Der junge Mann aus Simbabwe, so viel darf ich hier verraten, um ihn zu schützen, heißt mit Vornamen Tadenda. Er ist 33 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder. Seit 2017 ist er Lkw-Fahrer in Simbabwe. Dort kann er im Monat nur zwischen 350 und 400 US-Dollar verdienen.
Und so ließ sich auch Tadenda, praktisch auf Treu und Glauben, auf das Angebot ein, das mittlerweile unter anderem von der FAZ nach schnellen ersten Recherchen offengelegt worden ist. Bereits letztes Jahr ließ er sich von den 1.500 Euro locken, die ihm durch Mittelsmänner vor Ort angeboten wurden. Er reiste, ohne je wirklich über die rechtlichen Bedingungen einer Beschäftigung als Fahrer in Europa aufgeklärt worden zu sein, nach Bratislava, der Hauptstadt der Slowakei. Er streckte den Flug vor und wohnte bis zur Erstellung seiner Dokumente in einem Hostel, dass die Global Transporte Slovakia zur Verfügung gestellt hatte.
Reine internationale Komplettladungsverkehre
Im Auftrag der Hegelmann-Gruppe, die sich auf Ihrer Homepage um die beiden Shareholder Siegfried und Anton Hegelmann als ein familiengeführtes Unternehmen, seit der Gründung 1988 mit Sitz in Bruchsal, Deutschland, beschreiben, machte er internationale Full Truck Load Verkehre, FTL, also grenzüberschreitende Komplettladungsverkehre zwischen Italien, Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und Spanien. Bei einem Umsatz von 1.050.000.000 Euro und 5.800 Fahrzeugen sind 11.500 Mitarbeiter an den Standorten in ganz Europa beschäftigt. Nach den reinen Zahlen trotzdem nur die Nummer zwei nach Girteka. Am 24. Januar übernahm Tadenda laut dem mir vorliegenden CMR-Frachtbrief bei Daimler Busses in Frankreich eine Ladung für Daimler Busses in Neu-Ulm. Er kam nur bis Merklingen.
Vorsätzlich falsche Beschäftigungsverhältnisse
Denn anhand der ersten Abrechnungen merkte auch Tadenda, dass ihm nachträglich nicht nur die Kosten für die Übernachtung in einem Hostel in der Slowakei sondern auch für die Erstellung der Dokumente abgezogen wurden. Viel schlimmer noch: Das in Bratislava ansässige Unternehmen legte, so geben es die der RTDD vorliegenden Dokumente wieder, wohl den slowakischen Mindestlohn von 875 Euro zu Grunde plus die Nettospesen, um auf die 1.500 Euro zu kommen. Für diesen Lohn würde sich heute kein Fahrer aus den ersten EU-Beitrittsländern Osteuropas mehr ans Steuer setzen.
Doch spätestens seit dem 2.2.2022 gilt insbesondere für diese FTL-Transporte, auf die sich die Hegelmann-Gruppe konzentriert hat, das Prinzip „Gleicher Lohn für die gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Der Frachtführer muss nach von der EU genau festgelegten Vorgaben im Prinzip auf diesen internationalen Touren den jeweiligen Mindestlohn des jeweiligen Landes bezahlen. Eine Ausnahme sind bilaterale Transporte.
Kontakt zu Edwin Atema von RTDD
Doch erst durch den Kontakt eines anderen Fahrers von Global Transporte Slovakia, der in der FAZ explizit geschildert wird, zu Edwin Atema kam der Ball ins Rollen. Denn Atema hatte sich bereits im Fall der aus Drittstaaten stammenden Fahrer bei der polnischen Mazur-Gruppe in Gräfenhausen dafür eingesetzt, dass die Fahrer am Ende ihre ausstehenden Löhne bekamen. Wenn auch nicht von Mazur selbst. Sondern von der verladenen Industrie.
Und so produzierte die RTDD in Windeseile ein Video das zeigt, mit welchen Methoden die anfänglich zehn Lkw-Fahrer, die zunächst an unterschiedlichen Orten ihre Lkw stehen ließen, sichtbar eingeschüchtert wurden, so wie es zwischendurch auch die Gewerkschaft Verdi in einer Pressemeldung beschrieben hatte. Mit der gleichzeitigen Forderung, den unveränderten Erhalt des Lieferkettengesetzes und die zügige Umsetzung der europäischen Lieferkettenrichtlinie in nationales Recht beizubehalten.
Mit Gewalt den Trailer weggezogen
Und so hatte auch Tadenda, nachdem er zum ersten Mal überhaupt durch Edwin Atema über seine Rechte informiert worden war, es abgelehnt, den Trailer noch selbst auszuliefern. Zumindest nach dem deutschen Arbeitsrecht könnte der Fahrer in so einem Fall seine Arbeitsleistung, also das Fahren und Ausliefern, einstellen. Genau dazu entschied sich Tadenda. Was dann passierte, hat Tadenda aus seinem MAN 18.510 als Video aufgezeichnet. Es liegt mir vor, wir zeigen hier nur einen Screenshot.

