Scania R 520 LA im Test: Der bescheidene König

Scania R 520 LA im Test
Der bescheidene König

Der geringe Aufpreis für den V8 im Scania R 520 weckt Begehrlichkeiten. Fragt sich, welche Vor- oder Nachteile damit verbunden sind.

Scania R520 LA mit Streamline Fahrerhaus
Foto: Karl-Heinz Augustin

Die Preispolitik der Lkw-Hersteller gestaltet sich nicht grundsätzlich anders als jene der Pkw-Branche. Ein Grundmodell lockt mit günstigem Preis, den die lieferbaren Extras durchaus verdoppeln können. Käufern, die nicht genau wissen, was sie brauchen und wollen, kann es letztlich durchaus passieren, dass sie statt eines Scania G450 einen R 520 kaufen. Klein ist der Aufpreis vom G zum R, gering der Aufschlag von 450 auf 490 PS und nicht allzu groß der Schritt vom Sechs- zum Achtzylinder. Vor allem der Griff zum V8 ist verlockend. Denn der Zuschlag vom stärksten Sechszylinder im R 490 zum „kleinsten“ V8 im R 520 fällt mit 6.800 Euro Listenpreis recht moderat aus – ein Schnupperangebot von Scania, um die Kunden auf V8-Geschmack zu bringen. Auf der Habenseite verbucht die mildeste Version des 16,4 Liter großen Achtzylinders 30 zusätzliche PS und 150 weitere Nm gegenüber dem stärksten Sechszylinder. Inklusive einiger Emotionen samt V8-Sound und einem enorm hohen Restwert. Von den legendären Laufleistungen des V8 ganz zu schweigen. Und die Sollseite? Sie ist nicht so schlecht, wie viele Controller und Griffelspitzer vermuten.

In insgesamt drei Leistungsstufen gibt es den V8 in Euro-6-Ausführung, der – so die Scania-Tradition – ausschließlich im R-Programm zum Einsatz kommt. 520, 580 und 730 PS (382, 427 und 537 kW) stehen zur Wahl. Die Drehmomente reichen von 2.700 bis 3.500 Nm. 90 Grad Zylinderbankwinkel, ein großer zentraler und variabler Turbolader (seit Euro 6), acht einzelne Zylinderköpfe, eine zentrale, tief unten arbeitende Nockenwelle und die sogenannte XPI-Einspritzung sind die markanten Bausteine dieses einzigen im europäischen Straßenverkehr verbliebenen Achtzylinders. Für die Abgasreinigung zeichnen verantwortlich: eine wassergekühlte Abgasrückführung, das längst bewährte SCR-System sowie ein Partikelfilter. Von der Abgasrückführung abgesehen, sitzt die komplette „Chemiefabrik“ in einem Schalldämpfer rechts am Rahmen, der beim V8 knapp 300 Millimeter mehr Länge als beim Sechszylinder beansprucht und insgesamt fast einen Meter misst. Klarer Fall, dass der R 520 etwas schwerer geriet als sein Euro-5-Vorgänger R500 – exakt 169 Kilogramm entfallen auf die Euro-6-Stufe.

Ausgerüstet mit Topline-Fahrerhaus, üppiger Innenreinrichtung und in lastauto omnibus-Spezifikation steht der R 520 Topline mit etwas mehr als 7.800 Kilogramm auf der Waage. Mit dem gern georderten Retarder geht es nah an die Acht-Tonnen-Grenze. Viel oder wenig? Im Umfeld der gleichstarken Konkurrenz macht der R 520 hier keine Pluspunkte. Als 580er oder gar 730er nimmt er den Wettbewerbern aber mal schnell 200 bis 300 Kilogramm ab. Die Differenz zu einem R 450 oder 490 beträgt rund 350 Kilogramm, die zum größten Teil auf das Konto des Achtzylinders gehen – gut 1.400 Kilogramm wiegt der gusseiserne Geselle.

Beim Verbrauch gibt sich der 16,4 Liter große Achtzylinder bescheidener als vermutet

Die beim V8 besonders spannende Frage nach dem Verbrauch lässt sich durchaus gelassen betrachten. Der R 520 gab sich im Test mit einem bescheidenen Mehrverbrauch (0,6 bis 0,8 l/100 km) gegenüber den bisher gefahrenen R 480 zufrieden. Der bisher beste Euro-6-Lastzug in
dieser Leistungsklasse, der Mercedes Actros 1851, brauchte mit 35,3 l/100 km exakt einen Liter weniger als der R 520 (36,3). Ganz erstaunlich fällt der Teillastverbrauch des V8 nicht höher als bei den kleineren Sechszylindern aus, bergauf spielen die hohe Zylinderzahl und das große Hubvolumen beim Verbrauch fast keine Rolle. Theoretisch (und vermutlich auch praktisch) hätte der Verbrauch noch besser sein können, wäre der R 520 nicht mit einem Overdrive-, sondern Direktganggetriebe ausgestattet gewesen und hätte ihm Scania schon den neuen Retarder mit Freilauf spendiert. Standardgetriebe jedenfalls ist im R 520 eine Direktgangversion, die bei gleicher Gesamtübersetzung auf schnellen Autobahnstrecken etwa zwei Prozent Diesel gegenüber einem Overdrive einspart. Richtig spezifiziert müssten also Verbräuche auf dem Niveau von guten und in etwa gleichstarken Sechszylindern möglich sein.

