Effizienz mit Camideos: Lkw-Verbrauch berechnen

Mehr Effizienz mit Camideos
Lkw-Verbrauch digital berechnen

Camideos will die Transportbranche mit einer Software zur Berechnung von Lkw-Verbräuchen nachhaltiger aufstellen. Im Interview geben CEO Philipp Rose und CTO Steffen Link einen Einblick in ihre Technik.

Zapfpistole in Hand im Hintergrund div. LKW
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lastauto omnibus: Herr Rose, mit Camideos simulieren Sie die Verbräuche von Lkw und beraten so Unternehmer in Sachen Nachhaltigkeit. Was motiviert Sie?

Rose: Ich versuche schon seit einiger Zeit zu verstehen, wohin die Reise in Bezug auf die Antriebstechnologie von schweren Nutzfahrzeugen geht. Während meiner Promotion am Fraunhofer-­Institut für System- und Innovationsforschung kam ich zur Erkenntnis, dass es nach dem fossilen Diesel nicht mehr nur eine einzige Lösung geben wird. Im Pkw-Segment scheint sich der batterieelektrische Antrieb durchzusetzen, im Bereich der Nutzfahrzeuge gibt es aber verschiedene Alternativen mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen – sei es die Batterie, die Brennstoffzelle, die Oberleitung, synthetische Kraftstoffe oder der Gasantrieb. Um die richtige Lösung auszuwählen, ist die Berücksichtigung der individuellen Anwendung entscheidend. Meiner Erfahrung nach wissen das die Transportunternehmer. Sie sind interessiert an alternativen Antrieben und fragen sich, welche Lösung für sie passen könnte.

… und da kommen Sie ins Spiel?

Rose: Genau. Vor diesem Hintergrund kam mir die Idee, die Unternehmer mit der Ausgründung aus dem Fraunhofer-Institut aus der Position der Unabhängigkeit von den Herstellern zu unterstützen – und dabei moderne Technologien wie Fahrzeugsimulationen, Machine-Learning und Big Data zu nutzen. Die Transportbranche nachhaltiger aufzustellen ist ein gesellschaftlich wichtiger Auftrag und wir als neutraler Marktteilnehmer sind dafür an genau der richtigen Stelle. Das Camideos-Team ist der Meinung, dass der Knoten in Bezug auf die Nachhaltigkeit nun endlich platzen muss und wird – unter anderem aufgrund der neuen europäischen CO2-Standards für schwere Nutzfahrzeuge. Dabei wollen wir unseren Beitrag leisten. Nicht mit einer weiteren Antriebslösung, sondern mit einer zielgerichteten Hilfestellung für die Anwender.

Ihre Vision ist es also, die CO2-Emissionen durch zielgerichtete Analysen zu senken?

Rose: Ja – und das im ersten Schritt durch den effizienteren Umgang mit dem aktuellen Energieträger, sprich dem Diesel. Wir senken den Verbrauch, indem wir den Lkw eine Art Fitness-Tracker verpassen. Damit helfen wir dem Unternehmer, seine Lkw besser zu verstehen. Wir sehen mit den aufgezeichneten Daten, in welchen Fahrsituationen welche Energieverbräuche verursacht werden, und vor allen Dingen, ob diese gerechtfertigt sind. Wir liefern dem Unternehmer also die Antwort auf die Frage, ob seine Lkw mehr verbrauchen, als sie eigentlich müssten – sei es aufgrund des Fahrverhaltens oder der Technik. So schaffen wir Transparenz und geben konkrete Handlungsempfehlungen, um Kosten und Emissionen zu senken.

Und im zweiten Schritt?

Rose: Da geht es um die Frage, welcher Antrieb passt, wenn der Diesel-Lkw ersetzt werden soll. Wir wollen dem Unternehmer die Antwort auf die Frage liefern, welcher Antrieb sich speziell für ihn lohnt und welcher nicht – und das unabhängig von den Herstellern, die ihre Fahrzeuge verkaufen wollen. Und unabhängig von der Technologie. Dabei geht es wieder um Transparenz, auch aus wirtschaftlicher Sicht. Unsere Kunden wollen in erster Linie wegen der Kosten die Verbräuche reduzieren, aber gerade im Mittelstand ist auch eine Umweltverbundenheit spürbar. Die Unternehmer wollen vorausdenken und ihre Post-Diesel-Technologie finden. Dafür sind wir der richtige Partner.

Wie funktioniert Ihre Technologie genau?

Rose: Das Geheimnis liegt in unserer Software. In einer Simulation der Fahrten des Unternehmers und den entsprechenden Analysen. Wir haben digitale Zwillinge der verschiedenen Lkw am Markt und digitale Abbilder der Strecken – so können wir berechnen, was der spezifische Lkw auf der jeweiligen Strecke verbrauchen dürfte. Dies können wir einerseits mit dem Real­verbrauch vergleichen, um Einsparpotenziale aufzudecken – andererseits aber auch ermitteln, was ein anderer Lkw auf ebendieser Strecke verbrauchen würde.

Und wie nahe ist die Simulation am echten Leben?

Rose: Schon wenn wir unsere Software nur mit den Eckdaten des Unternehmers füttern, kommen wir in der Simulation der Wirklichkeit sehr nah. Mit unserem Fitness-Tracker können wir dann noch genauer werden. So bewegen sich die Abweichungen im sehr niedrigen einstelligen Prozentbereich. Wir haben einem Kunden in der Vergangenheit so beispielsweise aufzeigen können, dass seine Fahrer schneller unterwegs sind als vorgegeben – und was für ein Mehrverbrauch dahintersteht. Anhand von Beschleunigungswerten konnten wir zudem sportlichere und weniger sportliche Fahrweisen erkennen und konkret gegenüberstellen, welche Auswirkungen das auf den Verbrauch und die Ankunftszeit hatte.

