Digitalisierung des Cockpits: Interview mit Dr. Michael Ruf

Digitalisierung des Cockpits
Interview mit Dr. Michael Ruf

Die Digitalisierung verändert nicht nur das Transportgewerbe, sondern auch den Lkw. So gilt es, Endgeräte wie Smartphones oder Tablets in das Fahrzeug so zu integrieren, dass der Fahrer trotz Informationsflut nicht abgelenkt wird. Ein Gespräch mit Dr. Michael Ruf, Leiter der Business Unit Commercial Vehicles & Aftermarket beim Zulieferer Continental.

Dr. Ruf Continental
Foto: Continental

Zur Person: Dr. Michael Ruf

Leiter Commercial Vehicles & Aftermarket, Continental

Die Karriere von Dr. Michael Ruf, Jahrgang 1964, begann nach Studium und Promotion in Elektrotechnik 1996 als Entwickler von Infotainmentsystemen bei Bosch-Blaupunkt. Im Jahr 2000 wechselte er zunächst zu Harman-Becker, bevor er im Jahr 2006 bei Siemens VDO die Leitung der Geschäftseinheit Infotainmentsysteme übernahm – eine Aufgabe, die er auch nach der Übernahme des Unternehmens durch Continental behielt. Seit 2009 leitet Ruf das Nutzfahrzeug- und das Aftermarket-Geschäft des Zulieferers.

Hand aufs Herz: Als Sie vor mehr als 20 Jahren als junger Ingenieur mit der Entwicklung von Infotainmentsystemen begannen, haben Sie da vorhersehen können, wie rasch sich die Technik entwickeln würde?

Unsere ersten Versuche führten wir noch mit Audiokassetten durch. Die wurden bald durch CDs abgelöst, die dann den Speicherkarten wichen. Und selbst die sind heute schon wieder fast obsolet, weil immer mehr Daten über Streaming ins Auto kommen. Die Entwicklung in dieser Geschwindigkeit vorherzusehen, ist nicht immer möglich – manchmal wird man einfach überrollt. Auch viele der Dinge, die wir heute nutzen, werden in ein paar Jahren schon wieder zum alten Eisen gehören.

Derzeit befindet sich die Transportbranche durch die Digitalisierung im Umbruch. Wo liegen da die Chancen, insbesondere für die Transportunternehmen?

Die Digitalisierung verschafft all jenen Themen, an denen wir bereits arbeiten, einen neuen Schub: Sicherheit, Effizienz, Komfort für den Fahrer. Das beste Beispiel ist für mich der Dienst "ZFuel" von Zonar, der es in den USA durch Fahrermonitoring und anschließende Schulung ermöglicht, die Kraftstoffkosten um bis zu 150 US-Dollar im Monat zu reduzieren – eine Größenordnung, die man sich beim Lkw zuvor kaum vorstellen konnte.

Der Anbieter Zonar, an dem Sie die Mehrheit akquiriert haben, macht auch deutlich, dass mit der Digitalisierung die Grenzen zwischen OEMs und Zulieferern verschwimmen. Machen Sie den Fahrzeugherstellern beim Thema Flottenmanagement Konkurrenz?

Historisch waren Flottenmanagementsysteme zunächst Angebote der OEMs. Mittlerweile wandeln sich diese Systeme zu offenen Plattformen, auf denen wir auch unsere Micro-Services anbieten können. Zum Beispiel bringen wir unsere digitalen Lösungen rund um den Tachografen als Service in die OE-Plattformen ein. Daran besteht großes Interesse, auch bei Drittanbietern, die Flottenmanagementsysteme unabhängig von den OEMs anbieten.

Mittlerweile etablieren sich aber immer mehr Plattformen, die Transport-aufträge direkt zwischen Auftraggebern und Unternehmern abwickeln. Wie verändert das die Branche?

Diese Plattformen revolutionieren das Transportwesen. Sie führen zu einer höheren Auslastung der Lkw und senken dadurch das Kostenniveau im gesamten Markt stärker, als es durch eine Absenkung des Verbrauchs um einen weiteren Liter möglich wäre. Da werden Dinge kommen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Insbesondere, wenn wir uns parallel dazu die Weiterentwicklung des Fahrzeugs anschauen. Beispielsweise müssen bei Elektrofahrzeugen Ladezeiten und Transportwege aufeinander abgestimmt werden. Wenn sich das Platooning durchsetzt, müssen zudem die einzelnen Platoons organisiert werden. Dann stellt sich beispielsweise die Frage, ob ein Fahrer im hinteren Teil des Platoons die Zeit nutzen kann, um zu schlafen. So etwas ist sinnvoll nur über Digitalisierung zu lösen.

