Flasbarth: Bislang lag beim Güterverkehr der Fokus der Umweltpolitik auf der Bahn. Die Frage war: Wie kriegen wir Güter von der Straße auf die Schiene? Und das bleibt natürlich richtig und wichtig. Heute wissen wir aber auch: Die Entwicklung wird nicht allein über die Bahn gehen. Wir brauchen auch den klimafreundlichen Brummi. Daher verfolgen wir unterschiedliche Wege, wie auch der Straßengüterverkehr treibhausgasneutral werden kann. Für Nutzfahrzeuge stehen enorme Transformationen an. Vor Kurzem endete die Diskussion noch bei Biosprit und der Frage nach mehr Effizienz. Inzwischen haben wir eine ganze Bandbreite an Technologien mit unterschiedlichen Stärken: CO2-arme oder CO2-freie Kraftstoffe einschließlich Wasserstoff, batterieelektrische Antriebe und Oberleitungs-Lkw.
Für einen klimaneutralen Güterverkehr brauchen wir eine ganze Palette an Alternativen. Unser Fokus liegt dabei klar auf der direkten Nutzung von Strom, also Batterien und Oberleitungen. Denn das ist die effizienteste klimafreundliche Option. Zum Vergleich: Es braucht mindestens dreimal mehr Strom, um einen Lkw-Kilometer mit synthetischen Kraftstoffen zurückzulegen. Und auch das System Wasserstoff/Brennstoffzelle schneidet in punkto Effizienz nicht gut ab. Das wird häufig von den Befürwortern der E-Fuels übersehen. Diese Effizienzverluste können wir uns auf dem Weg zur Klimaneutralität nicht leisten. Denn Ökostrom ist ein knappes Gut, die Nachfrage steigt in allen Wirtschaftsbereichen.
Die Schweiz ist ein besonderer Fall. Wasserstoff-Lkws lohnen sich dort nur, weil sie von der sehr hohen Lkw-Maut befreit sind. Ein Euro 6-Dieselfahrzeug mit 40 Tonnen zahlt dort umgerechnet 85 Cent pro Kilometer, in Deutschland beläuft sich die Maut aktuell auf 18,7 Cent. Das zeigt in etwa, wie stark die Kosten für Diesel-Lkw bei uns steigen müssten, damit sich ein Wasserstoff-Lkw lohnt.
Beim Wasserstoff liegen die CO2-Vermeidungskosten im Jahr 2030 bei rund 1.160 Euro pro Tonne CO2. Die direkte Stromnutzung via Oberleitung oder Batterie kommt nur auf etwa 440 Euro pro Tonne CO2.

Das hat die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität erst kürzlich festgestellt. Das bedeutet, unsere Volkswirtschaft müsste je Tonne an eingespartem CO2 etwa 700 Euro mehr aufbringen, wenn wir auf Wasserstoff statt auf direkte Stromnutzung setzten. Bis 2030 sollen Nutzfahrzeug-Emissionen um 17 bis 18 Millionen Tonnen CO2 reduziert werden. Will man davon 10 Millionen durch Wasserstoff-Lkw einsparen, würde das unsere Volkwirtschaft pro Jahr rund 7 Milliarden Euro mehr kosten als über den Weg der direkten Stromnutzung via Oberleitung oder Batterie.
Durchaus. Und wenn wir so eine „Champagner-Party“ feiern wollen, muss die jemand bezahlen. Das ist entweder der Spediteur oder – wenn wir den Wasserstoff auf ein wettbewerbsfähiges Maß heruntersubventionieren – der Finanzminister. Trotz der hohen Wasserstoffkosten erscheint aber manchen Menschen die Errichtung einer neuen Infrastruktur für den Oberleitungs-Lkw weniger vorstellbar als die Investition in eine am Ende ineffiziente Technologie.
Ich finde es schon sehr verwunderlich, wenn sich der Vorstandsvorsitzende eines großen Nutzfahrzeugherstellers so äußert. Er kann ja gern fachliche Argumente ins Feld führen, warum sein Unternehmen diese Technologie nicht verfolgt. Die genannten Zahlen sprechen gegen ihn und zeigen im Gegenteil den Oberleitungs-Lkw als die volkswirtschaftlich günstigste Lösung. Nebenbei bemerkt ist es schon interessant, dass man in die Schweiz fahren muss, um einen realen Wasserstoff-Lkw im Einsatz zu sehen – und dann vor einem Fahrzeug von Hyundai steht. In Deutschland wurde ja niemand davon abgehalten, die Brennstoffzelle oder den Wasserstoff im Nutzfahrzeugbereich voranzubringen.
Das Gegenteil ist der Fall. Wir sehen sehr klar, dass es in verschiedenen Anwendungssituationen verschiedene Technologien braucht. Natürlich werden wir nicht ganz Deutschland mit Strippen für den Oberleitungs-Lkw verkabeln. Aber die Hochleistungsstrecken mit einem hohen Transportvolumen können wir uns dafür sehr gut vorstellen. Deshalb fördern wir als Bundesumweltministerium die entsprechenden Tests in Hessen, Schleswig-Holstein und in Baden-Württemberg. Der Verkehrsminister wollte da immer nicht so recht ran.
