Ich würde einen Raum mit einem Tischkicker einrichten und einen mit einem Billardtisch. Die Mentalität der Start-up-Entwickler ist sehr unterschiedlich, und beide Spielarten würden wohl Anhänger finden. Wichtiger ist aber, dass in diesen Räumen eine völlig andere Büroorganisation und Arbeitsatmosphäre herrscht, als wir es aus herkömmlichen Bürostrukturen kennen. Spartanischer und doch wohnlicher, auf jeden Fall aber flexibler mit Co-Working Spaces, die sich mehrere Mitarbeiter teilen – Mitarbeiter, die aber auch von zu Hause aus arbeiten können. Es gilt, Flexibilität und Kreativität zu fördern.
Wir haben erste Erfahrungen mit unserem Investment in das Start-up "TruckIN" gemacht, das intelligente Plattformen rund um die Themen Fahrer-Rekrutierung sowie Akquise und Abschluss von Frachtaufträgen entwickelt. Mitarbeiter von Start-ups denken häufig nicht in festen Strukturen, sondern in Kooperativen, in der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen, im Austausch von Wissen, im Networking – da gibt es viele Facetten. Häufig denken sie auch nicht gleich in Wettbewerbsstrukturen und differenzieren sofort in Freund und Feind. Stattdessen gibt es eine größere Offenheit und Neugier. Denn es geht ja darum, ständig an neue Informationen zu Technologien, Produkten, Märkten und Kapitalgebern zu gelangen und somit die eigene Produktidee möglichst schnell nach vorn zu bringen.
Ganz genau. Wenn wir in unserem klassischen Business eine Investition planen, zum Beispiel die Entwicklung einer neuen Elektronik, dann beginnt ein Regelwerk von Anträgen, Entscheidungsvorlagen und Gremiengesprächen. Wenn diese nach einer gewissen Zeit erfolgreich vollzogen sind, dann setzen wir ein Projektmanagement auf und erstellen einen Projektplan. Irgendwann fangen wir dann auch mal mit dem Entwickeln an. In der Regel reden wir dabei über einen Zeitraum von einem halben Jahr und mehr, von der ersten konkreten Idee bis zum Start der Entwicklung gerechnet. In dieser Zeit haben wir aber schon die ursprüngliche Motivation, die aus der Produktidee entsteht, ein Stück weit verloren, denn die Idee ist ja nicht mehr so frisch wie ganz am Anfang. Außerdem besteht die Gefahr, dass sie durch andere Prioritäten wie Budgetkürzungen, Ressourcenmangel und andere Faktoren nicht oder nicht komplett umgesetzt wird. Ein weltweit tätiges Unternehmen wie Schmitz Cargobull benötigt diese Strukturen und Regeln und ist damit sehr erfolgreich. Doch die Digitalisierung definiert eigene Spielregeln.
Die haben eine Produkt-Idee und fangen direkt an. Parallel suchen sie sich Investoren, strategische oder institutionelle, bauen ihr Team auf und bewegen sich im digitalen Ökosystem. Sie schaffen sich ihre eigenen Entscheidungsstrukturen. Dadurch sind sie schnell und effizient. Zusätzlich gibt es auch Organisationen, sogenannte Inkubatoren, die sich darauf spezialisiert haben, Start-ups die notwendige Infrastruktur bereitzustellen. Wichtig ist: Das Start-up konzentriert sich permanent auf die Entwicklung der eigenen Idee. Dabei holt es sich direkt am Markt regelmäßig Feedback von potenziellen Kunden. Dieses Feedback kann von negativ bis euphorisch reichen – jedenfalls geht es danach direkt weiter. Die Zeitabfolge zwischen Start der Entwicklung und Organisation der Finanzierung ist also teilweise umgekehrt gegenüber herkömmlichen Organisationen.
Ist eine solche Herangehensweise erforderlich, weil bei digitalen Produkten und Geschäftsmodellen auch Innovationszyklen und Halbwertzeiten deutlich kürzer sind?
