Thomas Juraschek von Ford im Interview: Der neue Nutzfahrzeug-Chef zieht Bilanz

Thomas Juraschek von Ford im Interview
Der neue Nutzfahrzeug-Chef zieht Bilanz

Thomas Juraschek verantwortet bei Ford Deutschland seit Mitte 2018 das Nutzfahrzeuggeschäft. Im Interview spricht er über aktuelle Herausforderungen und neue Geschäftsfelder.

Der neue Nutzfahrzeug-Chef zieht Bilanz
Foto: Thomas Kueppers
Wie verlief das Jahr 2018? Wie ist die Stimmung im Segment der leichten Nutzfahrzeuge?

Die Branchenstimmung ist interessant. WLTP war ein Thema, mit dem wir uns beschäftigt haben – zunächst und vorrangig auf der Pkw-Seite. Aber auch die meisten Hersteller von leichten Nutzfahrzeugen sind davon betroffen, nämlich wenn es um Kombi-Varianten wie zum Beispiel den Ford Tourneo Custom geht. Trotzdem darf ich für Ford feststellen, dass 2018 ein extrem erfolgreiches Nutzfahrzeugjahr war. Wir werden das 2017er-Ergebnis auf jeden Fall deutlich übertreffen. Das liegt nicht zuletzt an unserem größten Nutzfahrzeug, dem Ford Transit, der aktuell bei den Kunden sehr gut ankommt.

Beim Ford Ranger, unserem Pick-up-Bestseller, merken wir, dass das Segment voller geworden ist, weil mit der Mercedes X-Klasse und mit dem Renault Alaskan nun zwei neue Marktteilnehmer in einem Segment hinzugekommen sind, das nicht dafür bekannt ist, dass es stark wächst. Wir hatten Anfang des Jahres 2018 Schwierigkeiten, die Ford Ranger aus Südafrika, wo sie für den europäischen Markt produziert werden, nach Europa zu bringen. Dadurch haben wir zunächst Marktanteile verloren. Inzwischen haben wir das Problem aber im Griff und seitdem erreicht der Ford Ranger in Deutschland wieder seinen Segmentanteil von über 30 Prozent und ist damit nach wie vor klarer Marktführer.

Welche Baureihe hat Ihnen 2018 die meiste Freude bereitet?

2018 war das eindeutig der Ford Transit.

Kann man das quantifizieren, also an Zahlen, Marktanteil, Absatzvolumen festmachen?

Beim Ford Transit Custom konnten wir unseren Marktanteil im Segment um einen guten Prozentpunkt steigern und auch der Ford Transit konnte in seinem Segment zulegen. Absolut gesehen dürften wir mit diesen beiden Baureihen in 2018 um rund 15 Prozent gegenüber 2017 zugelegt haben.

Der Ranger ist durch die zunehmende Konkurrenz unter Druck. Den VW Amarok haben Sie schon gar nicht mehr erwähnt. Das ist dann schon ein gewohnter Marktbegleiter? Sie sagen, dass das Absatzvolumen stabil bleibt. Hat sich der Markt dann vergrößert?

Genau. Das Segment der Pick-ups vergrößert sich leicht.

Wie erklären Sie sich, dass sich dieses Segment vergrößert? Das war eigentlich immer ein Nischensegment in Deutschland.

Pick-ups sind nach wie vor Nischenprodukte, aber ich glaube, dass es zwei Gründe für die leichte Segment-Vergrößerung gibt. Zum einen haben wie eine sehr stabile Nutzerfamilie, die ihren Pick-up für den täglichen Beruf braucht. Das sind vor allem Landwirte, Förster oder Techniker, die zum Beispiel Windkrafträder warten. Dafür sind Pick-ups einfach prädestiniert. Zum anderen gibt es mittlerweile einen viel größeren Bereich an privaten Nutzern, für die ihr Pick-up ein Ausdruck ihres Lifestyles ist. Sie interpretieren ihr Fahrzeug daher nicht als Arbeitsgerät und reines Nutzfahrzeug. Ich freue mich daher, dass wir Mitte 2019 mit dem „Raptor“ eine völlig neue Ranger-Variante bekommen. Der „Raptor“ hat wenig mit Nutzfahrzeugen zu tun, sondern richtet sich vorrangig an die Lifestyle-Klientel.

