Wer in Europa „Stadtbus“ sagt, der liegt nicht ganz falsch, wenn er gleich „Citaro“ hinterher sagt – immerhin kann der Wagen, der 1997, also vor mehr als 20 Jahren erstmals in Stuttgart vorgestellt wurde, auf eine Lieferhistorie von mehr als 50.000 Einheiten zurückblicken. Darunter auch viele Modelle mit alternativen Antrieben bis hin zu den ersten Brennstoffzellen-Bussen im Jahr 2002 und den BlueTec-Hybriden mit den ersten radnabennahen Elektromotoren. Allein die Masse der Flotten, die bis heute unterwegs sind, fährt immer noch mit dem guten alten Verbrennungsmotor, um den sich die Mannheimer seit Jahrzehnten an historischer Stätte verdient gemacht haben: Zuletzt optimierten sie ihre Sechszylinder mit einem milden Hybridsystem, das nochmals rund 8,5 Prozent einsparen kann. Aber es hilft alles nichts – die Weichen in Richtung emissionsfreie Zukunft sind gestellt, und auch die deutschen Hersteller mit eigener Motorenfertigung tun gut daran, den Zeitenwechsel mit voranzutreiben. Bisher schien das nicht recht voranzukommen, Spott und Häme der Öffentlichkeit und Ärger der Kunden ergossen sich zuweilen massiv über die deutschen Hersteller.
Doch jetzt schlägt das Imperium zurück – Daimler startet nicht nur Ende 2018 mit seinem eCitaro in Serie, sondern kündigt auch gleich noch eine umfassende Innovationsoffensive bis zum Jahr 2020 an. Daimler-Buses-Entwicklungschef Gustav Tuschen erklärt bei der Präsentation des Fahrzeuges im finalen, an den Future Bus von 2016 angelehnten Design: „Einen x-beliebigen Elektrobus hätten wir auch schon früher präsentieren können, aber kein komplettes eMobility-System.“ Und nichts weniger als das wollen die Mannheimer offerieren: die Kombination aus ausgereiftem Fahrzeug, über Ladekonzepte und Linienberatung bis hin zu schlüsselfertigen Gesamtsystemen und Recyclingkonzepten.
„Da wir Elektromobilität ganzheitlich verstehen, bieten wir unseren Kunden viel mehr als nur einen Hightech-Bus. „eMobility System“ heißt: Durch intensive Beratung im Vorfeld und umfassenden Service im Aftersales entwickeln wir gemeinsam mit den Kunden eine maßgeschneiderte Lösung für Elektromobilität,“ erläutert Tuschen.
Darüber hinaus gibt es einen zweiten Grund für den relativ späten, aber umso gewaltigeren Einstieg in den Elektrobusmarkt, den der Cheftechniker beinahe beschwört: „Wir haben mit dem eCitaro nicht den Anspruch, die Ersten zu sein. Wir wollen die Besten sein. Ich bin sicher, wir sind mit dem eCitaro die Besten. Und wir wollen diese Position weiter ausbauen.“ Die technischen Belege für diese These lesen sich lapidar, haben es aber in sich: Hochleistungs-Elektro-Portalachse, ausgeklügeltes Heizungs- und Klimamanagement, effiziente Wärmepumpe und die erste CO2-Klimaanlage in Serie in einem Bus.
Dazu kommt nun die Ankündigung, nach der ersten Batteriegeneration von Lithium-Nickel-Mangan-Kobalt-Oxid- (NMC)-Akkus des hessischen Herstellers Akasol, bereits 2020 die zweite Akkugeneration mit rund 30 Prozent mehr Leistung zu beschicken. Dabei soll die Nachfolgegeneration vollständig kompatibel zur ersten Generation sein, die im ersten Schritt 30 Prozent aller Linien abdecken soll.
Daimler geht noch einen Schritt weiter: Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt sollen auch erstmals Feststoffbatterien mit Lithium-Polymer-Chemie verfügbar sein sowie ab 2022 ein Brennstoffzellen-Range-Extender. „Mit dieser Technik sind Zwischenladungen und die dafür notwendige aufwendige Infrastruktur in nahezu allen Fällen überflüssig. Der eCitaro kann Stadtbusse mit Verbrennungsmotor nahezu deckungsgleich ersetzen“, verspricht Tuschen. Mit rund 400 kWh Batterieleistung für den Feststoffbatterien- Solobus – und noch etwas mehr für den ebenfalls für 2020 angekündigten Gelenkbus – wird der eCitaro zu 70 Prozent zum ebenbürtigen Bruder seiner Kollegen mit Verbrennungsmotor.
Damit setzt sich Daimler an die Spitze der Batterieentwicklung, auch wenn es unter Wissenschaftlern umstritten ist, dass die Feststoffbatterien „The next big thing“ seien. Zu viel ist hier noch im Fluss, zu viele Parameter und Alternativen sind zu erwägen. Alles in allem bietet Mercedes dennoch ein ausgeklügeltes Elektrobuskonzept, das seinesgleichen sucht. Die serienmäßige Telematik für die lückenlose Connectivity wird dann schnell zur Randnotiz.
Neben dem recht spektakulären Frontdesign fragt man sich, ob auch die inneren Qualitäten des Stadtbusses der Zukunft ähnlich revolutionär anmuten. Erwartungsgemäß ist Daimler hier eher zaghaft zu Werke gegangen und hat das Cockpit weitestgehend unverändert belassen. Außer einer Energiefluss-Anzeige, das Powermeter, deutet im Cockpit nichts auf die saubere Antriebsart des Stadtbusses mit dem kleinen blauen „e“ hin. Beim Starten fällt dann schnell die weitgehende Absenz von störenden Niederfrequenzen aus dem Heck auf, die aber flugs vom vehementen Vortrieb konterkariert werden – die auf nur wenig mehr als 1 m/s2 beschränkte Beschleunigung ist eine dezente Andeutung dessen, was mit zweimal 11.000 Nm am Zwillingsreifen möglich wäre, und sie wird unabhängig vom Beladungszustand erreicht.
Die neue, elektrohydraulische Eco-Steering-Lenkung vermittelt dabei das gleiche souveräne Citaro-Gefühl, ohne synthetisch zu wirken. Und die effizienzsteigernden Rekuperationsmöglichkeiten im Schubbetrieb lassen sich so fein justieren, dass es sowohl möglich ist, schon beim Lupfen des Fahrpedals deutlich abzubremsen – oder das System ermöglicht ungehindertes Segeln, um den Schwung des rund 13,7 Tonnen schweren Wagens auszunutzen. Das ist gleichsam praxisgerecht, als auch effizient – und viele Fahrer werden es sicher lieben, in den eCitaro einzusteigen. Aber nicht nur die, ist sich Technikchef Tuschen sicher: „Mancher Fahrgast wird den regulären Bus vorüberfahren lassen, um eine Fahrt im eCitaro zu genießen.“