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Neue IT-Lösungen für DHL 500 Millionen Euro verbrannt

Lkw und Pkw auf einer Autobahn Foto: Alev Atas/ETM

Statt zum Heilsbringer wurde die IT-Lösung NFE für DHL zum Desaster – führt nun Plan B zum Erfolg?

Das IT-Projekt New Forwarding Environment (NFE) ist gescheitert. Die Implementierung der individualisierten SAP-Module ist abgeblasen. Mittlerweile beschwört die Deutsche Post DHL den nächsten Neuanfang, der den Namen IT Renewal Roadmap trägt. Doch wie kam es zu dem Scheitern und einem Verlust, der weit größer ist, als der Post-Konzern eingestehen will? Und wie sieht die abermalige strategische Neuausrichtung aus?

Glaubt man den offiziellen Zahlen, die die Deutsche Post DHL Group etwa in einer Mitteilung vom 28. Oktober 2015 bekannt gegeben hat, wurden 345 Millionen Euro in den Sand gesetzt: "Die Summe besteht zum einen aus einer Abschreibung der bislang aktivierten Investitionen unter NFE in Höhe von 308 Millionen Euro. Zum anderen beinhaltet sie Rückstellungen in Höhe von 37 Millionen Euro für Ausgaben zur erwarteten Rückabwicklung in den bereits umgestellten Pilotländern", heißt es dort.

Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Aus gut unterrichteten Kreisen ist zu erfahren, dass die tatsächlichen Kosten des NFE-Debakels "viel zu niedrig" angesetzt seien. Und tatsächlich: Im Geschäftsbericht 2015 heißt es auf Seite 4: "Überdies sind Ergebnisbelastungen in Höhe von 200 Millionen Euro, die wir im dritten Quartal für das Gesamtjahr prognostiziert hatten, nahezu vollständig erfasst worden." Damit habe NFE den Post-Konzern weit mehr als eine halbe Milliarde Euro gekostet, wird hinter vorgehaltener Hand von Insidern kolportiert.

IT-Landschaft ist veraltet

Schon vor der ersten IT-Neuausrichtung mit NFE hatte das Unternehmen eine in die Jahre gekommene IT-Landschaft, die nun wieder ihren Dienst versieht. "Wir haben eine alternde und heterogene IT-Landschaft", gesteht der Post-Konzern auf Nachfrage von trans aktuell ein. Noch deutlicher hatte es Renato Chiavi in seiner Funktion als Interims-Chef bei DHL Global Forwarding auf den Punkt gebracht. Das britische Magazin The Loadstar zitierte ihn noch zu NFE-Zeiten mit den Worten: "Wir müssen Änderungen vornehmen, die zu einer Verbesserung der operativen Effizienz und der dringend benötigten Qualität führen." Da NFE gescheitert ist, dürfte die Not an dieser Stelle nicht kleiner geworden sein.

Mittlerweile haben sich die Verantwortlichen bei DHL Global Forwarding neu orientiert. Hinter der abermals klangvollen Strategie IT Renewal Roadmap verbirgt sich zunächst einmal vornehmlich die Software Cargowise One. Einen entsprechenden Vertrag hat die Post-Tochter mit dem Software-Unternehmen Wisetech mit Sitz in Australien geschlossen, wie die Nachrichtenseite The Australian Financial Review vermeldet hat. Der Vertrag geht zunächst über vier Jahre.

Umbauphase bis 2020

Die Pressestelle der Deutschen Post drückt sich auf Anfrage von trans aktuell hingegen eher vage aus: "Mit dem alternativen schrittweisen Ansatz zur IT-Erneuerung wird DHL Global Forwarding die dringendsten Anforderungen bereits 2016 und 2017 angehen. Die Architektur insgesamt sollte bis 2020 überarbeitet sein." 

Zu Cargowise gibt es trotz expliziter Nachfrage keine Rückmeldung – wie auch schon auf den Wunsch, mehr über die SAP-Module zu erfahren, die das Kernstück von NFE bilden sollten. Stattdessen heißt es: "Unser Plan beinhaltet Maßnahmen, die die Kundenzufriedenheit durch die Verbesserung der bestehenden Systeme erhöhen werden, zum Beispiel durch eine stärkere Transparenz entlang der Prozesskette. Dem wird ein Upgrade und eine Erneuerung einiger Kernsysteme und -applikationen folgen."

Zweifellos ist Cargowise One ein solches Kernsystem. Bei dieser IT-Lösung handelt es sich um ein Transport-Management-System (TMS) speziell für den Bereich Luft- und Seefracht. Wobei Wisetech-Chef Richard White in der Branche vor allem dafür bekannt ist, auf Standards zu setzen. Individualisierungen sind ihm hingegen eher fremd. 

Strategische Kehrtwende

Das würde eine vollkommene Abkehr der bisherigen DHL-Strategie bedeuten. Hatte man doch mit NFE sozusagen die Neuerfindung des Rads geprobt. Sollten doch individuell angepasste SAP-Module zum Ziel führen. Ein Branchenkenner, der nicht genannt werden möchte, warnt allerdings davor, SAP die Schuld für die gefloppte Einführung zu geben. Vielmehr habe es die Post DHL versäumt, das Ganze mit den notwendigen Prozessen zu hinterlegen.

Eine Einschätzung, die durchaus nahe liegt. Bei der Suche nach den Schuldigen hatte DHL zunächst SAP und IBM ins Visier genommen und dafür sogar die Beratungsfirma Strategy& beauftragt, Möglichkeiten auf Regress zu prüfen. Letztlich lenkte der Deutsche-Post-Chef Frank Appel ein, weil es offenkundig keine Chance auf Erfolg gab – auch wenn sich keiner der Beteiligten dazu äußern mochte.

Personelle Konsequenzen

Stattdessen gab es personelle Änderungen im Post-Konzern: So hat Roger Crook seinen Hut genommen – angeblich aus persönlichen Gründen. Neu an die Speditionsspitze kommt für ihn Tim Scharwath, der zuvor bei Kühne + Nagel als Luftfrachtvorstand tätig war.

Auch Rajeev Singh-Molares musste wohl nicht ganz freiwillig seinen Stuhl als CEO der Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika bei DHL Global Forwarding räumen. Für ihn kam Thomas Nieszner, der zugleich auch sein Vorgänger war. Dabei war Singh-Molares eigens vom Telekommunikationsanbieter Alcatel-Lucent zu DHL gewechselt, um das IT-Projekt NFE und die damit verbundenen Prozesse voranzutreiben. Zumindest an den Prozessen scheinen er und seine Kollegen gescheitert zu sein. Eine Gefahr, die bei dem stark auf Standards getrimmten Cargowise One sicherlich noch stärker gegeben ist.

Mit Cargowise zum Erfolg

Geodis nutzt für seinen Unternehmensbereich Geodis Freight Forwarding die Lösung Cargowise One von Wisetech. "Für die Implementierung haben wir uns bewusst vier Jahre Zeit genommen", berichtet Michael Zuchold, Marketingleiter bei Geodis Freight Forwarding, im Gespräch mit trans aktuell. Dabei wurde besonderer Wert auf die begleitenden Prozesse gelegt. Schließlich gehe es nicht nur um ein IT-Projekt. Aufgrund der Standardisierung sei es gelungen, die Effizienz zu steigern. Mittlerweile läuft Cargowise One bei Geodis in mehr als 60 Ländern – "und überall gibt es regionale Besonderheiten." Gerade bei einer auf Standards getrimmten Lösung wie dieser habe man daher einige Hürden zu nehmen.

Mit SAP zum Erfolg

Greiwing setzt weiterhin auf die SAP-Branchenlösung Best4Log-X und baut die Lösung zusammen mit Arvato weiter aus. "Die Implementierung lief gut, zu Gute kam uns dabei das Logistik-Know-how von Arvato", erklärt der IT-Leiter Marcus Oberfeld auf Nachfrage von trans aktuell. Stolpersteine bezogen auf SAP seinen sicherlich immer wieder die festen Strukturen gewesen, die bei Individualitäten hinderlich sind – auf der anderen Seite aber die Systemstabilität erhöhen.

Panalpina hat eine weit zurückreichende Geschäftsbeziehung mit SAP und an der Entwicklung von SAP TM mitgewirkt. Aktuell führt der Logistiker die Version 9.1 ein. "Wir haben sichergestellt, dass das neue System auf effiziente Strukturen und Prozesse aufbaut und dass wir eine gute Integration von SAP TM in die bestehende IT-Landschaft haben", erläutert ein Panalpina-Sprecher den Erfolg gegenüber trans aktuell.

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