Borghardt: Auf der vergangenen IAA haben in der Tat einige Wettbewerber einiges in dieser Hinsicht gezeigt. Wir hatten ein anderes Highlight, unsere erste angetriebene Trailerachse, die SAF Trak. Natürlich stehen die genannten Themen bei uns auf der Agenda ganz weit oben und wir haben dort sowohl in Leute als auch in Projekte investiert. Sie werden dazu also noch einiges von uns sehen. Aber noch ist es zu früh, um darüber
zu reden. Nur so viel: Unser Vorteil ist es, dass wir diese Technologien aus der Perspektive unterschiedlicher Märkten betrachten. Wir sind beispielsweise auch in Nordamerika sehr stark. Das sind die meisten Mitbewerber nicht. Dort haben die Trailerflotten noch ganz andere Größen – nämlich 40.000, 50.000, 60.000, 80.000 Einheiten. Dadurch ergeben sich ganz andere Möglichkeiten für Geschäftsmodelle.
Borghardt: Nein, das kann man so nicht sagen. Wir sehen beide Märkte, Europa und Nordamerika, ziemlich gleich auf. Und ganz ehrlich: Eigentlich sehen wir sogar beide Märkte nicht ganz vorn. Der gesamte Markt ist bei diesem Thema nicht schnell genug. Besonders in der chinesischen Transportindustrie wird sich die Digitalisierung noch schneller entwickeln als hier in Europa oder in Amerika.
Borghardt: Ja. Die Chinesen setzen gerade zum großen Sprung an – von kostengünstig und Standard in Richtung Premium – und das vollzieht sich ganz schnell. Die Chinesen haben nämlich nicht so viel zu verlieren. Sie haben keine hohen Werte an Bestandsfahrzeugen in der Bilanz. Start-ups gibt es überall. Wenn Ihnen in China 20 Ingenieure etwas programmieren, kostet das im Vergleich mit Europa und Nordamerika relativ wenig. Wir sind in allen drei genannten Märkten unterwegs in Sachen Digitalisierung. Das heißt, dass wir unser Budget aufteilen müssen. Da ist zum einen der Teil "Elektrifizierung". Dann ist da der ganze Teil "Sensorik und Telematik" und der Punkt "autonomes Fahren". Dazu gehört automatisches Kuppeln. Intern bedeutet das für unsere Produktion, dass wir auch dort digitalisieren. Hierbei sind wir sehr weit. Die Leitfragen sind für uns: Wie vernetzen wir unsere Maschinen und unsere Anlagen mit unserer Planung?
Borghardt: Der Zug ist ganz bestimmt nicht abgefahren. Wir haben einige Vorteile, die nur ein oder zwei andere Wettbewerber ähnlich haben. Wir verfügen über eine gewisse Größe. Das ermöglicht uns Investitionen in Forschung und Entwicklung. Wir haben einen großen Topf von vielen Millionen, die wir entsprechend verteilen können und wollen. Das ist das eine. Zweitens haben wir sehr großes Know-how aus der Vergangenheit. Was nützt es, wenn man als Start-up eine App für Verschleiß eines Bremspads oder eines Radlagers programmiert, wenn man nicht weiß, wo man die Verschleißdaten herbekommt und wenn man nicht weiß, wann man dem Spediteur oder dem Fahrer signalisiert: Achtung! Fahr innerhalb der nächsten zwei Tage oder vielleicht sogar in zwei Stunden rechts ran. Dann fällt das Radlager aus.
Dieses Know-how besitzen nur ganz wenige. Predictive Maintenance ist hier das Schlagwort. Man darf auch nicht vergessen, dass sich jeden Tag etwas Neues entwickelt. Wir erleben das seit zwei Jahren intensiv. Im Moment redet jeder mit jedem. Die Großen mit den Kleinen, die Langsamen mit den Schnellen. Es ist spannend, was wir an Gesprächen mit Leuten führen, die wir früher überhaupt nicht auf dem Radar hatten. Wir reden über Zusammenarbeit und Kooperationen. Nur wenn man nichts macht, ist klar, dass der Zug abgefahren ist. Aber da gehören wir mit Sicherheit nicht dazu!

Borghardt: Wir haben einen Vorteil gegenüber allen Lkw-Herstellern. Wir sind neutral. Es gibt ganz wenige Flotten, die nur Zugmaschinen einer Marke fahren. Wenn ein OEM solche Dienste anbietet, egal ob das in Zukunft Ladungsoptimierung, Verschleißsensierung oder Predictive Maintenance ist, so ist er immer auf seine Marke bezogen. Und beim Thema Digitalisierung glauben wir an offene Plattformen. Wenn also jemand seine Plattform entwickelt, dann kann das erfolgreich sein, aber nur für eine begrenzte Kundengruppe, nämlich die jeweils eigenen Kunden.
