Die Achse wird elektrisch und intelligent. Im Interview mit der Fachzeitschrift lastauto omnibus spricht Christoph Günter, Präsident für die Region EMEA bei SAF-Holland, über die Potenziale der E-Achse und die Pläne bei der Telematik.
Das hat unterschiedliche Gründe. Zum einen ist Russland für SAF-Holland einer der wichtigsten Einzelmärkte. Wir haben dort ein sehr gutes Standing und zudem einen hohen Anteil von Fahrzeugen, die von Westeuropa aus mit SAF-Achsen nach Russland geliefert werden. Mit der Investition in ein neues Werk im Norden Moskaus können wir den Bedarf nun regional bedienen. Zum anderen reagieren wir damit auf die gesetzlichen Vorgaben in Russland, die den Anteil der Wertschöpfung aus regionaler Produktion regeln. Mit dem Engagement vor Ort können wir uns also das Label „made in Russia“ sichern.
Die Fundamente sind gegossen, die ersten Maschinen im Aufbau. Die Produktion soll im ersten Quartal 2022 starten. In dem 4.000 Quadratmeter großen Werk bauen wir 60 Arbeitsplätze auf, davon 50 in der Produktion. Es handelt sich um einen ehemaligen Distributionsstandort von uns.
Wir werden in unserem neuen Werk Achsen der SAF-Intra-Serie mit Scheiben- und Trommelbremsen herstellen. Dabei wird das neue Werk, gemessen an den Produktionsvolumina, unserem Werk in der Türkei entsprechen. Wir werden im nächsten Jahr auch unser bestehendes Werk in der Türkei weiter ausbauen. Unser größter Produktionsstandort in Europa ist unser Stammsitz in Bessenbach, wo wir das komplette Portfolio fertigen.
Der lokale Markt entwickelt sich positiv, ebenso die Nachfrage aus dem Mittleren Osten. Wir möchten dort zudem nicht nur die Kapazitäten, sondern auch das Portfolio erweitern. Aktuell ist bei neun Tonnen Schluss. Wir überlegen, künftig gegebenenfalls auch Angebote für den schweren Bereich und trommelgebremste Achsen zu machen.
Die Situation ist noch sehr angespannt, jeden Tag kommen kleinere und größere Engpässe auf. Doch inzwischen hat sich alles etwas eingeschwungen. Die gute Nachricht ist: Wir als Hersteller von Achsen und Fahrwerkssystemen sind für unsere Kunden nicht der größte Flaschenhals in der Lieferkette. Wenn Liefertermine platzen, liegt es meist nicht an uns. Das sagen uns unsere Kunden. Die Verfügbarkeit von Elektronikprodukten ist deutlich angespannter. In unseren Achsen sind keine Chips verbaut. Wir könnten noch mehr produzieren, gehen aber bei den Schichten nicht noch weiter hoch – falls dann doch in der Kette etwas reißen sollte. In allen unseren Werken arbeiten wir im Dreischichtbetrieb. Bei Bedarf könnten wir auch noch am Wochenende produzieren, was wir aktuell aber nicht machen.
Nach einer sehr guten Geschäftsentwicklung im ersten Halbjahr sehen wir auch im zweiten Halbjahr eine anhaltend hohe Kundennachfrage und eine Auslastung unserer Transportkapazitäten. Stark gefragt sind weiter Achsen für alle Marktsegmente – vom Curtainsider bis zu Sonder- und Spezialfahrzeugen. Unser Auftragsbestand, der bereits auf hohem Niveau ist, hat sich auf diesem hohen Niveau stabilisiert.
Auf der Solutrans in Lyon werden wir im November vier Fahrzeuge unterschiedlicher Kunden zeigen, die schon über E-Achsen verfügen. Rund zehn Vorserienfahrzeuge laufen bereits in Europa, ein weiteres in Australien. Im Laufe des Jahres werden wir insgesamt 50 Fahrzeuge mit unseren Rekuperationsachsen TRAKr ausstatten.

Auch in den USA sind wir dabei, gemeinsam mit einem großen Trailerhersteller ein Fahrzeug aufzubauen. Das alles hat sich so entwickelt, wie wir es uns vorgestellt haben. Geplant ist, dass wir auch beim Zukunftskongress Nutzfahrzeuge in Berlin ein Fahrzeug, das wir gemeinsam mit Kögel entwickelt haben, zeigen werden. Die Verbindung mit einem Carrier-Kühlgerät und einer Addvolt-Batterie bietet für den temperaturgeführten Transport einen spannenden Anwendungsfall. Aktuell haben wir die Rekuperationsachse TRAKr im Fokus, bieten aber auch die Elektroachse TRAKe an, die wir derzeit in drei Testfahrzeugen mit Lohr erproben.
