63. Verkehrsgerichtstag Goslar: Todesfahrt im Drogenrausch

63. Verkehrsgerichtstag Goslar
Todesfahrt im Drogenrausch

Beim 63. Deutschen Verkehrsgerichtstag vom 29.bis 31. Januar geht es auch um den Cannabis-Missbrauch im Straßenverkehr und dessen Teillegalisierung. Gerade Unfälle bekiffter Lkw-Fahrer haben im extremen Fall eine verheerende Wirkung.

Todesfahrt im Drogenrausch
Foto: SDMG/Dettenmeyer

Bereits im Sommer 2023 habe ich unter dem Titel „Frühere Warnung vor mobilen Warntafeln“ anhand eines katastrophalen Lkw-Unfalls am 2. Mai auf der A 81 bei Böblingen zum wiederholten Male darüber berichtet, dass auch die neuesten Generationen der Notbremsassistenten nicht gesichert auf die filigrane Struktur der Pfeilanhänger reagieren. Sondern offenbar erst auf den Lkw davor. Hier am Beispiel eines Actros mit ABA5 aus dem März 2023. Doch anstelle diese Warntafeln mit kleinen Radarreflektoren auszustatten, entschied man sich politisch für eine netzbasierte Kommunikation mit der C-ITS Technologie auf dem WLANp-Standard, der die Lkw-Fahrer frühzeitig warnen sollte. Leider, das als kurze Vorbemerkung zu diesem Blog-Artikel, hat sich meines Wissens bislang kein Lkw-Hersteller diesem zukunftsträchtigen System angeschlossen. Und so brettern auch heute noch immer wieder Lkw ungebremst in diese Warntafeln, falls deren Fahrer nicht in allerletzter Sekunde versuchen, durch ein Ausweichmanöver in der Warnphase den Crash zu verhindern.

Erschreckende Erkenntnis bei Gerichtsverfahren

Und so kam bereits im April 2024 beim Gerichtsverfahren gegen den rumänischen Fahrer einer deutschen Silospedition vor dem Amtsgericht Böblingen heraus, dass der Lkw-Fahrer kurz vor dem Unfall Marihuana geraucht hatte. In seinem Blut wurde das Rauschmittel THC nachgewiesen. „Man wird dadurch benommen und müde“, erläuterte der Sachverständige. Nur so sei zu erklären, dass der Lkw-Fahrer trotz freier Sicht auf das Baustellen-Fahrzeug nicht reagiert habe.

Aber schlimmer noch: „Während der Fahrer mit 80 km/h auf das blinkende Warnschild zuschoss, nahm er sogar die Hände vom Steuer. 15 Sekunden lang war der Mercedes-Brummi führerlos. Das ergab die Auswertung des Fahrtenschreibers.“ Das allerdings ist durch den Spurhalteassistenten im Actros technisch zumindest möglich. Ich überlasse es der finalen Interpretation meiner Leserinnen und Leser, aber diese Erkenntnis scheint am Rande meine oben geschilderte These zu bestätigen. Entscheidend ist allerdings die Botschaft des Richters, der den Fahrer zu zwei Jahren und neun Monate Haft ohne Bewährung und dazu noch vier Jahren Führerscheinentzug verurteilte. „Wir haben es hier mit einem massiven, gravierenden Fehlverhalten eines Berufskraftfahrers zu tun“, so die Begründung. Angesichts der Cannabis-Legalisierung zum 1. April sei die Zeit gekommen, allen klarzumachen: „Wer bekifft hinterm Steuer sitzt und dabei jemanden tötet, darf nicht auf Bewährung hoffen.“

Arbeitskreis Cannabis-Missbrauch beim Verkehrsgerichtstag in Goslar

Und so widmet sich nun vom 29. bis 31. Januar einer der acht Arbeitskreise beim 63. Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar den Konsequenzen der (Teil-) Legalisierung für die Fahreignungsprüfung, des Fahrerlaubnisrechts, den möglichen polizeilichen Kontrollmaßnahmen und der fahrerlaubnisrechtlichen Einordnung von Cannabis-„Altfällen“. Denn offensichtlich scheint für manche Lkw-Fahrer der Job nur noch im Drogenrausch zu ertragen sein, wie das jüngste Beispiel aus Österreich belegt. Ein Lkw-Fahrer, der zuvor wegen der Nutzung eines Smartphones kontrolliert worden war, täuschte der Tiroler Polizei – am Ende vergeblich – mit künstlichem Urin vor, dass er mit THC und Kokain unterwegs war. Ein Diskussionspunkt in Goslar wird daher auch das Problem sein, dass die polizeilichen Kontrollmaßnahmen anders als bei Alkohol schwieriger sind, da es keinen Schnelltests gibt, der die THC-Werte im Blut unter und über 3,5 ng/ml unterscheiden können, so wie es mit der Atemalkoholprüfung unter oder über 0,5 Promille möglich ist.

