Zum ersten Mal gelangte Polizeidirektor Stefan Pfeiffer, heute 60 Jahre alt, seit fast 40 Jahren im Polizeidienst und seit 2008 bei der Verkehrspolizeiinspektion (VPI) Feucht, 2019 durch seinen „geplatzten Kragen“ auf der A 3 zwischen Roth und Nürnberg-Süd in den Fokus der Öffentlichkeit. Er forderte Gaffer in Pkw und Lkw, die die Szene per Handy fotografierten und selbst einen Stau auslösten, spontan dazu auf, sich einen durch einen Auffahrunfall getöteten ungarischen Lkw-Fahrer tatsächlich anzusehen statt „nur“ die 128,50 Euro Bußgeld zu zahlen. Was die meisten Fahrer ablehnten. Diese Aktion brachte ihm bundesweit großen Respekt ein.
Nun stehen Stefan Pfeiffer und sein Leiter der Schwerlastkontrolle, Andre Munker, wieder im Blickpunkt der medialen Öffentlichkeit. Zuerst hielt Pfeiffer im Herbst einen brisanten Vortrag auf der 10. Konferenz „Optimierte Kommunale Verkehrssicherheitsarbeit“ in Bonn und danach auf dem alljährlichen „Autotag der Allianz“ in München. Die vielen altgedienten Kontrolleure wie etwa Raymond Lausberg (Belgische Polizei), Sven Kilian (Roadpol), der langjährige Polizeidirektor der VPI Mannheim, Dieter Schäfer, und weitere Experten kennen das Thema schon lange. Kurz gesagt geht es um fehlende Kontrollinstrumente, umgebaute Assistenz-systeme, Betrug bei Arbeitszeiten und Sensoren. Die VPI Feucht entdeckt zunehmend professionell manipulierte Lastwagen. An manchen Tagen gibt es bei 100 Prozent der kontrollierten Fahrzeuge Mängel. Im Blogbeitrag „Strategien gegen tödliche Unfälle“ auf eurotransport.de sind diese Probleme bereits zum Teil genannt.
Ausfall der Assistenzsysteme durch Tachomanipulation
„Wenn wir nachts kontrollieren, schlägt uns Kriminalität entgegen, die man teilweise schon als sehr organisiert betrachten muss“, sagt Pfeiffer. Er und Munker gehen davon aus, dass es in etlichen Fällen nicht einzelne schwarze Schafe unter den Fahrern sind, die manipulieren, sondern deren Arbeitgeber. Beanstandet würden überwiegend die Lkw osteuropäischer Speditionen und ihrer Fahrer aus Osteuropa, aus Drittstaaten und mittlerweile der halben Welt. Eines der krassesten Erkenntnisse bestätigt Munker: „Die lange praktizierte Manipulation des KITAS-Gebers wurde bereits seit Ende 2012 erschwert und ist insbesondere bei der aktuellsten Version der Fahrtenschreiber nicht mehr ganz so weit verbreitet“, berichtet Munker. „Dafür ziehen nach unseren Erkenntnissen immer mehr Fahrer unter dem Druck, Termine einhalten zu müssen, die Steckverbindung zur Sicherung des Kontrollgerätes. Damit fallen alle Assistenzsysteme und zum Teil die Motorsteuerung aus. Hier wäre es die Aufgabe der deutschen Überwachungsvereine, dies in einem großen Testversuch auf abgetrenntem Gelände genau zu prüfen.“ Viele tödliche Unfälle an Stauenden könnten nicht nur durch das in Deutschland mittlerweile verbotene Abschalten des Notbremsassistenten zu erklären sein, sondern durch den bereits nachgewiesenen Ausfall etwa des ABS, der die genau berechnete Bremskaskade praktisch außer Kraft setzt.
20 Stunden Fahrzeit ohne Pause mit mehreren Fahrerkarten
Ebenfalls nach einem schweren Lkw-Unfall im Bereich der VPI Feucht konnten die bestens geschulten Kontrolleure, die permanent in zwei Schichten am Tag und in der Nacht auf Streife gehen und ihre „Kunden“ natürlich genau kennen, die immer wieder dort vorbeikommen, die zunehmende Nutzung einer zweiten oder sogar dritten Fahrerkarte belegen. „Ein Fahrer aus Rumänien saß zuvor 20 Stunden ohne Unterbrechung am Steuer und hatte praktisch für jede Schicht eine eigene Fahrerkarte dabei, die er uns nach und nach aushändigte. In solchen Fällen nutzen wir neben den Sicherheitsleistungen, die durch das zuständige Bundesamt für Logistik (BALM) als Bußgeldbehörde für ausländische Transportunternehmer und Fahrer am Ende abgerechnet wird, alle weiteren rechtlichen Möglichkeiten, und ordnen eine Ruhezeit von elf Stunden an, womit allein der vorherige Zeitgewinn zunichte ist.“
Laut Raymond Lausberg werden die Kontrollen bereits seit Jahren gezielt erschwert, weil, wie er schreibt, die großen und bekannten litauischen sowie polnischen Flotten ganz gezielt nur noch weiße, neutral beschriftete Fahrzeuge einsetzen. Diese wurden teilweise in sehr großer Stückzahl von der westeuropäischen Nutzfahrzeugindustrie zu hohen Rabatten gekauft oder geleast. „Allein laut der letzten Mautstatistik kommen an der deutsch-belgischen Grenze bei Aachen im Jahr 2,5 Millionen Lkw vorbei, wir können gerade mal ein Prozent davon kontrollieren.“ Auch der europäische Verkehrspolizeiverband Roadpol koordiniert regelmäßige grenzüberschreitende Kontroll-aktionen. Allein im Februar 2024 kontrollierten Verkehrspolizisten im Laufe einer Woche in 29 Ländern 248.498 Lastwagen. Die Polizisten entdeckten Verstöße bei knapp 87.000 Lkw – eine Quote von 35 Prozent.
