Resilienzmanagement in der Logistik

Elf Stellschrauben der Resilienz
Was die Logistik krisenfest macht

Prof. Dr. Holger Held und Doktorand Jakob Weber von der Hochschule Aalen haben elf praxisnahe Resilienzfaktoren erarbeitet. Wie diese in der Praxis wirken, zeigt die Spedition Brucker mit konkreten Maßnahmen zur Stärkung ihrer Widerstandskraft.

Resilienz
Foto: Adobe Stock - meeboonstudio, Spedition Brucker, Montage: Frank Haug

Die Transport- und Logistikbranche sieht sich mit zunehmender Unsicherheit konfrontiert. Dies zeigt beispielsweise ein Blick auf unsichere globalisierte Lieferketten, geopolitische Risiken und auf die erratische Zollpolitik Donald Trumps. „Viele Unternehmer erleben heute eine Volatilität, wie sie sie in dieser Form noch nie kannten“, sagt Prof. Dr. Holger Held von der Hochschule Aalen im Gespräch mit trans aktuell. Der Experte für strategische Unternehmensplanung betont: „Um unter diesen Rahmenbedingungen eine Spedition zu führen, reicht strategische Planung alleine nicht mehr aus.“ Gefragt sei vielmehr ein unternehmerisches Immunsystem, auch „Resilienz“ genannt. Es befähige Unternehmen der Transport- und Logistikbranche dazu, auf unvorhergesehene Ereignisse flexibel und wirksam zu reagieren – analog zum menschlichen Körper, der sich ebenso an Kälte wie an Hitze anpassen kann.

Resilienz als betriebswirtschaftliches Modell

Resilienz sei ein Managementkonzept, das durch Corona deutlich an Relevanz gewonnen habe, sagt Held. Die betriebliche Resilienzforschung – ein interdisziplinäres Teilgebiet mit starker Verankerung in der Betriebswirtschaftslehre (BWL) – liefert dazu praxisnahe Ansatzpunkte. Auch für Speditionen. Prof. Dr. Holger Held initiierte dazu zusammen mit dem Doktoranden Jakob Weber eine empirische Untersuchung an der Hochschule Aalen. Ziel war es, die unternehmerische Widerstandskraft kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) systematisch zu erfassen und zu bewerten.

Prof. Dr. Holger Held, Hochschule Aalen
Prof. Dr. Holger Held, Hochschule Aalen

„Es geht nicht um eine Zahl – sondern um eine Diskussion, die zur Entwicklung führt.“ Prof. Dr. Holger Held, Hochschule Aalen

Resilienzmodell für Logistik-KMU

Wie resilient sind Speditionen? Um herauszufinden, wie es um die Resilienz von Speditionen und anderen Mittelständlern bestellt ist, entwickelten Held und sein Team ein praxisorientiertes Erhebungsinstrument. Dieses basiert auf einem wissenschaftlich fundierten Resilienzmodell mit elf Elementen, darunter Strategie, Digitalisierung und Führung. Im Rahmen einer Onlinebefragung wurden 102 Unternehmen um ihre Einschätzung gebeten – mit erstaunlich klaren Ergebnissen. Die Erkenntnisse lassen sich laut dem Professor auf eine Vielzahl von KMU in der Transport- und Logistikbranche übertragen.

Kundenzentrierung bringt Stabilität

Besonders deutlich wird: Die resilientesten Unternehmen haben die höchsten Werte beim Resilienzelement „Kundenzentrierung“. So erzielen beispielsweise Unternehmen, die über eine klare Digitalstrategie verfügen, über signifikant höhere Resilienzwerte. Auch eine strategisch aufgebaute Lieferkette, gute interne Kommunikation und ein innovationsfreundliches Klima zahlen stark auf die Widerstandskraft ein. Auffällig ist zudem: Je strukturierter ein Unternehmen mit Risiken umgeht, etwa durch Szenarioanalysen oder Frühwarnsysteme, desto besser ist es für externe Schocks gewappnet. Die Studie liefert damit nicht nur Kennzahlen, sondern konkrete Ansatzpunkte für die Praxis.

Krisenfest durch digitale Steuerung

Zu den konkreten Hebeln etwa gehören regelmäßige Risiko-Workshops im Führungskreis, die Definition von Notfallplänen für kritische Geschäftsprozesse und der Aufbau redundanter Lieferantenstrukturen. Auch ein stärkerer Fokus auf digitale Steuerung in der Supply Chain – etwa durch Echtzeitdaten und automatisierte Auswertungen – kann die Resilienz messbar erhöhen. Darüber hinaus empfiehlt die Untersuchung, Resilienz als eigenes strategisches Ziel zu verankern und im Führungsalltag aktiv zu leben.

Vier zentrale Resilienzfaktoren

Vier Resilienzfaktoren entscheidendLaut Held sind für die Transport- und Logistikbranche insbesondere vier Resilienzfaktoren entscheidend: eine klare strategische Ausrichtung, konsequente Kundenorientierung, belastbare Partnerschaften sowie ein realistischer Umgang mit Digitalisierung. Gerade Strategie und Kundenorientierung seien dabei eng miteinander verzahnt: „Wer seine Kunden kennt, kann flexibel auf deren Anforderungen reagieren – und sich vom Wettbewerb abheben.“ Partnerschaften mit anderen Unternehmen, auch branchenfremden, bergen laut dem Professor ebenfalls hohes Potenzial. Gemeinsame IT-Lösungen, geteilte Mitarbeitende oder abgestimmte Dienstleister könnten Synergien schaffen und Ressourcenengpässe abfedern.

Kleine Betriebe mit großen Hürden

Allerdings sind manche Resilienzfaktoren für kleinere Speditionen schwerer umzusetzen als für große. Die Größe eines Betriebs wirkt dabei häufig als natürliche Grenze: „Ob eine Spedition fünf oder fünfhundert Mitarbeitende hat, macht einen immensen Unterschied“, so Held. Ein Beispiel: Während ein größeres Unternehmen personelle Ausfälle durch strukturierte Stellvertretungsregelungen und dokumentierte Prozesse leichter abfedern kann, gerät eine kleine Spedition mit fünf Beschäftigten oft schon dann ins Wanken, wenn eine einzige Schlüsselperson ausfällt. Ressourcen für Doppelfunktionen oder digitale Tools zur Arbeitsteilung fehlen häufig. Doch nicht alle Hürden sind struktureller Natur – manche lassen sich mit Offenheit überwinden. „Oft scheitert Zusammenarbeit an mangelndem Austausch oder am Ego“, sagt Held. „Statt Synergien zu nutzen, kocht jeder sein eigenes Süppchen, dabei könnten gerade kleinere Betriebe im Netzwerk voneinander profitieren.“

Wissenssicherung bei Personalausfall

Die Ergebnisse der Studie offenbaren zudem deutliche Schwächen bei KMU – insbesondere bei den Resilienzelementen „Kundenorientierung“, „Human Resources“ und „Partnerschaften“. „Das eigentlich Bemerkenswerte ist, dass die Unternehmen das selbst so einschätzen“, sagt Held. Genau darin liege aber auch die Chance: Wer seine Schwächen erkenne, könne gezielt gegensteuern. Viele Betriebe sind stark auf einzelne Leistungsträger angewiesen – sei es im Kundenkontakt, in der Disposition oder bei der Personalführung. Fällt eine dieser Schlüsselpersonen unerwartet aus, fehlen oft nicht nur funktionale Kompetenzen, sondern auch implizites Wissen und Verlässlichkeit im Team.

Wie Teams bei Ausfällen stabil bleiben

Gerade hier zeigt sich, dass Resilienz im Personalbereich weit mehr ist als reine Kapazitätsplanung. Laut Held geht es darum, Wissen zu sichern, Verantwortlichkeiten zu verteilen und Mitarbeitende so einzubinden, dass ein Team auch bei Ausfällen handlungsfähig bleibt. „Man kann kein Wunder erwarten – aber Feedbackgespräche, individuelle Förderung und Zeit für die Mitarbeitenden wirken oft stärker, als man denkt“, betont Held. Solche Maßnahmen stärken die Eigenverantwortung und Stabilität im Tagesgeschäft – und damit die Resilienz.

