Erhebliche Lkw-Unfallgefahr: Alkoholdelikte auf Rekordhoch

Erhebliche Lkw-Unfallgefahr
Alkoholdelikte auf Rekordhoch

Bislang stand der exzessive Alkoholmissbrauch weitestgehend mit den Fahrern osteuropäischer Lkw in Verbindung. Nun zieht das Problem allmählich in deutsche Flotten. Die Unternehmen müssen handeln.

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Foto: Jan Bergrath

Der Wert dürfte Rekord sein: Am frühen Morgen des 18. Novembers 2024 meldete ein Verkehrsteilnehmer auf der A 9 die auffällige Fahrweise eines Sattelzugs. Dieser wurde an der Anschlussstelle Bayreuth-Nord einer Verkehrskontrolle unterzogen, die Beamten bemerkten dabei laut einer Pressemeldung starke Ausfallerscheinungen des Fahrers. "Bereits beim Öffnen der Fahrertüre konnte ein starker Alkoholgeruch wahrgenommen werden. Ein freiwilliger Atemalkoholtest beim Fahrer ergab einen erstaunlichen Wert von umgerechnet 4,24 Promille. Die Weiterfahrt wurde durch die eingesetzten Beamten der Verkehrspolizeiinspektion Bayreuth sofort unterbunden und es wurde eine Blutentnahme durchgeführt. Dem Fahrer droht nun eine Anzeige wegen Trunkenheit im Verkehr." Laut Lokalpresse und der Facebookseite "Lkw-Unfälle und -Kontrollen", die den längst mehrfach wöchentlich auftretenden Alkoholmissbrauch in Deutschland genau dokumentieren, durfte der bulgarische Fahrer zunächst bis zur späteren Weiterfahrt in seinem Lkw ausnüchtern.

Deutsche Behörden haben nur eingeschränkte Handhabe

Was auf den ersten Blick unglaublich klingt, bestätigt Dieter Schäfer von "Hellwach mit 80 km/h", der sich seit 2018 dafür einsetzt, dass die Politik im Bund und in den für die Autobahnpolizei zuständigen Ländern die Tragweite dieses Problems endlich erkennt, bevor es außer Kontrolle gerät.

"Die Polizei darf einen nichtdeutschen Führerschein nur zum Zweck der Gefahrenabwehr beschlagnahmen, bis der Inhaber unter 0,3 Promille hat", erklärt der langjährige Direktor der Verkehrspolizei Mannheim. "Es kommt darauf an, ob die Staatsanwaltschaft sofort einen Richter bemüht und der ein Eilverfahren einleitet. Dann muss der Delinquent eine Geldstrafe zahlen und darf mit sofortiger Wirkung kein führerscheinpflichtiges Fahrzeug in Deutschland führen. Oder es wird zur Anzeige gebracht und richterlich abgearbeitet. Dann darf der Beschuldigte erst ab Urteilsverkündung kein Fahrzeug mehr führen."

Null-Promille-Grenze gefordert

Schäfer fordert, wie die meisten deutschen Berufskraftfahrer, endlich eine Null-Promille-Grenze, die es allerdings derzeit nur für Gefahrguttransporte gibt. Wie es bereits im Oktober 2020 im Blogbeitrag "Wer stoppt alkoholisierte Lkw-Fahrer?" anlässlich des schweren Unfalls eines alkoholisierten deutsch-russischen Fahrers des Tank- zuges einer deutschen Spedition, der unter einer Eisenbahnbrücke der A 40 vollkommen ausbrannte, ausführlich debattiert wurde.

"Das Problem der alkoholisierten Lkw-Fahrer vor allem aus Osteuropa wird keine auch maximal vorstellbare Kontrollintensität der Polizei lösen", hält der Unfallforscher Siegfried Brockmann, Geschäftsführer Verkehrssicherheit und Unfallforschung der Berliner Björn-Steiger-Stiftung, dagegen. "Wen die heutigen Tatbestände 0,5 und 1,1 Promille nicht daran hindern, unter weit höheren Konzentrationen zu fahren, warum soll das dann ein anderer Wert lösen?" Die Technik könnte es laut Brockmann eher lösen. "Alkohol- Interlocks würden das Fahren effektiv verhindern, aber die sind nicht vorgeschrieben."

Alkolocks: Bisher nur Schnittstelle Pflicht

In der Tat: In der EU vorgeschrieben sind seit Juli 2024 nur die entsprechenden Schnittstellen in Neufahrzeugen. "Deshalb brauchen wir Alkolocks möglichst ab sofort und ohne Übergangsfrist in allen Neufahrzeugen. Wir haben bereits mit dem Abbiege- und dem Notbremsassistenten so viel Zeit verloren, nun auch bei Alcolocks." Nach Rückmeldungen aus der Transportbranche sind nur wenige, wenn überhaupt westeuropäische Unternehmen, vornehmlich aus der Gefahrgutlogistik, bereit, diese Technik freiwillig in ihre Lkw einzubauen. "Es ist höchste Zeit, jetzt wenigstens einmal damit anzufangen", sagt Brockmann. "Mehr Kontrollen brauchen wir natürlich trotzdem."