Es ergeben sich einige positive Effekte für die Kunden. Neben dem Wegfall der CO2-Emissionen beim Einsatz von Diesel für die Kältemaschinen fällt Gewicht in Form des Dieseltanks weg. Die elektrisch angetriebene Kühlmaschine ist sehr leise – ein nicht zu unterschätzender Vorteil für Fahrer, die im Lkw übernachten. Wir werden die Batteriepacks in Zukunft auch noch etwas kleiner gestalten können, auch das bringt einen Effekt. Aktuell sind sie etwas größer dimensioniert, weil wir bei der Energieversorgung auf Sicherheit bedacht sind. Und dann kommt es mit Blick auf den Businesscase im Sinne von Skaleneffekten natürlich auf die erforderlichen Stückzahlen an.
Die 50 Einheiten laufen bei uns schon als Vorserie. 50 weitere Einheiten sind auch für nächstes Jahr geplant. Ende des ersten Quartals 2022 wollen wir in die Serienproduktion einsteigen.
Subventionen können ein Anreiz sein, wenn Kunden eine neue Technologie ausprobieren möchten. Entsprechende Programme funktionieren zu Beginn, um eine Stimulation zu erzeugen. Doch das Produkt muss technisch und kommerziell überzeugend sein, damit es unabhängig von staatlichen Anreizen funktioniert.
Das sind bekannte Unternehmen aus der Lebensmittellogistik, darunter Meyer Logistik, GFT, Dennree und Bünting. Die Trailer kommen von unterschiedlichen Herstellern wie Lamberet, Chereau, Ackermann oder Kögel. Wir konzentrieren uns auf den Einsatz im schweren Fahrzeug. Das unterscheidet uns vom Wettbewerb, der meist das kleine oder mittelschwere Fahrzeug im Fokus hat. Wir sind als Achs- und Fahrwerksspezialist auf schwere Fahrzeuge ausgerichtet.
Wir haben bei der Spedition Wormser drei Fahrzeuge im Einsatz, die mit intelligenter Sensorik am Achs- und Fahrwerk ausgestattet sind. Wir haben Vibrations- und Temperatursensoren verbaut, um daraus frühzeitig Hinweise auf einen möglichen Wartungs- oder Reparaturbedarf zu erhalten. Die in den Auflieger-Prototypen verbaute Sensorik ist bewusst überdimensioniert, um möglichst viele Erkenntnisse zur Korrelation zwischen den Daten aus der Sensorik und denen aus anderen Systemen wie dem Trailer-EBS zu erhalten.
Die zusätzliche Sensorik an Fahrwerk und Achsen bedeutet aber auch zusätzliche Kosten. Deshalb müssen wir einen Mittelweg finden zwischen der zusätzlichen Funktionalität und dem Businesscase.
Es geht darum, kurz- und mittelfristig handfeste Funktionalitäten anzubieten, die Einfluss auf das Serienprodukt haben und eines Tages zum digitalisierten Fahrwerk führen. Die Telematik kann auf diese Daten, die in die Cloud geliefert werden, jederzeit zugreifen – konkret zum Beispiel auf die Informationen zu Temperaturen und Vibrationen.
Mit unserer neuen Lösung Trailer Master sprechen wir Erstausrüster in Kontinentaleuropa an. Damit wollen wir nicht der nächste Standard-Telematik-Hersteller werden, sondern gezielt Funktionalitäten mit der Telematik verbinden, die mit Achse und Fahrwerk zu tun haben. Auf dieser Basis ist zum Beispiel eine vorausschauende Wartung möglich. Wir sehen uns als offenes System und haben keine Probleme, unsere Daten an Drittanbieter zu liefern. Uns ist es wichtig, dass wir Intelligenz in der Cloud anbieten und sie über Schnittstellen Fahrzeugbetreibern zur Verfügung stellen.
Zur Person
- Christoph Günter (Jahrgang 1979) ist seit Oktober 2019 Präsident für die Region EMEA (Europa, Mittlerer Osten und Afrika) bei SAF-Holland. Zusätzlich verantwortet er die Regionen Australien, Neuseeland und Japan. In der Position des Senior Vice President Global R&D Engineering steuert er die Produktneuentwicklung im gesamten Unternehmen.
- Günter startete seine berufliche Karriere 2004 bei MAN Nutzfahrzeuge im Bereich Sales und Marketing in Deutschland und Frankreich.2007 Wechsel zu Knorr-Bremse, unterschiedliche Führungsfunktionen in den Bereichen Sales, Marketing und Produktentwicklung. Zuletzt Vice President Sales & Marketing (EMEA) für die Bereiche Trailer, Specialist OE und Agricultural Vehicles.
- Studium am heutigen Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und der Universidad de Salamanca (Spanien), Abschluss als Diplom-Wirtschaftsingenieur.