Nein, wir arbeiten gut mit den Kolleginnen und Kollegen dort zusammen. Das Umweltministerium springt immer dann ein, wenn es in anderen Bereichen an Innovationsbereitschaft fehlt. Das war schon bei den erneuerbaren Energien so, die ursprünglich im BMU angesiedelt waren. Wir haben sie großgezogen, und als sie erwachsen waren, haben wir sie ans Wirtschaftsministerium abgegeben. So stellen wir uns das mit dem Oberleitungs-Lkw auch vor. Wir sind die Innovatoren, und wenn es dann in die Hochskalierung geht, muss sich richtigerweise das eigentlich zuständige Ministerium darum kümmern.
In beide Richtungen. Im Bus-Segment beispielsweise haben viele geglaubt, mit dem Hybridbus sei das technologische Ende erreicht. Das BMU wiederum hat mit seinen Förderprogrammen frühzeitig auf batterieelektrische Antriebe gesetzt.
So etwas hatten unsere nationalen Hersteller nicht, und wir mussten anderswo fündig werden. Inzwischen gibt es eine Aufholjagd. Industriepolitisch vernünftiger ist es jedoch, solche Technologien frühzeitig zu erspüren. Es wundert mich schon, dass die Wirtschaft hier auf den paternalistischen Staat setzt, der sich kümmert und ihr die Richtung weist. Eigentlich erwarte ich vom Unternehmertum, dass es erkennt, welche gesellschaftliche Anforderungen auf uns zukommen. Man wird das Speditionsgeschäft in Europa in absehbarer Zeit nicht mehr auf fossiler Grundlage betreiben können.
Das ist vielleicht etwas zu viel gesagt. Die Autoindustrie ist ganz definitiv ein wichtiger Partner für die Verkehrswende. Denn wir werden auch 2050 einen hohen Anteil an Gütern über das Straßennetz transportieren. Die Fahrzeuge müssen dann treibhausgasneutral sein. Und 2050 ist gar nicht mehr so weit weg. Es stehen uns nur noch wenige Technologiezyklen zur Verfügung. Unsere Pflicht als Bundesregierung ist es, der Wirtschaft möglichst klare Bilder davon zu verschaffen, wohin die Reise aus unserer Sicht geht. Ohne ein klares Zukunftsszenario bei den Unternehmen selbst besteht ein hohes Risiko für Fehlinvestitionen. Das ist der unternehmerische Teil der Verantwortung.
Am Ende mussten wir als Umweltressort den Einfluss der Lobby ja immer ertragen, verhindern konnten wir ihn nicht. Das erklärt aber die schwierige Situation, in die die gesamte Automobilwirtschaft gerade in Deutschland geraten ist. Die Branche war sehr saturiert und hatte die Erfahrung gemacht, dass bei jedem Aufschrei ihrerseits alle stramm standen – ganz egal, wer im Kanzleramt oder an der Spitze der EU-Kommission saß. Die Folge ist: Man wird lahm und verliert an Innovationskraft. Und dann sind plötzlich Konkurrenten am Markt, von denen man nie geträumt hatte.
Durch den Einstieg in die CO2-Bepreisung fließen Kosten und Schäden des Klimawandels in den Kraftstoffpreis mit ein. Gleichzeitig ist der CO2-Preis ein wichtiger Stellhebel hin zu emissionsfreien Antrieben, die so schrittweise wettbewerbsfähiger werden. Ab 2023 wird ein CO2-Aufschlag auf die Lkw-Maut erhoben und klimafreundliche Lkw werden bei den Infrastrukturkosten entlastet. Mit der CO2-Bepreisung über die Lkw-Maut wirken wir den Wettbewerbs¬verzerrungen durch Auslandsbetankungen entgegen – denn die Maut müssen alle bezahlen, die auf deutschen Straßen fahren.
Wir haben vor zwei Jahren erstmals CO2-Grenzwerte für Lkw beschlossen. Sie müssen ihren CO2-Ausstoß bis 2030 um 30 Prozent senken. Angesichts des neuen EU-Klimaziels stehen aber schon neue Diskussionen an. Nächstes Jahr sollen die Ziele überarbeitet werden. Ich kann nur allen raten, das nicht wieder in der alten Manier zu bekämpfen, sondern sich mit den technologischen Möglichkeiten ernsthaft auseinanderzusetzen.
Insgesamt ist die Automobilindustrie auf einem guten Weg. Für sie wie für die gesamte Wirtschaft gilt: Es gibt eine neue Ernsthaftigkeit, das Klimaschutzziel zu akzeptieren und die eigenen Geschäftsmodelle darauf auszurichten.
Zur Person
- Jochen Flasbarth (58) ist seit 2013 Staatssekretär im Bundesumweltministerium.
- Zuvor war der Diplom-Volkswirt vier Jahre Präsident des Umweltbundesamts (UBA) und unter anderem ein Jahrzehnt Präsident des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu).
- Flasbarth ist Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung.