Interview mit Alexander Pöschl Lab Daimler Buses: Start before you are ready!

Interview mit Alexander Pöschl Lab Daimler Buses
Start before you are ready!

Der Vorteil einer Start-up-Kultur wie im Mobility Solutions-Bereich liegt darin, dass alles gedacht und vieles ohne feste Hierarchien umgesetzt werden kann. Wie es dadurch zu besonders interessanten Projekten und Ergebnissen kommt, erklärt uns der neue Leiter, Alexander Pöschl.

Mercedes-Benz eCitaro
Foto: Daimler
Was ändert sich mit der Einführung des elektrischen Citaro ganz konkret für das Team von Mobility Solutions?

Pöschl: Für uns sind natürlich die Anforderungen des Kunden neben dem neuen Fahrzeug am interessantesten. Die ersten Ausschreibungen sind ja im Haus, und die Fragestellungen werden vielfältiger und konkreter und gehen deutlich über das reine Fahrzeugkonzept hinaus. Die spannende Frage für den Kunden ist ja ohne Zweifel „Wie bekomme ich den Wandel bei mir auf dem Betriebshof organisiert?“. Es gibt sicher noch Kunden, die nur den Elektrobus kaufen wollen, aber viel mehr wollen auch signifikant mehr haben, bis hin zur kompletten Betriebshofvernetzung und der Ladeinfrastruktur bis zum Aufstellen der Pantografen. Wir arbeiten mit den Vertriebskollegen bei „E-Mobility Consulting“ eng zusammen, das ist gewissermaßen ein Teamsport. Wir sind ja noch nicht am Ziel, wir sind am Beginn einer Reise. Wir freuen uns auf den Serienanlauf!

Sehen Sie ihr Team als eine Schlüsselfunktion auf dem Weg vom Fahrzeugbauer zum Mobilitätsdienstleister?

Pöschl: In der Tat ist mein Team bei den aktuellen Ausschreibungen stark im Fokus. Allerdings möchte ich betonen dass wir sehr eng mit den Vertriebskollegen zusammenarbeiten, anders wäre das auch überhaupt nicht sinnvoll. Die Anfragen unserer Kunden sowie die Ausschreibungen im Kontext der Elektromobilität gehen teilweise weit über das Fahrzeug hinaus. Der Bauchladen dessen, was wir anbieten könnten, wird also möglicherweise größer. Die Elektrifizierung des Citaro und die damit verbundenen Fragestellungen machen uns aber nicht automatisch zu einem Mobilitätsdienstleister, das ist dann doch noch einiges mehr. Darüber hinaus liegt für mich der Schlüssel zum Erfolg nicht darin, dass wir jetzt in einem anderen Teich fischen, sondern vielmehr dass wir das Zusammenspiel mit unseren Kunden weiter verbessern um eine möglichst reibungslose Einführung von Elektromobilität zu erreichen. Im Grunde genommen machen wir so etwas wie Transformationsbegleitung oder Change Management mit den entsprechenden Tools wie Expertengesprächen und anderen. In der aktuellen Phase lernen wir viel und versuchen immer bessere Antworten zu den Fragen unserer Kunden zu finden.

Welche anderen Daimler-Töchter sind denn involviert in Ihre Projekte?

Pöschl: Wir sind mit verschiedensten Experten in enger Abstimmung, zum Beispiel mit den Kollegen von MB Energy im Kontext „Second Life“. Auch wenn wir im Unterschied zu den Pkw-Kollegen mit Akasol statt der Deutschen Akkumotive als Batterielieferant unterwegs sind macht der Austausch zu Konzepten für Recycling und der möglichen Verwendungen der Batterien nach der Nutzung im Fahrzeug, dem sogenannten „Second Life“, sehr viel Sinn. Es ist aber noch zu früh, hierzu Konkretes zu sagen.

Hat der Bereich immer noch einen Startup Charakter, wie er sich ja auch im Standort Berlin ausdrückt?

