Bernd Spies: Eine Auswahl zu treffen ist beinahe unmöglich. Aber bei der Bremstechnologie ist es etwa die Scheibenbremsenfamilie Synact, die noch energieeffizienter ist, Gewicht einspart und eine Zusatzfunktion hat, die zur CO2-Reduzierung beiträgt. Neu ist die Bremssteuerung Global Scalable Brake Control, die erfolgreich in den Markt eingeführt ist und die Schnittstelle zu modernen Fahrassistenzsytemen sowie eine Redundanz für automatisiertes Fahren anbietet. Wir arbeiten aber auch an einem elektro-mechanischen Bremssystem (EMBS), das Vorteile in Architektur und Bauraum bieten kann.
Da präsentieren wir das Blind Spot Information System (BSIS) für die Überwachung des Toten Winkels sowie das Moving Off Information System (MOIS). Das hindert den Lkw am Losfahren, wenn sich vor dem Fahrzeug ein Fahrradfahrer oder Fußgänger bewegt. Ein komplett neues Fahrassistenzsystem ist das Fusion ADA System, das aus der Fusion der Daten von Frontkamera und -radar zum einen ein Spurhalte- und Notbremssystem ermöglicht, das wesentlich performanter ist als heutige Systeme. Zum anderen lassen sich reale Gefahren von Fehlalarmen besser unterscheiden, was die Akzeptanz des Assistenzsystems steigert.

Bernd Spies, Nutzfahrzeug-Vorstand bei Knorr-Bremse aus München.
Bei den Lenkungssystemen fokussieren wir uns auf das Electric Power Steering (EPS). Damit werden wir 2026 der erste im Markt mit einem Kunden in Europa sein. Das ist eine vollelektrische Lenkung, ohne weiteren Unterstützungskreislauf, die energetische Einsparungen im Betrieb bringt, sowohl bei Verbrenner- als auch elektrischen Fahrzeugen. Bei dem Thema Air Supply stellen wir den neuen Flügelzellen-Kompressor vor und haben auch einen komplett ölfreien Kompressor im Blick. Mit dabei ist zudem das Luft-Aufbereitungssystem Global Scalable Air Treatment (GSAT), in das wir auch die elektronische Parkbremse integrieren können.
Hier präsentieren wir eine neue Scheibenbremsengeneration, NeexTT. Und wir haben ein neues elektronisches Trailer-Bremssystem iTEBS X, das als globale Steuerungsplattform sowohl Steuereinheit, Sensortechnologie und pneumatische Bremssteuerung sowie die Bremsfunktion ABS und EPS abbildet. iTEBS wird um die Cloud-gestützte Konfigurationsplattform Online Configuration Tool (OCT) ergänzt und ermöglicht ein zukunftssicheres Diagnosekonzept.
Wir sehen im Markt mehrere Phänomene. Nach sehr hohen Stückzahlen – gerade China und Europa waren in den vergangenen Jahren sehr stark – schwenkt der Markt gerade um. Das müssen wir als Zulieferer erst einmal managen. Dazu kommen aber auch viele geopolitische Schwierigkeiten. Auch am Standort Deutschland ist es zunehmend schwer, wettbewerbsfähig zu produzieren. Das betrifft auch viele unserer angestammten Lieferanten, die unter hohen Energie- und Faktorkosten sowie Forderungen von anderen Stakeholdern leiden und sich zunehmend im internationalen Wettbewerb schwer tun. Dementsprechend müssen wir uns ausrichten, etwa hinsichtlich der Lieferketten, was natürlich einen hohen Aufwand bedeutet.
Technologisch haben wir marktbedingt einige Unsicherheiten vor uns. Je nach Land gibt es sehr unterschiedliche Mandate und Incentives zum Thema Zero-Emission-Fahrzeuge. Aber der Weg dorthin ist nicht klar definiert. Verbrenner, Verbrenner mit Wasserstoff, Fuel-Cell und batterieelektrische Fahrzeuge – die Industrie muss mehrere Technologien vorbereiten und finanzieren. Das Gute ist für uns als KnorrBremse, dass unser Produktportfolio technologieoffen ist und wir bei allen Technologien eine starke Rolle spielen werden, etwa mit unserer Bremstechnologie sehr stark das Thema Elektrifizierung sowie Zero Emission unterstützen können. Viele unsere Produkte sind schon auf künftige Anforderungen umgestellt, auch zur Automatisierung.
Hier fokussieren wir uns sehr stark auf bestimmte Segmente, vor allem die Sicherstellung eines redundanten, immer sicheren Betriebs, sowohl bei der Bremstechnik, der Lenkung als auch der Energieversorgung. Unsere redundanten Systeme sorgen etwa dafür, dass bei einem elektrischen Fahrzeug trotz Batterieausfalls weiter Energie für ein Bremssystem vorhanden ist. Aus diesem Grund stehen wir dem Thema Transformation positiv gegenüber und sehen darin Chancen für uns.
Da haben wir uns schon 2022 mit der Mehrheitsbeteiligung an Cojali verstärkt. Das spanische Unternehmen ist in Europa Marktführer für Diagnosegeräte – ein Juwel, das wir gerade stark ausbauen, um unsere Position im Nachmarkt zu verbessern. Diesen sehen wir inzwischen viel mehr als Geschäftsmodell und nicht nur als Absatzkanal. Unser Weg führt über die Remote-Diagnose zu einem präventiven System, das frühzeitig vor einem Ausfall den Fahrer oder Flottenbetreiber informiert. Das geht bis zu einem Ökosystem, in dem alle an der Reparatur Beteiligte vernetzt sind.
Das Thema haben wir in unserem Geschäftsansatz schon weit integriert Zum einen im Sinn des Remanufacturing. Wir holen dazu mit großem Aufwand etwa gebrauchte Scheibenbremsen aus de Feld zurück und bereiten sie in unserem Werk im tschechischen Liberec wieder auf. Insgesamt werden jährlich 160.000 Produkte untersucht, klassifiziert, weiterverarbeitet, und dann unter dem Namen Econ-X wieder in den Markt gebracht. Dadurch können wir viele Kilogramm an Rohstoffen weiter nutzen und sparen CO2 und Energie ein. Und natürlich tragen wir mit unseren Produkten zur Nachhaltigkeit bei. Das Active Caliper Release (ACR) bei unseren Synact-Bremsen reduziert den Verschleiß und kann, ebenso wie die elektrische Lenkung und andere elektrische Systeme, zur Kraftstoffeinsparung und zur Reduktion von Partikelemissionen beitragen.
Das haben wir als Fortsetzung des Nachhaltigkeitsaspektes in unserer Finanzierungsstrategie implementiert. Wir haben bereits vor zwei Jahren einen Green Sustainability Linked Bond platziert, und mit dem Green Finance Framework können wir diese Ziele weiter vorantreiben, und das im Einklang mit der EU-Taxonomie. Das ermöglicht uns in der Zukunft, grüne Finanzierungsinstrumente, beispielsweise Anleihen, herauszugeben.
Wir freuen uns über ein sehr positives Feedback der OEM, auch hinsichtlich unserer Ziele, möglichst viele Redundanzsysteme für die Fahrzeugarchitektur zu schaffen und uns darauf zu fokussieren, Herausfordernd sind für die OEM aktuell besonders die diversen Pflichten hin zu Zero Emission, gekoppelt mit den vielen Unbekannten, etwa den Restwerten, Lebensdauer von Batterien oder dem Ausbau der Ladeinfrastruktur. Da erhoffe ich mir für die gesamte Industrie mehr Unterstützung. Leider sehen wir auch, dass viele unserer Endkunden, also die Spediteure, ebenfalls unter der erwähnten Unsicherheit bezüglich der Technologie leiden. In diesem Umfeld eine Investitionsentscheidung zu treffen, ist nicht einfach.