Erster Test: Renault AE 500 (1990) Original-Test des Magnum

Bild vom ersten Test des Renault Magnum, damals noch mit der Bezeichnung AE 500 Foto: Frank Zeitzen 23 Bilder

Mit dem Magnum gelang der "Renault Véhiculés Industriel" 1990 ein revolutionäres Werk. Original-Test aus lastauto omnibus 07/1990 mit Download.

Die Zukunft hat begonnen. So sieht es zumindest RVI-Chef Jean Pierre Chapron. Er wähnt sich mit dem AE der Konkurrenz um zehn Jahre voraus. Und könnte damit recht behalten. Denn die Gelegenheit, erstmals ein gänzlich neues Produkt auf die Räder zu stellen, griffen die RVI-Techniker konsequent beim Schopfe. Sie schnitten alte Zöpfe ab und stellten einen Lkw auf die Räder, der zur Zeit seinesgleichen sucht.

Bei den Konkurrenten, die RVI nur als Verwalter der Scherben von Saviem und Berliet kannten, stieß der Neue auf ein weites Spektrum menschlicher Regungen: Neid, Bewunderung, Skepsis und Neugier. Hält man sich aber möglichst neutral an die Fakten, dann bleibt eigentlich nur Bewunderung für den Mut, mit dem Renault beim AE zu Werke ging und vieles einfach anders machte, als bisher dagewesen.

Nur Anderssein reicht freilich nicht, wenn es darum geht, ein Investitionsgut auf die Räder zu stellen, das sich genauso rechnen muß wie eine Drehbank in der Werkstatt oder ein Computer im Büro. Ganz im Gegenteil: Wer anders ist, muß besonders gut sein, muß zumindest besser sein als das Bisherige, um Chancen zu haben. Und anders am Renault AE ist eine ganze Menge.

Anders am AE ist das in Größe und Komfort einzigartige Fahrerhaus - ein Palast, an so manch anderem gemessen. Anders ist, daß unter diesem Palast ein Motor US-amerikanischer Provenienz arbeitet.

Geliefert wird der Neue auch als AE 380 mit 374 PS aus einem Reihensechszylinder. Anders ist die weit nach vorn gerückte Vorderachse. Am europäischen Maßstab gemessen sitzt sie rund 400 Millimeter zu weit vorn. Anders ist auch der hohe und hinter der Vorderachse montierte Einstieg. Und anders ist schließlich auch die völlige Zweiteilung von Fahrgestell und Fahrerhaus.

Nur aus Freude am Anderssein hat RVI all dies freilich nicht geändert. Oberstes Entwicklungsziel war mehr Fahrkomfort, mehr Leistung und insgesamt auch mehr Wirtschaftlichkeit. Vom Fahrerhaus einmal abgesehen kommt auch die nach vorn gerückte Vorderachse dem Fahrkomfort entgegen. Vor allen Dingen bei der Sattelzugmaschine. Der Nachteil des längeren Radstands macht sich in der Praxis kaum bemerkbar. Auch die Scheibenbremsen vorn, druckluftbetätigt und von Renault erstmals im schweren Lkw eingesetzt, kommen dem Fahrkomfort entgegen.

Kein Schiefziehen beim Anbremsen, kein Rubbeln, wenn’s ihnen warm wird. Das Herzstück des AE 500, der V8-Zylinder, hört auf den Namen EE9 und stammt ursprünglich vom US-Hersteller Mack. Knapp 16,4 Liter groß, mit vier Ventilen pro Zylinder, trägt er auch sein Scherflein zum Komfort des AE 500 bei. In ihm hat selbst der kultivierte Mercedes-V8 seinen Meister in Sachen Laufkultur gefunden. Ungewöhnlicher Rundlauf selbst bei Vollast und niedrigen Drehzahlen sowie verwertbare Leistung von 850/min an machen den Big Block zu einem sympathischen Gesellen.

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Ursache dafür sind die Bauart bedingten kurzen Zündabstände des V8, aber zumindest genauso der Verzicht auf höchste Leistung, die mit 16,4 Liter Hubraum möglich gewesen wäre. Denn die exakt 370 kW (503 PS) oder 2000 Newtonmeter schüttelt der ladeluftgekühlte V8 mit recht wenig Mitteldruck sozusagen aus dem Ärmel. Mit gut 16 bar im Maximum (Motoren höherer spezifischer Leistung erreichen an die 19 bar Mitteldruck) liegt die Belastung dieses Triebwerks eher an der unteren Grenze aufgeladener und ladeluftgekühlter Motoren. Mit dieser Nennleistung von 503 PS bei 2100/min setzt sich Renault erstmals kanpp an die Spitze aller europäischer Straßen-Lkw, ohne allerdings ganz die fülligen Leistungskurven der Konkurrenten dieser Leistungsgesellschaft zu erreichen. Denn sowohl der MAN-Zehnzylinder als auch die V8 von Iveco und Mercedes sowie der große Sechszylinder von Volvo bieten im mittleren Drehzahlbereich und bei Volllast immer ein paar PS mehr.

Nur dem 470 PS starken Scania-V8 kann der Mack in dieser Disziplin Paroli bieten. Um aus dieser relativen Not eine Tugend zu machen, greifen Renault wie Scania bei derart starken Fahrzeugen zu recht kurzen Achsübersetzungen, damit zumindest im meistgefahrenen größten Gang viel Leistung an die Räder kommt.