Pöschl: Die Idee des Innovation Labs „Mobility Solutions“ ist und war es in der Tat anders als im konventionellen Umfeld an Themen und Ideen herangehen zu können als das in der Linie möglich wäre. In Berlin können wir mit den Kollegen aus nahezu allen Konzernsparten in einer Atmosphäre großer Offenheit ohne große Hierarchien bestens austauschen und arbeiten. Dank der dortigen Freiheitsgrade lassen sich Themen vorantreiben für die sonst schlicht auch die Zeit im klassischen Liniengeschäft fehlen würde. Die Bündelung unterschiedlicher Sichtweisen, helfen uns bei der Entwicklung unserer Ideen. Wir haben dort Mitarbeiter aus der Gründer und Start-up Szene an Bord. Einer meiner Kollegen dort war beispielsweise Gründer in seinem eigenen start-up. Als Gründer schaut er auf viele Themen völlig anders drauf als wir – eine absolute Bereicherung für uns. So kommen Themen wie zum Beispiel UX – also der User Experience – stärker in den Fokus. Dies hilft uns beim Servicedesign deutlich weiter. Schließlich haben wir beim Thema Digitale Dienste und Apps keine 125-jährige Historie vorzuweisen. Die Arbeitsweise ist also unterschiedlich, dennoch ist es am Ende wichtig das wir mit Mobility Solutions wertvolle Beiträge zur Weiterentwicklung von Daimler Buses liefern, die dann auch irgendwann in den Linienfunktionen aufgegriffen werden können. Das wir also die Strategie und das Innovation Lab in einem Bereich gebündelt haben hilft natürlich sehr bei der Ausrichtung und Definition der Suchfelder.

Dürfen Sie immer noch Fehler machen wie Ihr Vorgänger es formulierte?

Pöschl: Das ist immanent wichtig, nicht umsonst ist einer der Claims unserer „Leadership 2020“-Initiative „Start before you are ready“. Natürlich kann man das nicht in jedem Bereich machen, das ist klar. Eine Bremse entwickelt man anders als einen Digitalen Dienst oder eine App. Es passt zu uns als Technologieführer das man Neues ausprobiert. Von Zeit zu Zeit muss man dann gemeinsam entscheiden, wo biegt man ab, und wo bleibt man auf dem eingeschlagenen Weg. Wir müssen nicht alles wissen, aber wir müssen immer die richtigen Fragen stellen, das ist das Wichtigste bei unserem Ansatz.

Wie gehen Sie ganz konkret mit dem Thema Reichweite der ersten Batteriegeneration um mit den Kunden in der Beratung? Ist das nicht kritisch?

Pöschl: Es ist eine absolut spannende Zeit in der fast täglich neue Entwicklungen der Batterietechnologie angekündigt und vermeldet werden. Unser Ziel ist es dem Kunden eine funktionierende Lösung anzubieten auch wenn sich die Batterietechnik in den nächsten Jahren sicher stark weiterentwickeln wird. Unser Fahrzeug bietet neben dem vollelektrischen Antrieb auch die elektrische Heizung und Klimatisierung. Alles zusammen genommen kommen wir hiermit im Testzyklus auf die bereits kommunizierten Reichweiten. Wie alle anderen Wettbewerber arbeiten natürlich auch wir daran diese sukzessive zu erweitern. Dennoch sind wir über manche Reichweitenangaben im Verhältnis zur Batteriegröße ein wenig überrascht, am Ende wird die Realität zeigen wo sich diese einpendeln. Seien sie versichert, unsere Entwickler haben großen sportlichen Ehrgeiz und werden auch zeitnah noch mehr Strom mit den nächsten Entwicklungsstufen geben, die dann auch die Reichweiten weiter erhöhen.

Können Sie sich auch Leasingmodelle für die Batterien vorstellen, bei denen der Kunde immer die aktuellste Batteriegeneration auf dem Dach hat?

Pöschl: Das ist in der Tat eine Variante, die wir uns anschauen. Fakt ist aber auch, dass sich Batteriegenerationen teilweise so stark unterscheiden, dass es technische Inkompatibilitäten geben kann. Dem Kunden eine langfristige Upgradefähigkeit faktisch zu garantieren, ist daher noch schwierig. Man muss ja bedenken: vor zehn Jahren hatte noch niemand den reinen Batteriebus auf der Rechnung, heute ist er auf dem Weg zum Standard!

Wie steht es um die Standardisierung der Ladeinfrastruktur derzeit? Da gibt es noch Bedarf, richtig?

Pöschl: Sagen wir es so, die Ladesäule ist noch nicht intelligent. Das ist eine der Auslegungsfragen der Systeme, die extrem vielschichtig aber auch sehr spannend sind. Vor allem die optimale Ladung der Batterien zwischen 20 und 80 Prozent der Kapazität intelligent im Betriebshof zu realisieren, ist noch in der Entwicklung zusammen mit unseren Zulieferern und Partnern. Bei dieser Systemintegration ist es sehr wichtig, sich mit den Partnern abzustimmen, und erst recht dann, wenn es um gemischte Fuhrparks geht, wie wir sie heute kennen. Nur mit Standards ist das ganze Thema nicht gelöst, aber ohne geht es natürlich gar nicht. Die Frage ist ja, wie ich das Puzzlespiel auf dem Betriebshof von einer Zahl von X Bussen und Y Lademöglichkeiten effizient orchestriere. Viele große Kunden machen sowas schon sehr professionell, aber viele kleinere Betriebe kommen mit Fragen hierzu auf uns zu. Mit unserer Beteiligung an Mobility House, einen Ladeprozessexperten, sehen wir hier viele Möglichkeiten, solche Kunden gezielt zu unterstützen. Da wächst derzeit noch sehr viel zusammen, wir sind auch hier noch nicht am Ziel. Die Herausforderung ist es einfach, das beste Paket aus all diesen Leistungen für den Kunden zu schnüren.

Stehen wir vor einem ähnlichen Kulturkampf wie AGR versus SCR in Sachen Depot versus Streckenladung? Wie haben Sie sich hier positioniert?

Pöschl: Am Ende ist es entscheidend welche Lösung für den Kunden die ideale ist, also wie das heutige Geschäft mit elektrischen Fahrzeugen betrieben werden kann. Am Ende wäre es meiner Meinung nach falsch sich auf eine Variante festzulegen, weswegen wir für beide Konzepte Lösungen anbieten werden. Die Diversität der Kundenanfragen und -anforderungen wird möglicherweise damit immer größer aber wir wären nicht der Marktführer wenn wir diese nicht wie auch in der Vergangenheit bewältigen könnten.

Welche Zusatzangebote bieten die digitalen Mehrwertdienste von OMNIplus ON gerade für den eCitaro?

Pöschl: OMNIplus ON ist unser Portal in dem die wir digitale Dienstleistungen für alle Fahrzeuge, unabhängig von der Antriebsart bündeln. Das Thema der System-Überwachung – oder das Monitoring – ist natürlich extrem wichtig bei den Applikationen, die wir dort anbieten werden. Sei es die Reichweite der Batterie oder Umwelteinflüsse wie das Wetter, all das ist von großer Bedeutung für den Elektrobus, um Ausfallzeiten zu vermeiden. Bei der Batterie ist es natürlich wichtig, deren Gesundheit zu überwachen. Aber auch die Orchestrierung des Depotmanagements bedarf zuerst einmal all dieser grundlegenden Daten aus dem Fahrzeug, die wir im Monitor-Bereich auf der Plattform abbilden. Uptime kommt im ersten Schritt nur für die Dieselfahrzeuge, im nächsten Step wird es dann sicher für die Batterieüberwachung bis hin zum Tausch und den Second Life Anwendungen interessant, aber da müssen wir noch eine Strecke gehen, bis das realisierbar ist. In diesem Zusammenhang ist die Integration in bestehende Systeme eminent wichtig, schließlich hat dieser ja in der Regel bereits vorhandene IT-Anwendungen die er nutzt. Er muss einen echten Mehrwert haben, und nicht nur eine weitere hippe App, die ihn aber im Endeffekt nicht weiterbringt. Es wäre vermessen bei dem Thema, zu sagen, wir wissen hier schon alles. Es werden hier Fragen aufkommen, die wir heute noch gar nicht im Fokus haben und auf die wir proaktiv mit dem Kunden draufschauen können. Gerade im Bus bietet das Thema Digitalisierung noch echte Chancen für alle Beteiligten im Prozess, weil es so viele Möglichkeiten entlang der ganzen Wertschöpfungskette gibt. Nicht immer wird es die 100prozentige Lösung für jedes Thema geben, es können auch mal 90 Prozent reichen, das sage ich ganz bewusst.