Ja. Deswegen müssen auch wir unsere neu zu entwickelnden Digitalangebote noch schneller auf den Markt bringen. Digitale Technologien geben uns heute die Möglichkeit, viele Daten miteinander zu verbinden. Das Internet der Dinge macht’s möglich. Inzwischen können über digitale Schnittstellen auch viele Geräte und Assets miteinander kommunizieren. Das Auto spricht mit einer Zugmaschine, die Zugmaschine mit einem Auflieger, der Auflieger mit einem Smartphone. Die Verbindung aus Internet, Mobilfunk und Vernetzung der Geräte untereinander bietet völlig neue Möglichkeiten. Genau hier wollen wir mit unserer neuen Digitalstrategie ansetzen. Dabei geht es immer darum, wie wir mit Apps und Services einen Nutzwert generieren und darauf dann ein Geschäftsmodell aufbauen können.
Der erste Punkt ist: Die Technik ist da. Der zweite Punkt erfordert den Mut, neue Dinge einfach anzugehen und dafür Verantwortung zu übernehmen, wenn eine Idee ausreichend Erfolg verspricht. Das gibt dem ganzen Thema die hohe Geschwindigkeit. Auch wenn von hundert Ideen nur zehn oder zwanzig Erfolg haben – diese Ideen können dann ganz groß werden. Dafür gibt es bereits heute unzählige Beispiele.
Nein. Genau deswegen wird sich Schmitz Cargobull in diesem Bereich neu ausrichten. Die Tradition, das Know-how um Transport und Logistik sowie die Finanzkraft der Muttergesellschaft geben uns den Background. Geschwindigkeit, digitale Innovation und Netzwerk holen wir uns aus dem Ökosystem der sogenannten „Digital Hubs“. In einer vernetzten Welt gibt es aber neue Anforderungen an Umsetzung und Flexibilität für neue Produkte und Services, die auf den Markt kommen. Da braucht es nicht immer eine zu 100 Prozent fertige Lösung zu sein. Viel wichtiger ist es, die Kunden frühzeitig einzubinden. Ich fertige schnell erste Prototypen an. Dann gehe ich wieder zum Kunden und frage, ob das so seine Vorstellungen erfüllt. Und dann starte ich die eigentliche Entwicklung mit modernsten IT-Anwendungen, Data Analytics und anderen Methoden. Mit einem Reifegrad von 70, 80 Prozent kann ich den Service dann bereits auf den Markt bringen und schauen, wie erfolgreich er ist. Parallel suche ich mir Investoren für meine Geschäftsidee.
Connectivity, das Internet der Dinge und neue Entwicklungsmethoden – diese Faktoren prägen den Markt für digitale Geschäftsmodelle. Dadurch erleben wir, dass sich Personen oder Organisationen und Firmen mit Themen beschäftigen, die nicht aus der betreffenden Branche stammen. Zum Beispiel macht ein IT-Entwickler eine Rundfahrt durch den Hamburger Hafen und sieht eine Reihe von Lkw, die vor einem Containerterminal im Stau stehen. Dann hat er eine Idee, wie das anders organisiert werden könnte, schreibt eine Software oder App und bringt diese auf den Markt. Der Entwickler kommt aber gar nicht aus der Transportbranche. Dieser Effekt ist in der digitalen Welt Standard.
Schmitz Cargobull hat erkannt, dass digitale Services das Kerngeschäft Trailer maßgeblich fördern und unterstützen, ja sogar teilweise absichern können. Unsere Kunden erwarten förmlich, dass wir das Serviceangebot ausbauen. Unsere 15-jährige Erfahrung in digitalen Services wie etwa der Telematik ermöglicht es uns relativ einfach, nun den nächsten Schritt in die Digitalisierung zu gehen. Dadurch wollen wir mit unseren Kunden noch näher an zukünftigen Markttrends partizipieren und vor allem mögliche, disruptive Geschäftsmodelle viel schneller identifizieren. Ein markantes Beispiel für eine solche Disruption ist das "StreetScooter"-Geschäftsmodell der Deutschen Post, die ihre eigenen Elektrotransporter baut. Die Disruption trifft die traditionellen Autobauer, die diese Fahrzeuge nicht mehr liefern. Mit Start-up-Strukturen können Unternehmen schneller auf diese disruptiven Entwicklungen reagieren, weil sie die Märkte tiefer durchdringen und Alternativen entwickeln. Wir als Schmitz Cargobull schauen dann eben nicht nur auf Achsen, Kühlgeräte, Trailer und Bremsen, sondern auf das digitale Transportmanagement als Ganzes.