Nur: Scania macht’s konsequent und rüstet die Fahrzeuge für 40 Tonnen Gesamtgewicht mit einer Übersetzung von 3,5 aus. Die Franzosen sind nicht ganz so konsequent und setzen im AE 500 eine Übersetzung von 3,22 im größten Gang ein.

Und so ausgerüstet wollen sie den AE 500 auch in möglichst vielen Fällen an den Mann bringen. Denn die lieferbare kürzere Übersetzung von rund 3,4 für den größten Gang bringt zwar mehr Leistung an die Räder, treibt aber das gefahrene Drehzahlniveau wie den Verbrauch nach oben.

Im Test erwies sich dann die Übersetzung von 3,22 als durchaus gelungener Kompromiß. Sie sorgt dafür, daß die Fahrleistungen besser aussehen, als es die weniger füllige Leistungskurve vermuten läßt, und außerdem dafür, daß die recht guten Durchschnittsgeschwindigkeiten mit nicht allzuviel Schaltungen erkauft werden müssen. Die Schalthäufigkeit auf hügeligen bis schweren Strecken liegt zwar 20 Prozent über Scania-Niveau, aber genauso 20 Prozent unter einem Mercedes 1748, der mit der längsten lieferbaren Achse über die Testrunde lief.

Zur hohen Fahrleistung, die in dieser Klasse im Mittelfeld liegt, trägt auch die Motorbremse ihren Teil bei. Und zwar so leise und unauffällig, daß man ihre Leistung kaum spürt. Tatsächlich aber dürfte die Motorbremse des 16,4 Liter großen V8 an die 300 PS leisten. Das reicht auf der Strecke zumindest dafür, daß der beladene Zug auf drei Prozent Gefälle etwa 85 km/h Reisegeschwindigkeit hält. Im siebten kleinen Gang und bei 110 Prozent Nenndrehzahl.

Mit dem neuen V8, der sich in den USA seine Meriten freilich längst verdient hat, und dem AErodynamischen Fahrerhaus zielt die RVI selbstverständlich auch in Richtung weniger Verbrauch. Schon allein die weichen Radien des Fahrerhauses, die den Cw-Wert auf 0,6 drücken (heutige Lkw, auch strömungsoptimierte, erreichen Cw-Werte um 0,7), sollen den Verbrauch um bis zu 1,5 Liter (gemessen am R-Fahrerhaus) auf 100 Kilometer senken. Und gemessen am alten V8 im Renault R 420 bietet der neue V8 einen besseren spezifischen Verbrauch und Wirkungsgrad. Mit 195 Gramm pro Kilowattstunde bei Vollast und 1300/min liegt er um jene zwei bis drei Prozent günstiger als der alte V8, aber genau um jenen Betrag über den im Wirkungsgrad besten Motoren, die Werte um 190 Gramm erreichen.

Trotzdem erreicht der AE 500 nur mittelprächtige Verbrauchswerte. 37,6 Liter auf 100 Kilometer sind das Meßergebnis. Gefahren mit 4,0 Meter Aufbauhöhe. Bei allen anderen lastauto omnibus-Tests wurde und wird mit 3,8 Meter gefahren. So blieb nur, den Verbrauch umzurechnen. Die Basis dazu liefern Messungen mit einem Volvo F 16, der, in Begleitung eines Referenzfahrzeugs, die lastauto omnibus-Runde im vergangenen Jahr zweimal fuhr. Einmal mit 3,8 und einmal mit 4,0 Meter Aufbauhöhe. Mit dem Ergebnis, daß der höhere Aufbau je nach Strecke und Geschwindigkeit zwischen 2,7 und knapp 8 Prozent Kraftstoff kostet und der Verbrauch des AE auf 35,9 Liter sinkt.

Aber auch das ist noch kein Spitzenwert. Aufgrund der guten Aerodynamik und des recht guten Wirkungsgrads müßte der AE eigentlich günstiger abschneiden. Tut er aber nicht. Über die Ursache kann nur spekuliert werden. Vermutlich sind’s die drei ins Schnelle übersetzten Gänge des Renault-eigenen B-18-Getriebes und auch die doppelte Übersetzung der Achse. Beides dürfte einige PS und damit auch Kraftstoff schlucken.

Den indirekten Beweis dafür liefert der AE bei den Bergmessungen, also da, wo nahezu nur der Wirkungsgrad des Motors über den Verbrauch ent scheidet. Und da zeigt sich, daß der Renault sparsam und schnell klettern kann. Ein wenig über dem Niveau der Besten liegt der AE 500 auch beim Leergewicht. Mit 7880 Kilogramm für die fahrfertige Sattelzugmaschine mit vollem 600-Liter-Tank wiegt er etwa 150 bis 200 Kilogramm mehr als die leichesten Vertreter dieser Klasse. So bleibt als Fazit für den neuen Renault: Da, wo er anders ist (am Arbeitsplatz), ist er zumeist besser als die Konkurrenten, und da, wo er ein typischer Renault geblieben ist, ist er besser geworden. Das gilt für die Verarbeitung, für die Güte der Schaltung, für die Wirtschaftlichkeit (geringer Verbrauch, 40 000-Kilometer-Wartungsintervalle) und nicht zuletzt für den ganzen AE.

Download Erster Test des Renault AE 500/Magnum aus lastauto omnibus 7/1990 (PDF, 1,48 MByte) Kostenlos
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