Ungefähr 80 Prozent unserer Ford Ranger-Verkäufe generieren wir über die beiden Serien Limited und Wildtrak, also die höherwertigen Ausstattungsvarianten, bei denen es nicht zuletzt auch um das Design geht. Wir merken, dass mit dem Wachstum des SUV-Segments immer mehr Offroad-fähige Fahrzeuge auf die Straße kommen. Die Fahrer, die sich ursprünglich für SUVs interessiert haben, suchen jetzt eine neue Differenzierung und entscheiden sich für einen Pick-up. Allerdings gehen wir davon aus, dass Pick-ups auch im nächsten Jahr Nischenprodukte bleiben werden. Wenn wir also von einem Industrie- oder Segmentanstieg sprechen, bewegen wir uns trotzdem insgesamt nur im oberen tausendstelligen Bereich.

Wie groß ist denn aktuell der Gesamtmarkt?

Ford hat in Deutschland im Jahr 2017 mit rund 8.500 Ranger einen Marktanteil von 34 Prozent erzielt. Wenn man das hochrechnet, steht dieses Segment für ungefähr 25.000 Einheiten im Jahr.

Was bedeutet das Wachstum des Segments gerade in Richtung der Lifestyle-Kundschaft für die nutzwertigen Varianten, also die schmaleren Kabinen? Viele Ihrer Konkurrenten konzentrieren sich auf die Doppelkabine, bieten schon gar nichts anderes mehr an. Wäre das für Ford auch ein Weg?

Der Ranger ist gemäß seiner Ausrichtung in erster Linie ein Nutzfahrzeug. Das soll er auch bleiben. Insofern legen wir größten Wert auf die tatsächlichen Nutzfähigkeiten und auf die Nutzlast des Fahrzeugs und auch die Einzelkabine bleibt weiterhin im Programm. Auch mit dem Ranger-Facelift Anfang 2019 ändert sich daran nichts. Fakt ist aber auch, dass durch die Lifestyle-Käufer mehr Pkw-ähnliche Features im Ranger Einzug halten werden. Das heißt unter anderem: Die Anzahl der Fahrer-Assistenzsysteme wird wachsen, so wird für den Ranger unter anderem ein intelligenter Geschwindigkeits-Assistent und eine Verkehrsschilderkennung lieferbar werden.

Sie haben mit der erfreulichen Marktentwicklung elegant das Thema WLTP umschifft. Wie haben Sie das Thema WLTP bearbeitet? Von anderen Herstellern ist bekannt, dass es für enorme Lieferschwierigkeiten gesorgt hat.

Wir haben frühzeitig auf neue, Euro 6d-Temp-taugliche Motoren umgestellt und können daher sagen, dass inzwischen über 90 Prozent unserer Pkw-Motorvarianten nach dieser Norm eingestuft sind. Der Rest wird in den kommenden Wochen auf diese Norm umgestellt. Für die Nutzfahrzeugvarianten ist es unser Ziel, mit Produktion Mai 2019 alle Motorvarianten auf Euro 6d-Temp umgestellt zu haben.

Wie nehmen Ihre Kunden das Thema auf? Welche Auswirkungen hat es auf das tatsächliche Geschäft?

Natürlich haben die jüngst verhängten Fahrverbote bzw. die Androhung von Fahrverboten Unruhe und Verunsicherung bei den Kunden verursacht, gerade was Köln und das Ruhrgebiet angeht. Grundsätzlich geht der Kunde mit dem ganzen Thema aber relativ besonnen um. Es gab Kunden, die sich ganz bewusst noch für Fahrzeuge mit nicht nach Euro 6d-Temp eingestuften Motoren entschieden haben, vielleicht war das auch eine Preisfrage. Wir haben aber auch sehr umweltorientierte Flottenkunden, die gezielt Fahrzeuge mit Euro 6d-Temp-Motoren verlangen.

Das Thema RDE (Real Drive Emissions) ist für die gesamte Nutzfahrzeugindustrie eine Herausforderung. Es geht hier nämlich unter anderem um die Frage, wie mit Umbauten umgegangen wird. Beispiel: Wie verändert eine Pritsche, nachträglich oder ab Werk verbaut, den cW-Wert des Fahrzeugs und welchen Einfluss hat das dann auf die CO2-Emissionen und – davon abhängig – auf die Besteuerung und auf die Zulassungsfähigkeit? Abgesehen von den messtechnischen Aspekten gibt es aus meiner Sicht auch immer noch rechtliche Unklarheiten. Wir haben einfach eine unglaubliche Vielfalt an Nutzfahrzeugen, denken Sie nur an Radstände, Tonnagen, Nutzlasten, Dachhöhen. Das alles kann wiederum miteinander kombiniert werden und für alle diese Varianten müssen im Endeffekt Werte ermittelt und homologiert werden.