Appell auch an die deutschen Transportunternehmen

Ich weise daher auch hier noch einmal angesichts des mittlerweile eklatanten Alkohol- und nun auch wohl zunehmenden Drogenkonsums von Lkw-Fahrern auf Rekordkoch auf den dringenden Appel von Wirtschaftscoach Gudrun Gaus hin, da auch immer mehr osteuropäische Fahrer auf Grund des Fahrermangels in deutschen Lkw-Flotten betroffen sind. „Der Konsum von Alkohol und Cannabis bei Lkw-Fahrern ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine reale und tödliche Gefahr“, warnt Gaus, „sie müssen daher konsequent präventive Maßnahmen ergreifen, und auch die Fahrer selbst müssen sich der Tragweite ihrer Handlungen bewusst sein. Hier geht es nicht nur um Gesetze, Vorschriften oder mögliche Imageschäden – es geht um Menschenleben!"

Doch was genau bedeutet die Legalisierung von Cannabis im Straßenverkehr?

Dazu habe ich den Bremer Verkehrspsychologen Thomas Pirke, mit dem ich schon längere Zeit an verschiedenen Projekten zusammenarbeite, vorab um eine Einschätzung gebeten- auch als eindringliche Warnung an unsere Leserinnen und Leser. „Wer in der Probezeit oder vor Vollendung des 21. Lebensjahres als Führer eines Kraftfahrzeugs Cannabis zu sich nimmt oder die Fahrt unter Wirkung von Cannabis antritt, begeht eine Ordnungswidrigkeit“, schreibt er zunächst. Nach der Probezeit und nach Vollendung des 21. Lebensjahres gilt für Kraftfahrer ein Grenzwert von 3,5 ng THC pro ml Blutserum. THC (Tetrahydrocannabinol) ist der Wirkstoff des Cannabis, der im Blut nachgewiesen wird. Fahrten mit einem THC-Wert oberhalb des Grenzwerts stellen eine Ordnungswidrigkeit dar.

Thomas Pirke

Verkehrspsychologe Thomas Pirke

Werden Alkohol- und Cannabiskonsum gleichzeitig nachgewiesen, ist es in jedem Fall eine Ordnungswidrigkeit – unabhängig vom Grenzwert. Wird ein Kraftfahrer das erste Mal mit mehr als 3,5 ng THC/ml Blutserum kontrolliert, muss er 500 Euro Bußgeld zahlen, bekommt zwei Punkte in Flensburg und ein Fahrverbot von einem Monat. „Beim zweiten Mal sind es 1.000 Euro Bußgeld, wieder zwei Punkte in Flensburg und ein Fahrverbot von drei Monaten und wegen der wiederholten Zuwiderhandlung wird ein medizinisch-psychologisches Gutachten (MPU) angeordnet.“

Die Nachwirkung und das Reaktionsvermögen unter Drogen

„Die Wirkung bei Cannabiskonsum kann sehr unterschiedlich sein“, sagt Pirke. Je nach Situation, persönlichem Befinden, Konsumform und Zusammensetzung könne Cannabis angenehm und stimmungssteigernd sein, fördere aber auch negative Zustände wie Unruhe und Gereiztheit. Als direkte Wirkung entstehe oft eine Verstärkung von Gefühlen, manchmal positiv und euphorisierend. Aber auch negative Empfindungen, wie Ängste, Panik oder depressive Gedanken können auftreten. Wahrnehmungsveränderungen können sich auf die Aufmerksamkeit sowie das Reaktionsvermögen und damit negativ auf die Fahrtüchtigkeit auswirken. Nach der Einnahme von Cannabis können Müdigkeit, Herzrasen, Schwindel, Übelkeit oder Erbrechen auftreten, und damit die Fahrsicherheit beeinträchtigen. Verlangsamte Bewegungen können auch zum verzögerten Reaktionsvermögen und entsprechend langsamer Fahrweise führen. Erweiterte Pupillen und gerötete, trockene Augen beeinträchtigen das Sehvermögen.