Ein Screenshot aus einem Video, das Tadenda aufgenommen hat, als ihm der Lkw unter dem Trailer weggezogen wurde.
Ohne Vorwarnung erschien am 28. Januar ein Actros aus der mit Karlsruher Kennzeichen zugelassenen deutschen Flotte von Hegelmann Express auf dem Aral-Autohof Merklingen und zog mit Gewalt per Schleppstange den MAN unter dem Kögel-Trailer fort, damit die Ware noch in Neu-Ulm ausgeliefert werden konnte. Das interne Kommunikationssystem des MAN wurde sofort vom Inhaber gekappt, ohne Geld und mit der Verpflichtung, auch noch die Parkgebühr aus eigener Tasche zu zahlen, blieb Tadenda mit den Fahrzeugpapieren und dem ursprünglichen Frachtbrief im Lkw in der winterlichen Kälte des Albaufstiegs zurück. Mit seinem privaten Handy, für das er noch eine SIM-Card gekauft hat, konnte er zumindest über WhatsApp mit der Familie zu Hause kommunizieren.
Wer ist Global Transporte Slovakia?
Nach den Erkenntnissen von RTDD und Verdi soll Global Transport Slovakia eine Tochterfirma der in Baden-Württemberg ansässigen Spedition Hegelmann Group sein. Auf meine Nachfrage an Siegfried Hegelmann persönlich und gleichzeitig an die Abteilung Compliance auf der Hegelmann-Homepage, bekam ich eine Antwort aus Litauen von der UAB Hegelmann Transporte aus Kauno, die ich hier im Wortlaut wiedergebe:
„Sehr geehrter Herr Bergrath, vielen Dank für Ihre Anfrage und Ihr Interesse an unserem Unternehmen. Die von Ihnen erwähnten Beiträge, Videos und Statements liegen uns vor. Sicherheit, Vielfalt und Zugewandtheit sind fest in unserer Unternehmensphilosophie verankert. Diese Werte prägen uns als weltoffenes Unternehmen. Bis wir eine genaue Beschreibung des Vorfalls erhalten, bitten wir um Verständnis, dass wir uns nicht an Spekulationen und Vorwürfen beteiligen. Zu dem laufenden Verfahren können wir uns daher nicht weiter äußern. Seien Sie versichert, dass wir mit allen relevanten Stellen in Kontakt stehen und vollumfänglich unterstützen.“
Die Rolle der Nutzfahrzeugindustrie
Bereits im März 2021 hatte ich in meiner Reportage Litauischer Umschlagplatz am Beispiel eines litauischen Reifenhändlers darüber berichtet, wie die westeuropäische Nutzfahrzeugindustrie gerade die osteuropäischen Großflotten subventioniert. Die von mir bei den Herstellern nachgefragten Preise, die seinerzeit bei rund 60.000 Euro im Fünfhunderter oder Tausender-Pack lagen, wurden von den Herstellern damals ausweichend kommentiert. Bis heute allerdings geraten die Pressestellen von Daimler Trucks, DAF und MAN in Wallung, wenn Siegfried Hegelmann über die deutschen Nutzfahrzeugmessen geht und seine Großbestellungen ankündigt.
Es ist mir durch Besuche vor Ort bekannt, dass die Hegelmann-Gruppe an sieben europäischen Standorten wie etwa in Karlsdorf bei Bruchsal und in Bochum eigene Servicebetriebe unterhält. Auch hier werden regelmäßig in großer Menge Reifen angeliefert. Vor allem in Karlsdorf werden die Lkw und Trailer mit den Nummernschildern für die jeweiligen Einsatzgebiete vorbereitet. Aus den im Lkw von Tadenda zurückgebliebenen Fahrzeugpapieren ergibt sich, dass der Kögel-Trailer unter dem EU-weit geltenden Code C.1.1 zur „Hegelmann-Rental UAB“ gehört, der MAN allerdings laut den Papieren der Global Transport Slovakia s.r.o. gehört.
Es ist für mich daher nur sehr schwer vorzustellen, dass die Hegelmann-Gruppe auf der einen Seite wie eine Autovermietung agiert und die subventionierten Fahrzeuge nach der vereinbarten Laufzeit zu einem ähnlichen Preis wieder zurückgibt, und der unabhängige Frachtführer aus Bratislava bei MAN ein paar Lkw ordert.
