Wäre da nicht die große Aufschrift „ZF Test Vehicle“, würde man den roten, schon ein paar Jahre alten Iveco Stralis wahrscheinlich nicht weiter beachten. Doch unter der alten Hülle beziehungsweise im und am Rahmen steckt eine Innovation aus Friedrichshafen, die der viel beschworenen Antriebswende neuen Schwung geben könnte. Und zwar Schwung in eine Richtung, um die es im Zuge der Fokussierung auf die batterieelektrisch angetriebenen Fahrzeuge (BEV) ruhig geworden war. Die Rede ist von (Plug-in) Hybrid-Lkw (PHEV).
Die nächste EU-Emissionsstufe kommt
Aktuell genügt den Herstellern der Mix aus Diesel- und Erdgas-Lkw sowie BEV, um die CO2-Emissionsvorgaben der Europäischen Union einzuhalten. Doch wie sieht es in fünf Jahren aus, wenn Brüssel die nächste Emissionsstufe zündet? Um 45 Prozent (im Vergleich zu 2019) soll der CO2-Ausstoß neu zugelassener schwerer Nutzfahrzeuge ab 2030 sinken, um 65 Prozent ab 2035 und um 90 Prozent ab 2040.
Warum der Hybrid-Lkw wieder interessant wird
Derweil beschränkt sich der Aufbau der Ladeinfrastruktur für die favorisierten E-Lkw weitgehend auf Nordwesteuropa, ebenso wie die Verbreitung der BEV. "Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Elektrifizierung im Fernverkehr doch nicht so schnell kommen wird", berichtet Christian Feldhaus, Vice President und Leiter der Nutzfahrzeuggetriebesparte bei ZF, und führt weiter aus. "Mit aktuell 95 Prozent Dieselanteil lassen sich die CO2-Ziele nicht einhalten, BEV aber noch nicht überall zuverlässig und wirtschaftlich betreiben." Daher schaue die Industrie auf Technologien, mit denen man die CO2-Ziele einhalten könnte, die aber Infrastruktur-unabhängiger seien. Sowohl bei Lkw wie auch bei Reisebussen werde daher der Hybrid (wieder) interessant, ist Feldhaus überzeugt.
Hier kommt der eingangs erwähnte Erprobungsträger ins Spiel. Wie es die seitliche Beschriftung der Stralis-Kabine verrät, geht es um das in diesem Lkw zu Testzwecken verbaute „TraXon 2 Hybrid“ – ein Getriebe, das auf der IAA Transportation im September 2024 vorgestellt worden war, und das Diesel- sowie Elektromotor in nur einem Antriebsstrang vereint. Aber auch die Kombination von CNG/LNG-Motor oder Wasserstoffverbrenner und Traxon 2 Hybrid ist möglich.
Hinter der Kabine ein ungewohntes Bild
Hinter dem Fahrerhaus erwartet uns ein ungewohntes Bild: Links am Rahmen hängen Abgasbox, Messtechnik und ein Dieseltank, rechts am Rahmen eine Elektronikbox mit Wechselrichter sowie ein Batteriepaket. Mittig verläuft der ebenso ungewöhnliche wie innovative Strang aus Dieselmotor, Kupplung, E-Motor, Traxon 2, Intarder und schließlich Kardanwelle.
Die drei wesentlichen Komponenten, das automatisierte 12-Gang-Schaltgetriebe, der Elektromotor und die gemeinsame Steuerungselektronik, sind bewährte Eigenentwicklungen von ZF. Die elektrische Architektur arbeitet mit einer Spannung von 600 bis 800 Volt, die Dauerleistung des PSM-Hairpin-Motors beträgt 190 kW, die Spitzenleistung 225 kW. Er ist in der sogenannten P2-Anordnung zwischen Kupplung und Getriebe positioniert und überträgt seine Leistung mittels eines Planetengetriebes direkt auf die Eingangswelle. Dadurch kann der Lkw auch rein elektrisch fahren, die Kupplung ist dann geöffnet und die Verbindung zum Dieselmotor getrennt.