Wie verändern sich die Anforderungen an die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine unter diesen Randbedingungen?

Zunächst einmal müssen dem Fahrer mehr Informationen angezeigt werden. Denkt man herkömmlich, würde das bedeuten, eine Menge zusätzlicher Displays im Fahrzeug zu installieren. Das ist aber natürlich endlich. Deshalb wird es künftig darum gehen, auf weniger Displays nur das anzuzeigen, was für den Fahrer tatsächlich in einer bestimmten Situation relevant ist. Wir müssen den Fahrer vor zu vielen Informationen schützen.

Reicht es dafür, die auf dem Tablet oder Smartphone eingehenden Informationen auf fest verbauten Displays zu spiegeln?

Grundsätzlich ist das ein guter Weg, weil ich Informationen und Bedien­schritte dabei so gestalten kann, dass sie mit weniger Ablenkung verbunden sind – etwa durch größere Schriften oder Bedienelemente mit haptischer Rückmeldung. Letztlich kann die Spiegelung aber nur einen ersten Schritt darstellen, denn mit zunehmender Komplexität lenkt die Bedienung von Logistikfunktionen trotzdem ab. Da hilft uns dann das automatisierte Fahren.

Dr. Ruf Continental
Continental
Momentan dominieren noch Insellösungen den Markt. Systeme wie ContiConnect erleichtern dem Fuhrparkmanager das Reifenmanagement.
Wie weit können Sie im Pkw erprobte Lösungen für Anzeigen und Bedienung auf den Lkw übertragen?

Natürlich setzen wir technisch auf dem auf, was unsere Pkw-Kollegen bereits entwickelt haben. Allerdings ist eine Anpassung in jedem Fall notwendig, denn ein Lkw muss viel mehr Informationen anzeigen können. Wir sehen auch Ansätze dafür, im Pkw erprobte, multimodale Bedienphilosophien auf den Lkw zu übertragen. Die technische Umsetzung stellt dabei eigentlich kein Problem dar. Die Frage ist nur, wer bereit ist, dafür die Kosten zu tragen.

Wie verändert sich dieser Ansatz, wenn die Automatisierung ein höheres Niveau erreicht?

Zunächst müssen wir erreichen, dass der Fahrer automatisierten Fahrfunktionen vertraut. Für die Mensch-Maschine-Schnittstelle bedeutet das konkret, dass der Fahrer den Status des Fahrzeugs jederzeit prüfen kann. Der technisch interessierte Fahrer mag sich vielleicht an einem Bild erfreuen, das die komplette, von den Sensoren erfasste Fahrzeugumgebung zeigt. Aber für den Normalbetrieb ist es sinnvoller, wenn man eine dreistufig leuchtende Anzeige – grün, gelb und rot – hat,  die dem Fahrer auf einen Blick signalisiert, ob die Technik alles im Griff hat. Ich glaube nicht, dass es reicht, einfach einen Knopf ins Cockpit zu setzen, mit dem man auf Automatikbetrieb umschaltet – ohne visuelle Anzeige. Die Menschen sind schon daran interessiert, zumindest aus dem Augenwinkel, kontinuierlich eine Information darüber zu erhalten, ob alles in Ordnung ist.

Was die Bedienung von Logistikfunktionen betrifft, würde man in einem hochautomatisierten Fahrzeug aber doch vermutlich eher auf ein separates Eingabesystem, etwa ein Tablet, setzen, oder?

Das Tablet zieht ohnehin ins Fahrzeug ein, weil es als Bedienschnittstelle für verschiedene IT-Systeme dient. Es ist das Arbeitsmittel für den Fahrer der Zukunft – aber nur, solange er nicht selbst fährt. Wenn der Fahrer am Lenkrad sitzt, gilt es, ihn über eine ganzheitliche Steuerung von Informationen auf einem mittleren Aktivitätsniveau zu halten, also weder zu stressen noch zu langweilen. Den Zustand des Fahrers können wir dabei über die klassische Müdigkeitserkennung per Lenkradwinkel oder noch genauer über eine Innenraumkamera erkennen und zum Teil des Regelkreislaufes machen.

Sprechen wir über die Informationssicherheit: Steigt nicht die Gefahr, wenn Sie das fest verbaute Infotainmentsystem mit Smartphone und Tablet koppeln?