Sie haben es schon anklingen lassen: Grund für großen Ärger bei Ihren Kunden dürfte das Thema Dieselfahrverbote hervorrufen. Was ist dazu Ihr Feedback aus dem Markt? Wie beraten Sie Ihre Kunden dahingehend?

Wir haben den Vorteil, dass unsere Kunden breit aufgestellt sind. Sie nutzen die Ford-Nutzfahrzeuge sowohl in den Innenstädten als auch im ländlichen Bereich, so dass nicht jeder unserer Kunden von möglichen Fahrverboten betroffen ist. Fakt ist aber auch, dass unsere Kunden eine professionelle Beratung verlangen, und die bekommen sie von unserem Handel. Teil dieser Beratung ist der Hinweis, dass die Ford Transit-Center den Vertrieb der batterie-elektrischen leichten Nutzfahrzeuge Work und Work L übernommen haben, so dass Kunden, die hauptsächlich im innerstädtischen Bereich unterwegs sind, mit diesen beiden Produkten auf der sicheren Seite sind.

Meine Meinung ist, dass es realistischerweise Ausnahmen von generellen Fahrverboten wird geben müssen. Denn man kann nicht davon ausgehen, dass sich innerhalb von wenigen Monaten ganze Fuhrparks und Flotten komplett austauschen, das heißt: modernisieren lassen. Ich denke da bei den Ausnahmen unter anderem an den caritativen Bereich, zum Beispiel an den Behindertentransport. Da gibt es eben Autos, die aus budgetären Gründen älter sind. Soll man diese Fahrzeuge samt und sonders aus den innerstädtischen Umweltzonen oder aus bestimmten Straßen ausschließen, nur weil es sich der betreffende caritative Verein aktuell nicht leisten kann, ein Fahrzeug der neuesten Schadstoffklasse anzuschaffen? Das sehe ich nicht. Und eine funktionierende Nachrüstlösung für Nutzfahrzeuge habe ich ebenfalls noch nicht gesehen. Es wird also Ausnahmen geben müssen und wir müssen unseren Kunden mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Wie ist dabei Ihre Hauspolitik? Sind Sie da entgegenkommend?

Unsere Kunden können mit attraktiven Konditionen rechnen.

Wie sieht es bei den Leuten aus, die solche Autos als Kombis kaufen? Das sind eher Privatkunden, aber trotzdem auch Transportunternehmen. Gibt es dort inzwischen eine Nachfrage nach Benzinern?

Bis jetzt ist die Nachfrage nach Benzinern in dem Segment eher gering.

Man muss davon ausgehen, dass die Leute solche Autos auch eine Weile fahren. Die Gefahr ist da, dass man nicht weiß, wie es in acht Jahren mit dem Diesel aussieht.

Stimmt. Und weil dem so ist, bringt Ford Ende 2019 den Ford Transit Custom als Plug-in-Hybrid-Version auf den Markt. Das Fahrzeug hat den mittlerweile vielfach preisgekrönten EcoBoost-Benzinmotor mit einem Liter Hubraum und drei Zylindern an Bord sowie einen Elektromotor. Der Benzinmotor treibt das Fahrzeug nicht an, sondern dient als Range Extender.

In welcher Version wird es den Plug-in-Hybrid geben?

Auf der IAA Nutzfahrzeuge im September 2018 haben wir die Serienversion des Ford Transit Custom PHEV, so der genaue Name, vorgestellt, und zwar als Kastenwagen. Wir könnten uns aber durchaus vorstellen, das Fahrzeug auch als Kombi auf den Markt zu bringen.

Bei all diesen Unsicherheiten, die da so lauern: Wie fällt Ihr Ausblick für dieses Jahr aus wirtschaftlicher Sicht aus?

Was die Nutzfahrzeug-Gesamtnachfrage in Deutschland betrifft, gehe ich davon aus, dass wir Hersteller dieses Jahr gegenüber 2018 kein großes Wachstum erwarten können, allerdings dürfte die Nachfrage insgesamt stabil bleiben.

