Levin: Ich freue mich auf einen einzigartigen Branchentreff mit vielen persönlichen Begegnungen. Meine Erwartung ist, dass hoffentlich nicht nur unsere Industrie kommt, sondern sich Vertreter unseres gesamten Ökosystems in Hannover treffen. Daraus könnten sich dann weitere Partnerschaften ergeben, die uns voranbringen. Vor allem ist es wichtig, dass viele Leute kommen, nachdem wir uns zwei Jahre fast nur digital austauschen konnten. Kurzum: Der Mehrwert liegt darin, Menschen zu treffen.
Es ist spannend, die neuesten technischen Entwicklungen aus unserer Branche zu sehen und live zu erleben. Wir erkennen Trends und sehen, wo die Reise hingeht. Aber um ehrlich zu sein, wüssten wir das wahrscheinlich auch ohne die IAA. Der eigentliche Reiz liegt also darin – ich wiederhole mich – Menschen zu treffen. Wir zeigen unseren Kunden, wie weit wir technologisch sind – das dürfte viele überraschen. Ich freue mich schon auf die Reaktionen.
Wir werden die Fahrzeuge auf der IAA Transportation zeigen, ab Herbst nehmen wir Aufträge an.
Wir reden über die Zukunft. Keiner hat eine Glaskugel und Gewissheit, welche Technologie sich durchsetzen wird. Unserer Prognose nach wird Wasserstoff einen kleineren Teil des Marktes abdecken – vielleicht mit einem Anteil von bis zu 15 Prozent bei den Null-Emissions-Lkw. Daraus ziehen wir die Schlussfolgerung: Die Brennstoffzelle ist für uns keine Kerntechnologie, die wir selbst entwickeln, sondern wir machen das mit Partnern. Der batterieelektrische Antrieb wird dominieren, daher ist er für uns die Technologie, um die wir uns selbst kümmern müssen. Wir setzen also auf Batterien, andere auf Wasserstoff.
Absolut: Wir müssen komplett offen bleiben. Wer wusste schon im Jahr 1900, wer das Rennen machen würde, als der Motor das Pferd abgelöst hat? Niemand. Es gab erfolgreiche Elektroantriebe, Dampfmaschinen, Gasmotoren und Verbrenner. Die Traton Group wird sehr offen bleiben und weiterhin Forschung und Entwicklung in alle Richtungen betreiben.
Das hat gute Tradition bei uns: Wir waren die ersten, die Ethanol am Markt hatten, Biogas oder Plug-In-Hybride. Natürlich ist alles mit Investitionen verbunden – aber die Mühe zahlt sich aus. Hat man Glück, ist man allen voraus. Hat man Pech, hat man eine Menge gelernt. Kommen wir wieder zu unserer Entscheidung: Ja, wir setzen auf verschiedene Antriebe, aber wir können nicht in jede Technologie mit dem gleichen Einsatz gehen. Es braucht eine Entscheidung, wohin das Gros des Entwicklungsbudgets fließt. Diese Entscheidung haben wir getroffen, indem wir gesagt haben: Am stärksten glauben wir an den batterieelektrischen Antrieb. Das ist der Kern unserer Aktivitäten, aber wir schließen andere Technologien nicht komplett aus.
Wir tätigen noch immer große Investitionen in den Dieselmotor: Seit Ende vorigen Jahres rollen wir weltweit bei Scania nicht nur eine neue Motorengeneration, sondern einen komplett neuen gruppenweiten Antriebsstrang aus. Der Roll-out bei Navistar ist für 2023 geplant, anschließend folgt 2024 MAN und dann Volkswagen Truck & Bus in Südamerika. Wir sehen den Diesel-Verbrennungsmotor noch für mindestens 20 Jahre am Markt und sind überzeugt, dass unsere Investitionen Sinn ergeben – damit auch mit Blick auf die diskutierten Normen Euro 7 oder Epa 27.
Traton strebt an, dass 2030 jedes zweite verkaufte Nutzfahrzeug einen Elektromotor hat. Bei Scania sind die Ziele noch ambitionierter: Sofern die Rahmenbedingungen stimmen – Ladeinfrastruktur, Ökostrom und der Preis pro Kilowattstunde – werden wir 2040 nur noch batterieelektrische Antriebe auf den Markt bringen und den Verbrennungsmotor aufgeben. Scania ist der einzige Lkw-Hersteller, der so weit geht und den Dieselmotor bereits 2040 infrage stellt.
Auch bei MAN stellen wir uns den Klimazielen und haben ehrgeizige Pläne. Aber alles steht und fällt mit den Voraussetzungen in den einzelnen Märkten. Nehmen wir das Beispiel Brasilien – oder gleich Brasilien, Argentinien und ganz Lateinamerika: Werden diese Märkte 2040 denn schon eine leistungsfähige Ladeinfrastruktur haben? Vielleicht, aber ich glaube es nicht. Werden sie der weltgrößte Produzent von Biogas sein? Ja, das denke ich. Und dafür ist der Verbrennungsmotor prädestiniert. Wissen Sie, wie viel CO2-Emissionen man damit einsparen kann? Bis zu 90 Prozent. 90 Prozent ist enorm. Da wäre es doch verkehrt, den Verbrennungsmotor bei allen Bemühungen zum Klimaschutz auszuschließen.
Absolut, die Nutzung von Biogas eröffnet uns erhebliche Potenziale bei der CO2-Reduktion. Man denke nur daran, wie viel Müll oder Agrar- Abfallprodukte weltweit noch nicht für eine Weiterverwendung genutzt werden. Damit könnte man eine Menge Energie produzieren. Wir können dieses Potenzial doch nicht einfach links liegen lassen. Ich bin überzeugt, dass Biogas einer der ganz wesentlichen Hebel beim Erreichen der Klimaziele ist.
