Interview Henk Coppens: "Der Elektrobus löst eine nicht mehr zeitgemäße Technologie ab"

Interview Henk Coppens
"Der Elektrobus löst eine nicht mehr zeitgemäße Technologie ab"

Henk Coppens leitet seit April 2017 das niederländische Unternehmen VDL Bus&Coach, derzeit Marktführer bei Elektrobussen in Kontinentaleuropa. Wir haben mit ihm über den disruptiven Wandel und seine Folgen gesprochen.

"Der Elektrobus löst eine nicht mehr zeitgemäße Technologie ab"
Foto: Thorsten Wagner
Herr Coppens, Sie waren bei Philips zuletzt Leiter der LED-Sparte. Wo sehen Sie Analogien aus dem Lichtgeschäft zur Elektromobilität im Automobilbereich?

Coppens:Wenn die Technik ausgedient hat, muss man damit aufhören. Die LED-Technik war zu einhundert Prozent disruptiv für die Industrie, in der drei Firmen sich 70 Prozent Marktanteil teilten. Es macht aber keinen Sinn Dinge zu produzieren, die keiner mehr will. Das kann man hier am alten Philips-Standort gut sehen, wo ich vor 29 Jahren bei Philips angefangen habe. Heute spielt die Musik im Innovationsbereich. In den Fokus rückte jetzt der Halbleiter, ohne aber die Chipproduzenten wie Samsung und LG automatisch zu LED-Herstellern zu machen. Es geht eben nicht nur um die pure Technologie oder die Marktmacht sondern darum, was die Menschen in der jeweiligen Industrie antreibt. Es geht um eine ganz neue Art des Verkaufens. Der Elektrobus ist in ähnlicher Weise disruptiv, da er eine alte Technologie ablöst, die nicht mehr zeitgemäß ist. Wenn man Batterien fertigt, und man diese einfach in einen Bus einbaut, dann hat man noch lange keinen echten Bus produziert! Es geht auch hier um das Gesamtsystem, nicht um eine einzelne Technologie. 

Was bedeutet das konkret für einen unabhängigen Hersteller wie VDL?

Coppens: VDL Bus & Coach ist im Busbereich unabhängig, wir wählen selbst unsere Geschäftspartner bezüglich (Haupt-) Komponenten und bestimmen die eigene Produktpalette selbst. Wenn wir der beste Partner für den Übergang der Technologien sein wollen, dann müssen wir in Zero-Emission-Technik investieren. Das können wir einfacher tun, weil für uns der Verbrennungsmotor eine Zukaufkomponente ist. Das heißt aber auch für uns, dass wir auch noch in den besten Dieselmotor investieren müssen. Das Verhältnis von Hersteller und Aufgabenträger wird sich daher massiv ändern. Ein Kunde, den wir Ihnen vorgestellt haben, nimmt uns zum Beispiel das komplette System ab und das ist klar unsere Strategie. Eines ist aber sicher, wir wollen kein reiner Komponentenlieferant sein. Es wäre daher auch denkbar, dass wir bald auch in andere Bereiche der Wertschöpfungskette aktiv werden. Auch das Thema "zweites Leben" der Batterien sehen wir uns sehr genau an und erarbeiten hierfür Konzepte. Das Zauberwort hierbei ist Connectivity, das steht nicht mehr in Frage! Es wird bald keinen Bus mehr geben, der nicht connected, also vernetzt ist. Wir arbeiten zusammen mit strategischen Partnern an einer offenen Kommunikationsplattform. Dann werden wir Schritt für Schritt mit den Kunden Anwendungen entwickeln. Das wird auch zu deutlichen Änderungen im Bereich vorausschauende Wartung führen.

Aber wie schaffen Sie, die Kosten so im Griff zu behalten, dass Sie auch noch Gewinn machen? Das grenzt an ein Wunder.

Coppens: Ich bin froh, dass Sie das so sehen! Das hat mich aus meiner externen Perspektive auch fasziniert, dass es dem Firmengründer vor über 50 Jahren bis heute gelungen ist, immer weiter zu expandieren bis zur heutigen Zahl von 92 verbundenen Unternehmen. Dazu gehört eine ganz klare Strategie der Unternehmensgruppe und Investitionen in "smart manufacturing", nur so kann man die Produktion in den Hochlohnländern Niederlanden und Belgien halten. Und natürlich müssen wir auch Gewinne machen. Aber die Arbeit bleibt hier, und dieser Ansatz unterscheidet sich so stark von anderen Unternehmen. Und diese Erfolgsgeschichte motiviert mich enorm, um nach neuen Lösungen zu suchen, um weiterhin erfolgreich zu sein. Es geht darum, genau zu sehen, was der Kunde will und daraus eine Strategie abzuleiten.

Das heißt, Sie haben VDL schon lange beobachtet, als einheimischer Industrieller?

Coppens: Ich fange nichts an, woran ich nicht glaube – dazu bin ich mit 57 Jahren zu alt. Ich wohne hier und kenne die Familie Van der Leegte schon sehr lange – und ich war von dieser Firma fasziniert. Und gerade mit meinen Erfahrungen im LED-Geschäft, das ja wirklich sehr massiv gewachsen ist in den letzten Jahren, hat mir gezeigt, welche Freude es macht, bei diesen großen Veränderungen mitzuwirken in einer guten Firma.

Was mussten Sie im Busbereich lernen als Sie von rund zwei Jahren dazukamen?

Coppens: Ich bin nicht gerne in einem Komponentengeschäft tätig, weil man nicht wirklich verstehen kann, was der Kunde wirklich will. Das ist hier im Bus bei VDL völlig anders. Was mich positiv überrascht hat, ist dass der Busbereich von einer Art Virus infiziert ist. Viele Leute sind schon seit über 20 Jahren hier tätig, da muss einfach etwas dahinterstecken. Es geht um Hochtechnologie, die aber sehr traditionell ist. Nicht jeder im Busbereich ist von der disruptiven Qualität der technologischen Entwicklung vollends überzeugt. Wir lernen jeden Tag dazu, aber ich rede immer noch mit Menschen, die Elektromobilität für eine Orchideentechnik halten, die ganz schön ist aber nicht in der Realität ankommt. Aber um etwas philosophisch zu werden: wenn wir mit der nachhaltigen Mobilität der Menschen die Welt ein klein wenig besser machen können, dann haben wir etwas richtiggemacht. Das meinen wir mit dem Ausdruck "beyond buses".

Wie unterscheiden sich die Aufgaben des CEO von denen des COO, der sie vorher zwei Jahre bei VDL waren?

Coppens: Es ist eine völlig andere Rolle. Vorher habe ich mich mehr um Technologie und Produktion gekümmert, jetzt habe ich die Gesamtverantwortung, dieser Job ist einfach breiter aufgestellt. Aber ich selbst bin immer noch derselbe, auch als CEO bin ich noch immer ganz nah an der Fabrik und an dem Verkauf, zusammen mit Marcel Jacobs, unserem Marketing & Sales-Director der Bus-Gruppe. Deswegen gibt es auch keinen Nachfolger als COO. 

Welche Themen faszinieren Sie denn besonders neben der Elektromobilität? Und wie gehen Sie intern mit diesen Themen um?

Coppens: Ein wichtiges Thema wäre das autonome Fahren, das wir bei einem Fahrzeug für den Hafen Rotterdam schon im Haus haben. Das Schöne ist, dass die 92 Unternehmen in der Gruppe, davon 25 in meinem Bereich Bus & Coach, zwar eigenständig sind, aber man spricht miteinander und profitiert in solchen Fragen sehr stark voneinander. Ein weiteres Projekt, das so entsteht, ist ein Elektro-Lkw, an dem wir mit unseren Buskomponenten arbeiten. Wir müssen eine komplette Kundenlösung anbieten, und das schließt seit dem Eindhoven-Projekt auch die Lieferung von Energie mit ein. Und solche strategischen Schachzüge lassen sich mit den direkten und kurzen Entscheidungswegen in der Familie gut verwirklichen. Da haben Sie oft schon in 24 Stunden eine Entscheidung. In einem börsennotierten Unternehmen müssen Sie alle drei Monate mit ihrem Chef zum Finanzanalysten – das ist etwas ganz Anderes! Auch wenn es mal in einem Quartal nicht so gut läuft – wenn die generelle Richtung stimmt, ist das ok für uns und wir machen weiter. Darauf sind wir stolz, aber nicht selbstzufrieden, denn es gibt immer noch Dinge, die wir verbessern müssen. 

Wie geht es weiter bei VDL in Sachen Elektrobus und anderer alternativer Antriebe? Welchen Anteil nimmt das Thema heute in Ihrem Geschäft ein?

Coppens: Ich habe vor zweieinhalb Jahren genau analysiert, wo wir stehen beim Thema "Zero Emission". Und seither hat sich sehr viel verändert. Wir hatten bereits vorher schon den gesamten Aufbau der Organisation verändert, um hier effektiver sein zu können. Alle Aktivitäten inklusive der Vorentwicklung von Projekten wie dem E-Truck haben wir zusammengefasst. Aber auch wenn das nicht so gewesen wäre, hätte ich angefangen und meinem neuen Chef gesagt: "Wir müssen hier etwas tun, oder wir sind zu spät!" 

Unser Geschäft besteht aus Reisebussen und Stadtbussen, und das zu jeweils 50 Prozent. Im ÖPNV-Anteil geht es dabei zu ungefähr 60 Prozent um das Thema Zero Emission. Aber auch hier gilt wieder, ohne den Diesel kann man kein guter Partner sein für die Übergangszeit. Unser Ziel ist es nicht, morgen alles schon umgestellt zu haben auf Zero Emission. Im Reisebus werden wir den Diesel noch lange brauchen.

Blockiert der derzeitige Hype um das Thema Zero Emission nicht andere saubere Lösungen wie CNG und Euro 6-Diesel?

Coppens: Ja, das ist wahr. Aber auch ich kann die Zukunft nicht voraussagen. Alles, was mit der Erhöhung der Lebensqualität der Städte zu tun hat, ist sehr im Kommen gerade. Dazu ist der gesamte ÖPNV sehr politisch getrieben. Letztendlich werden die meisten Bereiche mit Zero-Emission-Antrieben ausgerüstet sein. Die Frage ist aber durchaus noch, welcher Energiespeicher den Elektromotor antreiben wird. Es wird zudem Zwischenschritte wie den Hybridantrieb geben. Am Ende des Tages geht es um die Kosten, und die Skalierungseffekte des Pkw-Bereiches werden auch hier ausschlaggebend sein. Eine der drei wichtigsten technischen Themen gerade ist die Leistungssteigerung der Batterien. Nicht ohne Grund steht die Batterietechnik im politischen Fünf-Jahres-Plan der Chinesen. Von den 173.000 Elektrobussen weltweit laufen rund 170.000 bereits ins China, wo ich 30 Jahre lang sehr häufig gewesen bin. Und die Kosten der Batterien werden deutlich sinken. Es ist keine Frage mehr, ob in Zukunft Batterien Busse antreiben werden, aber es geht um die konkrete Entwicklung dorthin. Wir glauben an „Zero Emission“ und wir glauben auch an Wasserstoff in Form der Brennstoffzelle. Wir haben zwei Gelenkbusse mit der neuesten Brennstoffzellen-Technologie für Eindhoven umgebaut, mit denen wir viel lernen. Einige Regionen haben ja sogar viel Abfallwasserstoff, den man nutzen könnte. Es gibt also mehrere Wege ans Ziel. An CNG glauben wir derzeit nicht, zumindest nicht für unseren europäischen Hauptmarkt. Daher haben wir auch keine Pläne in diese Richtung. 

Wo sehen Sie VDL in fünf Jahren im Markt?

Coppens: Unser Kernmarkt bleibt Europa, auch wenn wir uns hier und da in der Welt umschauen. Ich glaube, dass wir wachsen müssen, denn die Investitionen, die wir für die neue Technologie tätigen, müssen sich lohnen. Aber als familiengeführtes Unternehmen kann das in kleinen Schritten passieren. Wir müssen uns den Platz als Systemlieferant gegenüber den Bestellern wirklich hart erarbeiten.

Was sind gute Wettbewerber für Sie?

Coppens: Gute Wettbewerber sind Betriebe, die auch für die Zukunft genug Committment besitzen. Ich möchte gerne gute Wettbewerber haben im Busgeschäft, die auch, wie VDL, ein starkes Committment haben für eine Zero Emission-Zukunft. Es ist wichtig das Elektromobilität im Busbereich auf eine professionelle Art und Weise implementiert wird.