Zwei Antriebs-, drei Dauerbrems- und vier PTO-Möglichkeiten
Der E-Motor kann den Dieselantrieb im "Boost-Modus" aber auch unterstützen. Außerdem dient er mittels Rekuperation nicht nur zur Energierückgewinnung, sondern auch als verschleißfreie Bremse. Für den Fall, dass die Batterie voll aufgeladen und keine Rekuperation mehr möglich ist, steht die Motorbremse des konventionellen Antriebsstranges zur Verfügung, optional auch zusätzlich ein ZF-Intarder. Des Weiteren bietet das Traxon 2 Hybrid vier Nebenabtriebsmöglichkeiten.
Kalkulationen mit dem VECTO-Simulationstool zeigen laut ZF ein CO2-Reduktionspotenzial von bis zu 47 Prozent (bei 220 kWh Batteriekapazität) im Fernverkehr und bis zu 73 Prozent im Verteilerverkehr. "Bei entsprechend konsequentem Nachladen", wie ZF anmerkt. Ist das nicht möglich und muss viel konventionell gefahren werden bzw. dabei die Batterie aufgeladen werden anstatt via Plug-in, verringert sich die CO2-Einsparung natürlich. Sie dürfte aber genauso wie die Kraftstoffbilanz weiterhin positiv ausfallen. Dazu trägt im Erprobungsfahrzeug auch die Verwendung eines Cursor-11- statt Cursor-13-Dieselmotors bei. Das Downsizing bringt laut ZF 3,5 Prozent zusätzliche Spritersparnis.
Das PHEV-Fahrgefühl
So richtig messbar ist all dies im roten Testwagen in Friedrichshafen noch nicht, da er weder über eine OEM-spezifische Konfiguration noch über eine Plug-in-Lademöglichkeit verfügt, und zum Beispiel der Luftpresser der Bremsanlage noch vom Dieselmotor angetrieben wird. Rein elektrisch fahren geht also nur, bis die Luftkessel leer sind.
Ein Erprobungsträger eben, an dem sich die ZF-Entwickler austoben können, nicht repräsentativ für eine künftige Serienversion im Auftrag, mit Komponenten und mit Software eines OEM – aber spannend allemal. Gerade vom Fahrgefühl her, irgendwo zwischen klassischem Trucking und modernem E-Lkw-Cruisen, mal ohne, mal mit sonorem Dieselklang, und durch das konventionelle Getriebe mit merklich mehr Schaltvorgängen als beim reinen BEV mit seinen zwei oder vier Gängen.
Moderater Aufpreis im Vergleich zum BEV
Ein sanfter Übergang für den Fahrer und ein vielseitiges Einsatzmittel für den Transportunternehmer, zu einem moderaten Aufpreis: 25 Prozent Mehrkosten veranschlagt ZF im Vergleich zum reinen Diesel-Lkw – das ist deutlich weniger als der zwei- bis dreifache Preis eines reinen E-Lkw. Womöglich ist das PHEV auch mehr als eine Übergangslösung, ob außerhalb oder innerhalb Europas, je nachdem, wie sich die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen entwickeln – und wie Hersteller und Kunden das Konzept annehmen.
Nicht ohne Grund hatte ZF daher neben der Fachpresse auch eine Delegation des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung e.V. zur Probefahrt nach Friedrichshafen eingeladen. "Der gezeigte ZF-Hybrid stellt für unsere Mitgliedsunternehmen eine praktikable Lösung auf dem Weg zur Voll-Elektrifizierung dar, bis die europäische Ladeinfrastruktur großflächig zur Verfügung steht", ist Roger Roger Schwarz, Leiter der Abteilung Technik des BGL, überzeugt.
Wie entscheiden sich die OEM?
„Wir sind in Gesprächen mit den OEM und gehen, mit Blick auf die Verschärfung der CO2-Flottengrenzwerte im Jahr 2030, jetzt recht früh an die Öffentlichkeit“, unterstreicht Winfried Gründler, Senior Vice President bei ZF. Denn man könne jetzt entweder versuchen, politisch gegen die EU-Vorgaben vorzugehen, oder nach passenden Technologien schauen. ZF ist bereit für die zweite Variante.