Link: Unser Schlüssel zum Erfolg ist der Algorithmus, der die externen Daten anreichert. Damit fahren wir virtuell die real gefahrene Strecke mit dem digitalen Zwilling des echten Lkw nach. Wir haben die Möglichkeit, da sehr viele äußere Faktoren miteinzubeziehen – beispielsweise den Verkehrsfluss, die Stärke und Richtung des Windes, die Luftfeuchtigkeit oder die Stärke des Niederschlags und auch die Straßenqualität. Je mehr Daten verfügbar sind, desto besser die Simulation.

Aber woher nehmen Sie diese vielen Daten?

Link: Das ist die Frage nach unserem Geheimrezept, das wir ähnlich dem Kochbuch unserer Großmutter gut hüten werden. Aber Ihr Punkt ist richtig: Hier sind viele Daten aus vielen unterschiedlichen Quellen nötig. Entsprechend nutzen wir dafür auch zahlreiche Quellen, Schnittstellen und Anknüpfungspunkte.

Rose: Wir sind in der Lage, die Störgeräusche zuverlässig zu eliminieren – und müssen dafür nicht jedes Fahrzeug in jeder Fahrsituation vermessen. Die Software ermöglicht uns, die Störfaktoren gezielt herauszunehmen und die Analyse auf eine andere Strecke zu adaptieren.

Wie sieht das mit Innovationen im Detail aus? Lassen sich beispielsweise neue Reifen integrieren?

Link: Das ist kein Problem, weil wir jede relevante Komponente des Lkw in einem physikalisch-mathematischen und entsprechend parametrierbaren Modell erfassen. Somit können wir die spezifische Konfiguration jedes Lkw zu 100 Prozent digital abbilden. Wir können also auch analysieren, ob die Versprechungen zu den Einsparpotenzialen der Innovationen in der Rea­lität tatsächlich Bestand haben. Unsere Erfahrung zeigt, dass aus einer vermeintlichen einprozentigen Verbrauchsreduktion schnell 0,1 Prozent werden.

Welche und wie viele Fahrzeuge können Sie aktuell digital darstellen?

Link: Wir fokussieren uns auf neue Lkw mit der Euro-6-Abgasnorm. Die Möglichkeiten sind aber enorm. Dank des modularen Aufbaus unserer Software können wir unkompliziert viele einzelne Komponenten ein- und ausbauen und so aus einem Diesel-Lkw auch einen LNG-Truck machen. Unser Algorithmus und unsere Datenbank geben das her.

Rose: Obwohl wir ein noch junges Start-up sind, würde ich behaupten, dass wir rund 90 Prozent des Marktes abdecken können. Wir standen bisher noch nie vor der Situation, dass wir ein Fahrzeug nicht virtuell abbilden konnten. Und durch die Daten-Logger, mit denen wir bei unseren Kunden unterwegs sind, können wir unsere Software täglich noch besser kalibrieren.

Wie sieht das in Bezug auf Lkw mit alternativen Antrieben aus?

Link: Im Prinzip bieten wir all das an, was am Markt angeboten wird. Das batterieelektrische Modell steht und auch Lkw mit CNG- und LNG-Antrieb sind problemlos abbildbar. Unser Ziel ist es, immer einen Schritt voraus zu sein. Wir machen uns stets Gedanken über die Technologien der Zukunft und wie wir diese simulieren können.

Und wie viele Kunden zählen Sie aktuell?

Rose: Als Start-up haben wir noch nicht Millionen von Kunden. Gleichzeitig stehen nur wenige Kunden schon für viele Lkw. Mit einem großen Partner aus Süddeutschland allein betreuen wir einen Fuhrpark mit über 1.000 Einheiten. In einem neuen Projekt beraten wir einen Biomarktbetreiber, der nicht mehr mit Diesel-Lkw arbeiten will. Unser Ziel ist es, genauso vielfältig zu sein wie unsere Kunden und in der Zukunft auch eine Webapplikation anbieten zu können, die der Kunde selbst bedienen kann – eine Art virtuellen Energieeffizienzmanager.

Philipp Rose, CEO Camideos
Camideos
Philipp Rose, CEO von Camideos
Steffen Link, CTO Camideos
Camideos
Steffen Link, CTO von Camideos

Zu den Personen

    Philipp Rose hat ein duales Studium zum Wirtschaftsingenieur abgeschlossen und parallel eine technische Ausbildung in einem Lokomotivwerk von Bombardier absolviert. An der TU Berlin hat er im Anschluss mit dem Schwerpunkt erneuerbare Energien/elektrische Antriebe seinen Master erworben. Nachdem Rose im Zuge seiner Tätigkeit bei einer Unternehmensberatung verschiedene Hersteller und Zulieferer in der Forschung und Entwicklung von alternativen Antrieben beraten hat, promovierte er am Fraunhofer-Institut. Das Themenfeld: die Elektrifizierung schwerer Nutzfahrzeuge. Im Januar 2020 schließlich ging Rose gemeinsam mit drei Kollegen mit der Fraunhofer-Ausgründung Camideos an den Start.

    Steffen Link ist Wirtschaftsingenieur mit Schwerpunkt Fahrzeugtechnik/Antriebsstrang/Simulation. Der Camideos-CTO ist das jüngste Gründungsmitglied und hat sich mit Philipp Rose ebenfalls während seiner Promotion am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung zusammengetan. Link ist für die Technologie hinter Camideos verantwortlich.