Borghardt: Natürlich. Wir können und wollen nicht mit einem Daimler oder einer Markengruppe wie MAN und Scania mithalten. Aber das Wissen im Trailer, gerade was die Verschleißkomponenten angeht, das ist nun mal das Fahrwerk. Das haben nicht ganz so viele – zumindest nicht in der Tiefe und Breite, wie wir es haben.
Borghardt: Diesen Druck erleben wir nur in Deutschland. Der Rest der Welt geht genau den anderen Weg. Da wird nicht vertikal integriert, sondern da wird so viel wie möglich an Komponenten- und Systemhersteller ausgegliedert, vor allem an Systemanbieter. Wir sind Systemhersteller, wir sind kein Komponentenlieferer. Das kommt uns also genau zupass. Das heißt: Was wir vielleicht bei diesen drei an die Eigenproduktion verlieren, kompensieren oder überkompensieren wir in anderen Märkten. Außerdem bauen die drei großen nur Volumenaggregate und keine für Spezialanwendungen. Das macht weder uns noch unsere Wettbewerber entbehrlich.
Borghardt: Ich fange mal mit China an. Wenn man unsere Zahlen betrachtet, dann sieht man, dass unsere Umsätze dort tatsächlich rapide steigen. Aber auch der Profit steigt entsprechend. Wir liefern dort beispielsweise immer weniger nur eine Standardachse, zum Teil sogar ohne Radlager und Bremstrommel, sondern wir liefern das komplette System, das heißt Achse inklusive Federung und Radkopf, und verdienen damit ganz andere Margen. Das schlägt sich bei uns in deutlich verbessertem Umsatz und deutlich verbesserter Profitabilität nieder. In Nordamerika entwickeln wir uns ebenfalls genau in diese Richtung. In Europa sind wir bereits seit Längerem insgesamt sehr gut aufgestellt und das zeigt sich auch in einer recht guten Profitabilität. Das hängt damit zusammen, dass wir nur Premiumprodukte liefern, aber diese in hohen Stückzahlen, und dass wir in den vergangenen Jahrzehnten ein dichtes Servicenetzwerk aufgebaut haben. Das Aftermarket-Geschäft ist also ein wichtiger Treiber.
Borghardt: Wir haben das Ganze sozusagen initiiert. Es war uns nicht klar, welche Eigendynamik durch unser Angebot entsteht. Haldex hätte super zu uns gepasst, nicht nur mit der Bremse, sondern auch mit anderen Komponenten – seien es EBS, ABS und die ganze Luftfederungssteuerung. Die Akquise hat nicht funktioniert, dafür sind wir dann doch zu klein. Das Haldex-Thema ist daher erst mal ad acta gelegt. Wir bleiben deswegen aber nicht stehen.
Wir sind weltweit unterwegs und analysieren Übernahmeziele. Wir haben 2015 bekannt gegeben, dass wir sowohl organisch als auch anorganisch wachsen wollen. Wir werden bis 2020 um eine halbe Milliarde wachsen, also von einem Umsatz von einer Milliarde in 2015 auf 1,5 Milliarden bis Ende 2020. Dieses Wachstum der halben Milliarde soll zur Hälfte organisch sein und vor allem in Wachstumsmärkten wie China entstehen. Die andere Hälfte soll anorganisch durch Fusionen und Übernahmen passieren. Wir werden uns Unternehmen dazukaufen beziehungsweise mit Partnern Beteiligungen eingehen, die zu unserer Strategie und zu unserem Portfolio passen. Entsprechend interessante Komponenten und lokale Märkte sind vorhanden. Natürlich gehört das Thema Digitalisierung ebenfalls dazu.

Borghardt: Ja, wir werden auch in diese Richtung gehen. Wir sprechen hier von Spezialanwendungen. Genauso wie die hydraulisch angetriebene SAF Trak eine Spezialanwendung ist, die zum Kipper passt, weil dort eine Hydraulik ohnehin vorhanden ist.
Borghardt: Alle, die in schwierigem Gelände fahren, ob das die Schubboden sind oder ob es die Kipper sind, profitieren von der SAF Trak. Zunächst bringen wir die Achse in diesem Jahr in die Serie. Wir haben mit dem Projekt viel gelernt über Systemintegration. Das hilft uns jetzt auch in dem Thema Elektrifizierung. Wir werden 2018 sicherlich wieder sehr interessante Produkte präsentieren.
Borghardt: Alle reden gerade unheimlich viel von Digitalisierung. Aber was ist denn tatsächlich heute kaufbar von dem, was im Jahr 2016 auf der Messe IAA von diversen Anbietern präsentiert wurde? So gut wie gar nichts! Jeder spricht davon, jeder unternimmt irgendetwas. Das ist auch richtig so. Aber es ist dabei unserer Meinung nach sehr wichtig, dass wir eben nicht bloß daherreden oder irgendetwas anstoßen – und dann kein Produkt folgen lassen. Das ist gefährlich und entspricht nicht unserer Strategie.
