsel einen fünfachsigen Hänger, auf dessen Heck wiederum ein dreiachsiger Sattelauflieger gekuppelt ist. Vier und fünf und drei – stimmt, es sind zwölf Achsen. Bei Bedarf, erklärt Samu, kann man die letzte Einheit auch abtrennen, zusammen mit dem Motorwagen ergibt der Fünfachstrailer dann eine "kleine" finnische Kombination. Als HCT-Transporte laufen die überdimensionalen Gespanne bei den wackeren Nordmannen. Bei uns wäre so etwas ein veritabler Schwertransport mit Begleitfahrzeugen und reichlich Bürokratie für jede einzelne Tour. In Finnland sind sie auf bestimmten Strecken und unter bestimmten Voraussetzungen im Alltagseinsatz.

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Richard Kienberger
Samu Aleksi Hasunen (29): "Es hat eine Woche gedauert, dann war ich an dieses Fahrzeug gewöhnt. Es ist ganz einfach."

Samus Tag hat morgens um 4 Uhr begonnen, jetzt am Nachmittag haben wir uns auf dem Gelände seiner Firma verabredet. Mit dem 32-Meter-Truck beschreibt der Holzfahrer ein großes S mit erstaunlich engen Kurven, das ihn um ein langes, flaches Werkstattgebäude herum auf den Lagerplatz führt. Einen halben Meter Neuschnee haben die Meteorologen für diesen Tag vorhergesagt. Ein paar Zentimeter weniger sind es letztendlich geworden, die Holzstapel ebenso tief verschneit wie die Straßen abseits von Autobahnen und wichtigen Bundesstraßen. Kerzengerade hat Samu sein Gespann eingeparkt, dann hängt er die Trailer ab und fährt mit dem Motorwagen neben den Dreiachs-Auflieger. Dessen hinteres Abteil soll zuerst beladen werden. Der Fahrer klettert in die Kabine seines Ladekrans (der man die vielen Arbeitsstunden deutlich ansieht) und wirft die Standheizung an, die in der nächsten Stunde ein gleichbleibend lautes Zischen von sich geben wird. Bevor er mit der Beladearbeit beginnt, lässt der Finne die Greifer eine halbe Minute lang um die eigene Achse rotieren, um sie gut gängig zu machen. Stämme greifen, den Schnee zumindest grob abklopfen, Stämme präzise zwischen die Rungen platzieren: tägliche Routine für den 29-Jährigen. Als das erste Abteil voll ist, belädt Samu seinen Truck zur Hälfte, danach folgen das vordere Abteil des Dreiachsers (wobei die Fracht ungefähr zur Hälfte über der Hinterachse des Fünfachsers liegt) und der Laderaum zwischen den vorderen Rungen des Trailers. Zwischendurch klettert Samu mehrmals aus der Krankabine und rangiert den Vierachser so neben den zu beladenden Trailer, dass dieser optimal innerhalb der Reichweite des Krans steht.

63 Tonnen Gewicht in einer Fuhre

Zum Schluss – inzwischen ist rund eine Dreiviertelstunde vergangen – kommen noch so viele Stämme auf den Motorwagen, bis auch hier der verfügbare Laderaum gut gefüllt ist. Insgesamt vier Holzstapel türmen sich jetzt auf dem Zug, ihr Gewicht schätzt der Fahrer auf 63 Tonnen. Das ist etwa ein Viertel mehr als die Kapazität der Standardkombinationen mit 76 Tonnen Gesamtgewicht. Hasunen komplettiert das Gespann, das es jetzt auf 92 Tonnen Gesamtgewicht bringt, wieder und parkt es auf der dem Holzlager abgewandten Seite des Werkstattgebäudes, wo es bis zum Schichtbeginn am nächsten Morgen stehen bleibt. Was bewegt Unternehmen dazu, sich derartige Roadtrains anzuschaffen? Bei Samus Arbeitgeber, dem Transportunternehmen Kari Malmstedt Oy, ist man überzeugt, damit die Effizienz deutlich erhöhen zu können. Mit seinem Bandwurm, erklärt Samu Hasunen, könne er natürlich nicht die Lagerplätze in den Wäldern anfahren. Er pendelt zwischen insgesamt acht Plätzen, an denen das Holz zwischengelagert, und den Fabriken, an die geliefert wird.

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Richard Kienberger
Mit 625 PS aus dem Daimler-Aggregat zieht der Sisu die Lasten durch die winterlichen Wälder Finnlands.

Die "kleineren" Einheiten können sich so auf die Arbeit im Wald konzentrieren und von den Einschlagplätzen wesentlich mehr abfahren, da sie ja nur zu den Zwischenlagern fahren müssen und die längeren Strecken zu den Abnehmern vom HCT-Zug mit der höheren Tonnage übernommen werden. Samu bewältigt die Touren auch deshalb schneller, weil er bei seiner Arbeit nur in Ausnahmefällen Ketten anlegen muss: "Ich benötige die vielleicht zweimal im Jahr, aber wenn du in den Wald musst, brauchst du die oft dreimal am Tag", sagt Hasunen, der selbst sechs Jahre lang in die Wälder gefahren ist, um das Rohmaterial für die bedeutsame Holz- und Papierindustrie dort abzuholen. Häufiges Fahren mit Ketten beeinträchtigt auch die Lebenserwartung der Reifen. Die naheliegende Frage, wie es angesichts verschneiter und vereister Fahrbahnen um die Traktion des 92-Tonnen-Gespanns bestellt sei, beantwortet Samu mit einer Lobeshymne auf seine neuen Winterreifen. Der Michelin X Multi Grip, der auf den Antriebsachsen aufgezogen ist, sei in diesem Winter in den nordischen Ländern auf den Markt gebracht worden und fantastisch. Ach so, er hatte ja schon erwähnt, dass das Fahren mit dem Zug generell "pretty easy" sei. Das Tagespensum der 32-Meter-Kombination summiert sich im Durchschnitt auf 600 Kilometer – eine beeindruckende Leistung, wenn man die winterlichen Straßenverhältnisse berücksichtigt.

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