Ein Rendezvous mit einer bislang nur flüchtigen Bekanntschaft hat seinen ganz eigenen Reiz. Der Zauber des Neuen, die Neugier auf innere Werte und den Auftritt im täglichen Leben elektrisiert. So geht es auch der zweiköpfigen Besatzung in der dreizehnten Auflage des 1.000-Meilen-Tests. Denn diesmal gibt sich der Ford F-Max ein Test-Stelldichein. Nicht nur über einen flüchtigen Flirt auf einer schnell durcheilten Testrunde, sondern eine ganze Arbeitswoche lang auf deutschen Fernstraßen. Über 2.300 Kilometer Strecke und 33 Stunden Fahrzeit, aufgeteilt auf das FERNFAHRER-Testteam Julian Hoffmann und Oliver Willms.
Der einwöchige Testtrip beginnt in Crailsheim an der Deutschland-Zentrale von Ford Trucks auf dem Gelände von Generalimporteur Stegmaier. Unser Rendezvous-Partner mit der großen Pflaume steht schick zur Abfahrt bereit: 500 PS, langes Hochdachfahrerhaus, viele elektronische Helferlein und all das gehüllt in nobel-schwarzen Lack mit einer bronze-goldenen Maske um die Fensterpartie und ebenso lackierten Bügeln an der Frontstoßstange und auf dem Dach. Die Lackierung verrät: Unser Truck gehört zur auf 400 Exemplare limitierten Sonderserie "Select", die Ford Trucks mit etliche Ausstattungs-Goodies aufgewertet hat.
Die beiden 300 Liter großen Außenstaufächer nehmen schonmal einen guten Teil des Gepäcks auf, mit dem Rest geht’s über vier Stufen hinauf in die Großraumkabine. Tolles Extra im Aufstieg: Zwischen den letzten beiden Stufen ist ein wasserdichter Abstellplatz für das Fahrer-Schuhwerk, ein guter Platz für schmutzige Stiefel.
Oben angekommen beeindruckt uns das Raumgefühl. Mit über zwei Meter Stehhöhe selbst auf dem nur neun Zentimeter flachen Motorkasten kann sich das F-Max-Haus sehen lassen. Gepäck und Ausrüstung wandern unter die klappbare untere Liege und in einige der zahlreichen Staufächer. Neben den drei klassischen Überkopffächern über dem Armaturenbrett haben die Ford-Techniker es geschafft über der oberen Liege noch eine Dreier-Reihe von flugzeugartigen Klappenstaufächern zu integrieren. Überdies kann man die obere Liege in 45 Grad Kippstellung auch als Ablage im 5XL-Format nutzen. Das passt schonmal!
Genauso wie die Sitzposition auf den wuchtigen Komfortsitzen aus türkischer Fertigung. Diese lassen sich auch für längere Fahrerstaturen genau einstellen, dazu kann man das Lenkrad passend in die gewünschte Position bringen. Karte rein und endlich geht’s los auf unseren Langstreckentrip. Mit sonorem, wenn auch angenehm geräuschgedämpftem Sound geht das sechszylindrige Triebwerk an die Arbeit. Erstes Ziel heute: Trailer-Hersteller Kögel in Burtenbach, bei dem wir einen Kögel Light Plus in Empfang nehmen. Interessantes Detail: Der auf 5.900 Kilo gewichtsoptimierte Curtainsider ist mit dem Dynamic Side Cover, einer flexiblen Seitenverkleidung, ausgerüstet, die sowohl die Aerodynamik verbessert, als auch seitliches Regenspray verhindert und als seitlicher Partnerschutz fungieren soll. Wir sind gespannt, wie sich das rund 3.300 Euro teure System in der Praxis schlägt.
In branchenüblicher Termineile geht’s direkt von der Kögel Auslieferung weiter nach Ulm zum Nutzfahrzeugteile-Giganten Winkler, der für Ford die komplette Ersatzteillogistik betreibt (siehe Seite 16).
Nach der interessanten Tour durch das Zentrallager, das Millionen von Ersatzteilen beherbergt, wollen wir schnellstmöglich zurück hinters Steuer. Nachdem sich der Ford-Zug elegant durch den feierabendlichen Stadtverkehr in Ulm geschlängelt hat, schwenken wir ein auf die Autobahn. Jetzt am späten Nachmittag haben wir noch die gut frequentierte A8 nach Stuttgart und weiter bis zum Etappenziel Mannheim auf dem Tourenplan. Also Tempomat setzen, das geht einfach über die Bedientasten im Lenkrad, und endlich Zeit für einen etwas tieferen Blick ins Ford-Cockpit. Zwei analoge Rundinstrumente für Tempo und Drehzahl teilen sich hier das zentrale Anzeigenfeld mit einem LCD-Display auf dem vier kleine "Instrumente" und die Menüinhalte abgebildet werden. Durch das Bordcomputermenü kann man sich ohne Anleitung selber erfolgreich durcharbeiten. Etwas lästig: Wer das belederte Lenkrad nicht ganz steil stellt, muss sich höflich nach vorne beugen, um den unteren Bereich der Anzeige sehen zu können.
Klare Sicht herrscht dagegen auf das Zusatzdisplay rechts neben dem Lenkrad. Hier werden Audio-, Navi- und Telefonanzeigen übersichtlich verwaltet, der Rest wird griff-sympathisch über eine Reihe von Kippschaltern betätigt. Wobei auch bei Ford die Navigation trotz speziellem Lkw-Programm nicht frei von Fehlleitungsvorschlägen arbeitet, wie bei nahezu allen im 1.000-Meilen-Test geprüften Lkw, die ihre Fahrer gerne über Wiesen, 12-Tonnen-Brückchen oder die verkehrsberuhigte Innenstadt schicken und dann in der "Straße der Kosmonauten" auf Katzenkopfsteinpflaster aus Erichs Zeiten eine Wende vorschlagen.
Wir vertrauen also auch am Lkw-Steuer notgedrungen auf Google-Maps. Um darauf einen Blick zu werfen, fehlt dem F-Max allerdings ein guter Stellplatz fürs Smartphone. Wie generell die Ablagesituation rund um den Fahrer eher übersichtlich ausfällt. Außer zwei großer Schubladen rechts gibt es wenig bis gar keine Stellfläche – vom Platz für eine Kaffeemaschine ganz abgesehen. Das wird uns im Verlauf der Tourwoche noch häufiger stören. So klemmt das Mobiltelefon jetzt eben im Cupholder, ein Laptop als Navigationssystem-Backup hat nirgendwo einen passenden Platz.
Das trifft leider auch für die Beifahrerseite zu: Keine Ablagen, auch kein Tischchen, dafür aber der gleich Komfortsessel wie am Fahrerplatz, nur starr montiert. Kurioses Detail: Um ein Gleichteil mehr zu haben, verbauen die Ford-Werker auch rechts einen Fahrersitz mit Gurtschnalle auf der "falschen" Seite.
Nachdem wir Stuttgart passiert haben, wird der Antrieb zum ersten Mal an den langen Autobahnsteigungen gefordert. Mit 500 PS und einem Drehmomentmaximum von stattlichen 2.500 Newtonmetern ist der Ford-Antriebsstrang gut gerüstet. Beim Steigungsklettern trifft jedoch der Bordrechner bei der Wahl des passenden Ganges manchmal eine einsame Entscheidung und schaltet zu früh oder zu spät, wodurch der Motor seine Durchzugskraft nicht auf die Straße bringen kann. Zur Wahl hat der Ford überdies 16 Fahrstufen, nachdem das von Ford in Eigenregie gebaute Getriebe das zwölfstufige ZF-Getriebe ablöste.
Warum 16 Gänge, wenn es alle anderen mit zwölf bewenden lassen? Ford will nur ein Getriebe für alle Fahrzeugtypen, auch seine Baufahrzeuge, bauen. Deswegen die heute ungewöhnlich hohe Gangzahl, die – so bemerken wir im Verlauf der Testwoche – den Motor von Zeit zu Zeit in unnötige Schaltarbeit verstrickt und damit das Tempo fallen lässt. Auch erscheint uns das Zusammenspiel mit dem GPS-gestützten Tempomaten noch ausbaufähig. Ab und an feuert der Ford bis zur Bergkuppe, anstatt schon rechtzeitig vom Gas zu gehen. Hier wäre noch Feinarbeit an der Regellogik wünschenswert. Dem Triebwerk selber kann man das freilich nicht zum Vorwurf machen. Der 12,7 Liter große Vierventiler aus Ford-eigener Fertigung gibt sich als drehmomentgroßzügiger Allrounder, der weder in Leistungsabgabe noch Drehfreudigkeit zu kritisieren wäre. Sein manchmal verhindert harmonischer Einsatz geht eindeutig auf das Konto des Getriebes. So greift man – heutzutage eher selten – auch mal zum manuellen Gangwechsel, um den schönen Schwung nicht zu opfern.