Und wir leben maßgeblich vom Umsatz, hier und heute, von fakturierten Rechnungen, nicht nur von Ideen – und zwar mit den Produkten, die wir guten Gewissens anbieten und liefern können. Die Trak-Achse etwa. Dann kommen Stückzahlen zu den verschiedenen Trailerherstellern. Das heißt also, man hat auf der IAA 2016 bei SAF-Holland ein smartes Produkt gesehen und jetzt kann man es auch kaufen. Nun gehen wir den nächsten Schritt. Der wird dann elektrisch sein. Weiterhin steigen wir gerade in die nächste Entwicklungsstufe der modernen Luftdämpfung ein, wir nennen das Adaptive Air Damping. Auch da werden wir denselben Prozess solide abfahren.
Borghardt: Ich glaube, dass wir in der Industrie – und zwar weltweit – für die heutige traditionelle Wirtschaft beziehungsweise Old Economy stehen. Wir bauen Achsen, Sattelkupplungen, Sattelstützen und Kingpins. Dann fertigen wir auch alle Arten von mechanischen und Luftfederungen – sowohl für Trucks, Trailer als auch für Busse und große Wohnmobile. Das ist unser Geschäft und damit verdienen wir heute unser Geld. Daraus finanzieren wir unsere Forschung und Entwicklung. Daraus kommen wiederum die vielen neuen innovativen Ideen und Produkte. Einiges davon haben wir auf den vergangenen Messen gezeigt, unter anderem als mögliche Lösungsansätze für beispielsweise weitere massive Gewichtsreduzierungen. In Kundengesprächen haben wir dann sozusagen "das Wasser getestet", die entsprechende Resonanz analysiert und bewertet. Dabei zeigt es sich stets wieder, dass manche Ideen realisierbar sind und bezahlbaren Kundennutzen bringen, andere eben nicht. Zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt.
Borghardt: Das ist ein sehr gutes Beispiel. Das ist auch eine Nische, zumindest ist das noch so in Europa. In Amerika ist es absolut keine Nische. Da haben fast 40 Prozent aller neu zugelassenen Trailer heute eine Art Tire Pilot, also ein Reifenluftdruckauffüll- oder -kontrollsystem. Das war in Amerika vor zehn Jahren auch mal eine Nische, inzwischen ist es fast Standard, für manche Bereiche sogar Pflicht. Das sind Systeme, die sich gut vermarkten lassen und an denen man auch mal einen Euro mehr verdient.
Borghardt: Wir haben unseren Tire Pilot als erstes Unternehmen in Europa das erste Mal bereits auf der IAA 2006 gebracht, und in der Tat sind diese Systeme bis heute leider nicht flächendeckend im Einsatz. Was wir in diesem Zusammenhang in den Gesprächen mit Flotten vermehrt sehen, ist, dass die Sensibilität für Kosten steigt, aber vor allem für das Erkennen, wo diese entstehen. Mit dem Tire Pilot kennt man seine Kosten an dieser Stelle. Da ziehe ich wieder das amerikanische Beispiel heran. Wenn man 20.000 Trailer besitzt, dann muss man schon auf die Nachkommastelle gucken. Hat man pro Meile Kosten von 0,06 Cent oder 0,058 Cent? Bei Abermillionen Meilen, die mit diesen Riesenfuhrparks zurückgelegt werden, macht sich diese Nachkommastelle wiederum in deren Gewinn- und Verlustrechnung bemerkbar. Deswegen kommen Systeme wie Tire Pilot dort häufiger zum Einsatz.
Borghardt: Sehr groß. Viel größer, als wir es erwartet haben. Ende 2018 soll die Serienproduktion beginnen.
Borghardt: Wir haben damals gesagt, wir bieten eine Intra Standard und eine Intra für Fahrzeuge mit hohem Schwerpunkt wie Kühlfahrzeuge an. Dieses Projekt haben wir inzwischen eingestellt. Einige Zeit nach der IAA sind wir dann noch mal in die Analyse gegangen und haben in der bestehenden Intra, so wie sie heute aktuell zu kaufen ist, in den zwei Varianten Intra und Intra CD diverses Kostenpotenzial entdeckt. Damit war der Vorteil der Neuentwicklung in einer Hinsicht auf Kosteneinsparung einfach nicht mehr groß genug.
Borghardt: Ich bin mit der Entwicklung dieses Segments zufrieden. Wir haben unseren Marktanteil sowohl im Bereich Kingpins als auch im Bereich Sattelstützen gesteigert. Wir sind in Deutschland aber nicht dort, wo wir in Amerika stehen. In Amerika haben wir Marktanteil bei Kingpins von circa 70 Prozent und mehr, bei Sattelstützen deutlich über 50 Prozent, eher Richtung 60 Prozent, bei Sattelkupplungen über 50 Prozent. Da sind wir in Europa noch lange nicht. Dafür gibt es natürlich auch hier einen Wettbewerber, der recht stark und auch gut etabliert ist.
Borghardt: Mercedes-Trailerachsen waren immer Wettbewerber, aber kein so großer Spieler im Markt. Das sehen wir jetzt, nach der Übernahme von Jost, weiterhin so.