Die größte Gefahr: In ihrer Freizeit dürfen auch Lkw-Fahrer aller Nationen so viel Alkohol trinken, bis sie sprichwörtlich umfallen. Solange sie sich zu Schichtbeginn ohne Restalkohol hinters Steuer setzen. Präventive Alkoholkontrollen der Autobahnpolizei finden zwar immer wieder statt, aber viel zu selten. In den deutschen Gewerbe- und Industriegebieten schon gar nicht.

Kein reines Osteuropa-Problem mehr

Bislang stand der exzessive Alkoholmissbrauch weitestgehend mit den Fahrern osteuropäischer Lkw in Verbindung. Mit entsprechender Branchenkenntnis lässt sich aus den verfügbaren Online-Meldungen zu alkoholbedingten Unfällen allerdings herauslesen, dass das Problem allmählich auch in deutsche Flotten einzieht. Kein Wunder – bis zu 30 Prozent der Lkw-Fahrer in deutschen Transportunternehmen dürften mittlerweile allein aus Bulgarien, Polen und Rumänien kommen, viele arbeiten hier nach dem Modell "drei Wochen Arbeit, eine Woche in der Heimat". Ein Grund ist der bekannte Fahrermangel ín Deutschland. Nicht selten ersetzen sie allerdings deutsche Lkw-Fahrer, weil sie eher bereit sind, auch an den Wochenenden vom Firmenstandort in Richtung der Kundschaft zu fahren.

Ein Beispiel ist ein schwerer Unfall vom 22. April 2024, einem Montagmorgen: Drei Lkw-Fahrer wurden an der Raststätte Elztal-Nord der A 48 schwer verletzt, als ein Silozug einer deutschen Spedition in der Einfahrt in zwei parkende Lkw krachte und diese zusammenschob. Einer der Fahrer musste von der Feuerwehr Mayen aus seinem Lkw befreit werden. Über den Unfallverursacher meldet die Staatsanwaltschaft Koblenz: "Der polnische Staatsangehörige wurde zwischenzeitlich im Strafbefehlsverfahren rechtskräftig wegen Gefährdung des Straßenverkehrs, Unfallflucht sowie fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Bei ihm konnte eine Alkoholisierung von 0,94 Promille festgestellt werden." Wo der Fahrer der Silospedition zuvor seine wöchentliche Ruhezeit verbracht hatte, konnte die Staatsawanwaltschaft zum Zeitpunkt unserer Anfrage nicht sagen.

Schon eine Sekunde unzureichende Aufmerksamkeit kann verheerende Folgen haben

"Wenn Lkw-Fahrer unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen ein Fahrzeug führen, setzen sie Menschenleben und die eigene Sicherheit aufs Spiel", unterstreicht Gudrun Gaus. "Schon eine Sekunde unzureichender Aufmerksamkeit, eine minimale Verzögerung in der Reaktion, kann verheerende Folgen haben. Besonders im Schwerlastverkehr, in dem allein die Fahrzeugmasse immensen Schaden verursachen kann, sind Unfälle oft katastrophal. Bei dieser Thematik ist kein Platz für Vernachlässigung – wir sprechen hier nicht nur von wirtschaftlichen Verlusten, sondern auch von tödlichen Konsequenzen." Gaus ist Wirtschaftscoach. Seit mehr als 38 Jahren ist sie in der Transportbranche tätig, zuletzt 16 Jahre in leitender Funktion als Bereichsleiter, Niederlassungsleiter und Prokurist. Sie leitete im Schnitt 150 Mitarbeiter und in der Spitze bis zu 300. Sie verantwortete dabei auch in verschiedenen Unternehmen den Fuhrpark und das Fahrpersonal mit 90 bis 250 ziehenden Einheiten. Im persönlichen Gespräch gibt sie zu erkennen, dass sie auch in bekannten deutschen Flotten beschäftigt war, in denen die osteuropäischen Fahrer – natürlich in ihren Unterkünften – bis in den Sonntagabend hinein becherten.

Generelle Suchtfaktoren sind laut Gaus zwar allgegenwärtig und betreffen Menschen aller Berufsgruppen. Stress, gesellschaftliche Akzeptanz, genetische Prädisposition und der Einfluss des sozialen Umfelds tragen oft zum Konsum von Alkohol oder Cannabis bei. Diese Faktoren müssen ernst genommen werden, da sie auch den Weg zur Abhängigkeit ebnen. "Spezifische Suchtfaktoren bei Lkw-Fahrern verstärken die Gefahr jedoch drastisch". sagt Gaus. "Lkw-Fahrer sind nicht nur hohen Anforderungen ausgesetzt, sondern stehen häufig auch unter erheblichem Zeitdruck." Die lange Isolation auf der Straße, fern von der Familie und ohne soziale Bindung, führe bei vielen zu einem Teufelskreis aus Stressbewältigung und Suchtverhalten. Substanzen wie Alkohol und Cannabis würden dann genutzt, um Einsamkeit oder Leistungsdruck zu kompensieren – ein fataler Kreislauf, der oft ohne Kontrolle bleibt, da die Fahrer meistens alleine unterwegs sind.