Apropos Schwung: Den managt der Tempomat mit einstellbaren Überschwingern bis hin zur Stop&Go-Funktion im Stau auf souveräne Art. Die wegen der GSR-Vorschriften vorgeschriebene Verkehrszeichenerkennung fährt dem Tempowächter mit an Autobahnausfahrten falsch erkannten Temposchildern nur manchmal in die Parade und regelt den verwunderten Fahrer samt Untersatz auf 60 km/h herab. Mit der quirligen Kraftunterstützung des variabel fördernden Turboladers kommt der Zug nach ein paar harschen Worten im Cockpit aber flink wieder auf Reisetempo. Und in diesem besagten Reisetempo sind wir heute lange unterwegs, denn durch die Zwischenstopps fahren wir bereits in den Abend hinein, als wir in der üblichen Ermangelung freier Stellplätze an der Autobahn im Mannheimer Hafen Quartier machen wollen. Wo sich vor ein paar Jahren noch die Fuhrleute trafen, wartet heute aber weder ein schöner Stellplatz, noch eine urige Fahrerkneipe auf uns – die Fernfahrerromantik liegt hier leider wirklich begraben.
Am nächsten Morgen haben wir dann das Ford-Werk in Köln als Ziel im Visier. Die A3 fordert weder Mann noch Maschine, der Sechszylinder läuft bei 85 km/h mit gut 1.200 Touren, im Fahrerhaus herrscht angenehme Ruhe. Da stören auch keine Windgeräusche von den üppig dimensionierten Spiegelpaketen, die bald im Rahmen einer großen Modellpflege einer Kamera-Lösung weichen sollen. Gegen Mittag rollen wir auf den Hof des Werksfuhrparks, wo wir die Transport-Manager und Ford-Fahrerlegende Jupp zum Gedankenaustausch treffen (siehe Seite 18). Jupp bestätigt unseren Eindruck von der guten Schlaftauglichkeit auf der recht komfortablen unteren Liege im Ford-Fond. Und auch er, der seinen F-Max im internationalen Langstreckenverkehr fährt, freut sich über das üppige Stauraumangebot.
In Sachen Komfort kann man auch als Trucker-Prinzessin auf der Erbse dem F-Max seine Qualitäten neidlos zuerkennen. Die einlagige Dickblattfeder an der Vorderachse lässt ab und an ein kleines Poltern durch, erledigt aber ihrer Federungsaufgabe zusammen mit der erfreulich ausgewogenen Führung der Vierblattfederung des großen Fahrerhauses souverän. Hinten filtert die Luftfederung der Antriebsachse die Fahrbahnunebenheiten erfolgreich aus. Zusammen mit der leichtgängigen, exakt spurenden Lenkung hinterlässt das gut abgestimmte Fahrwerk in allen Fahrsituationen – ob enge Landstraße, City oder Autobahn – einen erfreulich sicheren Eindruck. Dabei leidet das Fahrwerk nie unter dem vergleichsweise hohen Startgewicht von 8.500 Kilogramm, das der F-Max Select mit seinem vollen 1.050-Liter-Tankvorrat auf die Waage bringt.
Auch unbetankt ist der Ford eher schwerer als seine Mitbewerber, was aber für eine Zweit- oder Drittverwertung im Vorderen Orient spricht. Ob man dort auch die vielen Sicherheitsausstattungen wie Frontkollisionswarner mit automatischer Bremsung, Fernlichtautomatik, den passiven Spurwächter und die gute Bremsleistung der Motorbremse zu schätzen weiß?
Bis in den Orient treibt es uns am dritten Tag am F-Max-Steuer freilich nicht. Nach Bargen – ganz oben in Schleswig-Holstein – führt uns die Etappe. Durch das seelenlose ostwestfälische Flachland, mitten durch die City von Hamburg, durch die uns das überforderte Navigationssystem irrleitet, und vorbei an den Bauruinen der grandios geplatzten Northvolt-Batterieträume geht die Tour. Zeit für eine Zwischenbilanz zur 1.000-Meilen-Halbzeit: Der F-Max ist ein rundum zuverlässiger Kumpel, keine überzüchtete High-Tech-Diva, sondern ein praxistauglicher Truck für jeden Tag.
Bei norddeutschem Standardwetter "Nieselregen" biegen wir am Abend auf den Firmenhof der Spedition Anhalt ein. Seniorchef Horst Anhalt und sein Sohn Thies erwarten uns schon am Tor des firmeneigenen Lkw-Museums. Bei Pizza und Dithmarscher Pilsener am gemütlichen Museums-Stammtisch wird das lasterhafte Rendezvous für den nächsten Morgen ausgehandelt. Frisch ausgeschlafen soll der moderne F-Max nämlich seinen Großvater, den legendären Ford Transcontinental aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, kennenlernen. Opa und Enkel werden sich viel zu erzählen haben, aber das ist eine ganz andere Geschichte – nachzulesen in der nächsten Ausgabe des FERNFAHRER!