Was Ford betrifft, bin ich für 2019 optimistisch. Denn wir haben nach wir vor gut gefüllte Auftragsbücher. Insofern ist mir zumindest um das erste Halbjahr 2019 nicht bange. Wir werden dann schauen, wie sich WLTP und die Folgen auf den Markt auswirken. Auch wird es spannend sein zu sehen, was die anderen Markteilnehmer machen und ob es bei einigen Herstellern einen Aufholeffekt geben wird, wenn sie die volle Verfügbarkeit von Euro 6d-Temp-Motoren erreicht haben. Aber wir konzentrieren uns natürlich auf uns selbst. Wir haben ein gutes Produktportfolio und werden bis Mitte 2019 unsere komplette Nutzfahrzeugpalette, bestehend aus den Baureihen Courier, Connect, Custom, Transit und Ranger, grunderneuert haben. Die Kunden wissen eine moderne, vielseitige Produktpalette zu schätzen.

Wenn Sie jetzt schon mehr Aufträge im Buch haben, aber der volkswirtschaftliche Ausblick aktuell eher negativ für das nächste Jahr ist, haben Sie nicht Angst vor vorgezogenen Käufen, die dann im zweiten Halbjahr zu Verwerfungen führen können?

Nein, Angst haben wir nicht, im Gegenteil. Die Nachfrage nach sauberen Motoren ist da. Wir haben saubere Motoren und werden einfach am Ball bleiben und den Kunden die Mobilität geben, die sie brauchen, um erfolgreich in ihren Berufen zu sein.

Sehen Sie bei Ihrer Produktpalette nach wie vor den Verbrennungsmotor oder eher alternative Antriebe als Zukunft?

Es gilt zu differenzieren. Wenn wir über Zukunft sprechen, ist die Frage, über welchen Zeitraum wir reden. In der nahen Zukunft, also in den kommenden Jahren, halte ich den Verbrennungsmotor – und das heißt im Nutzfahrzeugbereich dann vor allem den Diesel – weiterhin für unverzichtbar. Es wird aber eine wachsende Zahl von Kunden geben, für die ein Nutzfahrzeug mit Elektromotor eine attraktive Alternative ist. Wir sehen aber aus dem Vertrieb der beiden batterie-elektrischen leichten Nutzfahrzeuge StreetScooter Work und StreetScooter Work L auch, dass die Kunden, die sich heute mit dem Thema Elektromobilität beschäftigen, selten ihre Flotten wirklich komplett tauschen. Das ist schon mal der Hausmeisterservice in der Innenstadt, der zwei Autos im Einsatz hat. Der wechselt komplett zum StreetScooter, weil er ganz genau weiß, dass er in einem Umkreis von 50 Kilometern fährt und abends seine Parkplätze zum Aufladen der Fahrzeuge hat. Aber jeder, der mal von Köln nach Düsseldorf oder ins Ruhrgebiet und wieder zurück fährt, für den wird es nicht so ohne weiteres möglich sein, komplett auf Elektroautos umzusteigen.

Kurzum: Auf der Langstrecke wird der Dieselmotor bis auf weiteres das vernünftigere Antriebskonzept bleiben. In der Innenstadt, auf der berühmten letzten Meile, wird sicherlich die Elektromobilität zunehmen. Wenn wir weiter in die Zukunft blicken, also über 2021, 2022 hinaus, werden wir sehen, dass diese Durchmischung immer stärker zunehmen wird. Sicherlich wird dann an alternativen Antriebsmodellen – wie immer die dann aussehen mögen – kein Weg vorbeiführen.

Wird Ihnen künftig angesichts neuer Player das Angebot, StreetScooter in einer Kooperation zu vertreiben, reichen oder wäre es sinnvoller, irgendwann einen eigenen E-Transportern im Programm zu haben?

Man sollte vom StreetScooter-Projekt lernen, ohne dass man dieses Fahrzeugkonzept 1:1 kopiert. Denn ein StreetScooter Work oder Work L ist für bestimmte Kundenkreise nicht unbedingt die erste Wahl, eben weil diese Fahrzeuge so sind, wie sie sind. Und das heißt, dass diese E-Autos aus nachvollziehbaren Gründen zum Beispiel keine Beifahrer-Airbags und keine Klimaanlagen haben.

