Jost-Vorstand Dürr im Interview: Den Takt vorgeben

Jost-Vorstand Dürr im Interview
Den Takt vorgeben

Interview: Joachim Dürr, Vorstandsvorsitzender der Jost Werke AG, blickt mit innovativen Produkten wie dem Drawbar Finder und dem KKS positiv in die Zukunft. Langfristig könnten Lkw so vollständig autonom fahren.

Den Takt vorgeben
Foto: Jost Werke
Herr Dürr, Sie sind jetzt seit mehr als zwei Jahren im Vorstand der Jost Werke – und die Erfolgsmeldungen reißen nicht ab. Ist die Corona-Krise denn völlig an Ihnen vorbeigegangen?

Joachim Dürr: Nein, auch wir haben die Krise zu spüren bekommen. Wir mussten unsere Produktion 2020 schnell zurückfahren und in diesem Jahr schnell wieder hochfahren, beides war herausfordernd und das wird es wohl auch noch bleiben. Wir entwickeln uns da parallel zu unseren Kunden – geht es ihnen gut, geht es auch uns gut. Aber insgesamt haben wir doch das Glück des Tüchtigen: Unsere Strategie, nah beim Kunden zu sein und unsere Flexibilität, die wir mit unseren Produktionsprozessen darstellen können, zahlen sich aus. Dazu kommt, dass wir uns im Transportbereich trotz der Pandemie in einem echten Zukunftsmarkt bewegen. Die gefahrenen Kilometer sind auch im letzten Jahr kaum zurückgegangen, dieses Jahr sind wir sogar wieder über dem Stand von 2019. Das zieht natürlich Neuanschaffungen nach sich, daher erfreuen sich unsere Produkte im Augenblick weltweit einer hohen Nachfrage. Das gilt für Asien – wo wir gerade in China extrem hohe Stückzahlen hatten – über Europa bis hin zu Nordamerika.

Auch neben Corona ist die Zeit aktuell geprägt von großen Umbrüchen in der Nutzfahrzeugindustrie. Welche Rolle spielt die Digitalisierung der Branche bei Jost?

Unser Geschäft fällt im Zuge der Digitalisierung nicht weg. Wir sind nicht Teil der Prozesse, die von ihr verdrängt werden. Daher ist die Digitalisierung für uns vor allen Dingen eine Chance. Die sehen wir darin, unsere Produkte weiterzudenken – Stichwort KKS und Drawbar Finder. Damit stellen wir den Transport effizienter auf, erhöhen den Komfort und sorgen für mehr Sicherheit. Dazu gehört, dass wir mithilfe von Sensoren die Funktionalität überwachen können – also ob beispielsweise der Königszapfen sicher gekuppelt ist. Das hat für uns einen hohen Stellenwert. Neben der Produktseite sind wir aber auch in Bezug auf Unternehmensprozesse an der Digitalisierung interessiert, einfach um uns effizienter aufzustellen in unserem sehr wettbewerbsintensiven Umfeld.

Wie genau funktioniert denn der Drawbar Finder und wie nimmt der Markt ihn an?

Jost Werke
Mit dem Drawbar Finder lässt sich der Zug sicher koppeln. Das System ist zudem auch nachrüstbar.

Das Herzstück des Drawbar Finder ist eine Kamera, die über der Anhängekupplung sitzt. Im Sinne von Augmented Reality überlagern wir deren Bild für den Fahrer mit Hilfslinien, ein wenig, wie man das von Rückfahrkameras aus dem Pkw kennt. Es gibt hier nur einen großen Unterschied: Wir müssen dem Fahrer auch ein Hilfswerkzeug anbieten, mit dem er die Höhe justieren kann, um die Deichsel zu treffen – dafür haben wir eine tolle und intuitive Lösung gefunden. Gerade erst fangen wir mit der Vermarktung an, aber wir versprechen uns viel – das System sitzt genau an der richtigen Stelle, erhöht die Effizienz und hilft, Unfälle zu vermeiden. Der Drawbar Finder kann dazu nachgerüstet werden und zieht keine Arbeiten am Trailer nach sich. Und: Durch unsere enge Zusammenarbeit mit den OEM besteht die Möglichkeit, das Bild des Drawbar Finder auf die ohnehin schon vorhandenen Displays in den Fahrzeugen zu übertragen.

Das KKS, das wir in lastauto omnibus 5/21 vorgestellt haben, geht in seiner Funktionalität noch etwas weiter. Diese Innovation macht das automatische Auf- und Absatteln möglich. Wie kommt das an im Markt?

Die Kunden, mit denen wir KKS zur Marktreife entwickelt haben, sehen einen klaren Gewinn auf Seiten der Zufriedenheit der Fahrer – und der Produktivität. Wir haben hier einen Fall, in dem mit KKS aus drei Lkw sogar zwei Lkw gemacht werden konnten, einfach weil bei jedem Kuppelvorgang 15 Minuten eingespart werden. Das sind natürliche extreme Anwendungen, aber überall da, wo viel auf- und abgesattelt wird und dort, wo Unternehmer mit einem Plus an Komfort und Sicherheit Fahrer gewinnen wollen, vernehmen wir großes Interesse, insbesondere jetzt in Zeiten des Fahrermangels. KKS hilft, Unfälle zu vermeiden – beim Ein- und Aussteigen, auf dem Catwalk, bei der Bedienung der Stützwinden. Und das nicht nur in Bezug auf die Unfallstatistik, auch hinsichtlich der Krankheitsausfälle. Bei all diesen Arbeiten muss man sich nicht ernsthaft verletzen, es reicht eine unachtsame Bewegung – und man fällt schmerzbedingt aus. KKS verhindert das.

Ob KKS oder Drawbar Finder – beide Systeme stellen große Schritte in Richtung der Automatisierung dar. Haben Sie Ihre Entwicklungsabteilung für die nächste Zeit also beurlaubt?

Wir haben glücklicherweise immer mehr Ideen als Kapazitäten. Wenn Sie an komplett autonomes Andocken an die Rampe denken, an autonomes Fahren in Minen, Steinbrüchen und Betriebshöfen, dann ist klar, wohin die Entwicklung gehen muss – dass man all die Dinge, die der Fahrer aktuell überwacht, weiterentwickelt, so dass der Fahrer weiter unterstützt wird und am Ende gar nicht mehr an Bord sein müsste. Dazu arbeiten wir weiter eng mit den OEM zusammen, auch mit der Zielsetzung, dass unsere Systeme die richtigen Informationen an den Lkw weitergeben, um ihn dazu zu befähigen, autonom einen Trailer aufnehmen zu können. Auch im Unternehmen bündeln wir unsere Ressourcen in der Elektronik, Mechatronik und der Entwicklung von Software – beispielsweise in Bezug auf unsere Marke Tridec und deren elektronische Lenksysteme. So arbeiten wir effizienter und können gemeinsam Plattformen entwickeln. Langweilig wird uns nicht.

Glauben Sie also daran, dass wir in Zukunft vollständig autonome Lkw sehen werden?

Langfristig ja. Das wird aber wohl nicht so schnell gehen, wie wir das alle vor zwei bis drei Jahren noch haben kommen sehen. Das Nutzfahrzeug ist dafür aber in jedem Fall prädestinierter als der Pkw, in dem ja von Natur aus Menschen sitzen – während im Lkw der Mensch nur an Bord ist, um die Fracht zu bewegen. Anwendungen in abgeschlossenen Arealen werden die Entwicklung vorantreiben, auf der öffentlichen Straße sehe ich Zwischenschritte. Teilautonomes Fahren oder autonome Teilstrecken könnten hier aber auch schon der Sicherheit zuträglich sein und dadurch verlängerte Fahrtzeiten möglich machen, was dann wieder aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten interessant ist.

Ein Thema, was ebenfalls an Fahrt aufnimmt, ist die Reduktion des CO2-Ausstoßes in der Branche. Wie kann Jost diesem Trend begegnen?

Unseren Beitrag zur CO2-Reduktion auf der Produktseite sehen wir vor allen Dingen darin, die Transporteffizienz zu erhöhen – so dass mehr Laderaum zu Verfügung steht und beispielsweise mit gelenkten Trailerachsen weniger Kraftstoff verbraucht wird. Auch die Sicherheit ist für mich ein Nachhaltigkeitsmerkmal, dass wir mit unseren Entwicklungen vorantreiben. Als Unternehmen wollen wir außerdem unseren CO2-Fußabdruck auf die Produktionsstunden gerechnet bis 2030 um mindestens 50 Prozent reduzieren, aufbauend auf das Jahr 2020. Das halten wir für einen wichtigen Aspekt in Bezug auf unsere gesamtgesellschaftliche Verantwortung und für ein wichtiges Signal, das auch unsere Kunden und Investoren positiv aufnehmen. Wir stellen erste Werke komplett auf grünen Strom um, außerdem steht die Reduktion unseres Energieverbrauchs im Fokus. Hier sehen wir uns wie auch auf Seite unserer Produkte als Marktführer in der Pflicht, den Takt vorzugeben.

Zur Person

  • Joachim Dürr (56) ist seit Januar 2019 Mitglied des Vorstands der Jost Werke und seit Oktober 2019 Vorstandsvorsitzender.
  • Nach seinem Maschinenbau- und BWL-Studium bekleidete er leitende Funktionen bei GM, dann Führungspositionen im MAN-Konzern. Vor seinem Wechsel zur Jost Werke AG wurde Dürr 2017 zum Executive Vice President Sales & Aftersales von Rheinmetall MAN Military Vehicles ernannt.

Zum Unternehmen

  • Die Jost Werke AG beschäftigt laut eigener Angaben weltweit über 3.000 Mitarbeiter und verfügt über ein Vertriebsnetz und Produktionsstätten in über 20 Ländern auf fünf Kontinenten.
  • Im 1. Quartal 2021 konnte das Unternehmen den Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 34,2 Prozent auf 257,3 Millionen Euro steigern. Das bereinigte Ebit (2020: 73,2 Millionen Euro) soll 2021 überproportional zum Umsatz im niedrigen zweistelligen Prozentbereich wachsen.