Sozialer Rückzug und Isolation

Der Beruf des Lkw-Fahrers, das schreibe ich immer wieder, und hier gerade im Fernverkehr, ist bei manchen Fahrern eine Lebenseinstellung. Die Einsamkeit als König der Landstraße gibt es zwar immer noch, aber viele Fahrer vor allem ohne familiäre Bindung landen doch möglicherweis in der sozialen Einsamkeit. „Bei einer regelmäßigen Einnahme von Cannabis können Inaktivität, sozialer Rückzug und Isolation zunehmen“, warnt Pirke. Eine eher positiv erlebte Wirkung zeigt sich, wenn man sich vermeintlich inspiriert fühlt, neue Ideen entstehen, Einfallsreichtum, Euphorie und Entspannung verstärkt erlebt werden. Aber diese Wirkung kann umkippen: Gedankensprünge können zunehmen und man kann von bestimmten Themen oder Tätigkeiten nicht loskommen. „Die für die Fahrsicherheit notwendige Aufmerksamkeit ist nicht mehr angemessen, die Konzentration nicht mehr gegeben“, beschreibt Pirke.

Wahnvorstellungen und Psychosen

Ein eher langjähriger oder sehr intensiver Cannabiskonsum kann die Konzentration, Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit beeinträchtigen. Häufig kommt es zu Antriebslosigkeit und sozialem Rückzug. Auch Wahnvorstellungen und Psychosen können auftreten. Dieser gefährliche Mix aus mittlerweile nachgewiesenen 0,7 Promille Alkohol und einer nach wie vor durch ein noch ausstehendes toxikologisches Gutachten nicht bekannten Substanz führte dann im Dezember 2024 zu der bislang folgenschwersten Unfallserie auf der A 46 und A 1, bei der ein polnischer Lkw-Fahrer einer polnischen Spedition an einem Samstag auf dem Weg von einem Logistikzentrum in Mönchengladbach nach Polen eine Chaosfahrt mit 57 zerstörten Autos mit insgesamt 23 Verletzten verursachte.

Zur Fahrtüchtigkeit und Fahreignung

„Wer Cannabis konsumiert, muss Konsum und Fahren sicher trennen“, warnt Pirke weiter. Zwischen Cannabiskonsum und Fahrtantritt mit einem (Kraft-) Fahrzeug müsse genügend Zeit zum Abbau des Cannabis eingeplant werden. Die Fachgesellschaften empfehlen mindestens zwölf Stunden. Das gelte allerdings nur bei gelegentlichem Konsum, bei dem zwischen dem Konsum eines Joints und des nächsten Joints eine Zeit von mehreren Tagen liegt und jedes Mal nur eine geringe Menge konsumiert wird. „Regelmäßiger Konsum führt dazu, dass auch nach einer Wartezeit von weit mehr als zwölf Stunden Cannabiswerte über dem Grenzwert nachgewiesen werden können.“ Sie führen dazu, dass Personen, die nach Meinung der Fachgesellschaften eine Gefährdung für den Straßenverkehr darstellen, sich anders als vormals keiner MPU mehr unterziehen müssen. „Die neuen Gesetze sind in vielerlei Hinsicht unscharf“, so Pirke. Die Empfehlungen des Arbeitskreises, wie man die Probleme anpacken könnte. Die Empfehlungen an die Politik finden sich auf der Homepage des VGT.

Das sagt der DVR zum Thema Cannabis:

"Nach der Teillegalisierung von Cannabis standen die verkehrsrechtlichen Vorschriften auf dem Prüfstand. Dazu DVR-Hauptgeschäftsführer Stefan Grieger: „Der Deutsche Verkehrsgerichtstag fordert den Gesetzgeber auf, nachzubessern und eine Nulltoleranz für den besonders gefährlichen Mischkonsum von Alkohol und Cannabis ins Gesetz zu schreiben. Das sollte die nächste Bundesregierung unbedingt berücksichtigen – sofern der im letzten Jahr eingeführte THC-Grenzwert nicht abgeschafft werden sollte.“ Auch die Überprüfung der Fahreignung in Fällen, bei denen der THC-Grenzwert nicht überschritten ist, aber ein Mischkonsum mit Alkohol vorliegt, ist für den DVR eine Verbesserung im Sinne der Verkehrssicherheit."