Unser Ansatz besteht darin, die Informationsflüsse logisch zunächst zu trennen und einen Austausch nur über eine abgesicherte Schnittstelle zuzulassen. Für die Absicherung setzen wir verschiedene Methoden ein, vereinfacht gesagt etwa, indem der Datenverkehr auf dem CAN-Bus des Fahrzeugs laufend überwacht und protokolliert wird oder indem wir Informationen nur verschlüsselt übertragen. Daraus ergibt sich, dass eine klare Funktionstrennung zwischen Smart Device und fest installierten Geräten nicht grundsätzlich notwendig ist. Dass die Industrie da trotzdem konservativ ist, kann man nachvollziehen. Keiner will, dass ein 40-Tonner gehackt und ferngesteuert wird. Deswegen wird es auch noch sehr lange dauern, bis man bereit ist, auf fest installierte Systeme völlig zu verzichten.

Auch fest installierte Systeme werden im digitalen Zeitalter immer häufiger Updates benötigen.

Es ist durchaus denkbar, die Software solcher Systeme "on the fly", also ohne Werkstattbesuch, zu erneuern. Nehmen wir zum Beispiel einen Lkw, der normalerweise nur im Flachland unterwegs ist, nun aber für eine Tour über die Rocky Mountains 80 PS mehr haben sollte. Da wäre es doch schön, wenn man das über ein Software-Update lösen könnte. Theoretisch geht so etwas, auch wenn es vielleicht momentan für viele noch nach Spinnerei klingt. In solchen Fällen ist entscheidend, dass es keine Manipulationsmöglichkeit gibt. Für die Uploads haben wir durch die Partnerschaft mit Inmarsat sogar eine Technik entwickelt, die es ermöglicht, neue Softwarestände parallel an Fahrzeuge in allen Weltregionen sicher per Satellit zu übertragen.

In der Realität sind heute Smart Devices und Fahrzeug oft nicht oder nur rudimentär vernetzt – was dazu führt, dass das Smartphone eben doch während der Fahrt bedient wird. Wie kann man das ändern?

Ihre Aussage gilt vor allem für kleinere Flotten und Einzelunternehmer. Aus unseren Studien wissen wir, dass 40 Prozent der Flotten mit weniger als 50 Fahrzeugen noch gar kein Flottenmanagementsystem im Einsatz haben. Für diese Unternehmen ist ein Flottenmanagement, das nur über die Smart Devices läuft, deutlich einfacher zu realisieren.

Im Zweifelsfall ruft da der Disponent den Fahrer an.

Ja, genau. Aber man darf auch nicht vergessen, dass die Vermittlung von Transportaufträgen über digitale Plattformen erst ganz am Anfang steht.

Wäre das auch ein mögliches Geschäftsfeld für Sie?

Auf jeden Fall. Wir arbeiten aktuell zum Beispiel an einem Service im Bereich Wartung. Wir werden in der Lage sein, die Daten aus unserem Flottenmanagementsystem TIS-Web zu Fahrstrecken eines Fahrzeugs und zu dessen Restlaufzeit bis zur notwendigen Wartung mit geografischen Positionen verfügbarer Werkstätten zu synchronisieren. Damit leisten wir einen Beitrag dazu, die Stillstandszeiten eines Lkw zu reduzieren.

Wie verändert sich der Beruf des Fahrers durch die neuen technischen Möglichkeiten? Wird er interessanter oder langweiliger?

Er wird auf jeden Fall anders. Die neuen Technologien haben zwei Effekte: Einerseits kommt hoffentlich eine neue Fahrergeneration nach, die mit einer ganz neuen Denke an den Beruf herangeht. Für diese jungen Fahrer ist es durchaus attraktiv, mit einem automatisierten Hightech-Fahrzeug unterwegs zu sein und nebenbei andere Tätigkeiten, etwa im Bereich der Logistik, ausüben zu können. Andererseits beißt sich das mit der Vorstellung, was Digitalisierung bewirken soll: Nämlich viele Routinetätigkeiten in der Logistik vollständig zu automatisieren und einen großen Teil des Papierkrams, etwa für die Dokumentation, zu ersetzen.

Wie schnell wird die Transportbranche die neuen Möglichkeiten von Automatisierung und Digitalisierung tatsächlich nutzen?

Sagen wir es so: Die grundsätzlichen Möglichkeiten sind bekannt. Die Akzeptanz ist derzeit weitaus geringer, weil oft das Vertrauen in die Technologie noch nicht vorhanden ist. Aber am Ende entscheidet in dieser Branche nur eine Frage über den Technikeinsatz: Lohnt es sich?

Geben die Chinesen da mehr Gas?

Sie geben auf jeden Fall jetzt sehr viel mehr Gas als in den vergangenen Jahren und wollen nur noch die neueste Technik. Es könnte sein, dass China eine Evolutionsstufe in der Logistik komplett überspringt.