Für Familienzusammenkünfte macht man sich fein. Weißer Frack und schwarzer Smoking: So treten die drei Akteure auf die Bühne, die im besten Alter sind und für den gegenwärtigen Stand der Technik stehen. Die Veteranen halten es nicht so streng mit der Etikette. Ob majestätischer "Regent" aus den 50er-Jahren, ob Leichtgewicht L50 aus den 70ern oder ob Streamline-Pionier R 143 aus dem letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrtausends: Sie alle haben mit dem Arbeitsleben schon abgeschlossen, das eben Spuren hinterlassen hat. Aber sie sind rare Zeugen vergangener Zeiten, deren Flair im direkten Vergleich mit Technik und Design von heute besonders plastisch wird. So spielt auf diesen Seiten ein historisches Projekt der ganz besonderen Art, das auf dem Testgelände von Scania und den Straßen der Umgebung in Szene gesetzt wurde: Nicht weniger als sechs verschiedene Lkw von Scania – drei von heute und drei von gestern – sind angetreten, Nutzfahrgeschichte im wahrsten Sinn des Wortes erfahren zu lassen.
Drei von heute, drei von gestern: Stellvertretend für 125 Jahre Unternehmensgeschichte schlagen diese Probanden in jeweils drei verschiedenen Einsatz-Segmenten den Bogen von damals zur Gegenwart. Für den Bereich des Verteilerverkehrs stellt sich ein L50 aus dem Jahr 1972 einem gasbetriebenen P 280 von heute. Was sich auf dem Terrain des Bau- und Kommunalverkehrs in sieben Jahrzehnten so alles getan hat, das demonstrieren ein ehrwürdiger dreiachsiger LS71 aus dem Jahr 1957 sowie ein aktueller Dreiachs-Kipper mit dem Kürzel P 450 im Kühlergrill. Dass für den Fernverkehr kaum etwas anderes als ein Vergleich von zwei mächtigen V8-Lkw infrage kommt, ist klar. Doch welchen King von heute und welchen King von gestern nehmen? "Streamline" heißt der gemeinsame Nenner, auf den das 500 PS starke Spitzen- und 100-Jahre-Jubiläumsmodell namens R 143/500 vom Anfang der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts und sein aktueller Enkel (hier in 580-PS-Version) zu bringen wären.
Gasmann P 280 versus Milchmann L50
Was braucht’s denn groß zum Glück? "Gar nicht so viel" lautet die Botschaft des L50, bei dem Gas und Bremspedal nach alter Väter Sitte stehend ausgeführt sind und Stauraum Mangelware ist. Mehr als ein kleines Handschuhfach ist nicht geboten in der engen, gerade mal knapp zwei Kubikmeter Raum umfassenden Kabine. Doch hat sie Stil. Sei’s der filigrane Blinkerhebel zur Linken des Lenkstocks, sei’s das minimalistische Uhren-Trio, dessen Drehzahlmesser gleichwohl schon über einen grünen Bereich verfügt – sei’s der mit sachtem Knick gekröpfte Lenkstock: Liebe zum Detail blitzt einem im L50 allenthalben entgegen.
Daran herrscht allerdings auch bei seinem Pendant aus heutiger Zeit kein Mangel. Es ist durchaus ein etwas exotischer Geselle, mit dem der L50 sich da vergleichen lassen muss: Mit seinem Gasmotor weist er womöglich ebenso stark in die Zukunft wie damals der L50 mit seiner aufgeladenen Maschine. Auch fürs Ohr liegen Welten zwischen diesen Antriebskonzepten. Meckert der 5,2-Liter-Vierzylinder des Oldies ungeniert und leicht dröhnend in jeder Lebenslage vor sich hin, so hüllt sich der erdgasgetriebene Fünfzylinder des P 280 zwar nicht in Schweigen, aber doch allenfalls in eine Art vornehmes Raunen, das von sanftester Verbrennung erzählt. Da der Gasmotor mit Opticruise nicht kompatibel, spendiert Scania dem solchermaßen angetriebenen P 280 denn gleich auch einen Allison-Vollautomaten, der das Seine zur feenhaften Anmutung des Triebstrangs beiträgt. "Schweben statt brettern" heißt dann folgerichtig das Motto, unter dem die Fortbewegung des vollluftgefederten 4x2 steht. Wie aus dem Märchen müsste dem Fahrer von damals auch das Raum- und Stauraumangebot sowie Interieur des Scania-Verteilers von heute vorkommen: Rund 4,6 statt nur zwei Kubikmeter umbauter Raum und gediegene anthrazit- bis beigefarbene Tapeten statt schnöden Blechs. Zudem Schalter und Instrumente, ja generell eine Ergonomie wie aus dem Schlaraffenland: In den 70er-Jahren hätte niemand von solchem Komfort zu träumen gewagt. Und schon gar nicht davon, dass das Ganze am Ende mit einem gerade mal 150 Millimeter höheren Einstieg als beim L50 erkauft ist. Ja, die 70er-Jahre: Da stirbt ein Jimi Hendrix, wechselt ein Günter Netzer zu Real Madrid, gewinnt Deutschland die Fußballweltmeisterschaft im Finale gegen Holland. Fern und nah ist diese Zeit auf merkwürdige Weise zugleich; und auch der L50 von Scania bietet ein durchwachsenes Bild: Mit seiner Haube steckt einer seiner Füße noch tief in der Vergangenheit, mit dem aufgeladenen Direkteinspritzer weist die Maschine drunter weit voraus. Er lässt sich aber schon auch bitten, der Vierzylinder von damals. Reicht beim P 280 von heute ein Dreh mit dem Zündschlüssel, so verlangt der L50 nach umständlicherem Zeremoniell: Nein, nicht gedreht den Zündschlüssel, sondern gedrückt und ein bisschen tiefer im Schloss versenkt, daraufhin den Daumen auf den Startknopf – solchermaßen geherzt, erwacht das 5,2-Liter-Maschinchen munter zum Leben.
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