Selbsteinschätzung bringt Erkenntnisse

Wichtig zu wissen: Die Studienmethodik des Resilienzmonitors 2024 basiert nicht auf einer objektiven Bewertung von außen, sondern auch auf einer strukturierten Selbsteinschätzung der teilnehmenden Unternehmen. Die Datenerhebung erfolgte über standardisierte Fragebögen, bei denen sich die Unternehmen selbst anhand von Indikatoren zu elf Resilienzdimensionen bewerten. Diese Methodik wurde gewählt, um nicht nur einen Ist-Zustand zu erfassen, sondern auch eine interne Reflexion im Unternehmen anzuregen. Der entscheidende Effekt: Der Austausch im Unternehmen wird angestoßen. Unterschiede in der internen Wahrnehmung werden sichtbar, konkrete Maßnahmen lassen sich ableiten. Held: „Es geht nicht um eine Zahl – sondern um eine Diskussion, die zur Entwicklung führt.“

Dr. Stefan Brucker, Geschäftsführer Spedition Brucker, Aalen
Spedition Brucker

„Resilienz bedeutet, dass die Zahnräder ineinandergreifen – das klappt nur, wenn Führung gelebt wird.“ Dr. Stefan Brucker, Geschäftsführer der Spedition Brucker

Brucker lebt Resilienzmanagement

Bewähren sich die Handlungsempfehlungen auch in der Praxis? Dr. Stefan Brucker, Geschäftsführer der gleichnamigen Spedition aus Aalen, beantwortet diese Frage im Gespräch mit trans aktuell mit einem eindeutigen „Ja“. Für ihn ist Resilienz ein schon lange bewusst eingesetztes Steuerungsinstrument in seinem Betrieb. „Wir wenden auch eine Art Resilienzmanagement an, weil es uns hilft, schwierige Phasen zu meistern“, so der Geschäftsführer. Der mittelständische Familienbetrieb besteht seit bald 120 Jahren und hat zahlreiche Umbrüche und Krisen erfolgreich überstanden. Schon lange bevor der Begriff Resilienz in der Branche Einzug hielt, habe man – oft unbewusst – auf entsprechende Prinzipien geachtet, so Brucker. „Sonst wären wir heute nicht mehr da.“

Krisenmanagement in Echtzeit

Mit Blick auf die Studie betrachtet er sein Unternehmen vor allem in den Bereichen Controlling, Kundenstruktur und Netzwerke als widerstandsfähig und zukunftssicher aufgestellt. Frühwarnsysteme im Controlling schlagen an, sobald Ergebnisse oder Auftragszahlen zurückgehen – dann greifen schnell definierte Reaktionsmuster. „Wir beobachten täglich, wie sich Kapazitäten und Bedarfe verschieben. Unser Krisenmanagement muss stunden- und tagesaktuell funktionieren, nicht erst in Wochen.“ Und auch das breite Kundenspektrum ist Teil der Resilienzstrategie: Die Spedition arbeitet bewusst nicht mit nur einer Branche. „Das ist wie Schlittenfahren im Winter und Radfahren im Sommer – wir müssen immer handlungsfähig bleiben.“

Fuhrparkstrategie als Resilienzfaktor

In Zeiten explodierender Charterpreise verfolgt die Spedition Brucker eine klare Strategie: den gezielten Mix aus Eigen- und Fremdfuhrpark. „Ohne einen eigenen Fuhrpark könnten wir unsere Kunden nicht bedienen in Zeiten, in denen es kaum Frachtraum auf dem Markt gibt“, so Brucker. Er betont, Resilienz lasse sich nicht allein durch Investitionen in Fahrzeuge erreichen, sondern durch das Zusammenspiel aller relevanten Bereiche – insbesondere Human Resources und Disposition.

Personalmarketing trifft Fuhrparkstrategie

„Wer Fahrzeuge beschafft, aber keine Fahrer findet, ist nicht resilient“, bringt er es auf den Punkt. Entsprechend wichtig sei es, dass Personalmarketing und Fuhrparkplanung Hand in Hand gehen. Nur wenn die internen Rädchen ineinandergreifen, lasse sich ein solches Vorhaben auch operativ umsetzen. In diesem Zusammenhang investiert das Unternehmen stark in Personalmarketing, unter anderem mit einem mehrsprachigen Recruiting-Team.

