Wer einen 40-Tonner steuert, sollte die Hände nicht vom Lenkrad nehmen. Er sollte sie erst recht nicht sekundenlang in die Höhe strecken und dabei schelmisch grinsen. Doch Sven Ennerst tut genau dies – und scheint seine kleine Auflehnung gegen die Straßenverkehrsordnung sichtlich zu genießen. Er ist mit seinem Sattelzug auf einer der am dichtesten befahrenen Autobahnen Deutschlands unterwegs: der A 8, auf dem Abschnitt zwischen dem Flughafen Stuttgart und Wendlingen in Baden-Württemberg.
Der Mann mit dem weißen Hemd und der rahmenlosen Brille weiß jedoch, was er tut – dass er die anderen Verkehrsteilnehmer nicht in Gefahr bringt und dass er nicht wirklich gegen die Verkehrsregeln verstößt. Ennerst ist Chef der Produktentwicklung in der Lkw-Sparte des Fahrzeugbauers Daimler. Das Fahrzeug, in dessen Kabine er es sich bequem gemacht hat, ist ein besonderes: Es ist der erste teilautonom fahrende Lkw mit Straßenzulassung in Europa. Nach der Wiener Straßenverkehrskonvention ist es dessen Fahrer gestattet, mit Autopilot zu fahren, sofern er jederzeit intervenieren und die Systeme übersteuern kann. Das Fahrzeug ist ein Schritt auf dem Weg zur Mobilität der Zukunft und soll Erkenntnisse zum vernetzten und autonomen Fahren liefern.
Highway Pilot available
Der Autopilot heißt bei Daimler Highway Pilot. Die zwei Wörter prangen in großen Lettern sowohl auf der schwarzen Actros-Zugmaschine als auch auf dem aerodynamisch gestalteten weißen Sattelauflieger. Ansonsten aber ist der Lastzug für Außenstehende nicht von einem konventionellen zu unterscheiden, bei dem der Fahrer auch weiterhin nicht die Hände in die Luft strecken und dabei schelmisch grinsen darf.
"Highway Pilot available", melden die Instrumente im Cockpit wenige Augenblicke, nachdem Ennerst den Rasthof Denkendorf verlassen und sich auf der A 8 in Richtung Flughafen eingeordnet hat. Die Voraussetzungen für autonomes Fahren sind erfüllt, wenn das GPS-System erkennt, dass sich das Fahrzeug auf der Autobahn befindet und die Kamera die Fahrbahnmarkierungen erfasst.
Ennerst bestätigt, indem er den Knopf mit den Buchstaben "RES" am Lenkrad drückt. Dieser aktiviert üblicherweise den Tempomaten. Im Fall des Actros mit Highway Pilot aber übergibt der Fahrer damit das Kommando über sein Arbeitsgerät an die Systeme. Kaum ist der Highway Pilot eingeschaltet, hält das Fahrzeug selbstständig die Spur, bremst, beschleunigt und schwimmt im Verkehr mit. Ein blaues Autobahnsignal erscheint dazu im Display.
Es muss aber nicht die A 8 sein: Das Fahrzeug, das am 2. Oktober seine Jungfernfahrt absolvierte, darf nach Zustimmung des Regierungspräsidiums Stuttgart alle Straßen der Republik befahren. Diesen Freifahrschein nutzte kürzlich auch Chefentwickler Sven Ennerst, um Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sowie trans aktuell zu einer Ausfahrt mitzunehmen. Hermann genoss die Mitfahrt sichtlich und bedauerte hinterher: "Schade, dass ich nicht fahren darf."
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