Bratislava ist das Mekka der Briefkastenfirmen
Ein Weg zur Aufklärung führt über die im Fahrzeugschein der im MAN genannten Adresse. Über Google-Earth führt sie in ein reines Bürogebäude ohne jegliche Parkmöglichkeiten für Lkw. Bereits 2017 hatte die belgische Gewerkschaft BTB nach aufwendiger Recherche in einem Schwarzbuch „The road to Slovakia“ festgestellt, dass Bratislava im Grunde das Mekka der internationalen Briefkastenfirmen ist.
So wie im Fall der polnischen Mazur-Gruppe sind nach den europäischen Regeln für die Kontrollen der Unternehmen die Länder zuständig, in denen die Unternehmen ihren Sitz haben. Allerdings gilt im neuen Artikel 14 a der im Rahmen des Mobilitätspaketes ergänzten VO (EU)1072/2009, zu finden etwa bei der Gewerbeaufsicht in Baden-Württemberg zum Thema Haftung: „Die Mitgliedstaaten erlassen Vorschriften über Sanktionen gegen Versender, Spediteure, Auftragnehmer und Unterauftragnehmer bei Verstößen gegen die Kapitel II oder III, wenn diese wussten oder angesichts aller relevanten Umstände hätten wissen müssen, dass mit den Verkehrsdiensten, die sie in Auftrag gegeben haben, gegen diese Verordnung verstoßen wird.“
Ausstand weitet sich aus
Laut einer aktuellen Meldung der Frankfurter Rundschau hat sich nun in Hessen ein weiterer Fahrer aus Simbabwe bei Alsfeld geweigert, weiterzufahren, er soll für die polnische Flare Trans unterwegs gewesen sein, die laut den Recherchen der FR auch zur Hegelmann-Gruppe gehöre. Auch hier dieselbe Sprachgestaltung. „Die Hegelmann Group reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf Anfragen. Die polnische Flare Trans war nicht erreichbar. Die Hegelmann-Tochter Global Transporte Slovakia, für die etliche der Fahrer unterwegs sind, hatte alle Vorwürfe zurückgewiesen. Sie behauptete, sie angemessen vergütet und ihnen bei Bedarf Unterkünfte gestellt zu haben.“
BGL fordert Umdenken
Aktuell fordert der Bundesverbands Logistik und Entsorgung (BGL) angesichts einer angekündigten Preissenkung durch Mercedes-Benz ein Umdenken der Verlader. Diese Form des Dumping-Wettbewerbs sei einer deutschen Premium-Marke wie Mercedes-Benz unwürdig. „Mit dieser Forderung zum jetzigen Zeitpunkt, ist die Verlagerung in den osteuropäischen Dumping-Wettbewerb vorprogrammiert und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ein Gräfenhausen 2.0 erleben, gepaart mit dem Wegfall heimischer mittelständischer Transportunternehmen“, sagt der Verbandschef. Unter den Frachtbriefen der Fahrer aus Simbabwe, so heißt es bei der FR, gehe mittlerweile hervor, dass sie Waren unter anderem für große deutsche Konzerne transportieren. So sind sie für Amazon unterwegs, für Aldi, Lidl oder Procter & Gamble. Auch die großen deutschen Autohersteller sind vertreten.
Einsam auf dem Autohof
Am Mittwochabend steht Tadenda immer noch einsam auf dem Autohof Merklingen. Die ersten drei Tage der Parkgebühr hat er noch aus eigener Tasche bezahlt. Wie auch die anderen Fahrer angegeben haben, waren sie während ihrer Einsatzzeit ausschließlich im Lkw unterwegs und hätten entgegen der Aussage der Hegelmann-Gruppe nie in einem Hotel übernachtet, ein schwer nachzuweisendes Thema, das die Hegelmann-Gruppe nun schon länger begleitet. Der Tank ist mittlerweile auf Reserve – für ein wenig Wärme in der Nacht.

Mittlerweile steht Tadenda schon die zweite Woche auf dem Autohof Merklingen.
Ein Kollege sei krank geworden, unterwegs im Lkw kollabiert, er kam ins Krankenhaus, niemand wollte die Kosten übernehmen. Die Fahrer haben zusammengelegt, damit er mit dem Flieger zurück nach Afrika kommen würde. Tadenda hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er ab März vielleicht wieder arbeiten kann. Wie man als deutsches Unternehmen Fahrer aus Afrika unter regulären Bedingungen im Rahmen einer Ausbildung für einen Fahrerjob in Deutschland gewinnen kann, hat die Spedition Emons bereits eindrucksvoll belegt. „Wenn ich ab März einen neuen Job hätte und dort vielleicht 2.500 Euro verdiene“, träumt Tadenda, „dann kann ich vielleicht im Dezember wieder nach Hause fliegen. Das Leben in Europa ist teuer, der Flug kostet Geld und ich will auch etwas mit nach Hause bringen.“