Die hohen Preise für fossiles Gas helfen nicht. Bei den Preisen müssen wir auch etwas Geduld aufbringen: Ist der Krieg in der Ukraine vorbei – hoffentlich so bald wie möglich –, wird sich der Druck auf die Energiepreise legen. Der Schritt hin zum Einsatz von Biogas muss trotzdem noch schneller erfolgen. Setzen wir Abfälle zur Biogas-Erzeugung ein, gibt es keinen Konflikt zu den Lebensmittelpflanzen. Diese Botschaft ist wichtig. Ebenso gibt es in Nordeuropa eine Menge an Holzabfällen, die zum Beispiel bei der Papierproduktion anfallen. Auch die sollten genutzt werden, um Biodiesel oder Biogas zu produzieren.
Ich bin überzeugt, dass in einem Land wie Brasilien die Menge ausreichen wird, um jeden einzelnen Truck im Land damit zu versorgen. In Schweden wird nicht genug zur Verfügung stehen. Aber noch mal: Wir sollten nicht das Perfekte zum Feind des Guten machen. Lasst uns das Gute nutzen, das auf der Hand liegt, statt immer nach dem Perfekten zu streben!
Deutschland ist noch nicht sehr fortschrittlich. Die Bundesregierung unternimmt zwar eine Menge, um den Markthochlauf in Gang zu bringen. Wir haben beispielsweise gute finanzielle Anreize. Aber die Antragsverfahren sind sehr kompliziert, wie unsere Kunden uns mitteilen. Also ergeben sich aus den Programmen nur wenige Bestellungen. Betrachten wir den Grad der Durchdringung mit neuen Antriebstechnologien, ist Deutschland nicht an der Spitze – es sind die nordischen Länder oder die Niederlande, wo wir richtig große Fortschritte bei der Batterieelektrik sehen. Das ist schade, natürlich würde ich Deutschland gerne vorne sehen.
Oh ja – Norwegen ist richtig gut, sie sind beim Elektroantrieb weltweit führend. In Norwegen haben alternative Antriebe eine unfassbar hohe Quote und machen schon rund 90 Prozent der Fahrzeugzulassungen aus. Deutschland kann mehr machen! Es ist das Thema der Anreize, aber auch das Thema des unzureichenden Ladenetzes. Viele Kunden würden gerne elektrifizieren, haben aber nicht genug Energie zum Laden.
Der Netzaufbau ist Sache des Staates. Er muss die Genehmigungen vereinfachen, Investitionsmittel mobilisieren und gewährleisten, dass genügend Energie an den Autobahnen zur Verfügung steht.
Wir haben zudem Kunden, die von ihrem Energieversorger gehört haben, dass sie noch sechs Jahre warten müssen, bis sie ihre Betriebshöfe mit der nötigen Energie für Ladestationen ausrüsten können. Wir können jedoch nicht warten, bis andere ihre Hausaufgaben machen – wir müssen handeln. Die Hersteller entziehen sich deshalb nicht ihrer Verantwortung. Gemeinsam mobilisieren die Traton Group, Daimler Truck und Volvo Trucks 500 Millionen Euro, um europaweit 1.700 Hochleistungs-Ladepunkte aufzubauen. Wollen wir ganz Europa elektrifizieren, müssen wir von 30.000 erforderlichen Lkw-Ladesäulen ausgehen, manche rechnen sogar eher mit 40.000. Da sind 1.700 natürlich nicht ausreichend, sie können aber den Weg aufzeigen.
Ich kann mir gut einen internationalen Korridor vorstellen. Eine Verbindung von Deutschland nach Schweden wäre eine gute Sache – wobei ein solches Projekt natürlich auch erst einmal durchgerechnet werden müsste. Der große Vorteil der Oberleitung ist, dass der Lkw nicht zum Laden stoppen muss und mit einer kleinen Batterie klar kommt. Bleiben also die Kosten für den Aufbau einer Oberleitungs-Infrastruktur. Sie sind vergleichbar mit denen beim Aufbau von Lärmschutzmaßnahmen, es ist in etwa der gleiche Preis pro Meter.
Der Ball liegt bei der Politik, zu entscheiden, wie sie hier weiter vorgehen möchte. Wir als Traton sagen: Die Oberleitung ist nur eine Schnittstelle zum Fahrzeug. Kabel sind eine Schnittstelle, und wir könnten auch eine weitere Schnittstelle vorsehen, wenn es eines Tages heißt, dass wir induktive Lademöglichkeiten schaffen. Das Basisfahrzeug wird das gleiche sein, nur die Schnittstelle unterscheidet sich. Auch beim Oberleitungs-Lkw gilt mein Appell: Lasst uns keine Türen schließen, sondern alle Technologien erproben.
Zur Person
- Christian Levin ist seit Mai 2021 Chief Executive Officer (CEO) von Scania und seit Oktober 2021 zusätzlich Vorstandsvorsitzender von Traton
- 1994 begann Christian Levin seine Karriere als Management Trainee bei Scania. Anschließend hatte er unterschiedliche Führungsfunktionen inne. Seit 2019 ist er Mitglied des Traton-Vorstands. Bis April 2021 war er dort als COO verantwortlich für Forschung, Entwicklung und Beschaffung.
- Levin, Jahrgang 1967, Er hält Abschlüsse als Bachelor of Science in Business & Administration und als Master of Science in Mechanical Engineering.