Gefälschte Urkunden aller Art
Den größten Wettbewerbsvorteil verschaffen sich Unternehmer durch den Einsatz von Fahrzeugführern, die weder im Besitz einer Fahrerlaubnis noch einer Arbeitserlaubnis sind, sondern teilweise mit komplett gefälschten Unterlagen unterwegs sind“, hatte Pfeiffer bereits in seinen Vorträgen beschrieben. Munker nennt ein extremes Beispiel: „In einem anderen Fall war ein Fahrer, der noch nicht 30 Jahre alt war, im Auftrag seiner Firma aus einem Drittstaat bei der Kontrolle annähernd drei Monate ohne einen Tag Ruhepause unterwegs.“
Auch das beklagt Lausberg, der mittlerweile nach 45 Jahren im Ruhestand ist, schon lange. Leidtragende seien die deutschen und in seinem Fall die belgischen kleinen Frachtführer und mittelständischen Speditionen, die bei angebotenen Preisen von etwas über 65 Cent bei mindestens nötigen 1,30 Euro pro Kilometer nach und nach in die Insolvenz geraten, falls sie nicht von einem besser aufgestellten Unternehmen übernommen werden. Die großen internationalen Logistikkonzerne haben das Problem eher nicht. Im Gegenteil: Sie profitieren teilweise von diesen kaum kontrollierten Zuständen.
Teils menschenunwürdige Zustände
Auch Andreas Schindler, Geschäftsführer der FS Fahrerschmiede GmbH aus Köln mit bundesweit sieben Niederlassungen im Bereich Personalleasing tätig, warnt seit geraumer Zeit seine Kunden vor den Machenschaften auch in diesem Segment. „In Zeitz ist in der Nacht zum Sonntag ein Lkw-Fahrer in seiner Kabine verbrannt“, schreibt er auf Nachfrage. „Vor wenigen Wochen haben drei Usbeken einen Ukrainer in einem Gewerbegebiet bei Schwäbisch Hall an einem Samstag mutmaßlich unter Alkohol erschlagen. Uns selbst wird Fahrpersonal angeboten, das nicht mehr als 50 Euro am Tag verdienen kann, und das bei eigener Anreise.“ Das Fahrpersonal komme aus Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, Aserbaidschan oder Georgien. Er habe Ausweise und nationale Führerscheine aus deren Heimat gesehen. Viele dürften seiner Meinung nach in Deutschland ohne gültige Fahrerqualifikation gar nicht fahren. Auch Schindler hat jetzt Kontakt zur VPI Feucht aufgenommen. Auch nach seiner Erfahrung würden die Organisierte Kriminalität (OK) und teilweise Clanstrukturen die Schleusung und den Einsatz als Lkw-Sklaven organisieren. „Fahrer, die insbesondere in der Lebensmittellogistik tätig sind, wechseln wegen der oft menschenunwürdigen Zustände teilweise sofort.“
Löhne würden laut Schindler nicht gezahlt, viele arbeiten ohne Arbeitsvertrag, sie hätten kaum eine Klagemöglichkeit, keine Krankenversicherung, keine A1-Bescheinigung, es würden keine Beiträge zur Berufsgenossenschaft abgeführt, sie seien monatelang im Lkw ohne Rechte und Schutz. „Durch den illegalen Aufenthalt sind die Fahrer erpressbar, genauso wie die Familie zu Hause.“
Keine Chance für anständige Unternehmer
Ordentliche Unternehmer können so nicht bestehen. „Lassen Sie es mich klar sagen: Durch den Einsatz von Schein-Zeitarbeitsfirmen aus dem Ausland, insbesondere aus Litauen und Polen sowie anderen Ost-EU-Ländern, entziehen sich diese Firmen der Verfolgung.“ Auch Schindler verweist am Ende auf das polnische Firmenkonsortium LukMaz und Mazur, dessen Auftraggeber nie offiziell Zahlungen – zumindest bis zum Mindestlohn – geleistet und die hinterzogenen Sozialversicherungsbeiträge nachbezahlt hätten. Am Ende hatten einige Auftraggeber auf Vermittlung eines Anwalts die ausstehenden reinen Nettolöhne übernommen, um schnell an ihre Waren zu kommen.