Selbstfahrende Lkw, das klingt aus Fahrersicht nach Jobverlust. Die fortschreitende Automatisierung ist der natürliche Feind des Menschen hinter dem Steuer – könnte man meinen. Sunny Choi von Plus, einem Tech-Unternehmen mit Fokus auf autonome Lkw aus dem Silicon Valley in Kalifornien, sieht das anders. Sunny ist in Deutschland geboren, kommt vom Technologie-Riesen Bosch und soll das Geschäft von Plus in Europa vorantreiben. Dabei ist ihr eines im Gespräch mit eurotransport.de wichtig: "Die Technologie ist nicht da, um die Fahrer zu ersetzen. Sie ist da, um zu ergänzen."
Der Fahrermangel sei heute schon extrem und werde sich weiter verschärfen. Auch in Zukunft werde es noch Fahrer brauchen. "Aber bestimmte Touren, die junge Fahrer ablehnen, weil sie beispielsweise nach Feierabend bei ihrer Familie sein wollen, könnte man dann komplett automatisieren. Deswegen ist die Technologie aus unserer Sicht wertstiftend für die Logistik als auch für die Gesellschaft, weil die Fahrer damit freier in ihrer Entscheidung sind, was sie fahren möchten."
Damit weg von philosophischen Fragen, hin zur Praxis. Plus nämlich arbeitet nicht allein im stillen Kämmerlein an der großen Zukunft, dem autonomen Fahren nach SAE-Level 4 (siehe "Im Detail"). Stattdessen verkauft das Unternehmen schon heute teilautonome Systeme nach Level 2. Damit kann Plus für die weitere Entwicklung auf riesige Datenmengen direkt aus der Praxis zurückgreifen – und die over-the-air auf die Lkw wandernden Updates gleich wieder gegenchecken. Diese Vorgehensweise ist aus technischer Sicht sinnvoll. Aber auch aus wirtschaftlicher Sicht, weil Plus so schon Geld verdient – und aus Kundensicht, weil die Sicherheit so schon größer ist als in Lkw ohne die Plus-Technologie. Für Sunny eine "Win-Win-Win-Situation". Und auch objektiv ein cleverer Ansatz mit Blick auf das Ziel, möglichst bald ein serientaugliches vollautonomes System auf die Räder zu stellen.
In China ab Werk, in den USA als Nachrüst-Kit
In China ist Plus dafür über ein Joint-Venture mit FAW vertreten und liefert seit Spätsommer 2021 die sogenannten PlusDrive-Einheiten direkt an das Band des Lkw-Herstellers. Schon zum Serienstart lagen tausende Vorbestellungen von großen Flottenbetreibern vor, heißt es. Kein Wunder, machte Plus kurz zuvor Schlagzeilen mit einer erfolgreichen Erprobungsfahrt eines selbstfahrenden Sattelzugs auf einem rund 30 Kilometer langen, abgesperrten Bereich einer chinesischen Autobahn – ganz ohne Sicherheitsfahrer oder sonstigem Einschreiten eines Menschen. Und auch eine umgerechnet rund 6.400 Kilometer lange Rundtour mit vollbeladenem Trailer auf der Seidenstraße zwischen Suzhou und Dunhuang am Rande der Wüste Gobi will das Unternehmen damals schon erfolgreich autonom absolviert haben, wenn auch mit Überwachungs-Personal am Steuer. Dafür aber inklusive steiler Steigungen und Gefälle, Tunnel, Baustellen, enger Kurven und Staus – teils durch starken Regen, Nebel und einen Sandsturm.
In den USA ist Plus wiederum Ende 2019 in einer Demo-Fahrt durch Tag und Nacht von Küste zu Küste getourt. In weniger als drei Tagen hat der International-Hauber mit Kühlauflieger die rund 4.500 Kilometer von Kalifornien bis Pennsylvania abgespult – die meiste Zeit vollautonom, mit Sicherheitsfahrer und Sicherheitsingenieur an Bord.
Mittlerweile wird PlusDrive in den Staaten als Nachrüst-Kit für schwere Zugmaschinen angeboten. Standard-Fahrzeuge werden dafür mit Kameras hinter der Frontscheibe ausgestattet, geschützt vor Wind und Wetter und ohne zusätzlichen Heizungs- und Reinigungsbedarf. Weitere Kameras, Lidar- und Radarsensoren kommen in die Seitenspiegel, so dass PlusDrive die komplette Fahrzeugumgebung ohne tote Winkel im Blick hat. Dazu gesellt sich die High-End-Software des Unternehmens, in die hochauflösendes Kartenmaterial integriert ist. Das Resultat laut Plus: eine erhöhte Sicherheit, ein Mehr an Komfort für die Fahrer und um circa zehn Prozent reduzierte Spritkosten. Amazon hat für seine Logistik schon zugeschlagen und tausende Kits bestellt, weitere Kunden reihen sich ein.
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