Ansonsten brachte der R 520 beim Test alles mit an den Start, was Scania derzeit zum Dieselsparen anbietet. Also Streamline-Ausführung, Opticruise-Automatik in wieder mal verbesserter Form, den CCAP genannten Tempomaten mit Topografie-Erkennung, eine sehr gut gemachte Eco-Roll-Funktion, eine lange Achsübersetzung oder auch – um mal Kleinigkeiten zu nennen – einen abschaltbaren Luftpresser. Die Verbrauchseinsparung all dieser Zutaten erreicht teils erstaunliche Größenordnungen, deren Höhe aber davon abhängt, was verglichen und gemessen wird. Nur ein Beispiel: Ein ausgeschlafener Fahrer, der zudem seine Strecke und seinen Lkw kennt, fährt so gut wie CCAP. Einsparung also gleich null. Fest steht aber, dass die Verbrauchswerte von Lkw (allen voran der Marken Scania und Mercedes) trotz Euro 6 tendenziell nach unten gehen. Ohne diese Helfer wären sinkende Verbräuche nicht möglich.

Gut gelöst hat Scania die Eco-Roll-Funktion, die nur dann in den Leerlauf schaltet, wenn die absehbare Rollzeit mindestens zehn Sekunden dauert. Das hat den Vorteil, dass der Triebstrang im Schubbetrieb so lang wie möglich geschlossen bleibt, was wiederum dem Verbrauch zugutekommt.

Mit etwas geänderter Funktion als zuvor geht die Getriebesteuerung Opticruise ans Werk. Drei Schaltprogramme stehen bei den Fernverkehrsfahrzeugen zur Wahl – Standard, Economy und Power. Zudem ist jetzt eine Basisversion mit begrenzten Eingriffsmöglichkeiten des Fahrers verfügbar. Im Test gefahren wurde das Economy-Programm, das auch Einfluss auf die  Arbeitsweise von CCAP hat. Bis zu zwölf Prozent sackt die Geschwindigkeit unter den eingestellten Tempomatwert ab. Das Zusammenspiel von Eco-Roll, Opticruise und CCAP funktioniert immer besser, zumal Opticruise gekonnt daran arbeitet, die eine oder andere Schaltung zu vermeiden. Dann dürfen es am Ende einer Steigung auch mal weniger als 1.000/min sein. Was die neue Basisfunktion betrifft, so heißen die wichtigsten Einschränkungen: Tempomat maximal 85 km/h, kein Kickdown und keine manuellen Schaltungen oberhalb von 50 km/h.

All die „Tricks“, mit denen der Scania R 520 versucht, zehntelliterweise Diesel zu sparen, haben eine spürbare Verbrauchsminderung zur Folge, gleichzeitig aber einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Transportgeschwindigkeit. Die Durchschnittsgeschwindigkeit des Schweden erreicht trotz langer CCAP-Phasen mit Geschwindigkeiten zwischen 75 und 80 km/h immerhin 85 km/h auf der topografisch anspruchsvollen Messstrecke, was im Wesentlichen den hohen Kräften des V8 zuzuschreiben ist. Ein normal gefahrener Sechszylinder mit 480 PS erreicht dieses Tempo allerdings auch. Schneller zur Sache kommt der R 520 im Standardprogramm. CCAP arbeitet dann genauso gekonnt, lässt die Geschwindigkeit allerdings um nur sechs Prozent unterhalb des Tempomatwerts absacken. Der damit verbundene Verbrauchsnachteil dürfte in der Größenordnung von einem Prozent liegen.

Auch wenn das Konzept der heutigen R-Baureihe allmählich in die Jahre kommt – ein Scania ist nach wie vor ein fahraktives Fahrzeug mit tadellosem Fahrverhalten, hohem Fahrkomfort und logischer Bedienung. Daran ändert auch der schwere V8 auf der Vorderachse wenig, der dem Fahrverhalten etwas von seiner Leichtigkeit nimmt. Ebenso wenig der hohe Schwerpunkt der Topline-Kabine, die bei schnellen Richtungswechseln etwas mehr Seitenneigung entwickelt als die leichtere und niedrigere Highline-Variante. Das Topline-Fahrerhaus bietet deutlich mehr Innenhöhe (plus 300 Millimeter) und etwas mehr Stauvolumen als das Highline-Haus. Alle anderen Maße sind weitgehend identisch.

Bisher war der „kleine“ V8 im R500 (Euro 5) unter anderem in Deutschland der Topseller innerhalb des V8-Angebots. In dessen Fußstapfen wird der neue R 520 mit Sicherheit treten. Was ihn besonders attraktiv macht, sind die geschrumpfte Verbrauchsdifferenz zwischen Sechsund Achtzylinder und – wie bereits erwähnt – der relativ geringe Aufpreis. Wer sich einmal für einen R 490 entschieden hatte, der ist „reif“ für einen R 520.