Ich möchte aber den Kunden Produkte anbieten können, die ihnen maximalen Komfort und Sicherheit bieten. Denn wir sehen bei unseren Nutzfahrzeugkunden eine wachsende Nachfrage zum Beispiel nach AGR-Sitzen, also nach individuell an die Körperform und Körpergröße anpassbaren Gesundheitssitzen. Solche Sitze, die wir jetzt zum Beispiel im neuen Ford Focus anbieten, halte ich auch im Nutzfahrzeugbereich für extrem relevant. Wenn wir irgendwo sparen müssen, sollten wir das an einer Stelle tun, die keinen Nachteil für den Kunden mit sich bringt. Damit müssen wir clever umgehen und überlegen, wo wir tatsächlich Komplexität und/oder Gewicht aus dem Fahrzeug rausnehmen. Es geht also letztlich um die Frage: Wie und wo können wir Kosten am Fahrzeug einsparen, ohne dass der Kunde dadurch etwas vermisst.

Ist das nicht ein Argument dafür, sich StreetScooter einzuverleiben? Startups werden ja gerne auch mal gekauft.

Es ist kein Geheimnis, dass die Deutsche Post einen Equity Partner für ihr Tochterunternehmen StreetScooter sucht. Wir sind im Gespräch, was aber nicht bedeutet, dass da schon ein wie auch immer geartetes Ergebnis zu verkünden wäre. Man muss sehr genau beobachten, was in der Zukunft passiert. Wir haben für den E-Mobilitätsbereich unsere eigenen Produktpläne und wir müssen sehen, ob diese Pläne mit denen von StreetScooter übereinander passen.

Wie schnell braucht DHL einen Equity Partner?

Das müssen Sie die DHL fragen.

Können Sie schon etwas zum wirtschaftlichen Aspekt dieser Kooperation sagen? Wie macht sich StreetScooter in Ihrem Ergebnis spürbar?

Im Moment ist das noch schwer zu sagen. Wir haben zwar unseren Händlern die Möglichkeit eröffnet, den StreetScooter Work und den Work L zu vertreiben, aber für uns als Ford-Werke erwächst daraus noch nicht zwangsläufig ein wirklicher Business Case. Es ist auch so, dass der Work XL, also das größte der drei StreetScooter-Produke – er basiert auf einem Ford Transit-Fahrgestell – als StreetScooter zugelassen wird. Das heißt, er wird in der Ford-Zulassungsstatistik nicht auftauchen, sondern firmiert als StreetScooter. Das ist auch so gewollt. Der Work XL ist ein Projekt, das beide Partner gestartet haben, um am Ende des Tages Geld damit zu verdienen. Wir sind guter Dinge, dass wir das schaffen.

Wie viel Geld wollen Sie denn verdienen?

Das werde ich nicht sagen.

StreetScooter ist bislang mehr oder weniger eine Kleinserienproduktion gewesen. Das ist eine etwas andere Art von Fabrik. Wie passt das zu Ford? Ist geplant, eine Vereinheitlichung anzustreben, eine großserienartige Produktion?

Das muss man sehen. Wir werden den Work XL bis auf weiteres in manufakturähnlichen Produktionsstrukturen in unserem Werk in Köln-Niehl herstellen, wie geplant. Damit können wir das geplante Liefervolumen, das wir mit der Deutschen Post vereinbart haben, abdecken. Das sind rund 2.500 Fahrzeuge. Parallel dazu ist zu klären, wie groß die Nachfrage von Nicht-Postkunden ist. Nur diese Antwort kann uns die Leitlinie geben für einen eventuellen Ausbau der Produktionskapazitäten.

Sie haben eben gesagt, dass Sie Ihre Produktpalette im für uns relevanten Bereich bis Mitte 2019 komplett grunderneuert haben werden. Womit beschäftigen Sie sich dann seitens der Innovationspolitik? Geht es dann weniger um Blech und mehr um andere Themen oder ist das Thema StreetScooter-Vertrieb überlagernd? Wie geht es weiter?

Ford: Nur weil wir unsere Nutzfahrzeug-Produktpalette einmal grunderneuert haben, heißt das nicht, dass wir uns nun zurücklehnen und stehenbleiben. Ein Schwerpunkt für uns und für unsere Händler wird sicherlich sein, den neuen Ford Transit Custom Plug-in-Hybrid unseren Kunden vorzustellen und seine Vorzüge zu erklären. Es geht dabei nicht alleine um technische Aspekte, sondern auch um mögliche Einsatzzwecke. Da helfen Kooperationen wie die mit StreetScooter natürlich immens.