Ganz gewiss sogar. In gewisser Hinsicht dient unsere Digitalisierungs-Strategie auch der Absicherung bestehender Geschäftsmodelle. Wir glauben, dass wir auch in 20, 30 Jahren noch Trailer bauen werden. Aber bauen wir noch die gleichen Trailer? Bauen wir vielleicht kleinere Einheiten? Fahren bestimmte Trailer auch autonom oder werden sie weiterhin gezogen? Und wie verändert sich die Logistik insgesamt? Wo Margen sinken, können neue, digitale Geschäftsmodelle auch dazu dienen, dieses aufzufangen und ein Gesamtunternehmen für die Zukunft neu auszurichten. Eine Pflanze, die heute noch klein ist, kann dabei schon morgen auch für einen Konzern von großer Bedeutung sein. Deswegen werden wir uns in der Digitalisierung nicht nur mit den Bereichen Transport und Logistik beschäftigen. Wir werden vielmehr alle Ideen, die Erfolg versprechen, unter die Lupe nehmen.
Wir entwickeln neue Geschäftsideen, aber müssen sie nicht zwingend selbst und alleine entwickeln oder umsetzen. Hier sind wir offen für Kooperationen oder gar Joint Ventures. Alles ist möglich. Es ist unserer Ansicht nach anzustreben, dass sich insbesondere mittelständische Unternehmen hier noch viel stärker positionieren. Denkbar wäre zum Beispiel, gemeinsame Venture Capital-Fonds aufzulegen, um Investitionskapital für gute Geschäftsideen bereitzustellen und diese anschließend gemeinsam zu nutzen und zu vermarkten.
Die Veränderung hat schon begonnen. Immer mehr digitale Geschäftsmodelle sind bereits heute auf dem Markt. Nehmen wir das Beispiel Frachtenbörsen, was einige auch als digitale Marktplätze bezeichnen. Da im Logistikmarkt noch viele manuelle Prozesse existieren, verspricht jede Automatisierung dem Anwender zunächst einmal einen Mehrwert. Allerdings werden hier immer noch wichtige Wertschöpfungsstufen ausgelassen. Was nutzt es einem Verlader, wenn seine Spediteure ihm während eines Transports keine konsistenten Daten über seine Ware liefern können? Es fehlt an Standards. Die Digitalisierung fängt bereits bei der Erhebung der Daten an. Unsere Rolle bei Schmitz Cargobull sehen wir deswegen darin, erst einmal gemeinsam mit dem Spediteur die Basis dafür zu legen, dass der Verlader in diesen Informationsfluss eingebunden werden kann – mit der dafür benötigten Elektronik und Sensorik, die für die Datenerfassung zuständig ist. Das ist die Voraussetzung für jedes darauf folgende Geschäftsmodell. Darüber hinaus ist es aber unser Ziel, auch an diesen Geschäftsmodellen zu partizipieren. Das kann durch die Beteiligung an Unternehmen wie TruckIN sein, aber auch durch eigene Aktivitäten, die wir in unserer neuen Digitalstrategie bündeln werden.
Zur Person: Karl-Heinz Neu
Geschäftsführer Schmitz Cargobull Telematics GmbH
Karl-Heinz Neu ist seit 2005 Geschäftsführer der Schmitz Cargobull Telematics GmbH. Er brachte das erste digitale Geschäftsmodell des Unternehmens erfolgreich an den Markt. Zuvor leitete der studierte Betriebswirt unter anderem den strategischen Einkauf von Schmitz Cargobull und war in diversen Leitungsfunktionen im Bauzulieferer-Gewerbe und der technischen Industrie tätig.