Was halten Sie von den derzeit im Mode gekommenen autonomen People Movern? Sind das Konzepte, mit denen Sie sich im Team befassen?

Pöschl: Auch hier gibt es kein schwarz oder weiß, schon gar nicht im Sinne einer globalen Aussage. Prinzipiell stellt sich neben dem Einführungszeitraum von solchen autonomen Fahrzeugen die Frage nach dem „Use Case“. In einer Fußgängerzone wird in den nächsten Jahren voraussichtlich niemand so schnell vollautonom fahren werden, wie möglicherweise auf einer BRT-Linie. Neben dem Einführungszeitraum stelle ich mir die Frage wie der höhere Flächenverbrauch, der ja bei den kleinen People Movern viel höher ist als bei Großbussen, die Mobilität der Zukunft verbessern kann und auch auf welchen Strecken. Fahrzeugkonzepte wie diese haben sicher eine Zukunft, jedoch werden diese nur schwer die Transportaufgaben der größeren Fahrzeuge komplett übernehmen können oder in Städten wie z.B. Stuttgart das Stauproblem lösen. Meiner Meinung nach geht es darum vom Kunden her zu denken, der ja einfach ohne Stau schneller von A nach B kommen will. Und bisher sind die eingesetzten Pooling Fahrzeuge nur unwesentlich stärker belegt als z.B. Taxen. Bei Mobility Solutions versuchen wir die Mobilität von morgen besser zu verstehen um Lösungen zu finden, die zu einem Mobilitätsoptimum beitragen. Um diese Fragen strukturiert und inhaltlich für uns zu bewerten, sehen wir uns regelmäßig Szenarien an, unser Geschäft signifikant verändern könnten. Solche „Destroy your business“-Szenarien schauen wir uns natürlich auch an und sind sehr dankbar für alle Impulse aus der Startup Szene.

Inwieweit sind Sie involviert in den Entwicklungen für die autonomen Systeme, die erstmals im Future Bus gezeigt wurden?

Pöschl: Die technische Entwicklung läuft natürlich bei den Experten in der Entwicklung und in enger Vernetzung mit den Kollegen von Daimler. Wir bei uns schauen eher auf Themen, die parallel entstehen, wie z.B. die Frage nach den Geschäftsmodellen für autonome Busflotten. „Wird es einmal Busplatoons auf der Autobahn geben können? Werden wir noch kaufen oder leasen?“ und dergleichen mehr. Oder aber auch: Verändern sich durch autonomes Fahren die Fahrzeuggrößen um eine Verbesserung der Mobilität zu erreichen? Dabei muss ich mir nicht die Gedanken machen, ob der Bus 2,55 oder 2,60 Meter breit ist, sondern welche Konzepte für welche Region Sinn machen. Das ist das was uns bei Mobility Solutions antreibt.

Wie sehen Sie das Thema elektrische Reisebusse?

Pöschl: Man muss hier wiederum genau den Einsatzzweck und den Use Case anschauen – es gibt nicht nur die Strecken Hamburg-Mannheim sondern eben auch Mannheim-Frankfurt. Der Rollout der Elektromobilität wird sicher weiter gehen, auch bis zum Reisebus und zu unseren Chassis. Die spannende Frage ist welche Anwendungsfälle wirtschaftlich und technisch sinnvoll abdeckbar sind? Es gibt deutlich mehr Anwendungen als die Extreme. Das chinesische Wettbewerber jetzt hier in Vorlage gehen ist interessant und auch ein gewisser Ansporn für uns.

Wo ist Ihr Bereich in zehn Jahren? Hat sie sich irgendwann abgeschafft?

Pöschl: Idealerweise haben wir in 10 Jahren viele Lösungen zur Verbesserung der Mobilität mitgestaltet und gute Ideen mit den Kollegen aus den Linienbereichen umgesetzt. Eines ist aber sicher, die Ideen werden uns nicht ausgehen. Möglicherweise sind die heutigen Fragestellungen dann so stark in den Linienfunktionen integriert, das wir kein separates Innovation Lab mehr brauchen. Was die Zukunft auch bringt wir werden uns weiter voll engagieren die extrem spannenden Projekte voranzutreiben.