Viele verschiedene Faktoren im Spiel

"Hier geht es nicht nur um eine persönliche Entscheidung", betont Gaus, sondern um eine Entscheidung, die hunderte, vielleicht tausende Leben betreffen kann." Lkw-Fahrer aus dem Ausland, die in Deutschland tätig sind, stünden vor zusätzlichen Herausforderungen. Der kulturelle und soziale Anpassungsdruck, verbunden mit Heimweh, schwachen sozialen Bindungen und in manchen Fällen prekären Arbeitsbedingungen, kann das Risiko von Alkohol- und Drogenmissbrauch enorm erhöhen. "Wer aus einem anderen Land in ein fremdes Umfeld kommt, oft ohne stabile soziale Unterstützung, läuft Gefahr, sich bei Problemen in den Missbrauch von Substanzen zu flüchten. Diese Problematik ist ernst – auch weil der Drogen- und Alkoholkonsum in verschiedenen Ländern unterschiedlich wahrgenommen und gesetzlich geregelt wird.

Osteuropäische Flottenbetreiber dürften für ihre praxisbezogenen Hinweise, was Unternehmen präventiv tun können, kaum zu erreichen sein. Ihnen dürfte angesichts der Massen an Lkw, die in Europa unterwegs sind, wohl das Personal ausgehen. Er richtet sich daher in erster Linie an die deutschen Flottenbetreiber. "Der Konsum von Alkohol und Cannabis bei Lkw-Fahrern ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine reale und tödliche Gefahr", so ihr Apell. "Unternehmen müssen daher konsequent präventive Maßnahmen ergreifen, und auch die Fahrer selbst müssen sich der Tragweite ihrer Handlungen bewusst sein. Hier geht es nicht nur um Gesetze, Vorschriften oder mögliche Imageschäden – es geht um Menschenleben!"

Was können Unternehmer tun? Von Gudrun Gaus

Unternehmen müssen das Thema Suchtmittelmissbrauch bei Fahrern aktiv angehen, um Leben zu schützen und die Unfallrisiken drastisch zu minimieren. Prävention ist kein „nice-to-have,“ sondern eine unbedingte Pflicht. Um den Konsum von Alkohol und Cannabis bei Lkw-Fahrern einzudämmen, und damit die Gesundheit und Sicherheit zu fördern, können verschiedene Präventionsmaßnahmen ergriffen werden:

▸ Sensibilisierung und Schulungen: Unternehmen sollten Schulungsprogramme einführen, die Fahrer über die gesundheitlichen, rechtlichen und sozialen Risiken des Substanzmissbrauchs aufklären. Schulungen könnten regelmäßig durchgeführt und aktualisiert werden, um auch Fahrer, die länger in Deutschland arbeiten, stets zu informieren.

▸ Enger Kontakt mit Fahrern: Eine regelmäßige Kommunikation zwischen Unternehmen und Fahrern ist entscheidend, um das Wohlbefinden der Fahrer zu fördern. Regelmäßige Videotelefonate oder persönliche Gespräche auf dem Firmengelände helfen, den emotionalen Zustand und etwaige Verhaltensveränderungen besser zu beobachten. Auch einfache Telefonate können einen engen Kontakt und eine stärkere Bindung herstellen und frühzeitig auf mögliche Schwierigkeiten hinweisen.

▸ Psychosoziale Betreuung und Unterstützung: Die Bereitstellung von Unterstützungsmöglichkeiten, wie z.B. durch Zugang zu Beratungsdiensten oder Peer-Support-Gruppen, hilft Fahrern, mit emotionalen Belastungen wie Einsamkeit und Heimweh besser umzugehen.

▸ Anreizsysteme für ein gesundes Verhalten: Positive Anreize und Belohnungen für Fahrer, die sich an gesunde Gewohnheiten halten, können motivierend wirken und den Konsum von Substanzen zusätzlich reduzieren.

▸ Unterstützung bei der kulturellen Integration: Besonders für ausländische Fahrer sind Programme zur kulturellen Integration wichtig. Durch regelmäßige Treffen oder Mentorenprogramme mit einheimischen Kollegen könnten sie leichter Anschluss finden und sich wohler fühlen, was auch der Prävention von Suchtverhalten zugutekommen könnte.

▸ Auch sollten Führungskräfte geschult werden, wie man Drogen- und Alkoholsucht erkennt, anspricht und entsprechend helfen kann.