Führungskultur als Stabilitätsgarant

Neben klassischem Krisenmanagement und Human Resources legt Brucker auch großen Wert auf Führung. „Resilienz bedeutet, dass die Zahnräder ineinandergreifen – das klappt nur, wenn Führung gelebt wird.“ Dazu zählt für ihn regelmäßiger Austausch zwischen den Abteilungen ebenso wie außerbetriebliche Aktivitäten, bei denen Teams Bindung aufbauen. Kommunikation sei dabei kein Selbstzweck, sondern tägliche Aufgabe: „Wir sagen unseren Leuten: Schreibt weniger E-Mails, redet mehr miteinander.“Für zusätzliche Resilienz sorgt auch die Kontraktlogistik, die wachsende Bedeutung im Leistungsportfolio einnimmt. Damit gelingt es, Umsatzschwankungen im Transportbereich abzufedern. In Summe verfolgt das Unternehmen bewusst eine breite Aufstellung – geografisch, personell und strukturell.

Werteorientierung und Teamgeist

Herausforderungen gibt es dennoch: Die größte sei der Mangel an qualifiziertem Personal. Auch kulturelle Fragen spielen eine Rolle. „Manche junge Leute haben kein Gefühl mehr dafür, was Arbeit eigentlich bedeutet“, sagt Brucker. Seine Antwort: Werteorientierung. „Man muss auch mal sagen: Bis hierher und nicht weiter. Führung heißt nicht nur organisieren, sondern Haltung zeigen.“ Von Kunden werde das Thema Resilienz nicht explizit eingefordert – wohl aber im Handeln. Großverlader fragten nach, wie die Spedition mit dem Fahrermangel umgehe.

Interne Flexibilität stärkt Resilienz

Auch die Mitarbeitenden bringen laut Brucker klare Erwartungen mit: Sie wünschen sich, dass das Unternehmen bei Engpässen handlungsfähig bleibt – und sind im Gegenzug bereit, selbst flexibel zu agieren. So helfe etwa ein Disponent bei Bedarf auch mal in einer anderen Abteilung aus, etwa wenn in der Charterdisposition akuter Personalmangel herrsche. „Wir brauchen Personal, das dort eingesetzt werden kann, wo es gerade brennt“, betont Brucker. Diese interne Beweglichkeit sei ein wesentlicher Faktor der Resilienz – vergleichbar mit einem gut abgestimmten Zahnradsystem, in dem jedes Teil kurzfristig Aufgaben übernehmen könne, ohne dass der gesamte Ablauf ins Stocken gerät.

Attraktive Arbeitsbedingungen wirken doppelt

Gezielte Resilienzmaßnahmen sieht Brucker nicht nur als Risikoabsicherung, sondern als Wachstumschance. Attraktive Arbeitsbedingungen, etwa durch ein starkes betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM), moderne Arbeitszeitmodelle und familienfreundliche Regelungen, stärken nicht nur die Bindung, sondern auch die Leistungsfähigkeit. „Unser Lohnniveau ist hoch – das hören wir auch vom Markt. Aber wir bieten auch was dafür“, betont der Geschäftsführer. Externe Beratung braucht es laut Brucker nicht. „Was wir benötigen, ist personelle Kapazität – den Rest bringen wir aus eigener Kraft auf den Weg.“

Die Resilienzelemente

Resilienzmanagement soll die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens stärken und die Zukunftsfähigkeit sichern. Dies muss auf drei Ebenen erfolgen: Organisation, Umwelt sowie Team/Individuum. Die elf Resilienzelemente verteilen sich wie folgt:

Organisationsebene

1. Strategie
2. Krisenmanagement
3. Digitalisierung
4. Innovation
5. Value Proposition (Wertversprechen)

Umweltebene

6. Kundenzentrierung
7. Partnerschaften
8. Lieferkette

Team- und Individuumebene

9. Unternehmenskultur
10. Human Ressources und
11. Leadership

Prof. Dr. Holger Held: „Der Weg ist das Ziel. Es geht nicht um das einmalige Erreichen eines absoluten Wertes, sondern um eine stetige und nachhaltige Unternehmensentwicklung.“

Die Methodik der Studie

Die Befragung von 102 Unternehmen erfolgte anhand eines Modells mit den elf genannten Resilienzfaktoren. Daraus entwickelten die Autoren 55 Aussagen, die zentrale Aspekte der Unternehmensresilienz abbilden. 102 Unternehmen bewerteten diese Aussagen auf einer fünfstufigen Skala. Aus den Antworten wurde ein normierter Resilienz-Score (0–100 Punkte) berechnet. Zusätzlich wurden Korrelationen analysiert, etwa zwischen Digitalstrategie und Gesamtresilienz. Die Ergebnisse gelten als qualitativ belastbar – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen.