Alte Pflaume mit Charakter

Vergleich Ford F-Max vs. Transcontinental
Alte Pflaume mit Charakter

50 Jahre Ford Transcontinental: Wenn das nicht Anlass genug ist, dem Urvater aller europäischen Ford-Trucks bei der engagierten Sammler-Familie Anhalt in Schleswig-Holstein einen Besuch abzustatten.

Alte Pflaume mit Charakter
Foto: Julian Hoffmann

Mit Verwandtschaftsbesuchen ist das so eine Sache. Meist vom schlechten Gewissen getrieben schleppt sich die Familie zu den Altvorderen, um dort bei Kaffee und Kuchen die Geschichten von damals zu hören. Damals, da war alles besser …

Wirklich? Das wollen wir genau wissen und stürmen mit unserem Ford F-Max Select auf unserer 1.000-Meilen-Tour bis in den hohen Norden der Republik zum Unternehmenssitz der Transporteursfamilie Anhalt in Bargen. Denn dort wartet niemand geringeres als der Urvater aller Ford-Trucks aus europäischer Produktion auf uns, der heute legendäre Ford Transconti.

Als wir abends mit dem letzten großen Schwung am Lenkrad auf den idyllisch gelegenen Firmensitz der Logistiker in Bargen einbiegen, ist die Spannung groß. Viel wurde geschrieben über die "Schrankwand", wie der Transconti wegen seines wuchtigen Auftretens mit der weit oben auf den Rahmen gesetzten Kabine genannt wurde. Und viel wird immer noch von den mittlerweile ins Rentenalter gefahrenen Kollegen erzählt, von dem damals größten Fernverkehrstruck, der mit stämmigen 340 PS Mitte der 1970er Jahre durchaus zur Leistungselite gehörte.

Thies Anhalt, Gesellschafter bei Anhalt Logistics und genauso wie sein Vater und Firmengründer Horst von früh an mit dem Oldtimer-Virus befallen, öffnet uns die Tore zu dem Lkw-Oldieparadies, das in dieser Art und Zusammenstellung sicher einzigartig ist. Etliche Hauber warten dort, darunter US-Modelle wie auch Euro-Lkw wie ein paar Scania bis hin zu den letzten Volvo N12-Haubern und natürlich ein großes Rudel von Henschel-Lkw, mal traditioneller Hauber, mal moderner Frontlenker, die allesamt in Diensten von Horst Anhalt über viele Jahre unterwegs gewesen sind.

Der von den Anhalt-Chefs geführte Rundgang von einem Lkw-Schmuckstück zum nächsten ist ein Traum für jeden Lkw-Liebhaber und zugleich eine Reise durch die Firmengeschichte von Anhalt Logistics, früher noch ganz traditionell die Spedition Anhalt. Am Ende der liebevoll arrangierten Lkw-Ausstellung steht am Hallentor das Objekt unserer Begierde: der Transconti. In seiner ganzen Größe, mit seinem würfelförmigen Berliet-Fahrerhaus überragt er alle anderen versammelten Lkw-Senioren und hinterlässt auch heute noch einen durchaus modernen Eindruck. Der Transconti ist Thies Anhalts Baby. Der 59-Jährige holte den großen Ford 2013 aus einem Mobile-Inserat in seine Sammlung, erworben von einem Motorsportteam, wo der rüstige Transconti nie viel und schwer arbeiten musste.

Erst im Nachhinein erfährt Thies die ganze Historie dieses Ford. 1982 in Amsterdam – da gab es tatsächlich mal ein Ford Lkw-Montagewerk – vom Band gelaufen, tritt der Transconti für Formel-1-Boss Bernie Ecclestone als Zugmaschine für dessen Brabham Formel-1-Team in Dienst. Dort transportiert der blütenweiße Truck den Weltmeister-Boliden von Nelson Piquet kreuz und quer zu allen europäischen Formel-1-Rennstrecken. Dabei muss er nie schwer heben und hauptsächlich hinter der Box auf seinen Einsatz warten. Deswegen hat der gebürtige Niederländer nach zwanzig Jahren Arbeitsleben gerade mal 280.000 Kilometer auf der Uhr, als er mit ein paar kleineren Restaurierungsarbeiten in den noblen Oldie-Club der Anhalts aufgenommen wird.

Dort steht er sich dankenswerter Weise nicht die Diagonalreifen platt, sondern wird wie viele Kollegen immer mal wieder zu Bewegungs- oder Ausflugsfahrten auf die Piste geschickt. Und dazu sind ja auch wir gekommen: Erleben und erfahren, was sich in 50 Jahren Lkw-Geschichte verändert hat. Bevor wir die drei steilen Stufen in die Historie von Ford Trucks hinaufklettern, ein Blick in die Geburtsurkunde.

Der Transconti hatte tatsächlich mehr Eltern-teile als jeder andere Lastwagen seiner Zeit: Der große 14-Liter-Sechszylinder kam von Cummins, das Getriebe steuerte Eaton bei, die Achsen Rockwell, die Bremsen Girling, Burmann lieferte die Lenkung, die Kupplung Dana Spicer und und und. Über allem thronte die damals größte Fahrerkabine, ausgeliehen vom französischen Renault-Vorfahren Berliet, die mit ihrem flachen Kabinenboden tatsächlich neue Raumgefühle entstehen ließ. Von Ford selbst kamen nur der Rahmen und die Vorderachse – und natürlich die fette Pflaume am wuchtigen Kühlergrill. Alles in allem eine imposante Erscheinung, die leer allerdings auch knapp neun Tonnen auf die Waage brachte.

Im Cockpit des Ford Transcontinental

Im Cockpit angekommen, lebt der nüchterne Charme der 70er Jahre auf: kaum Zierrat, ein echtes Brett von Armaturenträger mit umfangreicher Uhrensammlung, fette Kippschalter und überall viel nackte Technik wie die Splitter-Leitungen vom Schaltknauf, an dem als kurioses Detail noch ein Drucktaster für die morgendliche Einspritzung des Startpilot-Sprays sitzt. Damit zum Leben erweckt, wummert der 14 Liter große Sechszylinder unter dem flachen Kabinenboden los – Lkw-Sound der reinsten Art aus sechs hintereinander liegende Zylindern, jeder mit gut 2,3 Liter Hubraum gesegnet und in der 1982er Version zusammen 320 PS stark.

Damit kann man sich auch heute flott fort-bewegen. Vorausgesetzt, man beherrscht das Spiel mit Zwischengas, Kuppeln und dem unsynchronisierten Eaton Fuller-Getriebe. Amateure ernten bei zaghaften Schaltversuchen hier bestenfalls ein grimmiges Zahnradknurren. Versierte Fahrer wie Thies Anhalt beherrschen das schnelle Wechselspiel zwischen den unsynchronisierten Gängen wie ein Starpianist am Konzertflügel ohne jeden krummen Zwischenton. Fahrer wie er, die sich mit dem Fuller eingeschossen haben und wissen, dass man die Kupplung nicht ganz durchtritt, um schnell zu schalten, waren früher die Könige der Piste. Aushilfsfahrer scheitern oft schon am Firmentor mit der rustikalen US-Technik.

Herzhaft tritt auch der türkisgrün-lackierte Cummins-Sechser an. Wird der passende Gang rechtzeitig serviert, kann der Transconti im normalen Verkehr sehr gut mitschwimmen. Immerhin steht sein maximales Drehmoment von 1.342 Newtonmetern bei damals unüblich niedrigen 1.300 Touren an der Kurbelwelle bereit. Leise geht es nicht gerade zu im Cockpit – vor allem, wenn man aus der Wellness-Oase des F-Max in die Transconti-Hütte gewechselt ist, merkt man, welche Riesenschritte der Fahrerhauskomfort in den letzten Jahrzehnten gemacht hat.

Das hält Transconti-Fan Thies Anhalt freilich nicht davon ab, zusammen mit seiner Familie den großen Ford für den einen oder anderen Urlaubstrip zu nutzen. Auch seine Frau greift dabei gerne mal in die Lenkradspeichen. Im zum "Polarexpress" umgebauten Kögel-Trailer rollt eine vollwertige Zweiraumwohnung mit Wohnzimmer nebst Einbauküche, Bad und Schlafzimmer mit auf große Tour. Thies lobt vor allem die Höchstgeschwindigkeit des lang übersetzten Getriebes. Dreistellig könne es auf dem Tacho schon mal werden, verrät er hinter vorgehaltener Hand, die er aber gleich wieder am schwarzen Kunststofflenkrad braucht, um den schweren Zug um den Kreisverkehr zu wuchten.

Solche Alltagsausflüge darf der Transconti gerne unternehmen, während Thies Anhalt einen zweiten Ford wie seinen Augapfel hütet. Dabei handelt es sich um einen der letzten zehn Transcontis, die Mitte der 80er Jahre an die Ford-verliebte Spedition Klefisch in Rommerskirchen gingen. Firmenchef Kelzenberg hat einen davon fabrikneu "zur Seite" gestellt. Wo er lange Zeit allen Abwerbungsversuchen stand hielt, bis Thies Anhalt mit seiner Sammlung als Referenz den unberührten Transconti vor drei Jahren zusammen mit der restlichen Oldie-Sammlung der Spedition Klefisch übernehmen durfte. Mit gerade mal 1.350 Kilometer auf dem Tacho ist dieser Transconti weltweit einzigartig und die blaue Mauritius in der Anhalt- Sammlung.

Dabei war der Transconti durchaus alltagstauglich und gehörte mit seinem hemdsärmeligen Charakter sicher noch zur Generation der Lkw für "Kraft"-Fahrer und zeigte gleichzeitig den Weg zum schweren Lkw mit Komfortkabine vor. Auch für einen weichgespülten, komfortverwöhnten Fahrer Jahrgang 2025 ist es gut nachvollziehbar, dass dem Trasconti ein legendärer Ruf vorauseilte. Seine versierten Fahrer haben ihn tatsächlich mit ganzer Seele geliebt.

Ein echter kommerzieller Erfolg war die "Schrankwand" mit gerade mal 8.735 gebauten Einheiten – die letzten wurden bei Foden in England zusammengeschraubt – leider aber nicht für die Marke. Neben dem hohen Eigengewicht und der nicht einfachen Wartung war daran letztendlich der von den Fahrern eigentlich verehrte Big-Block-Cummins der Hauptschuldige.

Der US-Cowboy unter den Euro-Trucks genehmigte sich ziemlich ungenierte Mengen an Diesel. Die Ölpreiskrise der späten 70er war das Todesurteil für den großen Ford, der 40 Jahre später seinen europäischen Nachfolger bekommen sollte. Aber der Ruf des Transcontinental hallt auch dank Laster-Liebhabern wie der Familie Anhalt wie ein Diesel-Donner aus sechs dicken Zylindern weiter.