Ein Riesenthema mit aus Kundensicht hohem Beratungsbedarf ist das Stichwort Fördermittel: Das ist gerade bei Elektrofahrzeugen im Nutzfahrzeugbereich wichtig. Wie setzt man Fördermittel ideal ein, sowohl beim Fahrzeugerwerb als auch bei der Ladeinfrastruktur? Wo beantragt man die Fördermittel und um welche Summen geht es überhaupt? Es handelt sich hier also um ein Bündel von Einzelfragen, auf die unsere Kunden kompetente Antworten von uns und unseren Händlern erwarten.

Mit welcher Nachfrage rechnen Sie beim Plug-in-Hybrid? Im Nutzfahrzeugbereich sind einige Hersteller auch vollelektrisch unterwegs, StreetScooter natürlich allen voran. Hybride sind aber ein Thema, das im Moment noch ein Nischendasein fristet. Sehen Sie da eine Zukunft?

Der große Systemvorteil des Plug-in-Hybrid liegt in Einsatzbereichen in Innenstädten mit strengen Emisssionsvorgaben. Es ist ja kein Zufall, dass wir gegenwärtig eine Flotte von 20 Ford Transit Custom PHEV im Praxiseinsatz in London testen und künftig auch in Köln. London ist riesengroß. In dem Moment, wo man aus der Stadt raus muss, etwa an den Stadtrand oder vielleicht einen Kunden noch weiter draußen hat und dann auch wieder zurückfahren will, gerät man mit der Standardreichweite von Elektrofahrzeugen mit einer Tonne Nutzlast gegenwärtig schon an die Kapazitätsgrenze beziehungsweise in einen Risikobereich. Und von staubedingten Standzeiten oder winterlichen Bedingungen rede ich dabei noch gar nicht. Im Moment ist es doch so, dass noch kein Nutzfahrzeughersteller sorgenfreie Reichweiten und ein wirklich überzeugendes Schnellladesystem anbieten kann. Und hier sehe ich eine der Stärken des Plug-in-Hybridantriebs eines Ford Transit Custom PHEV, der – wie eben erwähnt – einen sehr effizienten Benzinmotor als Range Extender an Bord hat.

Ja, es wird im ersten Go möglicherweise ein Nischenprodukt sein. Trotzdem glaube ich, dass man mit diesem innovativen Fahrzeug fünf bis zehn Prozent unseres Volumens bestreiten kann. Aber natürlich entscheidet der Kunde, ob er so ein Fahrzeug haben möchte.

Bei Hybriden gibt es oft das Problem, dass die Reichweite gering ist und der Verbrauch des Verbrennungsteils relativ hoch, wenn eingeschaltet wird. Wie sehen Sie das? Ist das irgendwie langfristig in den Griff zu bekommen?

Grundsätzlich ist bei einem Benzinmotor in einem Nutzfahrzeug der Verbrauch eine gewisse Herausforderung. Im Ford Transit Custom PHEV kommt der bereits angesprochene, mehrfach preisgekrönte EcoBoost-Benziner mit einem Hubraum von einem Liter zum Einsatz. Da dieser Motor im Ford Transit Custom PHEV die Batterie lädt, aber nicht als Fahrzeugantrieb dient, spielt der Verbrauch hier nicht die Hauptrolle. Der Fahrer kann übrigens zwischen zwei Modi wählen: Er kann entweder die Batterie nur so weit laden lassen, dass er mobil bleibt oder er kann die Batterie stets vollladen lassen. Nichtsdestotrotz sieht man an der Maximalreichweite von 500 Kilometern, dass wir noch ein gutes Stück davon entfernt sind, die Effizienz eines Dieselmotors zu erreichen. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

Lassen Sie uns über das Thema Kooperationen sprechen: Ford Trucks. Sie hatten früher auch einen eigenen Lkw. Gibt es da Gespräche mit Ihren türkisch-amerikanischen Kollegen, ob Sie über Ihr Vertriebs- oder Handelsnetz auch den schweren LKW, der zur IAA gezeigt wurde, aufnehmen?

Das Fahrzeug, der Ford F-MAX, ist derzeit rein geographisch gesehen vor allem in Osteuropa verfügbar und natürlich in der Türkei. In Deutschland und Westeuropa noch nicht. Ich sage noch nicht, weil die Tatsache, dass der F-MAX jetzt zum „Truck of the Year“ gewählt wurde, und die extrem positive Resonanz der Kunden auf der IAA Nutzfahrzeuge dazu geführt hat, dass wir derzeit tatsächlich prüfen, ob der F-MAX auch in Westeuropa angeboten werden könnte. Ich persönlich fände es großartig, wenn wir einen Weg finden würden.

Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass schwere Nutzfahrzeuge in Deutschland und Westeuropa aktuell nicht zu unserer Kernkompetenz gehören. Und dies gilt vor allem für das Vertriebs- und Servicenetz. Wir haben zwar auch heute schon den einen oder anderen Ford-Partner da draußen, der in der Lage wäre, den Vertrieb und den Service für den F-MAX sofort zu übernehmen, aber das Gros unserer Nutzfahrzeug-Händler müsste zunächst die bautechnischen Voraussetzungen schaffen, um ein Fahrzeug dieser Größe handeln zu können – von Aspekten wie Produktschulung, Wartung und Service sowie Ersatzteilbeschaffung und so weiter ganz zu schweigen. Kurzum: Eine entsprechende Infrastruktur für den F-MAX könnte man nicht eben mal so aus dem Boden stampfen.

Wobei Ford Trucks eigene Pläne verfolgt. Die werden Sie kennen. Die Rede war von vier Stützpunkten in Deutschland, Vertrieb in Deutschland, zum Preis von 10.000 bis 20.000 Euro unter vergleichbaren hiesigen Modellen.

Das ist auch der Grund, warum Kunden uns ihr Interesse am Ford F-MAX. signalisieren. Es ist auch kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass es Händler gibt, die Lust auf den F-MAX hätten. Es wird, losgelöst von einem Ford-Vertriebsnetz, auch immer ein Servicenetz für die Ford Trucks geben, auch wenn dieses Servicenetz erst mal nichts mit einem Ford-Servicenetz im klassischen Sinne zu tun. Aber natürlich muss der polnische, tschechische, ungarische Fahrer, der mit einem Ford Truck, mit einem Ford F-MAX, nach Deutschland fährt, im Zweifelsfall Service und Wartung bekommen, wenn er sie denn brauchen sollte.

Wir haben noch ein Thema ausgespart, das voll im Trend liegt. Welche Strategie verfolgen Sie für Ihre Nutzfahrzeuge beim Thema Konnektivität?

Unter dem Stichwort „Born Connected“ war die Konnektivität eines unserer zentralen Themen auf der IAA Nutzfahrzeuge. In Kurzform: Wir werden unsere komplette Nutzfahrzeug-Familie mittelfristig mit Embedded Modems ausstatten, also mit ab Werk eingebauten Modems, und mit der FordPass-App vernetzen – wie bereits bei den Pkw. Der Vorteil für den Fahrer: Er kann mit Hilfe der FordPass-App zu jeder Zeit sehen, wie viel Sprit noch im Tank ist, wann ein Ölwechsel nötig ist oder wo der nächstgelegene Händler sitzt. Und er bekommt natürlich auch Verkehrsdaten in Echtzeit. Das ist nur der Anfang. Wir glauben, dass sich darüber hinaus viele weitere Zusatzleistungen ergeben, die für den Nutzfahrzeug- und Flottenkunden relevant sind. Ich denke in diesem Zusammenhang zum Beispiel an Informationen zur Fahrweise des Fahrers – fährt er ökonomisch, fährt er sicher und so weiter? Es ließe sich natürlich auch klassisches Fuhrpark-Management integrieren: Wird der Fuhrpark überhaupt effektiv genutzt, könnte man Fahrstrecken zusammenlegen oder miteinander kombinieren etc.?

So könnte der Flottenbetreiber künftig mit dem Embedded Modem sehr viele Daten abrufen und diese dann auf einer Ford-eigenen, wahrscheinlich webbasierten Oberfläche auslesen und nutzen. Wir wären nach Planung auch in der Lage, diese Daten über eine API-Schnittstelle in jedes andere System zu übertragen.

Wir könnten uns auch vorstellen, künftig Predictive Maintenance zu realisieren. Es geht dabei im Kern darum, sicher vorauszusagen, wann welche Teile des Fahrzeugs verschlissen sind oder gar auszufallen drohen. Am Ende könnte dann eine vom Fahrzeug initiierte E-Mail mit einem Warnhinweis an den Fahrer und/oder an den Flottenbetreiber stehen, verbunden mit einem Terminvorschlag für den Fahrzeugcheck beim Ford-Nutzfahrzeughändler. Wir würden also prophylaktisch einen Kunden zum Service hereinbitten, mit entsprechend kurzer Stand- und damit Ausfallzeit. Das wäre für alle Beteiligten das ideale Endergebnis.

Wann sollen die ersten Angebote stehen?

Wir haben jetzt angefangen und die Organisationsabteilung für Ford Deutschland aufgebaut. In diesen Wochen beginnen wir mit dem Roll-out erster Angebote, die wir dann sukzessive weiter ausweiten werden.

Wie groß ist das Feedback, dass so ein Dienst überhaupt gewünscht wird?

Wenn Sie von mittelgroßen Unternehmen ab 100 Fahrzeuge aufwärts ausgehen, ist das Feedback groß und positiv. Bei kleineren Fuhrparks muss man im Dialog mit dem Kunden genau prüfen, ob es wirklich eine große Telematik-Lösung sein sollte, oder ob nicht auch die kleine Lösung über die FordPass-App – bei der der Kunde über sein Handy relevante Fahrzeugdaten abrufen kann – reichen könnte. Ein eigenes Thema ist das Vermietgeschäft. Wenn man den Fahrzeugzustand komplett sehen kann, muss man viele Überprüfungsvorgänge am Auto selber gar nicht mehr machen. Der Kunde gibt das Fahrzeug zurück und man sieht sofort, wie viel Kraftstoff noch im Tank ist. Das ist natürlich praktisch. Es gibt bereits verschiedene Anwendungsbereiche, wo es Sinn macht, viel direkter mit dem Fahrzeug zu kommunizieren, als wir das heute tun.

Wie sieht es mit dem Thema Mobilitätslösungen aus? Andere Hersteller bringen durchaus Projekte an den Start, in denen sie versuchen, ein neues Geschäftsfeld zu akquirieren. Wie weit sind bei Ford die Lösungen?

Im Moment ist bei uns vieles im Fluss und vieles in der Erprobungsphase. Nur ein Beispiel: Wir hatten auf der IAA Nutzfahrzeuge ein Fahrzeug mit integrierten Elektro-Cargo-Bikes, also mit elektrischen Lasten-Fahrrädern. Ein Nutzungsszenario könnte sein: Das Fahrzeug fährt an eine Umweltzone. Dort schickt man die Cargo-Fahrräder inklusive der Ladung los, fährt mit dem Fahrzeug wieder zurück zum Lager, holt neue Fracht. Ein Computerprogramm ermittelt einen genauen neuen Treffpunkt für den Autofahrer und die Fahrradfahrer. Dort wird Retourware entgegengenommen und neue Ladung sowie eventuell frische Akkus für die Cargo-Bikes übergeben, die im Zweifelsfalle aber auch im Fahrzeug geladen werden können. Dann schwärmen Alle wieder satellitenartig aus. Wir suchen gerade Partner, die Interesse daran hätten, dieses und andere innovative Konzepte mit uns zu testen.

Gibt es auch Ansätze, wieder ins Carsharing einzusteigen? Mercedes macht es zum Beispiel auch, dass sie ihre Nutzfahrzeuge für Normalkunden und auch für Gewerbekunden auf die Straße bringen.

Wir haben unseren Händlern so etwas bereits zur Verfügung gestellt. Zusammen mit der Deutschen Bahn gibt es eine Ford Carsharing-Plattform. In diesem Zusammenhang werden auch Nutzfahrzeuge eingesetzt.

Thomas Juraschek im Profil

Seit 2001 ist Thomas Juraschek bereits bei Ford tätig, zunächst im Finanzbereich, später im Marketing. Eine weitere Station führte Juraschek zur Preisgestaltung für die Märkte Österreich, Deutschland und Finnland. „Es war ein Erlebnis, einen Markt zu machen, der doch etwas anders ist, als die bekannten DACH-Märkte“, sagt Juraschek. Dabei ist das Nutzfahrzeuggeschäft als ehemaliger Leiter Produktmanagement unter seinem Vorgänger Bernhard Schmitz kein Neuland für ihn. „Als Bernhard Schmitz dann in den Ruhestand ging, bin ich gefragt worden, ob ich für ihn übernehmen wollte und habe mit Freuden Ja gesagt, weil ich nie so ganz den Kontakt zu den Kollegen verloren habe.“